Von dem einem auf den anderen Moment war im Amemiya-Anwesen das Chaos ausgebrochen.
Katsuya, der hinter einer Säule kauerte und sich so weitestgehend aus Sichtweite der umhereilenden Wachen befördert hatte, presste den Dolch stark gegen seine Brust und gab sein Bestes, sich wieder ein wenig zu beruhigen.
Er war der ungesehenen Person tief in den Privatbereich der Hausherren gefolgt. Ab einem bestimmten Punkt hatte er ihre Spur allerdings vollends verloren; bevor es ihm allerdings gelingen konnte, sich neu zu orientieren, hatte sich auch schon diese Unruhe eingestellt. Der Aufregung und den fernen Kampfgeräuschen nach zu urteilen, musste etwas vorgefallen sein... Vielleicht ein Einbruch, oder – im schlimmsten Falle – das Eindringen eines Spions oder Attentäters.
Sicher war nur, dass Katsuya herausfinden musste, welches Spiel hier nun eigentlich gespielt wurde.
Allerdings machte sich der Junge auch ziemliche Sorgen um Yukiko; er hoffte wirklich, dass sie nicht zwischen die Fronten geraten und sich stattdessen einfach ruhig verhalten und irgendwie in Sicherheit bringen würde. Aber eines nach dem anderen...
Er wartete, bis die Soldaten aus seiner Sichtweite verschwunden waren, ehe er sich hastig erhob, aus seinem Versteck schlüpfte und eilte so unauffällig wie möglich den Korridor weiter hinab.
Trotz des herrschenden Tumultes schien es niemand für nötig erachtet zu haben, die an den Wänden befestigten Laternen zu entzünden; der gesamte Flügel war noch immer in Finsternis getaucht. Nein, nicht ganz: Am Ende des Flures war ein leichter Schein wahrnehmbar.
Dämmriges Licht schien durch die Schlitze der breiten Türe und die von Reispapier abgedeckten Holzgitterfenster hindurch, drei schemenhafte Schattengestalten hielten sich in diesem Raum auf, saßen allem Anschein nach zusammen.
Katsuya, dessen Neugier geweckt worden war, näherte sich vorsichtig, darauf bedacht, keinen Laut und keine gar zu hastige Bewegung zu tun. Der Schwarzhaarige schlich in eine der dunklen Ecken, kniete sich auf den Boden und versuchte, so leise und ruhig als möglich zu atmen.
Mit Mühe konnte er den Gesprächsinhalt aufschnappen.
„...Was sagen unsere Späher?“
Der Stimme nach zu urteilen handelte es sich bei der Sprecherin um Tomoe.
„Die Kisaragis und die Satsukis haben ihre Weigerung, den ersten kaiserlichen Prinzen als legitimen Thronfolger anzuerkennen, bereits offiziell kundgetan. Vom hohen Rat von Sumeragi einmal abgesehen hat bisher keine der anderen Clans ihre Standpunkte bezogen.“
Die andere Stimme – ebenfalls weiblich – war Katsuya unbekannt.
Tomoe schwieg, was die Unbekannte als Aufforderung zum Weitersprechen auffasste.
„Allerdings sind bereits gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Parteien zugange. Gerüchten zufolge soll auch der Kaiserliche Rat aufgrund der Uneinigkeit auseinandergegangen sein; momentan wäre jede Entwicklung denkbar.“
„...Wir müssen dafür sorgen, dass sich dieser Konflikt zu unserem Gunsten entwickelt“, murmelte Tomoe nachdenklich.
„Mutter, ich bin der Meinung, dass wir uns für den Moment darauf konzentrieren sollten, Asatsuyu no Yukiteru zur Kooperation mit uns zu bewegen.“
Katsuyas Körper verkrampfte sich, als er Shougos Stimme hörte, sein Tonfall so aufgesetzt wohlwollend wie eh und je. Der Bedienstete ließ sich an sich selten zu starken Emotionen hinreißen, doch gegen Shougo, der eindeutig nichts Gutes im Schilde führte, hatte er ziemliche Ressentiments entwickelte; er verabscheute unaufrichtige und falsche Personen wie den Adelssohn zutiefst.
