»Ich habe es schon einmal getan. Ich weiß wie es funktioniert. Ja, ich kann es schaffen.«
Wieder und wieder betete ich diese Worte wie ein Mantra vor mich hin. Karon hatte mir die Kraft und die Möglichkeit gegeben, von einem Ort zum anderen zu gelangen. Unter seiner Anleitung war es mir gelungen, auf diesem Weg den Zhian-Ag zu entkommen. Aber jetzt, da er nicht bei mir war, um mich zu weisen, fühlte ich meine Selbstsicherheit schwinden. War ich tatsächlich in der Lage dazu, diesen Zauber ohne ihn auszuführen?
Wir traten auf die Lichtung hinaus, auf der ich ihn verloren hatte. Diesmal jedoch nicht durch eine magische Wand, sondern altmodisch außen herum. Ich trug Karons Rabenkette auf der Handfläche und fühlte mich, als würde ich auf ein Wunder warten. Ein schwacher Schimmer, so grün wie Karons Augen, lag um das Schmuckstück herum.
»Weißt du, was du tun musst?«
Ich nickte. »Theoretisch ja. An ihn denken, mich konzentrieren und beten, dass es funktioniert. Es gibt keinen Trick dabei. Nimm meine Hand. Ich hoffe, es funktioniert.«
Sie umschloss meine Finger mit ihren, während ich mir Karons Gesicht in Erinnerung rief. Es war erst wenige Stunden her, dass er mir im Traum erschienen war, und doch fiel es mir bereits schwer, mich an Kleinigkeiten zu erinnern, die ihn ausmachten. Dennoch fühlte ich mich ihm seltsam nahe. So, als stünde er neben mir und bettete seine Hand auf meine Schulter. Seine Gegenwart begleitete die Kraft, die der Rabenkette entstieg.
Ich machte einen Schritt vor. Magie leitete mich an. Starke, freundliche Magie, die keinen Zweifel daran ließ, dass etwas großes, Gütiges in Karon schlummerte.
Vor uns teilte sich der Weltenschleier. Der Wald wurde unscharf und drehte sich vor meinen Augen. Ich schaute durch Dunst und Nebel in eine andere Wirklichkeit, an einen anderen Ort. Plötzlich zerrte uns der Zauber fort. Die Bäume waren verschwunden, das Moos grünem Gras gewichen und ein Bächlein plätscherte unweit vor uns.
Ich blinzelte. Der Bach war ein Wasserfall. Umrandet von großen Felsbrocken, ergoss er sich in einen kristallklaren See.
»Ich war schon einmal hier«, sagte Selinia, ehe ich sie fragen konnte, wo wie uns befanden. Sie ließ meine Hand los und näherte sich dem See ein paar Schritte an. »Das ist der Ghenasee«, murmelte sie. »Das ist..«
Etwas teilte die Oberfläche. Ein Kopf fuhr ins Licht, gefolgt von breiten Schultern und einem muskulösen Körper.
»Ist das-?«
Ich kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Etwas traf mich hart und gnadenlos an der Schläfe. Ein Sog aus bunten Punkten taumelte vor meinen Augen. Ich wankte, verlor den Boden unter den Füßen und fiel. Aber den Boden erreichte ich nicht. Ich stürzte einfach immer weiter und weiter, in ein großes, pechschwarzes Loch.