Unbelehrbar:
"Max!"
Karos Schrei bewirkte, dass er sich umdrehte. Der Anblick, der sich Max bot, war der Panik in Karos Stimme angemessen: Unzählige Spielkarten strömten aus dem Wald und auf das Hüpfburgenland. Weitere kamen zu beiden Seiten, wie eine Zange, die zuschnappte. Die Karten waren vielleicht nicht schnell, doch sie hatten die Falle gut geplant. Max erkannte mit einem einzigen, kurzen Blick, dass sie wie verrückt würden rennen müssen, um den Angreifern zu entkommen.
Er stürzte nach vorne, die Augen fest auf das Ziel gerichtet. Der Boden gab unter jedem Schritt nach und schwankte noch immer leicht von den Bewegungen der sterbenden Bestie. Seit Amy und Luca Diabetes besiegt hatten, hatte Max sich eigentlich auf einen gemütlichen Spaziergang zum Ausgangstor eingestellt. Er war mehr sauer als entsetzt, dass es nun doch wieder ans Rennen ging. Tief in seinem Herzen glaubte er nicht, dass Ifrit ihn einfach dem Tod überlassen würde.
Trotzdem rannte er, so schnell er konnte, und sah zufrieden, wie er der Spielkarten-Zange zu entkommen begann. Bald wäre er weit genug vorne, als dass sie ihn nicht mehr einkesseln konnten. Dann würde es ein Rennen von ihm gegen die langsameren Kartenwesen, das Max mit Sicherheit gewinnen würde.
Hinter ihm schrie Karo auf. Max wirbelte herum und sah gerade noch, wie Karo auf den Boden stürzte. Sie brüllte erneut, rollte sich zusammen und umklammerte mit beiden Händen ihren Knöchel.
Max wollte schon genervt schnauben, als sich ihm plötzlich ein anderes Bild aufdrängte - eine Erinnerung. Jimmy, sein kleiner Bruder, wie er sich nach einem Fahrradunfall in ähnlicher Pose das blutende Knie hielt. Max erinnerte sich, wie er Jimmy am Abend des gleichen Tages in Bett gebracht hatte - ihr Mutter hatte wieder einmal arbeiten müssen -. und ihm zum Trost Jimmys Lieblingslied vorgesungen hatte.
"Der Mond ist aufgegangen, die gold'nen Sternlein prangen, am Himmel hell und klar."
Max rannte zurück zu Karo.
"Der Wald steht still und schweigend, und aus den Wiesen steiget-"
Max' Gedanken brachen so abrupt ab, als hätte man sie mit einem Messer durchgeschnitten, als ihm klar wurde, was er da tat.
Es war doch klar, warum Ifrit ihn mitgeschickt hatte - es war eine Prüfung für ihn, und er war dabei, sie nicht zu bestehen. Er hatte diese Verbindung an sein früheres Leben gekappt, und bald sollte die "Nebenwirkung" seiner neuen Kräfte Wirkung zeigen, die ihn unantastbar für jedwede Gefühlsduselei und vor allem gegen falsche Freundlichkeit machte.
Karo versuchte, aufzustehen, stolperte und fiel wieder.
"Max", sie sah ihn flehentlich an. "Mein Knöchel ... hilf mir!"
Max war stehen geblieben. Er sah Karo an und machte einen Schritt nach hinten.
Sie verstand sofort. Er rechnete es ihr hoch an, dass sie nicht weiter flehte und jammerte.
Sie fragte nur leise: "Warum? Max, warum?"
Er ließ sich die Zeit für einen letzten Blick auf sie, während die Kartenkrieger langsam so nah kamen, dass er das Stampfen ihrer Füße hören konnte.
"Ich erwarte nicht, dass du das versteht. Aber das hier ist, wer ich wirklich bin. Ich bin ein Monster."
Damit drehte er sich um und rettete die eigene Haut, sprintete über die Ebene und fort von Karos letzten Schmerzensschreien, als sie eingeholt wurde.
Kassandra und Mortimer kamen ihm keuchend entgegen.
"Max! Zum Glück geht es dir gut!", rief Mo.
"Wo ist Karo?", fragte Kassie sofort.
Max warf sich auf die Knie und keuchte hingebungsvoll.
"Ich konnte ... nichts tun!", ächzte er. "Es tut mir so leid. Sie ... sie ist gefallen, und ihr Knöchel - hab versucht, sie zu tragen, aber es ging nicht. Ich ... ich konnte nichts tun."
Er schlug matt gegen den Boden.
Kassie und Mo schwiegen so lange, dass Max schon fürchtete, die Kartenkrieger würden sie doch einholen, während er sich vornüberbeugte und eine Mischung aus Keuchen und Schluchzern schauspielerte. Dann klopfte Mo ihm auf die Schulter.
"Gehen wir."
Max ließ sich aufhelfen und wischte sich die trockenen Augen. Sie gingen los, doch Kassie stand wie angewurzelt, starrte auf die nahenden Krieger und rührte sich nicht.
Mo berührte sie sanft am Arm: "Kassie. Du weißt, was Sam uns sagte. Später."
Kassie nickte. "Später ist Zeit für die Trauer", murmelte sie und folgte Max und Mortimer mit hängendem Kopf.
Das Tor war nun direkt vor ihnen.