Zur Hölle fahren:
Die meisten Tourgäste hatten den grauen Raum über Ifrits Tor verlassen. Karo hatte sich zu Mo und Kassie gestellt. Zurück blieben nur jene, die Elizabeth folgen wollten – und Max, der verloren in einer kleinen Gruppe von Dienern und Mitarbeitern der Tour stand. Sams fünf Schülerinnen standen vor dem Portal und betrachteten die Übriggebliebenen kritisch.
Die Einladung zur Flucht galt nur für die Opfer der Tour, nicht für die, die Ifrit geholfen hatten. Mo entdeckte vertraute Gesichter in der kleinen Gruppe: Maya, die ihnen im Hotel Blair so viele Probleme bereitet hatte und dann spurlos verschwunden war. Maike und ihr im Rollstuhl sitzender Mann Thomas, die auf dem Campingplatz im Schwarzwald gewohnt und ihre Hilfsbereitschaft gegenüber den Tourgästen bitter bezahlt hatten. Ihr Fahrer, „der Hans“, der vielleicht nichts gewusst oder aber die Augen vor allem verschlossen hatte.
„Was sollen wir mit denen machen?“, wandte sich Mira an Sam. „Sie sind keine Gäste, sondern Ifrits Diener.“
„Wir haben ihnen freies Geleit zugesichert“, antwortete Elizabeth an Sams Stelle. „Nehmt sie mit.“
„Aber …“, protestierte Mira.
„Sie sind Feinde“, wandte jetzt Lily heftig ein. „Verbündete von diesen Dämonen.“
„Vielleicht nicht aus freien Stücken.“ Mo war ebenso überrascht wie die Wächter, dass er sich in ihren Streit einmischte. „Sie hatten vielleicht keine Wahl“, fügte er leiser hinzu.
Sam seufzte und gab Mira mit einem Nicken das Zeichen, auch die Mitarbeiter mitzunehmen. Als sich die Gruppe vorsichtig dem Portal näherte, blieb Max stehen. Dann ging er zu dem Himmelfahrtskommando herüber.
„Ich helfe euch“, sagte er und versuchte, Ifrits Blick zu erhaschen, doch die Dämonin wandte ihnen geflissentlich den Rücken zu. Niemand widersprach Max, doch es machte auch niemand Anstalten, ihn in ihre zusammengedrängte Traube einzuladen, also blieb Max etwas abseits stehen und beobachtete, wie die fünf Mädchen als letzte durch das Tor verschwanden.
Fay warf Mo einen letzten, langen Blick zu und er fühlte ein Stechen im Magen bei dem Gedanken, dass er sie vielleicht nie wiedersehen würde. Aber immerhin – wenn Ifrit nicht gelogen hatte – war sie jetzt in Sicherheit. Der Rest war Mo schon fast egal.
Das Tor verschwand mit einem leisen, saugenden Geräusch. Dunkelheit breitete sich in dem Räumchen aus – offenbar hatte das Portal ein wenig schwaches Licht ausgestrahlt, das Mo erst jetzt bemerkte, als es erlosch.
Ifrit legte die Hand an die Steinwand vor ihnen. „Gehen wir“, sagte sie ruhig. Ihre Stimme klang müde und versöhnlich. Von der alten, spöttischen Bosheit war nichts geblieben.
Ein neues Portal erschien, diesmal feurig Rot mit schwarzen Wirbeln, und die Helligkeit sank noch weiter. Mo spürte, wie Liam nach seiner Hand tastete und umfasste die schwitzigen, kleinen Finger mit ruhigem Griff. Liam fürchtete sich, aber trotzdem hatte er beschlossen, mitzukommen.
Mit der anderen Hand griff Mo nach Kassies Arm. Es war so dunkel, dass er die Gesichter seiner Freunde kaum noch erkennen konnte, doch ihre verschränkten Finger gaben ihm neue Kraft.
Ifrit ging zuerst durch das Tor. Ihr folgte Elaine, Sam und Elizabeth dagegen flankierten das rauschende Portal und warteten.
Mo, Kassie, Liam und der Rest ihrer kleinen Gruppe trat in einer geschlossenen Reihe vor. Das Portal war nur so breit wie eine Person, aber sie ließen einander nicht los, als sie im Gänsemarsch den grauen Raum verließen.
Mo spürte, dass Kassie vor ihm zusammenzuckte, als sie das Portal durchschritt. Wenig später schlug ihm eine unerträgliche Hitze ins Gesicht, die ihm fast den Atem nahm. Er drückte Liams Hand, um den Kleineren vorzuwarnen.
Mühsam gegen die Hitze blinzelnd, erkannte er eine rote, leere Höhle mit einem Boden aus rotem Sand und gewaltigen Stalaktiten, die von der Decke hingen, durchweht von einem heulenden Wind, der den Sand in die Luft trieb und zu seltsamen Formen wandelte.
Max und dann Elizabeth und Sam kamen aus dem Portal, ehe das Tor in sich zusammen fiel.
„Meine Güte!“, stöhnte Sam.
Milo hustete gegen die trockene Luft an.
„Willkommen in der Hölle“, meinte Ifrit ohne jede Freude im Gesicht.
„Das hätte ich auch erkannt.“ Elizabeth band sich ein Tuch über den Mund. „Was für eine Klischee-Hölle!“
„Wir müssen durch das Feuerland, um zur Rauchhalle zu gelangen“, sagte Ifrit. „Die Halle liegt an der Grenze zwischen klassischer christliche und römisch-griechischer Unterwelt.“
„Na schön.“ Elaine seufzte. „Bringen wir es besser schnell hinter uns.“
Dem konnte Mo nur insgeheim zustimmen. Schon jetzt war seine Kleidung schweißnass, er fühlte sich wie in einem Backofen. Die Luft war so heiß und schwer, dass man sie vermutlich schneiden konnte, und jeder einzelne Schritt war eine übermenschliche Anstrengung.
Sie hatten die Hände der anderen losgelassen, weil es für Körperkontakt schlicht zu warm war. Langsam und vornübergebeugt machten sie sich auf den Weg.
„Du hättest uns gerne woanders raussetzen können“, warf Elizabeth Ifrit vor.
„Es ging nicht näher an Asmodai“, gab die Halbdämonin zurück. „Kulturenübergreifende Portale waren noch nie meine Stärke.“
„Wir sind in der richtigen Hölle, nicht wahr?“, wandte nun Elaine ein. „Ich kann es spüren – das hier ist kein Teil der Tour mehr.“
„In der Tat“, Ifrit nickte. „Es war ja auch nicht geplant, dass jemand von den Wölfen gefressen wird.“
Mo schauderte unwillkürlich, trotz der Hitze. Die echte Hölle? Etwa ein Ort, der größer und älter war als die Hell-Hopping-Tour, die wirkliche Hölle?!
Worauf hatte er sich bei dieser Reise nur eingelassen? Mit einem Mal verstand er, warum das Team Game of Life so schnell dabei gewesen war, den leichten Ausweg zu wählen.