Die Geister, die ich rief:
Karo starrte Kassie entgeistert nach, die den Autoren überschwänglich begrüßte.
„Was tut sie da?!“, flüsterte sie.
„Ablenken“, antwortete Max und ergriff ihr Handgelenk, um sie mit sich zu ziehen. Nicht auf Metschta zu, sondern in die Garage. Karo wand sich aus seinem Griff. Er beachtete es nicht einmal, sondern ging einfach weiter.
Ohne sich abzusprechen, teilte sich die Gruppe auf. Blaze atmete durch und folgte Kassie zu Metschta, der Rest tauchte in das gähnende Maul der Garage ein.
Das Innere war nicht einmal besonders ungewöhnlich, stellte Karo fest. Das war vielleicht das verrückteste an der ganzen Geschichte. In der Mitte stand ein schwarzes Motorrad – oder war es ein Roller? – die Wände waren hinter Regalen mit allerlei Kram verborgen. Karo sah sich ratlos um. Waren sie wirklich am richtigen Ort?
Max zog einen Motorradhelm aus dem Regal und setzte ihn auf. Er zog ihn wieder ab und schüttelte den Kopf. „Viel zu eng!“
Evelyn zog einen durchweichten Pappkarton aus dem Regal und brachte zwei an langen Seilen befestigte Kugeln zum Vorschein.
„Was ist das?“ Milo kam auf die Krücke gestützt zu ihr.
„Pois“, antwortete Eve, griff die Seile am Ende, wo sie Schlaufen für die Hände hatten, und ließ die Kugeln nach unten baumeln. Die Seile waren vielleicht einen Meter lang. Eve schwang die beiden Kugeln versuchsweise im Kreis. „Wir hatten mal in Leichtatlethik so was ähnliches, allerdings mit Tüchern. Pois wurden aber früher als Waffen verwendet. Eigentlich muss man die Kugeln in Brand stecken.“
Milo wich zurück. „Woah, kannst du damit umgehen?“
„Es ist eigentlich ganz einfach.“ Eve ließ die Kugeln vor und hinter dem Körper kreisen.
Karo sah nach draußen. Kassie und Blaze taten so, als würden sie sich über die Ankunft des Autors freuen. Offenbar hielten sie ihn in Beschlag, der dickliche Mann kam nicht dazu, sich auf das Geschehen in der Garage zu konzentrieren. Doch wie viel Zeit blieb ihnen?
„Cool!“, rief Mo, der auf ein Skateboard gestoßen war und kurz darauf auf dem Brett stand.
Liam hielt eine ganze Sammlung Headsets in den Armen, was Karo sehen konnte, obwohl der Junge ihr den Rücken zuwandte. Er war durchsichtig, das Glas seines neuen Körpers verzerrte das Bild der Geräte nur schwach. „Hier, nehmt die!“ Der kleine Geist verteilte die Headsets an jeden und präsentierte dann stolz ein Funkgerät, das an Autobahnpolizisten denken ließ. „So können wir auch über größere Entfernung reden. Ich glaube, so fünfzig, hundert Meter haben die drauf!“
„Beeindruckend!“, spottete Max, der sich die Felgen des Motorrads besah.
Milo wanderte ziellos durch den Raum. Karo bemerkte etwas, das im Regal glänzte. Sie trat dorthin und hielt den Atem an.
Ihre Hand wurde wie magisch von der Waffe angezogen. Es war eine Feuerwaffe, das erkannte sie sofort. Sie nahm das Ding in die Arme. Es war schwer.
„Wow, eine Panzerfaust!“ Mo war neben ihr aufgetaucht und stöberte nun selbst in der Kiste. Mit enttäuschtem Gesichtsausdruck hob er zwei Schlagringe hoch, die vier kleine Stacheln hatten. „Tauscht du?“
Karo umarmte die Panzerfaust wie einen Teddy. „Nein!“
Max umkreiste noch immer das Motorrad. „Hat einer von euch einen Führerschein?“
„Ich.“ Milo humpelte herüber. „Allerdings nur den ab sechzehn.“
Der Dunkelhaarige hatte kaum ausgesprochen, als er schon auf dem Motorrad saß, Max hinter sich. Milo umklammerte die Griffe und stützte sich mit dem gesunden Fuß ab. „Ähh …“
Max streifte dem Jungen den Helm über und seine Augen leuchteten unheimlich.
„Wartet -!“, rief Karo, da ließ Milo auch schon den Motor an.
Draußen wirbelten Kassie und Blaze herum. Und Metschta donnerte: „Was zur Hölle? Aha! Ihr wisst Bescheid!“
„Verdammt“, zischte Mo. „Abflug, Freunde!“
Sie flohen aus der Garage und eilten Kassie und Blaze entgegen, die sich ihrem Team eilig anschlossen. Jemand warf ihnen zwei Headsets zu.
Metschta verschränkte die Arme vor der Brust. „Dann habt ihr die Wahrheit erfahren?“
Die Freunde erstarrten atemlos. Der Autor sah sie an. „Ihr wisst, was die Hell-Hopping-Tour wirklich ist?“
„Wir wissen, dass Blaze deine Figur ist“, sagte Kassie.
Metschta wirkte nicht wütend, eher verzweifelt. Karo war sich nicht sicher, ob ihn das nicht gefährlicher machte.
„Dann wisst ihr auch, dass ich meine Seele freikaufen muss. Bitte … er ist meine Rettung. Ich mag ihn genauso wie ihr, doch er ist meine einzige Möglichkeit, mich zu befreien, ohne einen echten Menschen zu töten. Bitte!“
Der Autor flehte sie an. Karo konnte Kassie ansehen, wie sie zu zweifeln begann. Er war schwierig, gegen jemanden zu kämpfen, dem Tränen in den Augen standen.
