Ich stand auf und fühlte mich wie ein Sieger. Nicht nur Karons Stolz, sondern auch den Whyndrir hatten wir zum zweiten Mal erfolgreich geschlagen. Ich wusste nicht, ob der Tag, an dem seine Seele nicht mehr kalt war, jemals kommen würde, aber als ich mich erhob, wagte ich es immerhin darüber nachzudenken. Ich wandte mich unseren beiden Rettern zu. Als sie meinen Blick bemerkten, hörten sie auf zu tuscheln. Das Weibchen mit den langen roten Haaren fing sich zuerst wieder.
»Felida«, sagte die Chendri, neigte den Kopf zur Seite und musterte mich erwartungsvoll.
»Felida?«
»Mein Name. Und das ist Urma. Mein Bruder.«
»Mein Name ist Erias«, erwiderte ich.
»Stirbt er?« Sie wies mit dem Kinn in Karons Richtung. Ich folgte ihrer Geste und sah, dass er den Kopf an den Baumstamm gelehnt hatte, weil er sich offensichtlich nicht aus eigener Kraft halten konnte. »Nein, er wird nicht sterben. Er braucht nur etwas Hilfe, um wieder auf die Beine zu kommen.«
»Man hat euch angegriffen.« Es war keine Frage. Es war eine Feststellung.
Allmählich traute sich auch Urma aus seinem Schutzpanzer heraus. Zaghaft machte er zwei Schritte in meine Richtung. Er bewegte sich ein wenig gedrungen, wie ein Affe, stets bereit zu einer schnellen Flucht. »Wer hat euch angegriffen?«, hakte er neugierig nach.
»Ich weiß es nicht genau«, antwortete ich. Ihnen jetzt die Wahrheit zu verraten, bedeutete, ihre Hilfsbereitschaft zu riskieren. »Aber mein Freund blutet stark. Gibt es etwas, das ihr für ihn tun könnt?«
Rasch wechselten die beiden Fuchswesen einen Blick. Kurz darauf verzogen sich ihre Münder zu einem breiten Grinsen. »Nichts leichter als das.« Felida lachte auf. »Wir sind in den Wäldern zuhause.«
»Kenn jeden Ast und jeden Baum.« Urma nickte zustimmend.
»Es gibt nicht weit von hier eine Stelle im Wald, auf der Zakouda wächst. Eine Pflanze, die Blutungen stillt und verhindert, dass sich die Wunde entzündet. Urma kann loslaufen und ein paar Blätter sammeln.« Felida nickte ihrem Bruder zu. Als dieser daraufhin keinerlei Anstalten machte, sich in Bewegung zu setzen, versetzte sie ihm zischelnd einen Stoß. »Na los, du Idiot! Geh die verdammte Pflanze holen. Und beeil dich!«
Mürrisch grummelnd rieb sich dieser die Schulter. »Das hat weh getan..«
»Es wird noch viel mehr wehtun, wenn du nicht sofort in den Wald läufst und ein paar Blumen für mich sammelst!«
Mit einem Satz sprang das Fuchswesen auf die Füße. »Schön!«, fauchte er seine Schwester an. »Du grobes, furchtbar egozentrisches-«
Felida stürzte sich ihm mit gefletschten Zähnen entgegen und plötzlich zog Urma den Schwanz ein und preschte los. Flink verschwand er zwischen den Zweigen und ein kläglicher Laut folgte ihm, bis er im Dickicht des Waldes verhallte.
»Idiot«, murmelte Felida noch immer, selbst als Urma längst verschwunden war. »Mein Vater hat ihn, als er ein kleiner Junge war, einmal zu oft in der Sonne liegen lassen. Das hat seinen Verstand weichgekocht.«
»Mir erscheint er ganz vernünftig«, erwiderte ich achselzuckend.
»Nett«, stimmte sie zu. »Aber dumm. Dennoch ist er mein Bruder.« Ihre Aufmerksamkeit richtete sich vom Dickicht fort. »Dein Freund«, murmelte sie. »Was ist mit ihm? Ist er ein Dämon?«
»Er ist ein..« Ich ertappte mich dabei, an Selinias Worte zu denken. Es wäre besser, wenn niemand erfuhr, wer er war, und dass er sich in Freiheit befand außer jenen, denen wir vertrauen konnten. »Er will nur in Frieden gelassen werden. Du musst dich nicht vor ihm fürchten.«
Mein Gegenüber grinste hämisch. »Ich habe keine Angst.«
»Umso besser. Denn es geht ihm nicht gut.«
»Wegen der Frau?«
Als sie meinen fragenden Blick bemerkte, lachte sie glucksend auf. »Gute Ohren«, belehrte sie mich und ließ eben diese leicht zucken. Auf ihrer Helix wippte ein Büschel orangeroter Haare. »Ich habe euch reden hören. Glaubst du, er kommt wieder in Ordnung?«
»Ja«, entschied ich. Ich warf dem Whyndrir einen Seitenblick zu. Er hatte keine Wahl. Er musste schnell genesen, denn allzu viel Zeit würde Therion uns wohl nicht lassen, um neue Kräfte zu tanken. Früher oder später würde er uns aufspüren und Karon nach dem Leben trachten. War er dann nicht im Stande dazu, in die Schlacht zu ziehen, gab es keine Hoffnung für uns.
