Es riecht nach Stroh und Mist, als ich das letzte Mal richtig wach gewesen war, hatte es noch nicht so gerochen. Irgendwas war also anders. Die Augen aufzumachen traute ich mich ehrlich gesagt nicht, denn ich konnte durchaus die Fesseln fühlen, die meine Beine und Hände zusammenhielten. Ich mag heftige Kopfschmerzen haben, aber meinen Verstand völlig ausgeschaltet hatten sie nicht. Gut ich war nicht tot, möglicherweise ein Pluspunkt. Allerdings konnte es auch bedeuten, dass die Typen die mich gefangen genommen hatten, schlimmeres mit mir vor hatten. Stöhnend rollte ich mich auf die Seite, bis ich es irgendwie schaffte mich aufzusetzen. Die Kopfschmerzen waren nicht so furchtbar, wie ich es nach dem Schlag gegen die Schläfe erwartet hatte. Die Scheune in der sie mich eingesperrt hatten, war nicht sehr groß und scheinbar eher für kleinere Tiere gedacht. Dem Geruch zu urteilen, vielleicht Schafe oder Ziegen?
Draußen musste es noch hell sein, denn durch die Ritzen im Holz kam genug Licht um sich zu orientieren. Mich selbst zu fragen wo ich mich befand, war unnötig, denn ich wusste es bereits. Meine Leute und ich hatten den Bauernhof und ihre Bewohner schon mehrfach gesehen. Wir waren sozusagen Nachbarn, wenn auch nicht sehr gute. Seufzend musste ich mir eingestehen, dass sich das auch nicht mehr zum besseren Wenden würde, denn außer mir war niemand übrig geblieben. Jedenfalls soweit ich wusste und ich mich recht an die Ereignisse der letzten Stunden erinnerte. Wann hatten wir eigentlich noch mal genau diese dumme Entscheidung getroffen?
Alles hatte genau genommen schon vor einigen Monaten angefangen, nachdem wir, also meine Gruppe und ich, in diesen Landstrich umgesiedelt waren. Wir waren immer noch im gleichen Königreich unterwegs, denn ohne Papiere einfach umzusiedeln ist selbst in diesen Zeiten nicht wirklich einfacher geworden. Kriegsende hin oder her, die Grenzen wurden bewacht und auch wenn man wie ich, durchaus die Wege über die Grenzen kannte, war es nicht ratsam in den Städten, ohne Genehmigung angetroffen zu werden. Wie auch immer, weg von der Politik zurück zu unserer kleinen Reise aus dem Norden des Reiches in den Süden. Geplant war das Ganze nicht gewesen, aber manchmal hat man keine Wahl. Unsere Bande war einfach zu bekannt geworden. Nun denkt ihr bestimmt wir wären irgendwelche üblen Banditen die armen Menschen ausnehmen oder auf barmherzig machen und es den Reichen wegnehmen und den Mittellosen geben. Weit gefehlt, so einfach machen wir es uns nicht. Wir sind Jäger. Nun gut, vielleicht trifft der Begriff Wilderer eher den Kern der Wahrheit, aber man muss ja nicht alles schlecht machen oder? Der Unterschied zwischen beiden Begriffen, in unserem schönen Königreich Arsadoh, ist einfach. Jäger dienen der Allgemeinheit und haben eine Lizenz des Königs, um das Volk damit zu ernähren. Wilderer nicht. Einfach oder? Ich kann mir beim Gedanken daran, ein leises Lachen nicht verkneifen, wie nah sich die beiden Berufe doch sind und wie groß der Unterschied sein kann, wenn einem ein Blatt Pergament mit Stempel fehlt. Wann hatte ich eigentlich, dass letzte Mal etwas zu trinken gehabt? Meine Zunge fühlte sich pelzig an und mein Hals trocken.