„Tobias.“ Metschta sah den kleinen Rollstuhlfahrer an. „Du kannst das alles beenden. Komm mit mir. Ich werde deine Freunde gehen lassen, alle. Ich bin kein böser Mensch! Aber ich will endlich … frei sein!“
Der Junge zögerte und griff nach dem Bedienknüppel für seinen Rollstuhl.
„NEIN!“ Kassie stellte sich ihm in den Weg und funkelte Metschta an. „Selbst, wenn Blaze eine Figur ist, er ist auch unser Freund! Real oder nicht – er bleibt bei uns!“
Mo trat an ihre Seite und Karo beeilte sich, den Kreis zu schließen.
Metschtas Blick wurde kalt. „Dann werde ich einen von euch opfern! Irgendwer wird heute Abend meinen Platz einnehmen.“ Er riss die Arme hoch und die Erde bebte plötzlich. „Ich habe lange genug gelitten! Jahrelang! Das ist jetzt vorbei!“
„Lauft!“, brüllte Liam und hetzte bereits los. Das Motorrad dröhnte. Karo folgte den anderen, die aufgelöst wegrannten. Die Welt um sie herum flackerte und veränderte sich. Im einen Moment waren sie noch im Dorf, dann rannten sie durch die Parkanlagen um ein großes, weißes Hotel. Dann durch einen Wald. Über einen Campingplatz. Vorbei an einem Gebäude ganz aus schrillen Plastiknachbildungen irgendwelcher Monster. Sie rannte, was ihre Beine hergaben. Trotzdem erkannte sie die Umgebung: Das waren die anderen Hotels. Der schreckliche Freizeitpark. Das Irrenhaus. Der Wald der Weißen Frauen. Die Mine der Wendigowak.
Dann standen sie in einer Großstadt. Der Himmel war von stürmischen Wolken bedeckt und Blitze zuckten überall. Keuchend blieb die Gruppe stehen. Metschta war verschwunden. Dicke Tropfen fielen aus dem Himmel.
„Was ist jetzt los?“, fragte Kassie gehetzt.
Ein lautes Brüllen beantwortete ihre Frage. Max, der hinter Milo auf dem Motorrad saß, deutete in den Himmel und schrie: „Drachen!“
Im Licht eines Blitzes waren drei gewaltige Schatten zwischen den Wolken zu sehen. Karo blieb fast das Herz stehen.
„Metschta hat alle Geschütze aufgefahren“, erkannte Mortimer. „Schnell, Freunde! Wir brauchen einen Plan.“
„Erhöhte Position!“, befahl Kassie.
„Da erwischen sie uns!“, quiekte Liam.
„Sollen sie ja auch!“, gab die Rothaarige zurück. „Wir kämpfen!“
Kassandra lief voraus und den anderen blieb nicht viel anderes übrig, als zu folgen. Sie eilten in dein Gebäude und stürmten die Treppen hinauf. Karo betrachtete die Panzerfaust in ihren Armen. Kämpfen also? Sie nickte grimmig im Rennen. Ja. Sie war es leid, wegzulaufen.
Die acht kamen auf dem Dach eines fünfstöckigen Gebäudes an. Blitze zerfetzten die Nacht. Von den höheren Gebäuden um sie her fielen riesige Stücke nach unten. Die Drachen ließen ihre Wut an den Wolkenkratzern aus. Ihnen blieb eine kurze Atempause.
Kassie schnallte sich die Inlineskater an die Füße, während sie Befehle gab: „Milo, Max – ihr versucht, sie abzulenken. Blaze, du lenkst auch ab. Ihr seid die schnellsten und mobilsten. Wenn ihr jeweils einen Drachen fortlocken könnt, haben wir vielleicht die Chance, den dritten zu töten. Luca, du hast deine Seilwerfer? Gut, dann wirst du versuchen, den dritten Drachen hier festzusetzen. Karo … oh mein Gott, wo hast du das Ding her?! Okay, du wartest, bis der Drache festgesetzt ist und zimmerst rein, was du kannst. Ich bin unten unterwegs und versuche, ihn bewegungsunfähig zu machen. Liam, Eve … ihr überwacht das vielleicht besser von oben. Wer die Drachen wo hin locken soll und wann – ich will wirklich nicht gegen drei auf einmal kämpfen müssen.“
Kassie stand auf und warf die Haare zurück. Karo und auch die anderen sahen sie ängstlich an.
„Wir schaffen das“, sagte Kassie.
„Auf sie mit Gebrüll“, murmelte Mortimer.
„Lauter!“, befahl Kassie. „Und alle: Auf sie mit Gebrüll!“
Sie schrien es in den stärker werdenden Regen. Die Drachen erwiderten das Geschrei, wendeten und ließen sich aus dem Himmel fallen. Sie waren gigantisch: Blutrot, Saphierblau und Silberschwarz. Karo hatte plötzlich einen trockenen Mund. Sie sah direkt in die gelben, lodernden Augen. Alle, auch sie, hoben ihre Fäuste in den Himmel. Eine schwächliche, trotzige Geste, angesichts dieser Macht, die da herunter kam. Flügelschläge wie Donner, Leiber wie Gebirge, Krallen wie Speere … Karo schloss einen Moment die Augen. Sie wollte überall sein, nur nicht hier. Mit plötzlicher Gewissheit wusste sie, dass sie sterben würde. Wie sollte irgendjemand diesen Angriff überleben?
„Auf sie mit Gebrüll!“, riefen sie noch einmal. Sie wussten, dass sie nicht fliehen konnten. Diesmal nicht – Metschta, der Gott dieser Geschichte, würde sie nicht gehen lassen. Niemand konnte entkommen.