Als er spätabends im Bett lag, konnte er nicht einschlafen. Nachdem James gegangen war, war Noé zurück ins Wohnzimmer gegangen, wo ihn seine Freunde gespannt ansahen.
»Er ist gegangen«, flüsterte er tonlos. »Und er wird auch nicht wiederkommen.« Katy und Nico sahen ihn mitleidig an. Nuriel griff nach seiner Hand und zog ihn aufs Sofa, zwischen sich und Leia. Seine kleine Schwester verschränkte ihre kleinen Finger mit seinen. »Wir haben dich lieb, Noé.« Er lächelte Leia gequält an.
Der restliche Tag war an ihm vorbeigezogen ohne, dass er wirklich etwas mitbekam. Es war wie nach Kyos Tod. Er war irgendwie in einer Blase gefangen, die keine Gefühle zuliess.
Doch, als er jetzt im Bett lag, fing er an nachzudenken. Er dachte über James und Kyo nach. Darüber wie er überhaupt in diese vertrackte Situation hatte gelangen können. Er dachte daran, wie es mit ihm und Kyo angefangen hatte. Als sich die Situation zwischen ihnen verändert hatte.
Das war als er zum ersten Mal gesagt hatte: »Ich bin schwul.«
Zu neunt sassen und lagen sie im Kreis, draussen auf der Wiese vor dem Jugendzentrum.
Sie waren alle leicht angetrunken, hatten einen leichten Schwips.
Nuriel, Kyle und Liam inhalierten den Rauch ihrer Zigaretten, während Mick und Lynn abwechselnd einen Schluck aus der Flasche Gin nahmen. Noé lag neben Katy, starrte mit ihr zusammen in den Nachthimmel.
Die Sterne leuchteten klar, wie kleine Laternen am Himmel. Ihr Atem bildete winzige Wolkenschleier in der Luft. Das Zirpen der Grillen vermischte sich mit den leisen Gitarrenklängen von Kyo.
»Ich habe eine Idee«, fing Nuriel mit blitzenden grünen Augen an. Kyo hob den Kopf, während seine Finger weiter an den Saiten zupften. »Ich bin gespannt was jetzt kommt«, murmelte er schief lächelnd.
Die Türkin fuhr fort: »Jeder erzählt etwas persönliches von sich, das er noch niemanden jemals zuvor erzählt hat.«
Kyo hielt inne mit dem Spielen. Es war auf einmal totenstill. Man hörte etwas entfernt eine Eule kreischen. Noé fühlte sich unwohl. Es gab wenige Dinge, die er noch nie jemandem erzählt hatte und er wollte eigentlich auch, dass das so blieb.
»Geht klar. Ich fange an«, meldete sich Nico und setzte sich auf. Er räusperte sich dramatisch. »Als ich etwa neun oder zehn war, konnte ich einmal nicht einschlafen. Ich hörte von oben Geräusche nach unten dringen, also tappte ich langsam und ganz leise die Treppe nach oben. Auf einer Stufe blieb ich sitzen, so dass ich versteckt war, aber dennoch sehen konnte, was da vorging. Ich traute meinen Augen nicht. Ich hatte noch nicht viel Ahnung von all dem, aber ich wusste was meine Eltern da taten. Sie lagen auf der Couch.« Nico machte eine Pause, ein teuflisches Grinsen im Gesicht. »Und trieben es heftig miteinander.«
Noé konnte sein Lachen nicht mehr zurückhalten. Die anderen ebenso wenig.
»Oh mein Gott«, brachte Mick zwischen zwei Lachern hervor.
»Das ist nicht lustig«, meckerte Nico, seine Lippen zuckten aber verdächtig. »Das ist ein Kindheitstrauma.«
Sie lachten alle noch mehr.
»Ich bin dran.« Mick setzte sich aufrecht hin. »Also. Ich war damals etwa drei Jahre alt. David, mein kleiner Bruder, hatte gerade seine Beschneidung hinter sich und wir gingen nach der Zeremonie wieder nach Hause, wo noch das dazugehörige Fest stattfinden sollte.