Also wo war ich. Ach ja, wir waren in den Süden gezogen, weil wir in unserem eigentlichen Wirkungskreis eine zu große Bekanntheit erreicht hatten und nicht mehr ungestört unseren Geschäften nachgehen konnten. Immer wieder kamen wir mit den Gesetzeshütern in Konflikt und verloren leider auch ein paar unserer Hehler. Dass Johann auch noch einen Ehemann gegen sich aufgebracht hatte, weil er seine Frau ab und zu etwas unterhielt, brachte dann das Fass zum überlaufen. Schlimm wenn alles so klischeehaft endet.
Viele Dinge hatten wir nicht als Besitz, so ging das Packen schnell vonstatten. Als gesetzesuntreuer Mann lebt man auf einfach und mit leichtem Gepäck. Die Reise verlief relativ langweilig, denn wir waren das Leben in der Wildnis ja gewohnt. In den Städten auf unserem Weg spitzten wir die Ohren und versuchten etwas mehr, über die Gegend in der wir uns nun niederzulassen gedachten, herauszufinden. Wie sehr wurde hier alles überwacht, gab es kleinere Dörfer oder Handelspunkte, die besonders interessant sein könnten? Gab es vielleicht bekannte Händler, die gute Ware nicht ablehnten, egal woher sie kam? Informationsbeschaffung ist die halbe Miete und so fanden wir in relativ kurzer Zeit ein abgelegenes altes Bauernhaus, dass uns als Unterschlupf dienen konnte. Das Dach war nicht mehr an allen Stellen dicht, ein paar Fenster waren kaputt und es war ziemlich heruntergekommen, aber es bot in einigen Räumen durchaus noch genug trockene Schlafplätze und eine Feuerstelle, die scheinbar den Verfall gut überdauert hatten.
Nach einigen Tagen hatten wir uns gut eingerichtet und das war auch wichtig, denn auch wenn gerade der Herbst in leuchtenden Blättergewandt unsere Stimmung hob, wussten wir, dass der Winter nicht so lange auf sich warten würde. Hier im Süden wurde es schneller etwas kühler und so war uns klar, dass wir uns einen Stützpunkt errichten mussten, der uns auch in der kälteren Jahreszeit genug Schutz bot. Da fällt mir doch ein, dass ich noch gar nicht erwähnt haben wer »wir« überhaupt sind.
Wir sind zu viert. Johann habe ich schon erwähnt und wenn er nicht gerade einem Rock hinterherjagt ist er ein verdammt guter Bogenschütze. Ursprünglich hatte er mal in der Armee gedient, doch nach dem Krieg .... Nun ja viele Menschen kamen aus den Kämpfen zurück und waren nicht mehr die Gleichen wie vorher. Ich lernte ihn in einer Taverne kennen und irgendwie mögen.
Die Zweite im Bunde ist Cassandra. Sie behauptet von sich eine Frau zu sein, aber ehrlich gesagt hege bis heute Zweifel daran. Gut sie pinkelt nicht im Stehen und wenn ich das, was man unter ihren Oberteilen sieht, als Brüste interpretiere, dann könnte es rein körperlich wohl hinkommen, doch von ihrem Verhalten her ist sie alles andere als weiblich und vor allem brutal. Cassandra haben Johann und ich bei illegalen Faustkämpfen kennengelernt und sie war mitnichten eines der hübschen Mädchen, die die Runden anzeigten, sie war mittendrin und gerade dabei einen Mann zu vermöbeln der locker einen Kopf größer war als sie. Ich muss nicht erwähnen, dass Johann sich jeden dummen Anmachspruch verkniffen hat.
Matthis hingegen ist eher der etwas ruhige Typ und geht selten mit uns direkt auf die Jagd. Wieso er sich uns angeschlossen hat, ist mir bis heute eigentlich ein Rätsel, aber ich bin wirklich froh, dass wir ihn haben. Seine Fähigkeiten als Metzger sind unerlässlich, wenn man nicht nur das Fleisch der Tiere verkaufen will, sondern viel wichtiger das gute Fell. Bis heute weiß ich nicht viel über ihn, nur dass er nicht das Geschäft seines alten Herren übernehmen wollte und lieber Abenteuer erleben wollte. Generell stellen wir nicht allzu viele Fragen, denn wir sind eine Art Zweckgemeinschaft, in der jeder seine eigenen Gründe hat, warum er diesen Weg eingeschlagen hatte.
