Diese verdammte Treppenstufe knarzte weiter, so als wippe jemand ... oder etwas ... bewusst darauf herum. Die drei Jugendlichen sahen mit geweiteten Augen in deren Richtung.
»Es geht wieder los«, wisperte Jona und Mira suchte Schutz in seiner Umarmung.
Laute mischten sich hinzu, die klangen, als würde sich jemand die Nase schnäuzen und im Anschluss räuspern. Dunkle Arme schälten sich aus dem Loch hervor und legten sich übereinandergelegt aufeinander. Ein Kopf erschien, dessen Mund sich zu öffnen schien.
Die Luft um sie herum kühlte merklich ab und machte den Anschein weiter fallen zu wollen. Mira glaubte derweil, ihren Atem in kleinen Wölkchen vor sich wehen zu sehen.
Kathrin wechselte den Blick wie angezogen von der Treppe hinüber zu dem zweiflügeligen Sprossenfenster.
Winzige kristalline Blumen zeichneten sich auf den Scheiben ab. Diese wuchsen viel zu schnell als natürlich sein zu können und hielten aufeinander zu, bis die Gläser nahezu vollends milchig wirkten. Etwas kreischte schrill, so als ziehe jemand eine Plastikdose über die Schultafel.
Kathrin schob sich auf dem Sofa kauernd bis an die Wand heran und umarmte ihre angezogenen Beine. Miras Arme wollten Jona erdrücken, der sich wiederum aufrecht hinsetzte. Seine Lippen formten ein kurzes Wort, das keiner der Mädchen verstand. Wie konnte er sich nur so hinreißen lassen?
Das war es, endlich hatte er einen nützlichen Hinweis.
Seine Hand oder vielmehr seine nicht heilen wollende Verletzung. Sie juckte jedes Mal, wenn etwas Unnatürliches sich seiner habhaft werden wollte.
Ein Lichtschein erstrahlte, der sie Silhouette des Besuchers wie eine Lanze beleuchtete. Dessen Grinsen erstrahle unwirklich und verzerrt, bis zu dem Moment, als das untere Flurlicht eingeschaltet wurde und mahnend die Stimme Jonas Mutter erscholl. »Bist du von Sinnen? Was soll der Quatsch?«
Als habe jemand abrupt ein offenstehendes Fenster geschlossen und das Feuer des Kamins geschürt, klang die umgreifende Kälte ab und machte platz für wohlige Wärme.
Anstatt zu antwortet, grunzte die Person auf der Treppe und knipste die Taschenlampe aus. »Huuuuhhuuu.«
»Pa', verfluchte ...«
»Nana, reg dich ab.« Er kam nun vollends die Stufen hinauf und gesellte sich zu den Dreien. Von unten erklang der Ruf nach mitgebrachter heißer Pasta.
Kathrin schluckte, kniff die Augenlider fest aufeinander und sah nochmals hinüber zum Fenster. Die Eisblumen waren nicht mehr, wo sie noch kurz zuvor das Glas trübten. Sie glaubte hingegen eine Bewegung, gesehen zu haben. Eine Hand oder etwas das aussah wie eine solche. Vier gleichmäßig gezogene Streifen beginnend der Mitte bis zum Rand des Fensters gaben ihr Zeugnis.
»Wie ich sehe, wisst ihr bereits, dass ihr drei euch heute Abend und die Nacht über hier vergnügen dürft.« Es war keine Frage und erhobene Brauen betrachteten Jona.
»Ähm, weißt du Näheres? Bei Kathrin wurde wohl eingebrochen, mehr wissen wir nicht.«
»Nein, tut mir leid.« Er sah hinüber zu dem Mädchen und schenkte ihr einen mitleidigen Blick. »Ich denke, die Sache wird sich aufklären und den oder die Täter rasch gefast. Kaum dass die Unterbringung geklärt war, informierte ich deine Eltern, Mira und gemeinsam beschlossen wir, dass auch du hier schlafen solltest. Ihr geht ja eh durch dick und dünn.« Sein Lächeln war echt und er wusste, dass die Drei keinen Unfug anstellen würden. Jona war mit Mira seit mehr als zwei Jahren zusammen. Auch wenn sie sich näher kämen, als diese viel sagende Umarmung, könnte er es eh nicht verhindern. Es schien ihm und seiner Frau nur gerecht, wenn Kathrin bei ihnen übernachtete, die Freundin ihres Sohnes ebenfalls einzuladen.
Der Polizist verharrte. Vielmehr ahnte der Beamte, dass der Hauseigentümer dies täte, würde er das veranstaltete Chaos verinnerlichen.
