Hey,
Dies ist die erste Geschichte, die ich hier hochladen werde :) Habe sie ursprünglich auf einer anderen Seite veröffentlicht, aber noch nicht abgeschlossen (bei Weitem nicht); ich kann auf jeden Fall versprechen, dass sie recht lang wird ^^
Obwohl ich mich doch ziemlich von der asiatischen - besonders japanischen - Kultur inspiriert haben lasse, spielt die Handlung in einer fiktiven Welt. Obwohl ich das Mittelalter und die Renaissance sehr spannend finde, kenne ich mich doch nicht gut genug damit aus, um meine Geschichte in der realen Welt anzusiedeln - besonders, was die japanische Geschichte und Kultur zu jener Zeit betrifft. Obwohl ich einige Elemente (besonders Namen und Bezeichnungen, einige kulturelle Aspekte etc) entnommen habe, habe bzw. werde ich mir das meiste selbst ausdenken - was aber nur einer der Gründe für die Fantasy-Kategorie sein soll ;)
Diese Geschichte und die darin vorkommenden Personen, Schauplätze etc. sind rein fiktiv. Jegliche Ähnlichkeit mit dem Real-Existierenden ist rein zufällig und nicht beabsichtigt. Die Rechte liegen bei mir, der Autorin.
Ich wünsche euch nun viel Spaß beim Lesen!
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Das erste Licht des neuen Tages tauchte die Landschaft in einen zarten, rötlichen Schein. Die warmen Sonnenstrahlen vertrieben allmählich die Kälte der letzten Nacht, brachten den Tau, der sich auf den Grashalmen und Blättern gesammelt hatte, zum Verdampfen. Die klare Luft und der wolkenlose Himmel versprachen einen weiteren schönen Tag.
Asatsuyu no Yukiko beobachtete das allmorgendliche Spektakel von ihrem Zimmer aus. Die mit dünnem Reispapier bespannte Türe, die zugleich auch als Fenster diente, hatte sie zur Seite geschoben, um so eine ungehinderte Sicht zu erhalten. Yukiko hatte es sich zu einem kleinen Ritual gemacht, den Sonnenaufgang zu beobachten; sie wusste selbst nicht, wann oder warum sie damit begonnen hatte, doch inzwischen wollte sie es nicht mehr missen.
Draußen, im Flur, hörte sie Schritte, die vor der Schiebetüre, die zum Gemach der jungen Frau führten, zum Ersterben kamen. Yukiko, die bereits ahnte, um wen es sich da wohl handeln könnte, wandte sich nicht um.
„Tritt ein“, forderte sie den Neuankömmling auf.
Tatsächlich wurde die Türe kaum einen Moment später mit einem leisen Klacken aufgeschoben.
„Guten Morgen, junge Herrin! Heute seid Ihr seid heute auch wieder früh auf den Beinen!“
Riho Kobayashi, Yukikos Kammerfräulein, verbeugte sich und näherte sich ihr, einen großen, mit Wasser befüllten Krug tragend. Mit ihren 19 Jahren war sie zwei Jahre älter als ihre Herrin. Das lange schwarze Haar hatte sie mit einem weißen Band zu einem lockeren Zopf zusammengebunden, der Kimono, den sie trug, war schlicht und praktisch gehalten. Riho war seit fünf Jahren ein Teil von Yukikos Haushalt; für letztere war sie nicht nur eine enge Vertraute, sondern auch eine ihr wichtige Freundin geworden.
Yukiko zuckte lediglich die Schultern.
„Es ist irgendwie zu einer Angewohnheit geworden... Seltsam, dabei ist der Sonnenaufgang doch eigentlich nichts Besonderes, oder?“
Riho lächelte, kniete sich auf den Boden und schüttete das Wasser in eine große Schale aus hübsch bemalten Porzellan.
„Sagt so etwas doch nicht, junge Herrin. Nur, weil man etwas jeden Tag aufs Neue sieht, bedeutet das doch noch lange nicht, dass es deswegen von geringerem Wert ist – zumindest sehe ich das so.“
Yukiko warf ihrem Kammerfräulein, welches sich von ihr abgewandt hatte und sich stattdessen nun um die heutige Garderobe kümmerte, einen kurzen Blick zu, erwiderte jedoch nichts darauf. Obwohl sie ihr an sich Recht gab, so war dies eigentlich nicht der Grund für ihr allmorgendliches Ritual. Es war mehr ein sentimentales, nostalgisches Gefühl, das sie dazu bewegte – nicht, dass das nun von Bedeutung wäre.
„Wie sieht mein Tagesplan aus?“, fragte Yukiko schließlich ohne wirkliches Interesse.
