Where Dragons Rule:
Die drei riesigen Feuerechsen stürzten aus dem Himmel herab. Sie legten die gewaltigen Schwingen an und ließen sich fallen wie Kometen, die kamen, um alles Leben auf dem Planeten auszulöschen. Liam hörte bereits, als die Drachen noch weit oben waren, das Brausen, mit dem die Luft über ihre schuppigen Leiber fuhr.
„O-okay, fangt die Drachen ab!“ Eve hatte ein großes, klobiges Funkgerät in den Händen, das mit den acht Headsets ihrer Gruppe verbunden war. Sie zuckte zusammen, vielleicht, weil ihre eigene Stimme ihr ins Ohr brüllte, zittrig und nervös.
Die Gruppe ging in Position: Karo kniete sich mit der Panzerfaust auf den Boden. Mo zückte seine Seilwerfer. Inzwischen trug er sieben davon um die Hüfte, lange, dunkle Striche auf seiner schimmernden Glasgestalt. Er wog einen prüfend in der Hand und warf ihn in den Himmel. Liam erkannte, dass der Seilwerfer, als er in der Luft keinen Halt fand, von einer dünnen Schnur zu Mo zurückgezogen wurde.
Milo startete den Motor des Motorrads, auf dessen zweiten Sitz sich Max befand. Er hatte sich inzwischen eine Schutzbrille aus Glas und Metall geschaffen. Blaze rollte mit dem Enthinderer neben sie. Das von Kassie ausgewählte Gebäude stieß an einer Wand gegen ein offenes Gebäude voller Parkplätze, das sich noch mehrere Stockwerke in den Himmel erhob. Liam musste die Rothaarige im Stillen bewundern. Sie hatte eine Position gewählt, von der aus sie die meisten Straßen in der Nähe überblicken konnte, ohne sie auf den Präsentierteller oder in eine Sackgasse zu führen: Es gab einen Ausweg und Deckung durch das Parkhaus.
Blaze zerstörte ein Gitter, das das Gebäude abriegelte, mit drei gezielten Schüssen. Das Motorrad fuhr voraus, der Rollstuhl folgte. Liam sah wieder in den Himmel. Die Drachen kamen mit rasender Geschwindigkeit näher. Kassie gab ein paar Schüsse ab, von denen sich die drei Fabelwesen nicht beirren ließen. Schon breiteten sie die Schwingen aus, um auf dem Dach des Gebäudes zu landen. Liam rutschte das Herz in die Hose, als er die gewältigen Kiefer und Zähne sah.
Eine schnelle Salve kam von der Straße herauf und schlug in den Panzer des silberschwarzen Drachen ein, der sich knurrend herumwarf. Dadurch verfehlte ihn das zweite Geschoss, ein langer Metalldorn, und bohrte sich in die Flanke des roten Drachen.
Die beiden Ablenkungsteams waren auf dem Boden angekommen. Tatsächlich fielen die Drachen auf den Trick herein und nahmen mit wütendem Brüllen die Verfolgung auf. Allein der blaue Drache landete auf dem Dach, sah den anderen beiden einen Moment hinterher und wandte sich dann mit überlegenem Gesichtsausdruck den übrigen fünf Menschen zu. Er öffnete das Maul. Die Freunde stoben auseinander, als nicht etwa Feuer, sondern ein gebündelter Strahl harten, weißen Wassers aus dem Maul zischte und den Dreck auf dem Dach in alle Richtungen springen ließ. Ein feiner Sprühnebel legte sich über alles, mengte sich in den strömenden Regen.
„Angriff!“, befahl Eve, als der blaue Drache den Strahl unterbrach, um Luft zu holen. Kassie feuerte, doch die Kugeln kratzten lediglich über den dicken Panzer. Der Drache holte mit dem Schwanz aus und fegte sie ohne großes Federlesen vom Dach. Mit einem spitzen Schrei verschwand Kassie in der Tiefe.
„Nein!“, rief Liam entsetzt.
Mo warf seine Seilrollen, die sich um die Flügel des Drachen schlangen, doch die Haken fanden keinen Halt. Der Drache schüttelte die Seile ab.
„Karo, jetzt. Jetzt!“, schrie Eve außer sich.
Ein Blick zu der Braunhaarigen zeigte, dass sie verzweifelt auf den Auslöser der Panzerfaust drückte, doch die Waffe nicht reagierte. Mädchen und Panzerfaust trieften vor Nässe.
„Verdammt.“ Eve ließ das Funkgerät fallen und eilte zu Karo. Ein breiter Wasserstrahl verbarg die Mädchen vor Liams Augen. Mo floh vor dem harten Strahl in die Garage. Das Wasser traf auf eine Betonsäule, hinter der sich der Junge versteckte. Die Wucht der Wassermassen brachte die massive Säule zum Bröckeln, tiefe Risse klafften dort auf. Das ganze Gebäude schwankte und der Drache trat mit langsamen Schritten in die Richtung, um die Macht noch zu erhöhen.
Liam sah sich verzweifelt nach etwas um – er redete sich ein, dass er helfen wollte, doch eigentlich wünschte er sich nur ein Versteck, wo er sich vor dem ganzen Kampf verbergen konnte. Die andere beiden Drachen tobten über der Stadt und verfolgten offenbar Blaze oder Milo und Max. Und da war Kassie – Liam schnappte nach Luft: Sie flog! An ihren Schultern befanden sich plötzlich Gleitflügel aus Metall. Mit dem Schwung, den sie von ihrem Sturz haben musste, konnte sie auf einem nahen Dach etwas tiefer landen. Offenbar hatte Max ihren Sturz gesehen und sie gerettet!
