Missbrauchtes Vertrauen:
Das Zimmer war bedrückend still und dunkel. Durch die halb zugezogenen Rollläden fielen Streifen von Sonnenlicht und der Straßenlärm drang herauf, das Stimmengewirr von Asmodai, Ifrit und Max, die im Nebenzimmer beratschlagten, kroch durch die Tür wie Nebel.
Aber im Zimmer selbst war es dunkel und still. Karo lag auf dem zerwühlten Bett, zusammengerollt, und konnte keinen Muskel rühren. Auch die Tränen waren schon lange versiegt. Zurückgeblieben war Scham und die erschöpfte Erkenntnis, dass sie sich nicht länger wehren wollte, nicht länger kämpfen wollte.
Dass sie nicht länger leben wollte.
Unendliche Zeit verging, während sie so dalag und auf das Ticken der Uhr lauschte. Was im Nebenzimmer geschah, ging sie nichts mehr an. Auch die Sorge um ihre Freunde war wie durch eine beschlagene Scheibe von ihr abgetrennt, war nur noch ein verschwommener Schatten aus einer anderen Welt.
Sie fuhr mit plötzlichem Schrecken in die Höhe. Die Stimmen waren verstummt und die Sonnenstrahlen waren kaltem Mondlicht gewichen. Sie hatte überhaupt nicht gemerkt, wie sie eingeschlafen war.
Vorsichtig stand sie auf und schlüpfte in dunkelblaue Boxershorts und ein T-Shirt, das sie beides auf dem Boden fand und die ihr beide zu groß waren. Mit nackten Füßen tappte sie über den Boden zum Fenster. Das T-Shirt reichte ihr bis über die Hüfte, fast bis an die Knie. Sie zog die Rollos hoch und erkannte, dass das Mondlicht in Wahrheit Neonlicht von einer Bar oder etwas ähnlichem gegenüber war. Eine Straße mit Autos lag vor ihr, doch alles war seltsam verschwommen, als würde man es durch Wassertropfen betrachten. Karo blinzelte, doch der seltsame Eindruck verging nicht. Das Zimmer dagegen sah normal aus und das Fenster war auch kein Bildschirm, denn sie konnte die Hand hindurch strecken.
Der Welt draußen fehlte es an Schärfe und Details. Sie sah aus wie ein unfertiges Gemälde. Aber trotzdem erhielt Karo den Eindruck einer tief unter ihr liegenden Straße, über die Autos fuhren. Sie drückte die Fensterläden ganz auf und kletterte auf das Fensterbrett.
Wind fuhr unter ihr Shirt und beulte es aus, spielte mit ihren Haaren. Karo umklammerte den Fensterrahmen und richtete sich vorsichtig auf, bis ihr Oberkörper dicht vor der Hauswand im Freien war.
"Ich erlaube es dir nicht", sagte Asmodais Stimme.
Karo schrie auf und sprang. Sie fiel, doch nicht weit. Ein unsichtbarer Widerstand fing sie auf und drückte sie zurück an die Hauswand.
"Ich erlaube es dir nicht", sagte Asmodais Stimme wieder. Karo bückte sich zurück in das Zimmer.
Der kleine Raum war leer. Da stand nur das Bett im Dämmerlicht, die unpersönlichen Beistelltische, der klapprige Wäscheschrank. Ein typisches Hotelzimmer, sogar mit einem altmodischen Fernseher. Asmodai war nirgendwo zu sehen.
Mit einem trotzigen Schrei warf sie sich rückwärts aus dem Fenster. Wieder landete sie auf einem unsichtbaren, nachgiebigem Widerstand, der wie ein Trampolin unter ihr bebte. Diesmal reichte ihr Schwung allerdings nicht aus, um sie zurück durch das Fenster zu schleudern. Stattdessen kam sie langsam auf dem Nichts zum Liegen.
Sie tastete um sich. Erkennen konnte sie nichts, doch die Luft fühlte sich hier an wie ein Wasserbett. Ihre Finger stießen schnell auf weiche Wände. Schwankend stand sie auf und ihr Magen drehte sich um, da sie unter ihren Füßen nichts erkennen konnte. Sie tastete nach einem Ende der Wände, doch sie umgaben den kleinen Platz vor dem Fenster wie ein Gefängnis und endeten höher, als Karo tasten konnte. Ihr blieb nur ein schmaler, kleiner Raum, wo sie gerade eben ausgestreckt liegen konnte.
Als sie den Blick hob, stand Asmodai im dunklen Fenster. Sie fuhr zusammen und fiel wieder hin.
Asmodai schüttelte den Kopf. "Ich erlaube dir nicht, zu sterben."
"Das hast du nicht zu entscheiden!", fuhr Karo ihn an.
"Oh doch. Dein Leben, dein Körper, du gehörst mir. Ich bestimme, was du tust."
Asmodai kletterte aus dem Fenster und sprang geschickt auf den unsichtbaren Widerstand. Wellen liefen durch die Luft. Karo krabbelte zurück, bis sie die Wand im Rücken spürte.
Asmodai streckte ihr die Hand hin wie ein echter Gentleman. Karo schloss die Augen.
"Nimm meine Hand", knurrte Asmodai.
Von selbst streckte sich Karos Arm und ihre Finger umschlossen Asmodais große Hand. Er zog sie hoch und in seinen Arm.
"Wie ... machst du das?", fragte Karo leise. Sie starrte auf den Boden unter sich.
"Ich kann dich kontrollieren", Asmodai hob sie auf seine Arme und war mit einem übermenschlich weitem Satz zurück auf dem Fensterbrett. Er trug sie zum Bett. "Du hast mir deine Seele verkauft, und damit gehörst du mir."
"Ich habe dir gar nichts verkauft!", murmelte Karo mit einem letzten Funken Widerstand.
Asmodai schob den Finger unter ihr Kinn und hob es, bis sie ihm in die dunklen Augen sehen musste, Augen so kalt und tief wie Löcher im Universum.
"Der Verkauf einer Seele wird nicht mit einem Vertrag abgeschlossen", er grinste breit, "sondern mit einem Kuss."
Und Karo erinnerte sich. Sie erinnerte sich, wie Jason sie getröstet hatte, ihr Mut gemacht, ihr Vertrauen erschlichen. Sie erinnerte sich an die gemurmelten Versprechungen ... und an den Kuss.
Asmodai legte sie auf dem Bett ab und lachte leise, während Karo von Tränen geschüttelt wurde, die sie alle schon längst vergessen geglaubt hatte.