Dem Mann entglitten die Gesichtszüge vollends und es sah aus, als würde er bewusst mit ausgestreckter Hand Halt suchen, um die weichen Knie zu vertuschen.
»Ist alles in Ordnung«, erkundigte sich der Ordnungshüter und runzelte die Stirn.
Als Antwort erhielt er einen fragenden Blick, welcher mehr auszusprechen vermochte, als Worte.
»Es tut uns sehr Leid für sie und ihrer Familie. Was hier passiert ist, ist eine Sauerei.«
»Eine ... Sauerei?«
»So sagte ich eben, ja.«
»Guter Mann, sie hegen einen besonderen Humor, wie mir scheint. Mir fallen da viele andere Formulierungen ein - deutlichere.«
Wenn die Worte dem Polizisten in irgendeiner Form nahegingen, so zeigte er es nicht. Er winkte schlicht mit dem Kopf seitlich. »Die Frage, was alles entwendet oder zerstört wurde, erübrigt sich demnach?«
Langsam, in kleinen Schritten, trat Kathrins Vater über die Verwüstung hinweg.
An der Stelle, wo noch heute Früh die Zimmertür in seine Tochters Refugium führte, klaffte ein Loch. Vereinzelt hingen hölzerne Reste im Rahmen, die offensichtlich einmal zur Zarge gehörten. Die Tür an sich lag als Häckselwerk auf dem Boden des Flurs verteilt, nebst jenem Mobiliar, welches sich in unmittelbarer Nähe befand.
Der Durchgang sah aus, als habe man die Tür nicht nur gewaltsam geöffnet, es machte den Anschein, diese sei sprichwörtlich herausgesprengt.
»Hat ihre Tochter Feinde oder sich mit den Falschen angelegt?«
Ungläubig sah Angesprochener zurück und runzelte die Brauen, antwortete jedoch nicht. Es war nicht ersichtlich, ob er den Polizisten überhaupt verstand. Vorsichtig tat er einen Schritt nach dem anderen. »Wer tut so etwas?«
»Tja, genau diese Frage stellen wir uns auch und hoffen, dass sie uns vielleicht weiterhelfen können.«
Die Tapete wurde in Fetzen herunter gerissen. Großzügig prangen groteske Schmierereien an den Wänden; darunter satanistische Andeutungen in Form von herabhängenden Kruzifixen und Phentaggramme. Symbole, die aussahen, als stammten diese aus einer uralten, längst vergangenen, Zivilisation wie Epoche. Die Schriftzeichen waren kantig und offensichtlich ungelenk angebracht.
Ein Beamter der Spurensicherung trat heran und senkte mitteilend den Blick. »Haben sie eine Ahnung, wer das gewesen sein könnte?«
Wieder antwortete Kathrins Vater nicht, schüttelte dennoch den Kopf. Leise und verhalten klang seine Stimme im Raum, im welchen er es seltsam kühl empfand. »Mein Gott. Was ist hier nur geschehen.«
Gedanken verloren hob er einen Finger an die Wand. Er wollte unbewusst eines der Zeichen nachmalen, doch Hand des Mannes vor ihm hielt ihn davon ab. »Lassen sie das besser. Das hatten wir heute schon und brauchen es nicht wieder.«
»Was meinen sie, raus damit«, forderte nun der Polizist hinter ihnen auf, den Hausbesitzer aufzuklären.
»Wer auch immer diese Schweinerei angerichtet hat ...«
»Kommen sie zum Punkt, Mann.«
Herausfordernd sah der Herr in weißem Overall auf, besonn sich jedoch. »Alle Kritzeleien hier sind mit einer biologischen, leicht ätzenden Flüssigkeit angebracht. Ersten Tests zu urteilen, handelt es sich um Blut.«
Kathrins Vater als auch dem Polizisten entglitten die Gesichtszüge und beide sahen sich nochmals um.
»B ... Blut«, formten lautlose Lippen des Vaters und der Herr von der Spurensicherung nickte.
»Wir konnten bisweilen nicht eindeutig nachweisen, ob es sich um menschliches oder tierisches handelt. Alle Testvarianten sprechen von beidem, obwohl es definitiv nicht gemischt sein kann, dass würden uns die Genstränge verraten. Interessant auch das hier.« Der Mann tat einen Schritt seitwärts und zeigte mit einem Schreibstift auf eine Stelle der Wand. »Immer dort, wo die Tapeten herunter gerissen wurden, fanden wir Einkerbungen.«
»Was bedeutet das nun wieder?«
»Genau das versuchen wir herauszufinden. Sie sehen aus wie Klauen oder Pranken.«