...Auch wenn sich Katsuya eingestehen musste, dass er selbst auch nicht gerade sonderlich ehrlich war.
Diese letzte Bemerkung hatte ihn jedenfalls hellhörig gemacht; was genau plante die Amemiya-Familie? War diese Hochzeit nicht schon beschlossene Sache? Warum also hatte er es nötig, Yukikos Eltern zu irgendetwas zu zwingen?
...Außer wenn dieses Ereignis, welches in der Kaiserstadt vorgefallen war, gravierend genug war, um einen Keil zwischen die beiden Familien zu treiben.
Katsuya hatte von Politik nicht sonderlich viel Ahnung; er war ein einfacher Hausangestellter, warum sollte er also auch den Bedarf dafür haben? Er hatte zwar das Glück gehabt, dass ihm Dank Yukiko und ihres Vaters eine gewisse Bildung zuteil geworden war, doch diese genügte nicht, um all die komplizierten Vorgänge des Kaiserreichs auch vollends begreifen zu können.
Was er jedoch aus den spärlichen Gesprächsfetzen hatte heraushören können, ließ darauf schließen, dass dem amtierenden Regenten irgendetwas zugestoßen sein musste. Kaiser Izayoi no Hirotsugu, hatte den Thron erst vor fünf Jahre bestiegen. Da seine Frau noch keinen Erben geboren hatte, würde der Thron im Falle seines Todes einem seiner zahlreichen Geschwister zufallen – von denen sein jüngerer Bruder Iesada der erste in der Reihe wäre.
Wo lag also das Problem?
Katsuyas Griff um den Dolch, den er noch immer an sich gepresst hielt, verstärkte sich; nein, momentan brauchte er sich nicht um derartige Dinge den Kopf zu zerbrechen. Er wusste zwar nicht, wie genau Shougo und seine Mutter Yukiteru unter Druck setzen wollten, doch sogar er konnte sich denken, dass es mit ziemlicher Sicherheit Yukiko und Sakuya involvieren würde.
Davor musste er sie bewahren.
Laute, sich rasch nähernde Schritte ließen ihn erschrocken zusammenzucken. Sofort drückte er sich gegen die Wand und machte sich so klein wie er konnte, in der Hoffnung, dass ihn die Dunkelheit gut genug verbergen würde, um nicht entdeckt zu werden.
Der Junge hielt seinen Atem an, das Herz schlug ihm bis zum Halse.
Der Wachsoldat, der allem Anschein nach in Eile war, blickte nicht zur Seite, sondern klopfte stattdessen kurz an die Türe, ehe er sie – nachdem er eine knappe Aufforderung zum Eintreten erhielt – aufriss.
„Ehrenwerte Herrin, ich bin hier, um Bericht zu erstatten!“
„Sprich'.“
„Es ist zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen unseren Truppen und den Einheiten der Asatsuyu-Familie gekommen, doch diese sollten in diesem Moment zu unseren Gunsten beigelegt werden.“
Katsuya konnte sich Tomoes zufriedenes Lächeln bildlich vorstellen.
„Da sie sich in unserer Domäne befinden und uns zahlenmäßig bedeutend unterlegen sein sollte, ist dieser Ausgang wenig überraschend. Was ist mit Asatsuyu no Sakuya und ihrer Tochter?“
Der Soldat zögerte kurz.
„Ihr aktueller Aufenthaltsort ist uns bedauerlicherweise unbekannt, Herrin. Das Anwesen wird gerade aufs gründlichste nach ihnen abgesucht.“
Shougo seufzte.
„Wahrlich, wie schwer kann es denn sein, zwei wahrscheinlich unbewaffnete Frauen in Gewahrsam zu nehmen? Hätten sie sich zu dieser nachtschlafenden Zeit nicht eigentlich in ihren Quartieren aufhalten sollen?“
Der Wächter antwortete nicht; es hätte ihm sowieso nicht zugestanden, unbegründete Vermutungen anzustellen.
