Hanael und seine Begleiter ahnten nicht davon, dass Anadia tatsächliche ihre Heimreise in die Hohen Himmel angetreten hatte. Sie hätten sich auch niemals vorstellen können, dass die möglich war. Ihr ganzes Sehnen und Trachten, war nun auf die Pfeiler des Lichts gerichtet. Wie ein Rettungsanker, klammerte sie sich an den Gedanken, dass sie dort den lange ersehnten Frieden finden würden. Hanael war einen Moment lang verunsichert gewesen, als Anadia ihm all diese Fragen gestellt hatte. Doch er wollte nicht weiter darüber nachdenken. Sie war eine alte Seele, schon uralt und da konnte es schon mal sein, dass sie etwas verwirrt war. Er würde nicht einfach warten, bis sich alle von selbst geben würde, denn er glaubte schlicht nicht daran.
Sie flogen den ganzen Tag hindurch und hielten dabei stets nach den Schergen von Heliel Ausschau. Doch diese waren nirgends mehr zu sehen. Die Nebelwand, welche die Pfeiler des Lichts umhüllte, rückte immer näher. Der Weg durch ihn hindurch würde nicht sehr einfach werden und das schon gar nicht bei Dunkelheit, so beschlossen sie, noch einmal zu rasten und die Nacht noch ausserhalb des Nebels zu verbringen. Es war jedoch ziemlich kühl und so entfachten sie, trotz der Angst vor Heliel und seinen Mannen, ein kleines Lagefeuer im Schutze einer Böschung. Alle rückten nahe zusammen und wärmten sich an den goldenen Flammen. Sie kochten einen kleinen Eintopf aus Pilzen und Gemüse und sprachen kaum etwas. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Diese Gedanken schweiften weit ab, zu den geheimnisvollen Pfeilern des Lichts, welche erst du grossen Führer einmal gesehen hatten.
Schliesslich fragte Orphiel, an Hanael gewandt: «Wollen wir einander nicht ein paar Geschichten erzählen? Ihr könntet uns z.B. von den Pfeilern des Lichts berichten und wie sie aussehen.»
Alle Anwesenden nickten eifrig. Hanael überlegte einen Moment, während er sich umblickte. Die Indigenes waren wieder von ihren Tieren verlassen worden, vermutlich weil sie Ambriel noch immer nicht recht trauten. Dabei hatte sich Ambriel doch ziemlich verändert. Er erwies sich als hilfsbereit und erstaunlich begeisterungsfähig. Die Pfeiler des Lichts gaben ihm wahrlich neue Hoffnung. Alle hier waren so voller Hoffnung. Er dachte an Anadias Worte zurück, zum Glück hatte sie all diese Dinge nur zu ihm gesagt, nicht zu den anderen. Sie schien nicht wirklich an die Pfeiler, oder einen neuen Lebenssinn zu glauben. Doch er glaubte mit jedem Tag, noch unerschütterlicher, daran. Die Gesichter seiner Frau und seiner Freunde, ihr Frohsinn und Mut, steckte ihn an. Bestimmt würde alles gut gehen. Er lächelte und sprach: «Nun gut, dann werde ich euch jetzt mal etwas über die Pfeiler des Lichts erzählen, ich hoffe meine Geschichte gefällt euch.»
Die Nacht brach herein und langsam wurde es Zeit, ans Schlafen zu denken. Der Himmel hier war sternenlos und auch der Mond war nirgends zu sehen. Undurchdringliche Finsternis legte sich über das Land, die Bäume ächzten leise im kalten Wind, der von Norden her blies und der seltsame Nebel, waberte hin und her, als würde er zum Leben erwachen. Es dauerte eine ganze Weile, bis alle eingeschlafen waren. Dinael jedoch, hielt Wache. Er war sowieso viel zu aufgeregt, um ans Schlafen zu denken. Es sass am Feuer und stocherte etwas darin herum, sodass die Glut nach allen Seiten stob. Dann legte er neues Holz nach, welches sie vorhin gesammelt hatten. Der Wind blies hier wirklich sehr kalt und unheimliche Geräusche, aller Art, drangen an sein Ohr. Mit einem gewissen Unbehagen musterte er den Nebel, der wahrlich sehr dicht wirkte. Er hatte von Hanael gehört, dass die Pfeiler von unwegsamem, ziemlich sumpfigen Gebiet umgeben waren. Zum Glück konnten sie ihre Flugreittiere nehmen. Doch in diesem dichten Nebel, würde auch das Fliegen nicht leichtfallen. Hoffentlich verirrten sie sich nicht hoffnungslos und blieben auf ewigen Zeiten in der zähen Masse gefangen. Hanael hatte zwar gesagt, er wisse wo sich die Pfeiler befänden, doch ob er den Weg nach so langer Zeit nicht vergessen hatte…
