15. Kapitel
Ich erwache, mit unglaublichen Schmerzen am ganzen Körper, aus einer tiefen Ohnmacht. Was nur ist passiert? Stöhnend versuche ich mich aufzurichten, doch es ist, als würden tausend Nadeln in mir stecken und ich begreife noch gar nicht, was passiert ist. Ich schaue an mir herunter und sehe lauter kleine, klaffende Löcher, die meinen Körper übersäen. Was um alles in der Welt ist das? Ich betrachte die Löcher genauer und sehe, dass kleine, schwarze Steine, in den bereits entzündeten Wunden, stecken. Langsam kehrt meine Erinnerung zurück und ich schaue mich mit schmerzverzerrtem Gesicht um.
Heliel und seine Männer sind nirgends mehr zu sehen. Diese bösartigen Kreaturen, haben uns doch tatsächlich mit ihren Donnerstöcken angegriffen! Ich kann es noch immer nicht glauben. Besorgt blicke ich mich nach Hanania und meinen anderen Begleitern um. Auch sie sind gerade am Erwachen und stöhnen leise. Die beiden Indigenes werden besorgt von ihren Begleittieren abgeleckt, welche sich seit unserer Abreise, nicht mehr gezeigt haben. Natürlich sind sie jedoch in den Nähe geblieben und kümmern sich nun um ihre Menschen. Ich gehe zuerst zu Hanania, welche sich nur sehr schwer aufzurichten vermag. Auch in ihrem Körper stecken diese schrecklichen Steine, welche eitrige Wunden erzeugen, die unglaublich schmerzen.
«Sie haben auf uns geschossen,» stösst sie, mit vor Schmerzen zusammengekniffenen, Lippen hervor. «Ich… kann es nicht glauben! Oh Hanael, es tut so weh!» Tränen laufen ihr über die Wangen und ich ertrage es kaum, sie so zu sehen. «Es tut mir so leid Geliebte!» spreche ich und beginne nun selbst zu weinen. Ich weine nicht nur über ihr Leid, nicht nur über die Schmerzen, die wir alle erdulden, sondern ich weine vor allem darüber, dass einige unserer Brüder, dazu fähig gewesen waren, uns diese Schmerzen zuzufügen. Heliel scheint noch viel schlimmer zu sein, als Anauel. Er hat keinerlei Respekt mehr vor der alten Ordnung, will seine ganz eigene Ordnung schaffen, genau wie damals Azael, dem wir Dummköpfe damals noch gefolgt sind. Nur damals hat es noch mehr Ehre gegeben, niemand hätte den anderen auf solche Weise verletzt, oder ihm Böses zugefügt. Heliel hat nun jedoch eine Grenze überschritten und das erfüllt mich und auch meine Begleiter, mit Schrecken und Trauer.
Hanael und seine Begleiter, überlegten angestrengt, was sie tun könnten. Die Verletzungen, die man ihnen beigebracht hatte, waren doch ziemlich schwer und irgendwie dauerte es ungewöhnlich lange, mit dem Heilungsprozess. Sie würden diese Steine entfernen müssen, doch sie hatten nicht die nötigen Gerätschaften dazu. Sie mussten zu einem Heiler. Doch wo liess sich so schnell ein Heiler auftreiben? Irgendwie taten sie sich schwer, in die Hauptstadt der Aciras zu gehen, obwohl diese sich ganz in der Nähe befand, zu sehr hatte sie das Verhalten des acirischen Kaisers schockiert und sie wussten nicht, wie verderbt auch sein Volk schon war. Dennoch… es würde ihnen nicht anderes übrigleiben. Ihre Reise fortsetzen konnten sie in diesem Zustand nicht. So wollten sie versuchen, doch in die Stadt zu gehen, vielleicht fanden sie dort Hilfe.
«Wir müssen unsere Paradisi rufen,» sprach Orphiel mit schmerzverzerrtem Gesicht. «Vermutlich sind sie vor Angst geflohen.» So holten alle ihre Ocarina hervor und spielten den Klang ihrer Reittiere. Es dauerte etwas länger, bis über ihnen ein lauter Pfiff ertönte und Alba, als erster, vor ihnen landete. Auch die anderen Paradisi kamen zum Glück schon kurz darauf.