Meine Mama hatte das Döschen mit seiner Vorhaut auf den Küchentisch abgestellt, damit sie es später den Grosseltern geben konnte, um es in ihrem Garten zu vergraben.
Ich kletterte auf meinen Stuhl und setzte mich hin. Bereit für das leckere Festessen, aber es waren noch nicht alle Gäste da. Also wartete ich und wartete, während mein Hunger zunahm. Auf dem Tisch waren ein paar Nüsse, die ich alle aufaß. Weil ich langweilig hatte, griff ich nach der Dose. Ich öffnete sie mit meinen kleinen Fingern und dann lag da diese Vorhaut, glänzend und rosa wie ein Stück Schinken.«
Noé ahnte böses. »Das hast du nicht getan«, flüsterte er ungläubig. Er schaute den braunhaarigen, dürren Juden ungläubig an.
Kate hatte die Augen weit aufgerissen. »Nein, nein, nein.«
»Ich habe die Vorhaut genommen und ein ganz kleines Stück abgebissen.« Mick machte eine Pause und schluckte überdeutlich. »Und habe es runtergeschluckt.«
Nuriel kreischte angeekelt, während Kyle lachte. »Ich glaube mir ist schlecht«, murmelte Kyo trocken.
»Du hast aber nicht die Ganze gegessen oder?« Lynn zog fragend die Augenbrauen hoch.
Mick schüttelte den Kopf. »Nein, es war nicht so lecker, wie es ausgesehen hat. Deshalb habe ich sie danach wieder ins Döschen gelegt und niemand hat es jemals bemerkt, dass ein kleines Stück fehlte.«
»Theoretisch bist du ein Kannibale, Michael Goldberg«, sagte Noé nachdenklich, was alle zum Lachen brachte.
»Darauf trinke ich. Auf Mick, den Kannibalen«, rief Liam aus und hob die Gin Flasche an die Lippen. Er reichte die Flasche rum. Noé nahm einen Schluck, der ihm in der Kehle brannte.
»Wer will als nächstes?«, fragte Nuriel in die Runde.
Lynn meldete sich. Sie erzählte ihnen, dass sie ihre Jungfräulichkeit an ihre Cousine Mariel verloren hatte.
Nach diesem Geständnis kehrte Ruhe ein. Und dann auf einmal wurde die Blonde mit Fragen gelöchert.
Nein, sie waren nicht mehr zusammen.
Nein, ihre Eltern wussten nichts davon.
Ja, der Sex war gut.
Die Wangen von Lynn waren rot wie Tomaten.
»Das heisst du bist bisexuell?«, fragte Kyo vorsichtig. Sie nickte, lächelte schwach. »Dann können wir ja jetzt dann zusammen in LGBT-Bars«, meinte er grinsend.
Als Kyo Lynn fröhlich angrinste, durchfuhr Noé auf einmal so etwas wie Eifersucht. Er wusste, dass der Koreaner nicht auf Mädchen stand und dennoch war er neidisch.
Ausserdem waren er und Kyo nicht zusammen. Waren noch nicht einmal miteinander ausgegangen. Der Andere ging davon aus, dass Noé auf Frauen stand. Aber das tat er nicht. So was von nicht.
Liam blinzelte, strich sich die hellen Haare aus den Augen. »Ich bin dran. Wenn irgendjemand von euch kleinen Mistkerlen, das weitererzählt, lebt ihr nicht mehr lange, klar?«
Alle nickten brav, auch wenn sie wussten, dass Liam eigentlich ein gutes Herz hatte und so etwas niemals tun würde.
