Während wir zu mir nach Hause fuhren, schwiegen sowohl Kayla als auch ich. Die Schlägerei von Timothy hatte sie aufgewühlt. Ich wollte etwas für sie tun, aber sie zog sich in sich zurück.
Sie hatte sowieso schon den Verdacht, dass ich ihr etwas verheimlichte. Aber ich konnte ihr nicht sagen, wer ich wirklich war. Ich wollte nicht, dass sie Angst vor mir hatte und dann davonlief. Seit Ewigkeiten war sie das erste Mädchen, das mich wirklich interessierte.
Wenn ich es jetzt verbocken würde, dann wär’s das gewesen. Sie hätte nie solchen Verdacht geschöpft, wenn Jaden nicht aufgetaucht wäre.
Wieso musste er mir immer alles kaputt machen?
Klar, ich wusste schon weshalb, aber verdammt.
Als es gestern Abend geklingelt hatte, hatte ich mir nicht viel dabei gedacht.
Doch dann war er vor der Tür gestanden und mein Herz rutschte mir in die Hose. Ich hatte Angst, dass er gekommen war, um mich zu töten.
Bisher hatte er es zwar nie über sich gebracht mich umzubringen, aber bei meinem Bruder wusste man nie.
Er kam hineinstolziert und ich wusste, dass er nichts Gutes im Schilde führte. Aber wann hatte mein Bruder je etwas Gutes getan.
Aber ich hatte keine Chance gegen ihn. Er war stärker als ich. Wenn er wollte, könnte er jeden Bewohner der Stadt umbringen, ohne dass ich auch nur irgendetwas dagegen tun könnte.
Vor allem hatte er mir jedoch klar gemacht, dass ich nicht in der Lage war Kayla zu beschützen. Angst durchfuhr meinen Körper, als ich an Jadens kalten Blick heute Morgen zurückdachte.
Ich stellte den Motor ab, als wir bei mir Zuhause ankamen und drehte den Kopf zu Kayla.
»Willst du drüber reden?«, fragte ich sie und berührte vorsichtig ihre Hand. Ihre grossen grünen Augen musterten mich.
»Ich verstehe einfach nicht, wieso er das alles tut«, murmelte sie niedergeschlagen.
Ich öffnete die Tür und stieg aus dem Wagen. Ich wollte dieses Gespräch nicht in dem Auto führen.
»Komm her«, sagte ich und streckte die Hand aus, als ich ihre Tür öffnete. Sie stieg ebenfalls aus und wir gingen auf das riesige Haus zu. Schnell schloss ich auf, damit wir nicht zu lange in dem eisigen Wind draussen rumstanden.
Wir gingen ins Wohnzimmer, wo wir uns auf die Couch setzten.
»Ich glaube, er will einfach nur beachtet werden.« Ich strich Kayla leicht über über die Haare.
»Ich weiss, aber er weiss doch, dass ich immer für ihn da bin.«
»Ich glaube, er will nicht deine Aufmerksamkeit«, erwiderte ich. Mein Daumen kreiste sanft über ihre Handfläche.
»Dad hat auch zu kämpfen«, flüsterte sie mehr zu sich selbst als zu mir. »Mums Tod hat ihn aus der Bahn geworfen. Und er versucht ihren Verlust mit der Arbeit zu kompensieren.«
»Das machen viele Leute so. Aber ich glaube Timothy weiss einfach nicht mehr, wo sein Platz ist.« Ich küsste Kayla sanft auf die Schläfe und streichelte weiter ihre Hand.
»Wieso ist mein Leben so kompliziert?«
»Das kann ich dir nicht sagen. Aber ich versuche es dir so einfach wie möglich zu machen, in Ordnung?«
Sie hob den Kopf und ihre Augen hefteten sich auf meine. Ihr Blick war suchend, ich glaubte sie suchte die Lüge in meinen Augen. Aber das meinte ich ernst.
Als sie nichts zu finden schien, nickte sie langsam.
Sie kuschelte sich an mich und ich legte den Arm fest um sie. Das waren die Momente, in denen ich gerne ein Vampir war. Die Liebe und die Geborgenheit waren etwa zehnmal so stark, wie als Mensch. Es erfüllte mich vollkommen.
Kaylas Atemzüge wurden langsamer, sie kuschelte sich enger an mich. Ich genoss das Gefühl die Person, die ich liebte, in den Armen halten zu können.
Mit einem Lächeln bemerkte ich, dass sie eingeschlafen war. Vorsichtig schob ich meine Arme unter sie und hob sie hoch. Sie drückte den Kopf gegen meine Brust und seufzte wohlig im Schlaf.
Mit meiner aussergewöhnlichen Geschwindigkeit brachte ich sie nach oben in mein Zimmer. Ich legte sie auf das Bett und zog ihr behutsam die Schuhe aus. Dann deckte ich sie zu.
Wenn sie schlief, sah sie aus wie ein Engel.
Ihr Gesichtsausdruck war vollkommen friedlich. Ihre Schultern waren entspannt und nicht verkrampft wie sonst immer. Ihr Blick glitt nicht traurig in die Ferne, wo sie etwas zu suchen schien.
Ich liebte sie.
Sie war das erste Mädchen, das ich liebte.
Klar, hatte es in den 170 Jahren Frauen gegeben, die mich interessiert hatten, aber es war nie Liebe gewesen.
Nicht so wie mit ihr.
Wenn ich auch nur eine Minute von ihr getrennt war, zerriss es mich innerlich.
Das Verlangen nach ihr verzehrte mich.
Ich wusste, dass ich ihr die Wahrheit erzählen sollte.
Nein, ich wusste, dass ihr die Wahrheit erzählen musste.
Es wäre besser, wenn sie es von mir erfuhr, als von Jaden. Dann würde sie nur schreiend davonlaufen und er würde sie einfach aus Spass heraus jagen.
Aber ich hatte Angst davor es ihr zu sagen. Was, wenn sie mich nicht mehr so sah, wie jetzt? Was, wenn sie mich als das sah, was ich wirklich war?
Nämlich als das Monster, das ich war.
Man sollte meinen 188 Jahre Lebenserfahrung sollten einem sagen können, was man in solch einer Situation tun sollte, aber das tat sie nicht.
Ich war vollkommen ratlos.
Und in genau diesem Moment klingelte mein Telefon.