»Da wären wir.«
Kathrin schmollte und Mira prustete mit geblähten Wangen. »Wie aufmunternd.«
»Na los. Lust hat eh niemand, aber darum geht es ja nicht.« Er griff seinen Freundinnen zur linken wie rechten unter die Arme und zog sie mit sich. »Auf ins Getümmel Mädels.«
»Die Aasgeier warten auf ihre Beute. Seht nur, die gesamte Schule wartet auf die Freaks.«
»Mira«, maulte Kathrin und stockte sogleich. »Scheiße, du hast Recht.«
»Als wenn ich es gewusst habe«, gab sie achselzuckend zu. »Ich sollte es mit Lotto probieren.«
Die Drei näherten sich absichtlich gelassen dem Schulhof, als Jona etwas auffiel. »Was ist da los?«
»Was meinst du?« Erkundigten sich seine Begleiterinnen nahezu zugleich. Wie ein schlechtes Echo klang es in seinem Ohr wieder.
Anstatt zu antworten, deutete er mit seinem Kinn voraus, als auch schon die ersten Mitschüler auf das Trio aufmerksam wurden.
»Hey ihr Freaks.«
»Da habt ihr ja voll in die Scheiße getreten.«
»Eure Hanfplantage ist wohl aufgeflogen.«
»Das war's mit eurem Drogenkartell.«
Ohne auf die unterbelichteten Kommentare einzugehen, schlängelten sie sich durch die Wartenden. Es schien, dass von den Schülern noch niemand im Schulgebäude war und so obsiegte ihre Neugierde. Beharrlich drängelten sie sich weiter; sie wollten gesehen werden und hören, was der Tratsch zu berichten wusste.
Kathrin ging das Gehörte nahe und zerrte an ihrem Ego. Hänseln war ihr geläufig, aber das solche haltlosen Mutmaßungen laut ausgesprochen wurde, empfand sie als gemein. Am liebsten hätte sie jedem, eine gescheuert.
Vor einer Traube aus Fünfen blieben sie stehen und taten, als sei nichts gewesen. »Ah. Hey Jona. Hallo Kath', hi Mira. Habt ihr schon gehört?«
»Von was sprichst du, Darius?«, wollte Jona erfahren, da dieser als Erster angesprochen wurde. Kathrin hingegen schaute missmutig drein. Klar, es handelte sich um Klassenkameraden und waren ... irgendwie ... in Ordnung, aber dass sie dem Gehöhne nicht mitmachten, kam ihr eigenartig vor. Offenkundig mochte sie sich wiederum auch nicht beschweren.
»Na, kaum das du gestern deinen Aussetzer hattest, fing die halbe Schule an herumzuspinnen.«
»Echt Jona, entweder die Idioten wollten dich imitieren oder in der Penne ist was am Start.«
»Mich ...«, begann er und wurde von Mira unterbrochen. »Wie imitiert? Was haben die Lackaffen nun wieder angezettelt?«
»Beruhig dich Süße, wir stehen zu euch«, gab Kilian, ein weiterer im Bunde zu verstehen.
»Sage mal, habe ich irgendetwas verpasst? Ich bin ganz sicher nicht deine Süße. Spinnst du?«
»Lass gut sein.« Jona drückte seiner Freundin einen Kuss auf die Wange und zog sie eng an sich, um nochmals zu verdeutlichen, zu wem sie gehört. »Was war denn los, nachdem wir weg waren?«
»Naja, so recht weiß das keiner.«
»Von wegen. Es begann ungefähr zur ersten großen Pause.«
»Glaub mir Mark, es war in der ersten Kleinen. Ich sagte doch, dass ich etwas gehört habe.«
»Häh. Boa Leute echt mal. Ich verstehe gerade nur Bahnhof«, gestand Kathrin und wurde sich aller Blicke gewahr. »Ich mein, die einen verspotten uns ...«
»Kath' lass sie labern. Die sind nur neidisch, dass du zu Mira und Jona gehörst und beide mit dir abhängen.«
»Marco hat Recht, Kath'. Gib nichts auf die Trottel. Allesamt in einen Sack ... du weißt, wie es weitergeht?«
Angesprochene konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen und nickte schlicht.
»Nun mal ehrlich.« Jona hob den Blick und sah in Richtung des Streifenwagens. »Was ist hier los?«
»Wir wissen nichts Genaues, nur alberne Gerüchte, die eh niemand abkaufen wird.«
»Versuchs mal«, bat Mira, die seltsam schluckte. Kathrin und Jona nickten aufmunternd.
»Also. Mark erwähnte ja bereits, dass er gleich nach der ersten Stunde was hörte. Mag sein, dass das zusammenhängt.«
»Was?«
Mark sah auf und hob eine Braue. Verstohlen sah er sich um und flüsterte eher, als das er sprach. Sie mussten sich vorbeugen, um ihn zu verstehen. »Mal ein Schreien, dann ein Flehen.«
Ungläubig schüttelte Mira den Kopf und sah abwechselnd von ihrem Freund zur Freundin. »Kapier ich nicht.«
»Wie soll das denn geklungen haben?«
»Kath', bitte glaube mir. Mira nimmt mich eh seltenst für voll. Es klang als würde jemand abgestochen und danach ... danach ...« Mark war sichtlich unwohl und er schien zu frösteln, als ihn die Erinnerung einholte. Kathrin legte ihm die Hand auf den Unterarm und lächelte erneut. »Was hast du gehört? Irgendetwas muss ja wohl passiert sein, sonst wäre die Polizei nicht hier, oder?«
»Es klang ... wie ein kleiner Junge«, gestand er. »Er rief immer wieder.«
Behutsam drang Kathrin auf ihn ein. Etwas in ihr gierte nach Informationen. »Mark. Was wollte er?«
Angesprochener atmete kürzer als noch zuvor - Hecktischer. »Komm und spiel mit mir.« Ihr entging dabei nicht, dass sein Blick immer wieder Jona streifte. Sie war sich sicher, dass er absichtlich ein Detail für sich behielt. Es konnte nur mit ... Mira zu tun haben?