Shougo ergriff wieder das Wort.
„Was ist mit dem restlichen Gefolge, Fräulein Yukikos Kammerfräulein und ihrem kleinen Haustier?“
Katsuya unterdrückte gerade noch so ein genervtes Seufzen.
„Sie konnten ebenfalls nirgends aufgefunden werden, junger Herr.“
Und der Bedienstete hatte nicht vor, daran etwas zu ändern.
„Weitet eure Suche auch auf sie aus. Wie ich Fräulein Yukiko einschätze, würde sie sich um einiges fügsamer geben, wenn sie wüsste, dass ihren loyalen Subjekten ein Leid geschehen könnte...“
Das traurige war, dass Shougo mit dieser Einschätzung sogar Recht hatte. Die Vorstellung, dass der Adelige ihn dazu benutzen könnte, Yukiko unter Druck zu setzen, verursachte ein äußerst übles Gefühl in Katsuyas Magengegend.
Nein, soweit würde er es nicht kommen lassen...
Ein leises Rascheln signalisierte ihm, dass eine der Personen aufgestanden sein musste; die Schatten, die durch das dünne Reispapier hindurch zu sehen waren, waren zu verzerrt, als dass man genauere Details hätte ausmachen können.
„Ich würde mich hiermit gerne entschuldigen und mich meinen eigentlich Aufgaben wieder zuwenden, ehrenwerte Herrin, junger Herr.“
Es handelte sich also um die dritte, unbekannte Person.
„Selbstverständlich. Wir erwarten, dass Ihr auch weiterhin gute Arbeit leisten werdet.“
Die Frau verbeugte sich und setzte sich in Bewegung. Dann wurde mit einem leisen Knarren die Türe erneut geöffnet und die unangenehme Anspannung kehrte zurück.
Endlich sah Katsuya die Unbekannte: Aufgrund der Dunkelheit konnte er keine wirklichen Details ausmachen, doch er konnte feststellen, dass sie längere dunkle Haare hatte, die ihr offen über die Schultern fielen. Ihr kurzer, praktisch gehaltener Kimono schien ihr zwar relativ viel Bewegungsfreiheit zu bieten, gehörte jedoch zu der Sorte, die eigentlich eher von Männern getragen wurde.
Dann, für den Bruchteil einer Sekunde, schaute sie in Richtung des Jungen. Ihr Blick traf den seinen, er konnte den kalten Ausdruck in ihren hellbraunen Augen sehen.
Katsuya spürte, wie er den Bezug zur Realität verlor, wie wieder diese Erinnerungen und Gedanken, die nicht die seinigen waren, an ihm vorbeizogen, sich ihm so darstellten, als würde er sie wirklich sehen...
Ein dunkler, beengender Raum, in dem sich kaum mehr als ein leeres Regal und ein Schrank befanden...
Das Asatsuyu-Mädchen, das nicht mehr als seine Nachtgarnitur trägt... Sie wirkt so verloren, so verunsichert; sie ist alleine.
Sie hört, wie die Türe geöffnet wird; unsicher, was nun geschehen wird, weicht einige Schritte zurück...
Die Frau zieht das lange, dünne Schwert aus der Scheide und richtete es auf die verängstigte Jugendliche...
Oh, wie sehr sie dieses Asatsuyu-Mädchen hasst
Er hatte niemals gesagt, dass dieses Gör unverletzt zu sein hatte, oder?
Oh nein, sie hatte diese Schmerzen verdient!
Sie verdient es, zu bluten, sie verdient es, zu weinen, sie verdient es verdient es verdient es
Wie sie nun da liegt, in ihrem Blut... Diese Strafe soll nur der Anfang sein
Die gerechte Strafe, die sie nun für die Sünden ihrer Vorfahren, ihrer Familie, ihresgleichenzu tragen hat...