»Letztes Jahr bin ich mit meinem Dad und Amelie in den Herbstferien nach Italien in so ein Wanderhotel. Das Wetter war nicht so toll und die Anlage ist bekannt für die riesige Saunalandschaft. Also hielt ich es für eine gute Idee, mal da vorbeizuschauen. Um nicht gerade von der Hitze umgehauen zu werden, wählte ich eine Dampfsauna. Ich öffnete die Tür, trat ein. Der Dampf war unglaublich dicht und ich hatte vergessen meine Brille abzulegen. Die Gläser beschlugen sich. Ich sah also gar nichts. Vorsichtig tastete ich mich vor, zu den Sitzbänken. Dabei ertasteten meine Hände jedoch nicht die Holzbank.
Sondern den Schniedel von irgendeinem anderen Gast. Dieser fuhr sofort auf, schrie umher und ich flüchtete aus der Sauna. Seither bin ich nie wieder in eine gegangen.«
Noé musste sich auf die Lippe beissen, um nicht zu lachen. Alle anderen machten ein ebenso ernstes Gesicht.
»Das ist ja gar nicht so schlimm«, meinte Lynn möglichst neutral.
Mick nickte zustimmend. »Stimmt. Ich habe schon schlimmeres gehört.«
Liam beobachtete sie kritisch, nicht wirklich überzeugt.
»Wirklich, Liam.« Kyos Mundwinkel zuckten verdächtig, aber er blieb ernst.
Dann brach Kyle in Lachen aus. »Sorry, ich kann das nicht. Wie könnt ihr so ernst bleiben? Er hat einen alten Mann betatscht!«
Dann war es vorbei mit der Ernsthaftigkeit. Sie konnten ihr Lachen nicht mehr zurückhalten.
»Echt mal«, fügte Nico hinzu. »Du hast ihm die Hoden gekrault.«
Mick jaulte vor Lachen.
Katy versuchte ernst dreinzuschauen. »Liam, alles gut. Wir akzeptieren hier alles. Du musst dich nicht schämen, wenn du auf alte Säcke stehst.«
Noé kriegte kaum Luft so sehr musste er lachen. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Kyo ihn beobachtete. Fragend schaute er diesen an, doch der wendete den Blick ab.
»Haltet alle die Klappe«, knurrte Liam. Er schob sich die Brille höher auf die Nase. »Nuriel wie wäre es jetzt mit einer Story von dir? Schliesslich hast du die Idee ja vorgeschlagen.«
Sie zuckte mit den Achseln, nahm einen Zug von der Zigarette. »Klar. Warum auch nicht? Vor ein paar Monaten ging ich in die Apotheke, um Kondome zu kaufen. Ich griff nach der Packung und reihte mich in die Schlange ein, die sich gebildet hatte. Vor mir waren ein paar ältere Damen, die mich kritisch anschauten. Sie sahen meinen Kauf, fingen an zu tuscheln. Ich dachte mir nichts dabei, ignorierte sie. Bevor sie den Laden verliessen, warfen sie mir noch einen letzten bösen Blick zu. Der Verkäufer und ich wechselten einen verwirrten Blick. Nachdem ich bezahlt hatte, ging ich hinaus. Und kriegte einen Schlag ab.«
Noé zog verwirrt die Augenbrauen hoch.
»Eine der älteren Damen hatte mir eins mit ihrer Handtasche übergezogen. Die andere klopfte mit ihrem Gehstock gegen mein Schienbein. Eine Schande bist du, riefen sie. Lässt dich beschmutzen in so jungen Jahren. Sie kreischten, steigerten sich in die Sache herein. Aber ich konnte mich aus ihren Fängen befreien und rannte nach Hause. Wenn ihr das irgendjemandem erzählt, dann seid ihr tot. Und zwar so was von.«
In ihren Augen glühte drohendes Feuer.
»Haben wir dich richtig verstanden, du wurdest von drei alten Frauen verprügelt, weil du eine Packung Kondom gekauft hast?« Lynn zog fragend die Augenbrauen hoch.
Nuriel nickte steif.
»Das ist ja noch besser als Liams Geschichte«, lachte Nico.