Sie hob die Pistolen und feuerte auf den Kopf des Drachen. Zuerst reagierte das blaue Monstrum nicht, doch dann zerfetzten die Kugeln die dünnen Schwimmhäute an der Seite des Kopfes. Der Drache brach den Angriff ab und fuhr heulend herum. Er war es wohl nicht gewohnt, dass so kleine Wesen ihm Widerstand leisteten. Mit einem kräftigen Satz war er im Himmel und hielt direkt auf Kassie zu.
Liam sprang nach vorne und packte das Funkgerät. „Mo! Die Seilwerfer, jetzt!“
Der andere Geist lugte um die Säule, deren Mitte bereits von dem Wasser zerstört worden war. Er erkannte, dass nicht länger er, sondern Kassie im Visier des Drachen war und schleuderte die Seilwerfer nach vorne. Vier von ihnen spannten sich direkt vor dem Drachen auf, zwei weitere hinter ihm, sodass das Wesen gefangen war. Der Drache warf sich gegen die vergleichsweise dünnen Drähte, doch sie trotzten ihm. Dafür lösten sich die Gebäudeteile, in denen die Haken eingeschlagen waren, mit jedem Ruck ein wenig mehr. Kassie machte keine Anstalten zu fliehen, sondern schoss weiter.
Liam rannte zu Karo und Eve, die inzwischen die Panzerfaust in Position brachten.
„Feuer!“, rief Liam ihnen ohne das Funkgerät zu. Sie schienen ihn nicht zu hören – das Tosen der Drachen war ohrenbetäubend laut – doch sie feuerten ohnehin. Eine gewaltige Explosion hüllte den blauen Drachen ein. Dann eine Rauchwolke.
Mit einem Ruck wurden die Seilhaken aus den Wänden gerissen. Der Drache stieg mit einem Schmerzgeheul aus der Wolke auf und in den Himmel. Mo wurde von den Seilen, die ihn an die Seilwerfer fesselten, in die Höhe gerissen. Der Drache wendete und wollte sich auf Kassie stürzen, die sprang vom Dach und segelte dank der Metallflügel in die Straße neben dem Gebäude, auf dem Liam stand.
Der Drache rauschte an ihnen vorbei. So nah, dass Liam ihn berühren könnte. Er sah Mo, der es irgendwie auf den Rücken des Drachen geschafft hatte. Karo und Eve luden fluchend nach. Kassie kam auf dem Boden auf und glitt auf den Inlinern weiter, doch der Drache war schneller als sie.
Liam hob das Funkgerät: „Max, Milo: Links, dann geradeaus. Holt Kassie ab!“
An den Bewegungen des roten Drachen sah er, dass das Motorrad auf Kassie zuhielt. Dann sah er das schwarze Gefährt aus einer Seitengasse springen. Max warf Kassie eine Kette zu, die diese ergriff. Ganz knapp, bevor die Kiefer des blauen Drachen zuschnappten, spannte sich die Kette und zerrte Kassie nach vorne. Der Schwung und die Flügel hoben sie in die Luft, während der rote Drache, der nicht mehr bremsen konnte, in den blauen krachte. Liam sah Mo im letzten Moment abspringen, indem er einen Seilwerfer in die Luft hob und sich, sobald das Drahtseil Halt fand, hinaufziehen ließ.
Beide Riesenechsen stürzten in ein Hochhaus, das in sich zusammenfiel und die Drachen unter Schutt begrub. Doch noch bevor das Motorrad viel Strecke gemacht hatte, wühlten sich die Drachen aus dem Trümmerberg.
Liam sah sich um: Der silberne Drache verfolgte Blaze, obwohl der Rollstuhlfahrer ihn die ganze Zeit unter Beschuss nahm. Offenbar war der silberne Drache am stärksten gepanzert. Der rote Drache schickte dem Motorrad und Kassie einen Feuerstrahl hinterher, der die drei vor Liams Blick verbarg – aber das Feuer konnte das Motorrad zur Explosion bringen, so viel ahnte er.
Er sah auf das Funkgerät in seinen Händen und dann auf die Straße. Mit einem Mal war er ruhig. Das hier war nicht viel anders als ein Strategiespiel, und er hatte unzählige davon gespielt. Die Drachen spielten ihre Stärken gegen die Fähigkeiten der Gruppe aus.
Eve und Karo waren beschäftigt. Alle anderen auf der Straße. Es war niemand außer ihm da.
Liam hob das Funkgerät: „Okay, Freunde. Blaze? Du musst den silbernen Drachen loswerden. Konzentrier dich auf den blauen. Max, du bist der einzige, der den silbernen Panzer durchdringen kann. Kassie, du musst den roten Drachen zu uns locken.“
Liam wartete. „Habt ihr verstanden?“
„Ja“, hörte er Kassies Stimme. Sie keuchte und klang ein wenig zittrig, doch der Eindruck verging. „Alles klar!“
„Mo, du setzt den roten Drachen fest!“ Erleichtert gab Liam den nächsten Befehl.
„Auf sie mit Gebrüll!“, hörte er statt einer Erwiderung.
Er lächelte einen kurzen Moment. In Wahrheit machte er sich gerade in die Hose. „Auf sie mit Gebrüll.“