Katsuya spürte, wie er mit dem Boden kollidierte. Seine Augen brannten schmerzhaft, kurzzeitig war es ihm überhaupt nicht mehr möglich, klar zu sehen; seine Sicht war vollkommen verschwommen, unterlegt mit einem grieseligen Schleier. Jede Bewegung, sogar das Atmen fiel ihm schwer – es war so, als wäre sein Körper an ein schweres Gewicht gekettet worden, das ihn ungehindert in die Tiefe zog. Der Junge kniff seine schmerzenden Augen zusammen, darauf hoffend, dass sich dieses quälende Gefühl möglichst rasch wieder legen würde.
Er bekam nicht mit, wie die Frau weiter ihres Weges zog, Katsuya – den sie doch bemerkt haben musste – vollkommen ignorierend.
Tatsächlich flaute zumindest die lähmende Schwere rasch ab; der Junge zwang sich mühsam auf die Knie und lehnte sich wieder so nah als möglich gegen die Wand. Nach immer nahm er die Stimmen Shougos, Tomoes und die des Wachsoldaten wahr, die sich im Zimmer leise unterhielt. Ob sie Katsuya Aufprall gehört hatten? Sie sprachen in einem ruhigen, ebenmäßigen Tonfall, weswegen er eher nicht davon ausging... Trotzdem, er musste möglichst schnell von hier wegkommen!
...Aber wohin? An welchen Ort sollte er gehen? Katsuya kannte sich im Anwesen noch immer nicht so wirklich aus, außerdem würde es auch hier sicherlich sehr bald nur so von Wachsoldaten wimmeln!
Dann, mit einem Schlag, kehrten die Erinnerungen an die Vision, die kurze Zeit lang in eine der hinteren Ecken seines Verstandes gedrängt worden waren, zurück.
Er hatte Yukiko gesehen und das, was diese Frau ihr anzutun gedachte. In den wenigen Sekunden, in denen ihm dieser Einblick gewährt worden war, hatte er sich im Kopf der Fremden befunden, hatten ihren kalten Hass, aber auch ihr Vergnügen empfunden, die Freude, das andere Mädchen leiden zu lassen.
Ja, diese Vision *musste* aus der Zukunft dieser Frau stammen. Zwar hoffte Katsuya aus ganzen Herzen, dass es sich bei dem gerade Gesehenen lediglich um eine kranke Phantasie dieser Person handelte, doch dafür hatte sich das Ganze einfach zu wirklich angefühlt.
Und er, der Zeit seines Lebens andauernd von Visionen geplagt wurde, konnte inzwischen zumindest Wunschvorstellungen von realen Ereignissen differenzieren. Aber selbst wenn er dies nicht hätte können, so änderte das nichts daran, dass Yukiko in ernster Gefahr schwebte. Zwar wusste er nicht, wo genau sich seine junge Herrin momentan aufhalten mochte, doch immerhin hatte er inzwischen wenigstens einen Anhaltspunkt, auch wenn dieser äußerst vage war:
Katsuya musste diesen kleinen Raum mit dem leeren Regal ausfindig machen.
Schwerfällig zwang er sich auf die Beine, wobei er sich an der Wand abstützte. Er hatte auch in der Vergangenheit gelegentlich schmerzhafte Reaktionen auf seine Visionen erlitten, aber so heftig wie gerade eben waren sie noch nie zuvor ausgefallen. Und die Nachwirkungen hatte nie so lange angedauert. Seine Sicht war nicht mehr gar so verschwommen, doch das Augenrauschen, das Katsuya entfernt an ein Schneegestöber erinnerte, hatte noch nicht nachgelassen und trat gerade in der Dunkelheit störend in den Vordergrund.
Der Bedienstete atmete tief durch; er musste sich beruhigen, es würde sicherlich gleich wieder aufhören. Und überhaupt, wenn er Yukiko in irgendeiner Form eine Hilfe sein wollte, durfte er sich nicht mehr so schnell aus der Ruhe bringen lassen, musste kühl und gefasst reagieren.
