Als Kazuya erwachte, war es noch dunkel. Ein sonderbares Knarren hatte ihn geweckt, als würde jemand durch die Gänge schleichen. Er beschloss, dass es ihm egal war und streckte sich. Er hatte nicht sonderlich gut geschlafen, weil er insgeheim damit gerechnet hatte, dass Leo zu ihm kommen würde.
Doch der hatte in seiner Faszination für diesen Kentin-Typen wahrscheinlich auch nur noch den im Kopf.
Kazuya liebte Leo nicht, aber sie waren einander näher als irgendjemand sonst, seit sie sich vor zwei Jahren an der Uni kennengelernt hatten. Der Schwarzhaarige hatte sich bei ihm ausgeweint, dass er nicht dazu stehen konnte, Männer zu lieben, weil sein Vater ihn sonst rausschmeißen würde. Kazu hatte Leo beigestanden, als der sein Outing durchzog, war immer da, wenn er Schwierigkeiten hatte.
Wie Brüder.
Nein, wie Seelenverwandte, denn Brüder schliefen nicht miteinander.
Kazuya hatte gemerkt, dass Kentin ebenso fasziniert von Leo war wie der von ihm. Sollte der Tag gekommen sein, dass sich ihre Wege als Fuck-Buddies trennten? Der Rothaarige seufzte und stand auf.
Nach dem Duschen öffnete er die Tür und sah nach rechts und links. Es war immer noch ziemlich still. Aus einem Zimmer hörte er Wasserrauschen, als würde jemand bei geöffneter Badtür duschen. Er klopfte leise an die Tür von Leos Zimmer, öffnete sie und fand das Bett zerwühlt vor. Als hätte er nicht schlafen können.
Oh Mann, das hatte er nicht wirklich getan, oder?
Kazuyas Blick wanderte zu dem Zimmer drei Türen weiter. Das, in dem Kentin schlief. Oder wahrscheinlich nicht geschlafen hatte, wenn Leo sich reingeschlichen hatte. Kazu kannte seinen Kumpel. Der schaffte es tatsächlich, gestandene Heten zu verführen!
Andere Türen gingen auf und mehr oder weniger hergerichtete Chat-Freunde kamen hervor.
»Hey, Kirshi, du bist ja schon so früh auf?«
Der junge Mann wandte sich zu der Stimme um und blickte der kleinen Viola in die Augen.
»Ja, äh ... Viola, richtig? Ich heiße Kazuya. Und du bist doch auch schon auf.«
Das Mädchen wurde rot. »Ich weiß, wie du heißt ...« Sie blickte verlegen zur Seite und der Rothaarige hatte ein komisches Gefühl im Bauch. Versuchte sie, auf eine etwas ungeschickte Art gerade, mit ihm zu flirten? Hatte sie noch nicht begriffen, dass er schwul war?
»Ich steh auf Männer«, feuerte er ihr entgegen und schloss die Tür von Leos leerem Zimmer. Die zierliche junge Frau zuckte zurück und sah aus, als würde sie gleich heulen.
Gott ... Weiber.
Kazuya lauerte darauf, dass sich Kentins Tür öffnete. Der Gedanke, dass Leo in seinen Armen geschlafen hatte, machte ihn wahnsinnig. Viola verzog sich und setzte sich auf einen Sessel, der im Flur stand, was dem Rothaarigen ganz recht war. Eigentlich war er ein Mensch, der leicht und schnell mit Leuten ins Gespräch kam, doch er hatte jetzt keinen Nerv dazu. Es war nicht mal ganz Acht Uhr morgens und sein Kopf war bei seinem besten Freund. Warum musste man ihn auch immer beschützen?
Vielleicht musste man das auch gar nicht, aber Kazuya tat es gern. Leo war jünger als er und immer derjenige, der schneller am Boden war. Obwohl sein fröhlicher Charakter darüber hinwegtäuschte. Und obwohl Leo normalerweise ehrlich sagte, was er dachte, log er immer, wenn es um sein Befinden ging. Er behauptete selbst dann noch, dass alles in Ordnung sei, wenn die Tränen in Bächen über seine Wangen liefen. Komischer Kerl.