Katy grinste auch verhalten. »Sonst teilst du aus, stampfst jeden zwanzigjährigen Macho in den Boden und dann wirst du von alten Damen verprügelt.«
Auch Noé konnte sich kaum zurückhalten. »Ich glaube das nennt sich Karma.«
»Soll ich von nun an die Kondom besorgen, Süsse?«, fragte Kyle seine Freundin lachend.
Nuriels Wangen verfärbten sich rot, sie machte Anstalten aufzustehen. Die Türkin konnte zwar unglaublich gut austeilen, aber einstecken war nicht so ihre Stärke.
»Ihr könnt mich alle Mal«, knurrte sie.
Kyle griff nach ihrer Hand und zog sie zurück, auf seinen Schoss. »Hey, tschuldigung. Es tut mir leid, okay?« Sanft strich er ihr eine Haarlocke aus dem Gesicht. »Wieder gut?«
Sie lehnte sich an seine Brust, was Noé als »Ja« deutete. Die beiden waren wirklich süss zusammen. Kyle war eher der Angeber Typ, der nie eine verletzliche Seite zeigte, aber er hatte das Herz am rechten Fleck.
»Ausserdem ist dein Erlebnis kaum so schlimm wie meins.«
Und dann erzählte der Bruder von Katy von seinem Blind Date mit einer siebzig-jährigen Dame. Anscheinend hatte es eine Verwechselung gegeben. Er hatte sich auf ein Blind-Date eingelassen und als er dann im Restaurant auf seine Verabredung wartete, kam eine alte Frau auf ihn zu und fragte, ob er Kyle war. Etwas verwirrt bejahte er, so dass sie dann zusammen zu Abend assen.
Später stellte sich heraus, dass sie wohl eigentlich mit einem Kyle in ihrem Alter verabredet gewesen war.
»Also, du und Liam, ihr könnt euch ja zusammenschliessen, da ihr beide auf ältere Leute zu stehen scheint«, neckte Katy ihren Bruder.
»Halt die Klappe, Kitty«, knurrte er, die grauen Augen zu Schlitzen verzogen.
»Schon gut. Wenn wir sowieso grade in der Familie Cullen sind, können wir auch da bleiben«, begann Katy. »Mein Erlebnis ist noch ziemlich frisch. Etwa zwei Wochen ist es jetzt her. Mum und Dad waren weg, so dass Kyle und ich alleine waren.«
»Nein, oh nein«, murmelte Kyle kopfschüttelnd.
»Oh doch, oh doch, mein Bruder. Nuriel kam vorbei und schaute mit uns einen Film. Etwa gegen neun ging ich in mein Zimmer. Irgendwie hatte ich etwas später Lust noch einen Saunagang zu machen, also ging ich nach unten in den Wellnessbereich.
Ich habe Kyle und Nuriel im Zimmer meines Bruders vermutet, doch als ich an der Sauna vorbeiging, stellte ich fest, dass sie bereits besetzt war. Nämlich von euch beiden.« Katy warf einen strafenden Blick auf das Paar.
»Durch die beschlagenen Scheiben konnte ich nicht allzu viel erkennen. Jedoch genug um zu wissen, was ihr da drinnen getrieben habt.«
Noé grinste, genau wie die anderen.
»Ich habe die Sauna seither nicht mehr betreten«, knurrte sie die beiden an.
Kyle blinzelte unschuldig. »Deine Entscheidung.«
»Du kleiner, notgeiler - «
Nico griff nach ihrer Hand. »Ganz ruhig, Kätzchen.«
Sie schaute auf seine Finger, die ihre umschlossen. Ein weicher Ausdruck huschte über ihr Gesicht, doch sie schüttelte Nicos Hand ab.
Noé lächelte leicht. Er vermutete seit längerem, dass Katy mehr für den Playboy emfpand als sie zugeben wollte.
»Kannst du dich noch an die Nacht erinnern?«, flüsterte Kyle Nuriel ins Ohr. Deren Wangen liefen rot an.