Langsam, geradezu bedächtig, setzte er sich in Bewegung. Allmählich gelang es Katsuya auch, seine Gedanken wieder einigermaßen zu sortieren:
Blind durch das Anwesen zu hetzen würde ihm in keinster Form weiterhelfen. Das Grundstück war sehr groß und weitläufig, dieses Haus schien viele Räume und Korridore zu haben. Es war einfach nicht möglich, jedes einzelne Zimmer abzusuchen und das wusste auch Katsuya. Er brauchte einen Anhaltspunkt, irgendeinen Hinweis, egal wie klein...
Das einzige, das er momentan sicher wusste, war, dass die dunkelhaarige Frau die Täterin sein würde. Sie war also der entscheidende Faktor, ohne den dieses Ereignis nicht eintreffen konnte.
Katsuya musste sie finden; wenn er ihr folgte, würde sie ihn früher oder später zu Yukiko führen!
Noch konnte sie nicht weit gekommen sein, wenn er sich also beeilte, könnte er zu ihr aufschließen.
Der Junge beschleunigte seine Schritte. Seine Augen hatte sich zwar schon längst an die Dunkelheit gewöhnt – wenn auch nicht an das eigenartige Flimmern - , doch die Orientierung fiel ihm noch immer alles andere als leicht.
Er hörte die lauten Schritte der Wachen, die das Anwesen absuchten, ihre unruhigen Stimmen und Rufe. Einige kamen genau aus der Richtung, in die er eigentlich zu gehen gedachte. Katsuya bog scharf in einen der schmäleren Seitengänge ab, entfernte sich schleunigst wieder von ihnen. Seine Situation glich einem Versteckspiel und Katsuya hasste Verstecken. Schon als Kind war er niemals wirklich gut darin gewesen; egal, wie sehr er sich bemüht hatte, es dauert nie länger als fünf Minuten, bis Yukiko ihn ausfindig gemacht hatte.
Das einzige, das er noch schlimmer fand, waren Ballspiele.
Letztendlich hatte Katsuya das Ende des kurzen, schmalen Gangs erreicht und fand sich in einer Art Abzweigung wieder. Von der dunkelhaarigen Frau war nichts zu sehen, doch wenigstens schien der Junge eine ausreichende Distanz zwischen sich und die Soldaten gebracht zu haben.
Aber welchen Weg sollte er nun nehmen?
Katsuya spürte, wie Ärger in ihm aufkeimte; wieso mussten Adelige nur immer so unnötig große Häuser besitzen? Der Junge atmete tief durch und konzentrierte sich auf seine Umgebung.
Irgendwo in der Ferne glaubte er leise Schritte zu hören... Selbstverständlich könnten diese von jedem stammen, hatte die Amemiya-Familie schließlich eine recht große Bedienstetenschaft und Wachgarnison, doch zumindest für den Moment wollte Katsuya daran glauben, dass es sich dabei um diese Frau handelte.
Schnell drehte er sich in die Richtung, aus der er die Schritte vermutete und lief weiter. Inzwischen hatte Katsuya keine Ahnung mehr, in welchem Bereich des Anwesens er sich wohl aufhielt, doch er nahm an, dass er die Privatgemächer bereits verlassen hatte. Wohin würde dieser Gang ihn wohl führen? Zurück in den Gästeflügel, in dem Yukiko, Sakuya und Riho untergebracht worden waren? Oder näherte er sich gar dem Eingangsbereich, in dessen Richtung mit Sicherheit auch die anderen strebten?
Der Gang schien allmählich wieder breiter zu werden, an den Wänden hingen, anders als in den anderen Korridoren, wertvolle Teppiche und Dekorationen.
Und er war, wie Katsuya nach einer Weile feststellte, beleuchtet. Zwar nur relativ schwach, aber dennoch stark genug, um einen Unterschied zu machen. Am Ende des Flures – wo sich scheinbar ein Zugang zum Garten befand – waren erneut einige Wacheinheiten zu sehen, die gerade in eine Diskussion vertieft zu sein schienen.
Dieser Weg war für Katsuya jedenfalls gestrichen.