Hanael hielt eine innere Zwiesprache mit seinem Vogel: «Hat euch die Angst dazu gebracht, davon zu fliegen?» «Ja,» gab Alba zurück. «Sie hatten diese schrecklichen, lauten Röhren und haben damit auch auf uns geschossen. Wir hatten schreckliche Angst.» «Alles klar, ich verstehe euch. Doch nun brauchen wir eure Hilfe. Wir müssen… zu einem Heiler…» er stöhnte erneut schmerz gepeinigt auf. Die schwarzen Kugeln, die man auf sie abgefeuert hatte, brannten wie Feuer und dieses Feuer schien sie immer weiter, um die Wunden herum, auszubreiten. «Sie müssen… mit finsterer Energie aufgeladen gewesen sein,» stiess Ambriel hervor. «Wir müssen sie rausholen!» «Ja, darum müssen wir in die Stadt, ob es uns nun gefällt oder nicht.» Die anderen nickten und alle bestiegen mit Mühe und Not ihre Reittiere. « Alles klar, dann also los» rief Dinael und die Vögel erhoben sich anmutig in die Luft.
Bald schon tauchten die ersten Häuser der Stadt vor ihnen auf. Sie landeten, in der Nähe des Tores und stellten mit Unbehagen fest, dass dieses, wie im Reiche der Ibranis, mit Wachen flankiert wurde. «Mein Gott…!» flüsterte Ashalia «die lassen uns ganz bestimmt nicht rein, zumal es ja ihr Kaiser war, welcher uns dieses Leid zugefügt hat. Wenn sie ihm treu ergeben sind, dann haben wir keine Chance, einen Heiler zu finden.» «Wir müssen es dennoch versuchen,» erwiderte Hanael und wollte sich auf den Weg zum Eingang der Stadt machen, als sich ihnen eine alte Frau, mit zerschlissenen Kleidern, hellgrauen, zerzausten Haaren und ganz hellblauen Augen, in den Weg stellte. «Grosse Führer!» rief sie «Bitte wartet!» Hanael musterte die Frau einem Augenblick lang etwas ärgerlich, doch dann fiel ihm ihre ganz besondere Ausstrahlung auf. Sie musste eine hohe Seele sein, obwohl ihre Kleider das in keinster Weise, wiederspiegelten.
«Warum sollen wir warten, wir haben alle schreckliche Schmerzen,» sprach der junge Arienes. «Wir brauchen einen Heiler. Wir wurden auf schändliche Weise angegriffen.» Die alte Frau trat näher zu den Reisenden heran und als sie ihre Wunden erblickte, verdunkelte sich ihre Aura vor Schreck. «Sie haben es also getan, sie haben euch mit den Donnerstöcken angegriffen! Bei allen guten Geistern! Wie konnten sie das tun? Ihr seid doch die grossen Führer und… diese Waffen… sie sind einfach nur schrecklich!» «Ja, das kannst du laut sagen, darum brauchen wir dringend einen Heiler!» «Ich kann euch helfen, doch ihr dürft auf keinen Fall in die Stadt gehen!» «Warum nicht?» «Weil die Wachen den Auftrag von Heliel erhielten, euch sogleich einzusperren, wenn ihr herkommt. Er sandte einen Boten, der diesen Befehl überbrachte. Zum Glück habe ich die Wachen belauscht. Ihr seid hier in grosser Gefahr. Darum bitte, kommt mit mir!» «Du hast uns grosse Führer genannt? Du weisst also, wer wir sind?» «Ja natürlich, ich erinnere mich gut an euch.» «Heliel wollte sich nicht mal durch das heilige Medaillon davon überzeugen lassen, dass wir die grossen Führer sind.» sprach Hanael, während er und die anderen, der alten Frau folgten. «Er wollte es einfach nicht wahrhaben. Ihr müsst wissen, Heliel ist schrecklich verblendet. Seit ihn seine Frau auch noch verliess, ist er noch schlimmer geworden. Ich vermisse Helala so sehr. Sie war so eine gute Seele, aber wie ihr euch vorstellen könnt, hielt sie es einfach nicht mehr bei Heliel aus, zu sehr ist sein Wesen schon von Wahnsinn gezeichnet. Doch nun, da die Kaiserin weg ist, ist es für viele sehr schlimm in Acrinos geworden. Auch ich musste fliehen, denn Heliel sperrt nun jeden ein, der seine Meinung nicht teilt und seine Herrschaft anzweifelt. Ich habe ihm die Stirn geboten und nun, bin ich auch eine der Verfolgten. Ich lebe nun versteckt im Wald, doch ich bin eine gute Heilerin. Ich werde euch beistehen.» «Dafür sind wir dir sehr dankbar!» sprach Hanania erleichtert.