»Das war der beste Sex, den ich je hatte.« Die grauen Augen blitzten, Katy erwiderte den Blick. »Freut mich, dass wenigstens einer von uns die Sauna in guter Erinnerung behält«, giftete sie ihren Bruder an.
»Also ich muss sagen, Respekt an Katy, dass du völlig ernst und eindeutig bleiben kannst in der Nähe der beiden. Obwohl du sie beim Sex erwischt hast«, deklarierte Liam anerkennend.
»Es ist vor allem schwierig bei den Familienessen die Klappe zu halten«, erwiderte Katy zwinkernd.
»Wenn du das wagst, bist du tot, Kitty«, drohte Kyle.
»Ich trinke«, rief Lynn aus. »Auf die Familie Cullen.«
Und wieder wurde die Ginflasche rumgereicht. Noé fühlte sich schon ziemlich angetrunken. Noch nicht betrunken, aber kurz davor.
»Ich bin dran«, meldete Kyo sich und legte die Gitarre weg. »Ich war vor drei Monaten an der Pride Parade in London, zusammen mit ein paar Freunden.« Sofort fragte Noé sich was für Freunde das waren. Wie eng der Koreaner mit diesen war. »Auf jeden Fall gingen wir auch in eine Bar. Wir tranken, lachten und tanzten. In der Nacht war ich dann so dicht, dass ich anfing zu tanzen.
Ich stieg auf den Bartisch, nackt bis auf die Unterhosen und bewegte mich zur Musik.«
»Ein Kyo, der strippt«, murmelte Katy lächelnd.
Auch Noé fand die Vorstellung komisch, aber er war zu fixiert auf Kyo, um sich wirklich Gedanken darum zu machen.
»Auf jeden Fall stand ich da oben, hackedicht und liess meinen Blick über die mich bejubelnden Menge schweifen. Und dann sah ich ihn.« Kyo legte eine Pause ein, zupfte eine dramatische Melodie auf der Gitarre.
»Den Sensenmann«, flüsterte Nico.
»Noé«, murmelte Nuriel gleichzeitig. Überrascht sah Noé sie an. Wie kam sie jetzt darauf? Doch sie zuckte bloss die Achseln.
Kyle grinste. »Nicht doch, meine Lieben. Da stand Yuto Nakamura.«
Alle lachten.
»Weder noch. Da stand, eng umschlungen, knutschend mit einem jungen Mann, unser lieber Mister Will Dunne.«
Totenstille.
»Mr. Dunne, unser Geschichtslehrer?«, brachte Lynn ungläubig hervor.
Kyo nickte. »Jup. Wir sahen uns an, erschrocken, beschlossen in diesen wenigen Sekunden, dass wir darüber Stillschweigen bewahren würden.«
»Unser Geschichtslehrer ist schwul«, murmelte Liam kopfschüttelnd.
Kyle hob die Flasche. »Darauf trinke ich jetzt.«
Noé fühlte sich mittlerweile schon ziemlich betrunken. Ihm rauschte der Kopf. Er fühlte sich als ob er, seine Seele, losgelöst war von seinem Körper.
»Jetzt bleibt nur noch unser Nesthäkchen, Noé«, zog Nuriel ihn auf.
Auf einmal fühlte er sich ganz leer. Die Blicke seiner Freunde waren auf ihn gerichtet. Neugierig. Aber eigentlich spürte er nur ein Augenpaar wirklich, das von Kyo. Der Koreaner beobachtete ihn.
Sein Mund war ausgetrocknet.
»Komm schon, du hast sicher auch was persönliches, dass du noch niemandem erzählt hast.« Katy lächelte schief.
Es gab nur eine Sache, die er noch niemals jemandem erzählt hatte. Er wollte ihnen wirklich gerne davon erzählen, aber es war so unglaublich persönlich. Und vor allem sass Kyo hier, zupfte an seiner Gitarre und schaute ihn unablässig an.
Noé öffnete den Mund obwohl er das gar nicht wollte. Die Worte waren draussen, bevor er überhaupt richtig darüber nachdenken konnte. Der verdammte Alkohol.