Was nun? Umkehren und den anderen Pfad auskundschaften? Aber was würde ihm das bringen? Katsuya hatte die Spur der fremden Frau vollkommen verloren, wahrscheinlich haben auch die Schritte nicht von ihr, sondern von einem der Wächter gestammt.
Es war wahrlich aussichtslos.
Katsuya spürte, wie seine Stimmung einen neuen Tiefstand erreichte; wieso nur waren seine Fähigkeiten so unsäglich nutzlos? Gut, er hatte die Zukunft gesehen, doch was brachte ihm das, wenn er weder Yukiko noch die dunkelhaarige Frau finden konnte?
Es würde ihm um einiges leichter fallen, sich selbst Vorwürfe machen und die Schuld zu geben, er würde wissen, dass er sie hätte retten können, doch einfach zu inkompetent gewesen war, es auch zu tun.
Aber das war es auch schon.
Katsuya senkte seinen Blick und schaute auf den Dolch, den er noch immer bei sich trug.
Ob er im Ernstfall überhaupt dazu in der Lage wäre, ihn einzusetzen? Er hatte natürlich fest vor, Yukiko im Ernstfall zu beschützen, doch wäre er dann auch dazu fähig, ihn aktiv gegen einen anderen Menschen zu verwenden?
Könnte er mit ihm töten?
Katsuya wusste wirklich nicht, wie er in solch einem Fall reagieren würde. Im Vorfeld war es immer einfach, sich Vorsätze zu machen und seine Handlungen zu planen, doch dann, wenn diese Situation wirklich eintraf, sah die Sache meistens anders aus.
Das alles hier war doch wahrlich ein Trauerspiel...
Das Gefühl von kaltem Metall, welches gegen seinen Hals gedrückt wurde, holte Katsuya schlagartig in die Realität zurück; seine eigene Waffe fiel ihm aus der Hand, landete klackend auf dem Boden.
„...Du bist wahrlich nicht sonderlich intelligent, hm? In solch einer Situation vor sich hin zu träumen ist mehr als leichtsinnig. Oder hegst du vielleicht einen Todeswunsch?“
Katsuya Magen verkrampfte sich schmerzhaft, jeder Muskel seines Körpers spannte sich an. Diese Stimme...
„Ihr seid diese Frau...“, murmelte er.
„Und du bist nicht sonderlich gut darin, dich unauffällig zu verhalten; es grenzt an einem Wunder, dass dich die werten Amemiya-Herrschaften nicht bemerkt haben, als du unsere belanglose Unterhaltung belauscht hast.“
Das Messer noch immer fest gegen seine Kehle drückend, packte die Dunkelhaarige Katsuya unsanft am Arm und zwang ihn so dazu, sich wieder in Bewegung zu setzen.
„Was... habt Ihr nun vor?“
Der Junge gab sein Bestes, die Furcht aus seiner Stimme fernzuhalten, sich seine Gefühle nicht anmerken zu lassen, doch das leichte Zittern, welches ihn gepackt hatte, machte seine Bemühungen zunichte.
„Wenn du artig mit mir mitgehst, werde ich dir nicht wehtun – zumindest vorerst. Mehr brauchst du momentan nicht wissen.“
Katsuya hätte sich am liebsten geweigert und zumindest versucht, sich loszureißen, doch sein Verstand, der solch eine Aktion als 'selbstmörderisch' einstufte und die Tatsache, dass gerade eine wahrscheinlich äußerst scharfe Klinge gegen seinen Hals gehalten wurde, hielten ihn davon ab; er wollte wirklich nicht sterben.
Und solange diese Frau mit ihm beschäftigt war, würde sie Yukiko nichts tun – so gesehen hatte er sein Ziel letztendlich also doch noch erreicht.
Das einzige, was er jetzt noch tun musste, war genug Zeit zu schinden, um der Adeligen doch noch die Flucht zu ermögliche.
Daher gab sich Katsuya mit einem leisen Seufzen geschlagen.
„...In Ordnung...“