„Heute ist nichts außergewöhnliches angesetzt“, erwiderte Riho. „Die Herrin wünscht, dass Ihr weiterhin emsig Eurem Unterricht folgt. Zudem bedürfen Eure Kalligraphie- und Shamisen-Fertigkeiten noch einer gewissen Politur...“
Obwohl sich die junge Frau recht freundlich ausgedrückt hatte, wusste Yukiko genau, dass die Realität anders aussah – sie hatte für alles, was den musischen Bereich betraf, keinerlei Talente. Obwohl sie von beidem schon seit ihrer Kindheit geplagt wurde, sah ihre „Schönschrift“ noch immer viel zu krakelig aus und die Klänge, die sie auf dem Musikinstrument erzeugte, konnten kaum als solche bezeichnet werden.
Andererseits war es auch nicht so, als hätte sie sich sonderlich darin bemüht.
Und was den Unterricht betraf...
Yukikos Eltern legten großen Wert darauf, dass ihr einziges, verbleibendes Kind eine sehr gute Bildung erhielt. Da sie ihre Tochter allerdings keiner der kaiserlichen Bildungseinrichtungen anvertrauen wollten, mussten Privatlehrer her. So oder so hatte das Mädchen nur selten die Gelegenheit erhalten, das großzügige Anwesen ihrer Familie auf eigene Faust zu verlassen.
Der Asatsuyu-Klan war eine der neun großen Adelsfamilien, die bei der Gestaltung und Verwaltung der 22 Provinzen des Kaiserreiches „Izayoi“ mitwirkten. Sie unterstanden direkt der kaiserlichen Familien und die meisten hochrangigen Rats- und Regierungsbeamten entstammten aus ihren Reihen. Yukikos Vater – Yukiteru – war zwar nicht der erstgeborene Sohn und hatte somit nicht denselben Einfluss und Macht wie seine älteren Geschwister, trotzdem wurde ihm die Verwaltung einer doch recht großen Region anvertraut. Aufgrund seiner Verantwortung verbrachte er sehr viel Zeit in Amagi, der großen Verwaltungsstadt der Hino-Region, während seine Frau und Tochter in einem großen Anwesen auf dem Land untergebracht worden waren.
Es war eine schöne und ruhige, wenngleich auch etwas einsame Gegend. Yukiko störte sich allerdings nicht wirklich daran. Obwohl sie Amagi oder auch die Kaiserstadt Izanami gerne einmal gesehen hätte, so hatte sie sich mit ihrem ereignislosen, geordneten Leben gut arrangiert; es hätte sowieso keinen Wert, mit ihren viel zu besorgten Eltern zu diskutieren.
„Es wäre dann soweit alles vorbereitet. Soll ich Euch nun bei Eurer Morgentoilette behilflich sein?“
Rihos Stimme riss Yukiko aus ihren Gedanken. Ein wenig irritiert fuhr sie sich durch ihr unordentliches, schwarzes Haar und nickte schließlich.
„Ah ja...“
Nachdem Yukiko angezogen und frisch frisiert war, verließ sie ihr Zimmer und begab sich zum Speiseraum. Sie trug einen bunten, kunstvoll bestickten Seidenkimonos, ihr nun glattes Haar war ordentlich zurückgebunden und mit einer prunkvoll aussehenden Haarnadel verziert worden. Sakuya, Yukikos Mutter, legte stets großen Wert darauf, dass ihre Tochter möglichst immer ein gepflegtes, standesgemäßes Erscheinungsbild hatte. Das Mädchen selbst betrachtete es als Zeitverschwendung, bekamen sie und ihre Mutter schließlich so gut wie nie Besucher, aber wenn es unbedingt von Nöten war...
Das Landhaus der Asatsuyu-Familie bestand aus zwei großen Hauptgebäuden, die auf einem kleinen Fundament errichtet und von einer Mauer umgeben worden waren, sowie einigen kleineren Nebenbauten. Ein überdachter Außengang verband die beiden separaten Bauten miteinander. Im ersten – vorderen – Teil des Anwesens befand sich die Eingangshalle, ein Zimmer, in dem Teezeremonien abgehalten und Gäste empfangen werden konnten, die Küche sowie der Speisesaal der Hausherren, ein altes Archiv und einige weitere Räume, die für diverse Bildungsaktivitäten genutzt werden konnte.
Das zweite Gebäude bestand aus zwei Flügeln: Einem, in dem sich die Gemächer der Asatsuyu-Familie und der Gäste befand und ein zweiter, in dem die Angestellten, die einen höheren Rang innehatten, bewohnten. Die Quartiere und Aufenthaltsräume der restlichen Bediensteten, sowie der kleine Hausschrein und die Sanitäranlagen befanden sich in den separaten Häusern, die sich am Rande des Grundstückes befanden.