Diese runzelte die Stirn, legte sich die Rechte darauf und verdeckte halb die Augen. »Ja, klar. Was auch sonst. Noch was?«
»Ja«, gestand wiederum Darius.
Anstatt zu dementieren oder einen flapsigen Spruch zu eröffnen schwieg Mira. Ihre Hand sackte hinab und suchte Blickkontakt zu Jona, der fragend die Brauen hob.
»In den Pausen haben viele über euren Auftritt gesprochen, weswegen wir anfangs alles als Unfug abtaten. Glaub mir Jona, wir waren drauf und dran ein paar kostenfreie Schellen zu verteilen. Hat echt genervt.«
»Was war los, jetzt sind wir neugierig.«
»Ich weiß nicht, was daran ist aber angeblich spackt die Umkleide der Sporthalle.«
»Häh.«
»Spinde, die zuvor definitiv abgeschlossen sein sollen, standen offen und sämtlicher Kram lag verstreut auf dem Boden. Die Mädchen haben sich geweigert zu duschen, da eine angeblich angetatscht wurde, obwohl niemand sonst da war. Augen wie von Katzen in den dunklen Ecken.« Der Junge zuckte mit den Schultern und hob die Lippen. »Hört sich an wie in nem Psycho, ich weiß, aber es kommt noch besser.«
Kathrin schluckte und bemerkte erst jetzt, dass ihre Hand nach wie vor auf Marks Arm lag, der sichtlich bleicher wurde.
»Im Werkraum habe es in den Wänden geklopft.«
»Spinner«, meinte Jona. »Wie soll es bitte in solchen Wänden, wie den Werkstätten klopfen können?«
Er wusste, dass diese übermäßig gedämmt waren. Nicht nur der winterlichen Kälte wegen, nein auch zwecks Geräusche. Die Werkzeuge darin machten bemerkenswerten Krach und so entschied man, den Lärmpegel entsprechend eindämmen zu wollen.
»Nun ja, Herr Clarksen meinte, es sei wohl ein Rohr, welches klappert. Er befürchtete, dass sich jemand der höheren Klassen im Heizungskeller einen Spaß erlaube, und wisse auch schon, um wen es sich handle.«
»Das klingt glaubhafter als der Mist zuvor.«
»Ja, wenn man bedenkt, dass die Heizungsrohre dort aber nicht verlaufen, schaut es schon wieder anders aus.«
»Zudem wären da noch merkwürdige Geräusche im Treppenhaus.«
»Was denn noch?« Mira schien das Gehörte einerseits interessant bis besorgt aufzunehmen; andererseits, so wie ebengerade, eher gelassen und unbekümmert. Weder das eine noch das andere passte zu ihr. Kathrin vermutete, dass die Geschichte mit der Kinderstimme sie an irgendetwas erinnerte.
Darius hob die Brauen und raunte zwei Namen. »Ric und Emma.«
»Die aus der Oberstufe?«, vergewisserte sich Jona und musterte die Fünf nacheinander.
»Ah, knutsch mich, beiß mich, leck mich.«
»Jop, genau die.«
»Was ist mit denen? Und bitte keine Details.« Mira hielt sich die Ohren zu. Zu viel haben sich die Zwei bereits erlaubt, als dass es wirklich hätte Neuigkeiten geben können.
»Ric behauptete, die beiden seien im Heizungsraum ...« er verzog die Wangen und fügte gedanklich fehlende Worte auf. »... von etwas beobachtet worden. Er stammelte von einer Gestalt, die sich ihnen näherte. Diese habe gezischelt wie eine Schlange und gestöhnt, als leide sie Schmerzen.«
»Erzählen der Macho und seine Ische.«
Er nickte bloß. »Der Typ hatte offenbar echt Angst, so blass, wie er war.«
»Du sprichst von Obermacho Ric?«
»Aschfahl. Sie kamen die Treppen heraufgerannt, als sei Satan höchstselbst hinter ihnen her. Immer wieder hat er Emma angebrüllt, sich zu beeilen.«
»Der Direks schickte Herrn Clarksen los, um dem Blödsinn nachzugehen. Nachdem er nicht mehr rauf kam und das Funkgerät seltsam zischelte, hatte Herr Schuster die Nase randvoll. Er ließ die Polizei antanzen und räumte vorsorglich die gesamte Schule.«
Kathrin wies mit dem Daumen hinüber. »Die sind seit gestern da drinnen?«
»Die drehen bestimmt alles auf Links«, bestätigte Kilian ihre Vermutung.
»Was ist mit Herrn Clarksen?«
»Keine Ahnung. Niemand durfte auf dem Gelände bleiben. Der Streifenwagen da ist der Letzte von einer ganzen Kolonne.«
Er hatte den Satz kaum ausgesprochen, da trat Herr Schuster mit zwei Polizisten aus der Tür, die anstatt ihm, die Tür verschlossen und einen Aufkleber anbrachten.
Kathrin sah sich um. Auf dem Weg, welchen die Drei kürzlich erst gingen, fiel ihr ein bärtiger Mann auf, der seltsam gekleidet schien. Er beobachtete das Treiben. Sie erschrak, als eine Hand auf ihrer Schulter ruhte.
»Ihr seid Kathrin, Mira und Jona? Ihr müsst uns begleiten. Jetzt.«