Plötzlich stutzte der junge Awrigha. War da hinter dem Nebel, nicht gerade ein Licht gewesen?! Er trat näher an die Nebelwand heran und versuchte angestrengt etwas zu erkennen. Da war es wieder! Ein flackerndes Licht, das sich ihm näherte. Was um alles in der Welt war das? Er packte seinen Speer fester und überlegte sich, ob er dem Ursprung dieses seltsamen Lichtes, auf den Grund gehen sollte. Da war es wieder und es verschwand auch nicht mehr. Es war ziemlich blass, doch eindeutig war es ein Licht, ein Licht wie von einer… Fackel, oder einer Laterne! Er entzündete selbst eine Fackel am Lagerfeuer und dann betrat er vorsichtig und mit klopfendem Herzen, den Nebel. Dieser umhüllte ihn sogleich, wie ein kühler, feuchter Mantel. Dinael überprüfte mit der Fackel das Gelände, das vor seinen Füssen lag. Noch schien es nicht sonderlich sumpfig zu sein. Ausserdem gab es einen kleine, schmalen Pfad. Dieser führte tief in den Nebel hinein. Dinael konnte kaum seinen Hand vor Augen sehen und setzte langsam einen Fuss, vor den anderen. Immer wieder hielt er nach dem Licht Ausschau, dass noch immer vor ihm, in der undurchdringlichen Finsternis, lag. Es schien sich wirklich zu bewegen. «Hallo! Wer ist da?» rief er in die Stille hinein. «Dinael!» antwortet auf einmal, eine ihm nur allzu bekannte Stimme. Das Blut gefror ihm in den Adern. Diese Stimme… sie gehörte zu seiner Dualpartnerin Dinaila, welche einst in die finsteren Lande gestürzt war. Noch einmal erklang die Stimme. «Dinael! Ich bins! Dinael!» Der junge Awrigha wurde von Entsetzen ergriffen. Nein das konnte nicht sein! «Lass mich in Ruhe!» schrie er. «Du kannst nicht Dinaila sein, was für ein kranker Scherz ist das?» Er drehte sich um und lief, von Panik ergriffen, zurück zum Lager. War es langsam daran, verrückt zu werden?
Die ganze Nacht, sass Dinael zitternd am Feuer und schaute immer wieder in den Nebel hinein. Das seltsame Licht, war noch eine Weile zu sehen gewesen, dann verschwand es wieder. Als das geschah, atmete er erleichtert auf. Bestimmt hatte ihm da seine Fantasie nur einen Streich gespielt.
Als die anderen ebenfalls erwachten, war er dennoch ziemlich durch den Wind. Er überlegte gerade, ob er seinen Freunden erzählen sollte, was sich zugetragen hatte, als Hanania ihn ansprach: «Du scheinst heute etwas durcheinander zu sein Dinael. War es eine schlimme Nacht? Ich weiss, dass dieser Ort hier, manchmal etwas unheimlich sein kann.» Dinael zögerte einen Moment, doch dann erwiderte er: «Dann habt ihr… auch schon so seltsame Lichter im Nebel gesehen?» «Lichter im Nebel? Nein das nicht.» gab sie erstaunt zurück. «Wie ist es mit Stimmen?» «Stimmen, glaubte ich auch schon mal vernommen zu haben. Doch das könnte auch der Wind gewesen sein.» Dinael schaute die junge Arienes eindringlich an. «Nein… das war nicht der Wind, auf keinen Fall!» «Du hast Stimmen gehört?» «Ja… und ich habe sie auch ganz klar erkannt.»
Er senkte seine Stimme, um nicht zu viel Aufsehen zu erregen und sprach: «Es war die Stimme von Dinaila. Aber… das kann einfach nicht sein, sie ist in den finsteren Landen.» «Manchmal streifen vielleicht noch ruhelose Seelen hier herum,» versuchte Hanania eine Erklärung zu finden. «Ich weiss wirklich nicht, was ich davon halten soll,» klagte der junge Awrigha. «Ich habe Angst Hanania, meinst du wirklich, dass es klug ist, in diesen Nebel hinein zu gehen? Wenn er nun bei allen solche… Halluzinationen auslöst?» «Du brauchst dich vor dem Nebel nicht zu fürchten, mein Freund. Er schützt doch eigentlich nur die Pfeiler des Lichts. Wir gehen heute alle zusammen da rein und wir passen gegenseitig aufeinander auf. In Ordnung?» Sie klopfte ihm beschwichtigend auf die Schulter und ging dann zu Hanael. Wenigstens ihn wollte sie davon in Kenntnis setzen, was Dinael letzte Nacht erlebt hatte.