Das gesamte Anwesen wurde von einem farbenfrohen, gut gepflegten Garten umgeben, in dem verschiedene Blumen und Zierbäume angepflanzt waren; ein Teich mit Karpfen bildete sein Herzstück.
Yukiko warf einen Blick aus den geöffneten Schiebetüren, die den überdachten Korridor mit den zum Innengarten gewandten Außengängen verband; da es Frühling war, standen viele der Bäume in voller Blüte. Einige der Bediensteten waren damit beschäftigt, Unkraut auszurupfen oder die zu Boden gefallenen Blütenblätter zusammenzukehren; für Sakuya, die für ihren Perfektionismus berüchtigt war, waren ein tadellos gepflegter Garten und ein reines, ordentliches Haus das Maß aller Dinge.
Dann erblickte das Mädchen einen ihr wohlbekannten dunkelhaarigen Bediensteten, der draußen gerade mit den zahlreichen Blüten zu kämpfen hatte. Yukikos Miene hellte sich auf; sie trat nach draußen und ging auf ihn zu.
„Guten Morgen, Katsuya! Wieder einmal fleißig am arbeiten, hm?“
Der Junge, der sie erst jetzt überhaupt wahrnahm, zuckte zusammen und verbeugte sich sofort vor ihr.
„J-Junge Herrin...Euch ebenfalls einen guten Morgen! Verzeiht, ich habe Euch gar nicht bemerkt...“
Er richtete sich wieder auf, den Blick allerdings noch immer gesenkt haltend. Yukiko kannte Katsuya schon seit ihrer Kindheit; sie beiden waren im selben Alter und praktisch gemeinsam aufgewachsen. Wie genau er zu ihnen gekommen war, wusste Yukiko nicht; ihr Vater war derjenige gewesen, der den Jungen aufgenommen hatte. Auch wenn es sich mit Sicherheit nicht ziemte, so betrachtete Yukiko Katsuya als eine Art Familienmitglied und nicht als bloßer Angestellter; sie vertraute ihm und er war immer da, wenn sie Hilfe oder Gesellschaft brauchte. Die Missbilligung ihrer Mutter kümmerte sie dabei nicht wirklich.
Katsuya war schon immer ein recht zurückhaltender und stiller, manchmal auch geradezu ängstlicher Junge gewesen. An sich wäre er nicht sonderlich auffällig, wenn da nicht seine auffälligen, violetten Augen gewesen wären. Yukiko wusste, dass er deswegen schon des Öfteren einigen Argwohn und Getuschel über sich ergehen lassen musste – der Glaube an das Übernatürliche war tief in der Gesellschaft verwurzelt und jene, die in irgendeiner Art und Weise auffällig oder 'ungewöhnlich' waren, wurden nicht selten Opfer von Gerede und Gerüchten...
Die Schwarzhaarige seufzte und schüttelte den Kopf.
„Du bist ja mal wieder wirklich schreckhaft, heute... Hast du etwa ein schlechtes Gewissen?“
Katsuya zögerte einen Moment lang. Dann verneinte er.
„Das ist es nicht. Ich habe nur nachgedacht, das ist alles...“
Nachgedacht, also? Yukiko würde zu gerne wissen, was ihm wohl dieses Mal durch den Kopf gegangen sein mochte. Andererseits machte sich Katsuya *immer* wegen irgendetwas Gedanken, weswegen das ganz gewiss nichts zu bedeuten hatte.
„Über was denn?“
„Nichts, was für Euch von Bedeutung sein würde, junge Herrin“, blockte er sofort ab. „Es stünde mir nicht zu, Euch mit meinen irrelevanten Sorgen zu belästigen.“
Das Mädchen verdrehte genervt die Augen; wie sehr sie es hasste, wenn er so sprach. Selbstverständlich wusste sie, dass er sich lediglich so verhielt, wie es von ihm erwartet wurde, da er letztendlich – Kindheitsfreund hin oder her – doch 'nur' ein einfach Angestellter, sie selbst hingegen die Tochter einer adeligen Familie war. Dennoch störte es sie doch ziemlich.
In diesem Moment gesellte sich Riho zu den beiden hinzu; sie warf Yukiko einen tadelnden Blick zu.
„Junge Herrin, Ihr solltet wirklich nicht trödeln! Euer Unterricht wird bald beginnen und Ihr habt noch immer nicht zu Morgen gegessen...“
Dann bemerkte sie Katsuya, der wieder auf den Boden starrte, den Besen mit beiden Händen fest umklammernd.
Riho schenkte ihm ein süßliches Lächeln.
„Ah, dich hätte ich beinahe übersehe! Aus welchem Grunde störst du denn den Morgenrhythmus der jungen Herrin? Ist es denn so schwer, einige Blätter zusammenzukehren?“
Der dunkelhaarige Junge lief rot an und schüttelte den Kopf.