»Sie hat ihm viel bedeutet«, erklärte ich ihr und rief mir Karons Reaktion in Erinnerung, als Syra ihn auf der Lichtung zum ersten Mal berührte.
»Ist sie tot?«
»Noch nicht.« Noch. Niemand vermochte zu sagen, wie lange dieser Zustand andauern würde.
»Ich will mir die Wunde ansehen«, hauchte Felida mir zu. »Wird er mich lassen? Ich habe das untrügliche Gefühl, ihm nicht zu helfen, macht etwas Verdorbenes und Schlechtes aus mir. Kannst du mit ihm reden? Der Wald hat uns zu ihm geführt, jetzt will ich nicht nur herumstehen, sondern anpacken. Bitte sag ihm das.«
Ich ergriff ungefragt ihre Hand und führte sie an den Baum heran. Augenblicklich hoben sich die Augenlider des Dämons. Er neigte den Kopf zur Seite und taxierte die Füchsin aufmerksam. Dann bewegte er sich erstmals, doch die Finger von der Einstichstelle zu nehmen, kostete ihn Kraft.
»Das ist Felida«, stellte ich ihm die junge Chendri vor. »Sie kann dir helfen, wenn du sie deine Wunde ansehen lässt.«
Ich öffnete meinen Geist und signalisierte Karon, dass er mir glauben konnte. Er schenkte Felida ein dankbares Lächeln und lehnte sich zurück. »Felida«, wiederholte er ihren Namen. »Woher stammt dieser Name?«
»Von meiner Großmutter«, wisperte die junge Frau, huschte ein paar Schritte näher und streckte langsam die Finger nach seinem durchnässten Hemd aus. Sie hob es an und legte die Wunde darunter frei, wobei sie mühsam darauf achtete, Karon nicht direkt zu berühren. »Sie ist Heilerin. Ich habe viel von ihr gelernt, während Urma das Feld bestellt hat. Ich glaube nicht an Zufälle. Ich denke, es war Schicksal, dass gerade mein Bruder und ich in der Nähe waren, als ihr angegriffen wurdet.«
Natürlich musste sie davon ausgehen, dass wir vor Ort angegriffen worden waren. Ich hatte ihr nichts von Karons Gabe, an andere Orte gelangen zu können, erzählt, und wenn sie uns nicht dabei beobachtet hatten, wie wir aus dem Nichts aufgetaucht waren, erschien es mir am einfachsten, es auch dabei zu belassen. Je weniger sie wussten, desto geringer war die Gefahr.
Zögerlich rutschten ihre Finger von dem blutdurchnässten Stoff und berührten behutsam seine Haut. Sie begann einzelne Fasern aus dem Stichkanal zu zupfen, um Verunreinigungen zu verhindern. Während sie sich an der Verletzung zu schaffen machte, tastete ich ihren Geist nach bösen Absichten ab. Aber finden konnte ich keine. Es schien tatsächlich so, als hätte uns Theremal selbst Hilfe geschickt, die es gut mit uns meinte, und keinerlei Vorurteile hegte.
Die Wunde war auffällig rot gerändert. Die Kanten des Stichkanals waren glatt und fein. Ohne das Gift darin hätte der saubere Schnitt längst verheilt sein müssen.
»Dieses Gift ist mir unbekannt.« Felida kniff die Augen zusammen, um im spärlichen Licht besser sehen zu können. Sie reckte die Nase vor und beschnupperte die Blessur angespannt. »Ich kann nicht sagen, woher es kommt, oder was es bewirkt. Also weiß ich auch nicht, was ich tun kann, um es zu bekämpfen. Das Ganze gefällt mir nicht. Wenn wir ihn zu meiner Großmutter bringen könnten, könnte sie-«
»Nein«, wehrte Karon energisch ab. Er packte das Handgelenk der Füchsin und knurrte ihr leise ins Gesicht. »Es ist Shelkii-Gift. Mein Körper wird es mit der Zeit einfach ausscheiden. Ich bleibe hier. Du bringst deine Großmutter in Gefahr, wenn du ihr irgendetwas von diesem Augenblick erzählst. Du musst es für dich behalten. Verstehst du?« Als sie erschrocken nickte, ließ er sie los und Felida fuhr ein Stück zurück. »Ihr seid uns im Morgengrauen wieder los. Wir brechen im Morgengrauen auf. Bis dahin wird die Wunde verheilt sein.«
»Wohin geht ihr?«
Das interessierte mich auch. Wohin würde uns der Weg verschlagen, wenn kein Ort im ganzen Königreich mehr sicher zu sein schien?
Karon schmunzelte. »Nach Hause.«