Nun jetzt fehlt wohl nur noch meine Wenigkeit. Mein Name ist Tristan und ich bin um die dreißig Jahre alt. Falls ihr nun erwartet, dass hinter meiner Berufswahl eine schlimme Kindheit oder irgendein anderes herzzerreißendes Schicksal steckt, muss ich euch leider enttäuschen. Ich bin einfach so. Aufgewachsen in einem kleinen Dorf im Osten des Landes, hatte ich eine relativ normale Kindheit mit einem Vater, einer Mutter und ohne Geschwister. Wir waren nicht reich und auch nicht arm, einfach eine ganz typische Familie. Als ich alt genug war, hielt ich es vor Langeweile einfach nicht mehr aus und ging auf Reisen. Nachdem ich merkte, dass man sich mit Gelegenheitsarbeiten schlecht über Wasser halten konnte, beschloss ich auf lukrativere Dinge auszuweichen. Eine Zeit arbeitete ich bei einem Jäger und konnte mir ein paar Dinge abschauen, welche mir bis heute nützlich sind, doch seien wir mal ehrlich, damit verdient man ja nichts. Kurz und gut, ich bin habgierig und ordne mich extrem ungern unter. Also nahm ich mein Wissen, ein paar gute Messer und Ausrüstungsgegenstände meines Arbeitgebers und begab mich in das Leben eines gesetzlosen Wilderers. Das muss so vor fünf Jahren gewesen sein. Manchmal tat ich mich mit Leuten zusammen, meistens war ich allein unterwegs. Der Krieg, der ein Jahr lang tobte, hatte alles etwas leichter gemacht, da es weniger Gesetzeshüter gab, die sich um das Vorgehen im Land kümmerten. Kurzzeitig stand sogar der vorzeitige Ruhestand zur Debatte, aber eigentlich ist rumsitzen und nichts tun, nicht mein Ding.
Johann, Cassandra und Matthis kennenzulernen, machte meine Arbeit allerdings wieder angenehmer und irgendwie schaffte ich es mich zu ihrem Anführer aufzuschwingen. Versteht mich nicht falsch, so richtig würde sich niemand von den Dreien etwas sagen lassen, aber zumindest gab ich die grobe Richtung an.
Ich bin nicht sicher, wann wir das erste Mal die Gerüchte von dem Bauernhof in den Bergen hörten. Es muss Ende des Sommers gewesen sein, also schon ein paar Wochen her, da wir ja nun tiefsten Herbst und sich die Blätter längst braun gefärbt hatten. Im Gasthaus in Arnheim, der nächstgrößeren Stadt hier, hörten wir von einer Familie, die sich vor ungefähr 20 Jahren dort niedergelassen haben soll. Ein Bauernhof mitten im nirgendwo des kleinen Gebirges. Laut der Menschen in der Stadt, kamen sie regelmäßig um ihre Waren zu verkaufen oder Dinge zu besorgen, mit denen sie sich nicht selbst versorgen konnten. Doch das war nicht das, was uns zu interessieren begann. Ein Mann, schon leicht angesäuselt, erzählte es Matthis einen Abend.