Die Tür ging schließlich auf und ein zerzauster Leo kam zum Vorschein. Violas Augen wurden groß, als ihr bewusst wurde, dass da ein Mann aus dem Zimmer eines anderen Mannes kam. Sie mochte im Chat locker getan haben ob Leos Homosexualität, aber im wahren Leben hatte sie noch nie mit echten Schwulen zu tun gehabt.
»Warum ... warum hast du nicht in deinem Zimmer geschlafen?«, fragte sie ganz verdattert und Kazuya rollte mit den Augen.
Sie hatte im Chat noch selber die Andeutung gemacht, dass Leo keinen Spaß haben könnte, weil es keine knackigen Typen gab. Und jetzt machte sie einen auf Dusselchen?
Leo grinste sie an, leckte sich über die Lippen und meinte knochentrocken: »Ich hab gestern Nacht einen Ausflug in Vogelkunde unternommen, kleine Cupcake. Mit Vögeln kenne ich mich nämlich aus.«
Viola wurde karmesinrot wie Kazuyas Haare und der schüttelte den Kopf. Ein wenig dezenter hätte der Schwarzhaarige es schon ausdrücken können.
»Solltest du nicht in deinem Bett bleiben, Leo?«, grummelte Kazu ihn an und folgte seinen Freund in dessen Zimmer. Sie schlossen die Tür vor Viola und Leo grinste schelmisch.
»Ich konnte nicht widerstehen. Und es hat sich gelohnt. Kentin ist ... ohoho ... gigantisch, wenn du verstehst ...«
Kazuya packte ihn an den Schultern. »Kannst du mir nur einmal keine Sorgen machen?«
Leo blickte seinem Freund in die goldenen Augen und schürzte die Lippen. »Bist du sauer, weil du nicht ran durftest?«
»Ach, du verstehst es nicht. Ich mache mir Sorgen, wenn du dich sonstwo rumtreibst. Dieses Haus ist riesig, verwinkelt. Du hättest dir sonstwas brechen können und keiner hätte dich gefunden.«
»Kazu ... was ist los?«
Der Rothaarige setzte sich auf das Bett und fuhr sich durch die Haare. »Ich habe schlecht geschlafen. Ich ... ich hab geglaubt, in der Nacht was zu hören ... irgendwie war das unheimlich. Und ... und dann konnte ich nicht mehr richtig einschlafen.«
Leos Kopf wandte sich aus seinem Koffer zu seinem Freund. »Das was du gehört hast ... war das eine Melodie?«
Der Rothaarige nickte überrascht.
»Kentin und ich haben auch was gehört. Wie ... wie so eine alte Spieluhr, die meine Oma auch noch besitzt. So ein knarzendes Ding, dessen Melodie etwas verschoben und deswegen unheimlich klingt.«
Kazuyas Augen leuchteten vor Erleichterung. Er hatte gedacht, er würde einen Knall bekommen in diesem alten Gemäuer, wo überall das Holz knarzte. Er war nur wegen Leo mitgefahren, weil der ihm wegen dem geheimnisvollen „Cookie Dough“ in den Ohren gelegen hatte. Und scheinbar hatte er mit dem einen Volltreffer gelandet, denn zugegeben, Kentin sah schon ziemlich gut aus. Er war nicht sein, Kazuyas, Typ, aber attraktiv.
»Irgendwas geht hier vor, Leo. Ich würde echt lieber wieder abhauen.«
Der Schwarzhaarige blickte seinen Freund an und nickte schließlich nach ein paar Minuten. Es hatte was zu bedeuten, wenn Kazuya ein schlechtes Gefühl hatte.
»Nach dem Frühstück kratzen wir die Kurve. Ich will mich nur noch stärken und Kentins Nummer haben. Ok?«
Der Rothaarige nickte und beobachtete seinen Freund, wie der sich duschte und anzog.