»Ich bin schwul.«
Raus war es.
»Ich wusste es«, kreischte Nuriel.
Liam schob sich die Brille höher auf die Nase. »Hast du einen Freund?«
»Seit wann weißt du es?«, fragte Nico ihn.
Doch, er nahm das alles gar nicht richtig wahr. Er hatte sich gerade zum ersten Mal geoutet und es war erstaunlich leicht gegangen. Sein Herz fühlte sich überhaupt nicht beklemmt an oder so.
»Natürlich hat er keinen Freund«, antwortete Nuriel auf Liams Frage. »Sein Herz schlägt bereits für einen anderen.«
Noé schaute seine beste Freundin fragend an. Doch, sie ignorierte ihn gekonnt.
»Soso und wer ist dieser jemand?« Kyle zog neugierig die Augenbrauen hoch.
Noé öffnete den Mund, um ihm zu sagen, dass es niemanden gab, aber die Türkin kam ihm zuvor. »Das Problem ist eben, dass unser Lockenkopf sich noch nicht eingestanden hat, dass er den anderen mag.« Sie zwinkerte ihm unschuldig zu, während er rot anlief.
»Ich... Ich weiss nicht was du meinst«, stotterte Noé. Eigentlich wusste er genau was sie meinte, aber auf irgendeine Art hatte sie Recht. Er wusste nicht wieso, er sich die Gefühle nicht eingestand, aber es war nun einmal so.
Lynn grinste. »Du bist ein schlechter Lügner, Whitney.«
Er wagte einen Blick zu Kyo, der ihn immer noch anschaute. Noé wandte sich ab. »Können wir das Thema wechseln?«
Nico lachte. »Unangenehm? Gut es ist jetzt...« Er warf einen Blick auf sein Handy. »Halb zwei. Die perfekte Zeit, um den Abend mit einem Liedchen zu beenden.«
Kyle hustete. »Abend«, murmelte er sarkastisch, was Noé ein Lächeln entlockte.
»Was wollt ihr hören?«, fragte Kyo und stimmte seine Gitarre nochmal genau.
Katy bettelte so lange, es war fast schon lachhaft verzweifelt, um einen selbstgeschriebenen Song von ihm, bis dieser nachgab.
»Der Song ist aber noch neu und in der Entstehungsphase.«
»Egal«, erwiderte Nuriel.
Leise begann Kyo zu zupfen. Es war vollkommen still, nur die Melodie war zu hören. Alle zusammen lauschten sie dem Lied.
Every gaze is different
It’s a dance.
Forward. Backward.
A fight between us. Between your mind and your feelings.
I can see it in this stormy blue eyes.
But should I say something?
Should I make the first step?
Or wait?
I like to look at you
How you inspect your surroundings.
The way you smile, when you’re happy.
Just how you are.
I wanna say something, but I don’t know
What
How
When
Where
Kyo hörte auf zu spielen und strich sich ein paar Haarsträhnen aus den Augen. »Was meint ihr?«
Nuriel grinste mehrdeutig. »Ich finde den Song unglaublich. Auch wenn er noch nicht fertig ist.«
»Ich denke, dass ist sogar der Reiz an dem Ganzen. Dadurch, dass er noch nicht fertig ist, wirkt er umso natürlicher und authentischer«, meinte Katy nachdenklich.
»Etwas schnulzig, Nakamura, aber er gefällt mir«, antwortete Kyle anerkennend.
Kyo lächelte. »Danke.« Noé schaute ihn an, in seinem Inneren flatterte es. Irgendetwas war mit ihm passiert während diesem Lied. Er hatte keine Ahnung was, aber es fühlte sich merkwürdig an.
Sein Blick traf den von Kyo, verankerte sich in dem goldbraunen. Der Andere lächelte schief und Noé erwiderte es.
Es fühlte sich an, wie der Anfang.
Der Anfang vom Leben.