„N-Nein, selbstverständlich nicht... Bitte verzeiht, ich kehre sofort zu meiner Arbeit zurück!“
Er verbeugte sich ungeschickt vor den beiden Frauen und stahl sich davon. Yukiko warf ihrem Kammerfräulein einen unglücklichen Blick zu.
„War das unbedingt von Nöten? Sowieso weißt du ganz genau, dass das gerade ziemlich ungerechtfertigt gewesen ist...“
Riho machte eine abwinkende Geste.
„Eure Zeit ist zu wertvoll, um sie auf diesen Jungen zu verschwenden. Wärt Ihr nun so gut und folgt Eurem Tagesplan?“
Yukiko seufzte, fügte sich dann jedoch. Sie konnte das Problem zwar nicht wirklich verstehen, doch aus irgendeinem Grund herrschten gewisse Spannungen zwischen Riho und Katsuya – wobei sie primär von Ersterer ausgingen. Das Kammerfräulein ließ keine Gelegenheit aus, um den verschüchterten Bediensteten bloßzustellen, was in letzter Zeit auch sehr oft der Fall war. Yukiko, die an sich recht harmoniebedürftig war, hatte schon des Öfteren versucht, Riho darauf anzusprechen, doch diese schaffte es stets, sich irgendwie herauszureden oder wechselte einfach das Thema.
Sie beschloss, es – mal wieder – auf sich beruhen zu lassen und folgte stattdessen Riho, die den Weg angab, brav in das Speisezimmer.
Nach dem ziemlich reichhaltigen Frühstück stand zuerst der Unterricht Geschichts- und Politikwissenschaften an.
Geschichte war eines der Fächer, das Yukiko besonders interessierte. Besonders spannend fand sie die – zugegeben doch stark idealisierten und ausgeschmückten – Erzählungen über die erste Kaiserin, Izayoi no Akiko. Sie war diejenige gewesen, die die damals zutiefst zerstrittenen Provinzen geeint und viele der bis heute angewandten Gesetze und Regelungen eingeführt hatte.
Besonders in der Kunst war Akikos Leben und Wirken schon seit langer Zeit ein äußerst beliebtes Motiv; wie viele Theaterstücke gab es nur, die sich damit beschäftigten?
Yukiko für ihren Teil bewundert besonders den Ehrgeiz und die Begabungen der alten Kaiserin, gehörte doch schließlich sehr viel dazu, die damals sich spinnefeinde Staaten ohne gigantische Verluste zu einem einzigen zu vereinigen.
Politik hingegen war weniger ihr Fall. Da Yukiko das einzige Kind ihrer Eltern war, bestand die realistische Möglichkeit, dass auch sie sich eines Tages in der Verwaltung Amagis einzubringen haben wird – eine Aussicht, die ihr nicht sonderlich gefiel. Doch unabhängig davon, ob es nun so kommen würde oder nicht, in Sachen Wirtschaft, Politik und Verwaltung wurde sie ausführlichst unterrichtet, unter den strengen Blicken ihrer Lehrer und Rihos, die gerne die Anstandsdame spielte.
Die junge Adelige hörte ihrer Lehrerin heute nur mit halbem Ohr zu; das Thema waren gerade die neusten Beschlüsse und Vorschläge des kaiserlichen Rates – zumindest glaubte sie das. Sie ließ ihren Blick zum offenstehenden Fenster schweifen, betrachtete die Landschaft, die sich jenseits von ihm erstreckte. Da das Haus auf einem Fundament errichtet und die Mauer nicht sonderlich hoch war, bot sich doch ein gewisser Ausblick nach draußen.
Die Mittagssonne stand am Himmel, im Horizont war eine weite, hohe Gebirgskette zu sehen; auf der anderen Seite, direkt am nördlichen Meer lag Hino, welches daher auch ein bedeutendes Handelszentrum darstellte. Das Asatsuyu-Anwesen war auf einer weitläufigen Wiese errichtet worden. Ein kleiner Fluss schlängelte sich durch sie hindurch, hier und da waren Bäume und Büsche zu sehen, doch im Großen und Ganzen war das Gelände gut zu überblicken.
Im Sommer, an den wenigen Tagen, an denen ihr Vater Zuhause war, hatte Yukiko gelegentlich Ausfahrten mit ihrer Familie unternommen. Sie waren nie sonderlich ausgiebig, aber dennoch stets eine willkommene Abwechselung gewesen.
Ein betontes Räuspern der Lehrerin riss die Schwarzhaarige aus ihren Gedanken und brachte sie in das Hier und jetzt zurück. Sie neigte entschuldigend den Kopf und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Unterricht; wenn sie mitarbeitete würde die Zeit sicherlich ein wenig schneller vergehen.