Erwachen:
„Wo bin ich?“, stöhnte Mortimer und presste die Hand gegen die Stirn. In seinem Kopf pochte ein unangenehmer Schmerz und seine jüngsten Erinnerungen waren furchtbar, wenn auch verschwommen. Er erinnerte sich an eine graue Stadt ohne jede Abwechslung, graue Menschen und ein graues Leben. Grauenvoll.
„In Sicherheit“, meinte Kassie, die über ihm kniete. „Oder jedenfalls zurück in der Wirklichkeit. Beziehungsweise nicht der Wirklichkeit sondern der Hell-Hopping-Wirklichkeit -“
„Ja, schon gut. Ich frage nie wieder“, stöhne Mortimer und erschrak im nächsten Moment, weil Kassie ihn in eine feste Umarmung zog. „Ich habe mir solche Sorgen gemacht!“
„Kein Grund, mir die Rippen zu brechen“, stöhnte Mo und klopfte ihr auf die Schulter. Er sah sich um und entdeckte Blaze, Karo und sieben schwarze Hunde, vielleicht Labradore.
„Danke, dass ihr mich da raus geholt habt. Was habe ich verpasst?“
„Nicht viel“, meinte Kassie, stand auf und reichte Mo die Hand, um ihn hoch zu ziehen. Dann klopfte sie etwas Dreck von seinem T-Shirt. „Ich bin froh, dass wir uns alle wiedergefunden haben.“
„Und ich erst“, meinte Karo. „Ich habe mir vor Angst in die Hose gemacht. Tob- Blaze, woher hast du die Hunde?“
Blaze kratzte sich am Kopf. „Ich weiß nicht so recht. Zuerst waren es meine Alpträume, aber im Moment gehorchen sie mir.“
„Cool“, meinte Mo und grinste. „Vielleicht können wir sie auf Ifrit und Asmodai hetzten!“
„Und auf Max“, meinte Karo mit düsterem Blick. „Der ist genauso schlimm wie die Geschwister.“
„Schlimmer. Er ist ein Verräter“, meinte Kassie mit kalter Stimme. „Aber für den Anfang sollten wir vielleicht nur versuchen, aus dem Park zu kommen.“
„In welche Richtung müssen wir denn?“, fragte Mo.
Kassie sah Blaze an. „Nun?“
Der kleine Rollstuhlfahrer grinste und tippte auf dem Bedienungsfeld des Enthinderers herum. „Hier lang.“
Er rollte voraus, Kassie, Mo und Karo folgten.
Sie stapften durch das feuchte Gras und den Nebel. Kassie hielt ihre Waffe in den Händen. Mo stellte fest, dass er ihre zweite Pistole verloren hatte.
„Tut mir leid“, sagte er, als er ihr das beichtete.
„Ich kann dich verstehen“, meinte Kassie. „Als ich meinen Alpträumen gegenüber stand, habe ich meine Waffe auch verloren. Zum Glück hab ich sie wieder gefunden.“
Sie grinste nicht sonderlich überzeugend. „Wenn ich daran denke, dass das hier erst der Anfang ist!“
Mo nickte. „Ich möchte wissen, welcher Wahnsinn uns hierher zurückgebracht hat. Kassie, wenn ich das nächste Mal vorhabe, zur Hell-Hopping-Tour zu springen, darfst du mich schlagen, fesseln und einsperren, bis ich wieder bei Verstand bin, klar?“
Kassie lachte nur. „Das hast du schonmal zu mir gesagt, erinnerst du dich?“
„Wann?“, fragte Mo.
„Als du „Five Nights at Freddy's“ angespielt hattest und dir in der ersten Nacht ins Hemd gemacht hast.“
„Oh“, Mo erinnerte sich. Das war in einem anderen Leben gewesen, vor der ersten Hell-Hopping-Tour. „Das war etwas anderes.“
„Wieso, was ist passiert?“, fragte Blaze von vorne.
„Na, er hat es nochmal gespielt und wieder das gleiche gesagt. Ich hatte ihn gewarnt“, erzählte Kassie grinsend. „Aber er hat sich ein drittes Mal dran gesetzt. Im dritten Durchlauf hat er das Spiel durchgespielt.“
Mortimer musste bei der Erinnerung an das Triumphgefühl lächeln, als er die fünfte Nacht geschafft hatte und wusste, dass er das Spiel nie wieder auch nur anzusehen brauchte.
„Echt? Ich konnte mir noch nicht einmal Videos von dem Spiel ansehen“, meinte Karo.
„Mo hier hatte auch nächtelang noch Alpträume“, erwähnte Kassie etwas, was in Mos Erinnerung verdrängt worden war.
Sie lachten, doch ein plötzliches Geräusch ließ die Freude schnell schwinden. Ein Schrei hallte durch den Nebel.
„Aaaaaamy!“, rief jemand, ein Mädchen. Mo kam die Stimme bekannt vor und er schluckte.
„Luuuucaaaa!“, rief ein Junge.
„Eve“, flüsterte Kassie und wurde blass. „Und Liam.“
„Nicht schon wieder“, murmelte Luca leise. Doch es bestand kein Zweifel: Im Nebel erklangen die Stimmen ihrer toten Freunde. Andere Stimmen mischten sich in das Rufen ein. Blaze wurde blass, Karo ebenfalls.
„Wir müssen hier raus“, befand Kassie und beschleunigte ihre Schritte. Die schwarzen Hunde knurrten Blaze an, in ihren Augen lag ein lauernder Ausdruck.
„Deine Tiere … wirken böse“, murmelte Karo.
„Ich … ich …“, Blaze stoppte sich selbst. Ballte die Fäuste. „Ich darf keine Angst haben!“
Die Hunde ließen die Lefzten wieder sinken und wandten desinteressiert die Köpfe ab.
„Tolle Haustierchen hast du da“, meinte Mo mit trockenem Mund. „Greifen sie dich etwa an, wenn du Angst hast?“
„Ich denke schon“, sagte Blaze mit betont neutraler Stimme. „Vorwärts jetzt.“
Sie wurden schnell, verfielen bald in einen Trab. Der Nebel hatte sich nicht gelichtet, also hielten sie sich alle am Enthinderer fest.
Mortimer sah zurück in den Nebel, wo sich menschliche Gestalten bewegten.
Er wollte nicht erneut toten Freunden gegenüber stehen müssen.