In der Nähe wurden immer wieder große Hunde oder Wölfe gesichtet, die scheinbar dort gezüchtet wurden oder zumindest mit den Bewohnern in Verbindung standen. Der Angetrunkene schwor Stein und Bein, das er einmal einen von ihnen gesehen hatte und als einer der Bewohner im Winter nach Arnheim gekommen war, hatte er einen wunderschönen Pelz an um sich zu wärmen. Bei Pelzen wird man als Wilderer natürlich schnell hellhörig. Nichts lässt sich so gut verkaufen wie Felle! Doch was der Mann dann Matthis verschwörerisch zuraunte, übertraf unsere kühnsten Erwartungen. Der Pelz soll seine Farbe gewechselt haben! Ihr staunt? Genau so ging es uns auch, als wir davon hörten. Natürlich hört sich es sich erst einmal total verrückt an, aber ehrlich gesagt höre ich nicht zum ersten Mal von so einem Pelz. Früher soll es mal eine Wolfart gegeben haben, dessen Fell sich an die Umgebung anpassen konnte. Ganz automatisch sozusagen, wie bei diesen exotischen Tieren, die es angeblich in fremden Ländern geben soll. Das Beste daran ist allerdings, dass das Fell diese Eigenschaft auch dann nicht verliert, wenn der Wolf dazu nicht mehr lebt. Nun ist natürlich klar, warum diese Tiere eher in die Kategorie Fabelwesen eingestuft wurden, statt noch zu existieren. Jeder Adlige von Welt wollte so einen Pelz haben und sie wurden unerbittlich gejagt. Hätte ich auch so gemacht, nur dummerweise haben sie nicht bedacht, dass es irgendwann keine mehr gab. Dumm gelaufen würde ich sagen. Zu unserem Glück glaubte kaum jemand dem betrunkenen Typen im Gasthaus, doch Matthis war so clever, es mir zu erzählen. Kurzum ich wusste, hier wartet das Geschäft unseres Lebens auf uns. Wir waren dämlich, zu denken es könnte so einfach sein.
Gerade als ich mich weiter in meinem eigenen Selbstmitleid suhlen wollte, hörte ich von einer Seite des Stalls Schritte und dann wurde auch schon das Tor geöffnet. Endlich konnte ich erfahren, was man mit mir zu tun gedachte, doch als ich die Gestalt sah, die sich nun zu mir hineinschob, hob ich erstaunt die Augenbrauen. Ein kleiner rothaariger Junge, vielleicht um die sechs Jahre alt sah interessiert zu mir.
»Hallo«, brachte ich krächzend hervor. Meine Kehle war trockener, als ich es erwartet hatte.
Der Junge sah mich weiterhin einfach an. »Du bist der böse Mann der Vedis entführt und meinem Bruder wehgetan hat.«
Nun das klang eher wie eine Feststellung als eine Frage.
»Also böse ist schon ein sehr hartes Wort, findest du nicht Kleiner? Hast du etwas zu trinken für mich?«
Bei der letzten Frage versuchte ich so freundlich wie möglich auszusehen, was mit verdreckter, verschlissener Kleidung und wahrscheinlich Blut am Körper nicht einfach war.
Der Junge schüttelte den Kopf. »Nö ich darf eigentlich nicht hier sein, aber sie erzählen uns nie etwas, deswegen musste ich selbst gucken kommen. Du siehst nicht sehr gefährlich aus.«
Auch wenn ich es nicht drauf anlegte gefährlich auszusehen, war diese Feststellung schon ein Stich in meiner Magengrube. Wenn nicht einmal mehr ein kleiner, stupsnasiger Junge vor mir Angst hatte, ging es wirklich mit einer Karriere bergab.
»Kannst du mir denn etwas zu trinken bringen oder einen Erwachsenen holen. Irgendwie wüsste ich gerne, wie es weiter gehen soll und langsam schlafen mir meine Beine ein.«
Wieder legte ich ein flehendes Gesicht auf, doch der Junge zuckte nur mit den Achseln.
»Wenn ich ihnen sage, dass du wach bist«, stellte er fest, »dann wissen sie, dass ich hier war und bekomme Ärger.«
Gut dagegen konnte ich schlecht etwas sagen, machte es doch durchaus Sinn.
»Ist denn deine Neugier nun irgendwie befriedigt oder hast du noch irgendwelche Fragen an mich?«
Ich versuch das Gespräch am Laufen zu halten, in der Hoffnung einer der Erwachsenen würde den Frechdachs hier bemerken und vor allem die offene Tür, doch wieder überraschte mich der Rothaarige.
»Nö du bist langweilig.«
Erhobenen Hauptes verließ er den kleinen Stall und verschloss die Tür wieder. Nicht gefährlich und langweilig, es stand wohl zwei zu null für den unbekannten Jungen.