Sie kamen nun zu einem Waldrand und die alte Frau, führte die Reisenden hinein in die grünschwarzen Schatten, des tiefen Urwaldes. Über ihnen ragten mächtige Baumriesen auf und sogar einige der hohen, schmalen Karstberge, waren darüber zu entdecken. «Ich lebe in einer Höhle, die in einen der Berge eingefügt ist. Gleich dort!» Die Reisenden erblickten nun, hinter dichter Vegetation verborgen, eine moosbewachsene Grotte. Als sie diese betraten, standen sie in einem bescheiden eingerichteten Innenraum, der von einem warmen Feuer erhellt wurde. Dieses warf tanzende Schatten auf die, doch ziemlich feuchten Wände, der Höhle. Ein Tisch, ein Bett und zwei Stühle standen hier und überall gab es grob gezimmerte Gestelle, auf denen sich verschiedenste Tinkturen, Tränke und Heilpflanzen befanden.
Die Heilerin, deren Name Anadia war, warf ein sauberes Lacken über das Bett und sprach: «So, wir sollten mit der Behandlung beginnen. Wer will zuerst?» Niemand konnte sich so richtig dazu durchringen, der erste zu sein, denn sie fürchteten alle, die vermutlich ziemlich schmerzhafte, Prozedur. «Nur keine Angst, ich geben euch etwas, dass die Schmerzen unterdrückt.» Anadia ging zu einem der Gestelle und holte eine, wie goldenes Licht schimmernde Tinktur und einen, nicht so ansprechenden, dunkelgrünen Trank. «Den Trank müsste ihr einnehmen und die Goldlicht- Tinktur, werde ich auf die Wunden träufeln. Das bindet die verderbliche Macht der Schattenkugeln. So lassen sie sich besser entfernen und auch Schmerzen, verspürt ihr dann weniger. Also wer will zuerst?» Hanael meldete sich nun doch und legte sich, auf Anweisung der Heilerin, auf das Bett.
Während ich so auf diesem einfachen Bett liege und hinauf an die Höhlendecke starre, träufelt Anadia mir, die golden schimmernde Tinktur, auf die erste Wunde. Sogleich fühle ich eine angenehme Wärme, die sich von der Wunde her ausbreitet und das schmerzhafte Brennen der Schattenkugeln, abzumildern beginnt. Nachdem ich den Trank auch noch getrunken habe, falle ich ausserdem in einen angenehmen Dämmerzustand. Ich merke kaum noch, wie die Heilerin, mit einer spitzen Pinzette, in die Wunde greift und dort die erste Schattenkugel herauszieht. Ich verspüre nur ein kurzes Ziehen und dann, eine unglaubliche Erleichterung!
Mit jeder Kugel, die entfernt wird, kehren meine Kräfte zurück und ich fühle mich körperlich, wie auch seelisch, viel besser. Sogleich beginnt der Heilungsprozess und meine Wunden schliessen sich alle, nach und nach. Die Zeit verrinnt unglaublich schnell und als Anadia sagt, sie sei fertig, kann ich das kaum glauben. «Schon?» frage ich und meine Zunge ist irgendwie schwer. «Ja, jetzt leg dich etwas dort drüben auf das Fell und… Schlaf!» Die Heilerin legt mir ihre Hand auf die Stirn und mir fallen kurz darauf, die Augen zu.
Als ich wieder erwache, sind die Schmerzen vergangen und ich fühle mich wie neu geboren. Neben mir, liegen Hanania und die anderen. Andriel befindet sich noch auf dem Bett und Anadia zieht ihm gerade die letzte Kugel aus seinem Körper. Wir schauen uns alle erleichtert an und grinsen befreit. Das war ja nochmals gut gegangen!