Mit einen Ächzen zwängte sich Yukiko aus dem viel zu engen, dunklen Gang hinaus und fand sich nach einer gefühlten Ewigkeit des Kriechens in einem Zimmer wieder, das ihr endlich wieder genug Raum zum Bewegen und – noch wichtiger - Atmen gab.
Während sich Yukiko schwerfällig vom Boden aufrappelte, nutzte Riho, die kurz nach ihrer Herrin in der Kammer angekommen war, die Gelegenheit, um sich die unbekannte Umgebung etwas genauer zu untersuchen.
„Dies hier scheint eine Lagerkammer zu sein...“, bemerkte sie schließlich mit leiser Stimme.
Die zahlreichen gestapelten Säcke und Kisten, sowie die mit verschiedenen Haushaltsgegenstände befüllten Regale machten diese Erkenntnis doch recht offensichtlich. Das schwache Licht einiger Kerzen erfüllte den Raum mit seinem schummrigen Schein.
Riho richtete ihren Blick nachdenklich nach oben.
„Lagerräume befinden sich praktisch überall, unabhängig davon, in welchem Bereich des Anwesens wir uns befinden... Ich sehe hier auf den ersten Blick leider nichts, was uns einen Anhaltspunkt geben könnte, wo genau wir uns nun eigentlich aufhalten...“
Doch Yukiko hatte ihrem Kammerfräulein nur mit halbem Ohr zugehört; ihre Aufmerksamkeit wurde viel mehr von der sehr langen, schlanken Nadel, die auf einem der Regalbretter lag. Vorsichtig trat sie einige Schritte vor und streckte ihre Hand aus, um nach dem spitzen Gegenstand zu greifen.
Riho, die hinter ihr stand, schüttelte den Kopf.
„Von Ordnung scheinen die Herrschaften dieses Anwesens nicht sonderlich viel zu halten; Eure ehrenwerte Frau Mutter würde so etwas wie offen herumliegende Nadeln jedenfalls nicht dulden.“
Das konnte Yukiko in diesem Moment nicht gleichgültiger sein. Ohne lange darüber nachzudenken ließ sie das Werkzeug in ihrem Yukata verschwinden. Es war selbstverständlich keine wirklich effektive Waffe, doch im Ernstfall hatte das Mädchen nun wenigstens etwas, mit dem es sich verteidigen konnte...
Hoffte Yukiko zumindest.
Dann wandte sie sich wieder Riho zu.
„Wie gehen wir nun weiterhin vor?“
Das Kammerfräulein dachte kurz nach.
„Zu aller Erst müssen wir uns wieder orientieren; ich habe zwar eine vage Vermutung, in welchem Bereich des Anwesens wir uns momentan aufhalten mögen, aber das ist nicht genug...“
Das plötzliche Ertönen lauter Trampelgeräusche ließ die beiden Mädchen sofort verstummen. Schnell duckten sie sich und krochen hinter eines der Regale. Anders als in anderen Bereichen des Hauses waren die Wände der kleinen Lagerkammer vollkommen undurchsichtig; Yukiko und Riho mussten sich also vollkommen auf ihr Gehör verlassen.
Zum Glück der beiden rückten die Schritte rasch wieder in die Ferne, niemand war auf die Idee gekommen, den Raum genauer zu inspizieren.
Yukiko atmete erleichtert aus; sie wollte sich nicht vorstellen, was geschehen würde, sollten die Wachen sie erwischen – überhaupt war ihr die gesamte Situation noch immer mehr als unbegreiflich.
Sie spürte, wie sich Riho neben ihr bewegte. Das Kammerfräulein schwang sich geschickt auf seine Beine – nicht zum ersten Mal in dieser Nacht fragte sich Yukiko, seit wann ihre Freundin eigentlich so athletisch war – und wandte sich mit nach hinten verschränkten Armen zu dem anderen Mädchen um.
„Junge Herrin, es ist offensichtlich, dass unsere Verfolger sehr aktiv sind. Daher glaube ich, dass es sicherer wäre, wenn Ihr Euch weiterhin in diesem Raum versteckt hält während ich mich draußen umsehe.“
Yukiko wurde eiskalt.
War das wirklich Rihos Ernst? Wollte sie sie ernsthaft alleine lassen, hier, in diesem düsteren Raum?
Geradezu reflexartig packte sie den Ärmel ihrer Freundin und schüttelte vehement den Kopf.
„I-Ich komme mit dir! Bitte, Riho, lass mich dich begleiten...“
Riho ging in die Hocke und brachte sich so mit der noch immer am Boden sitzenden Yukiko auf Augenhöhe; sie bedachte sie mit einem Blick, der zwischen Mitleid und einem seltsamen Wohlwollen schwankte.
„Wovor habt Ihr denn solche Angst, junge Herrin?“
Yukikos Griff wurde schwächer. Sie ließ ihren Arm sinken und wich dem Blick ihres Kammerfräuleins aus.
Ja, warum fürchtete sie sich auf einmal so sehr? Dieser Raum hier war – insofern sich das Mädchen ein einigermaßen einfallsreiches Versteck suchte – relativ sicher. Bevor sie den Fluchttunnel durchquert hatten, hatte Riho extra darauf geachtet, alle Spuren, die im anderen Raum auf die beiden Mädchen hätten hinweisen können, zu beseitigen und alles in den Ausgangszustand zurückzubringen; so gesehen sollte zumindest in dieser Hinsicht kein Verdacht erweckt worden sein.
Alles, was Yukiko also tun müsste, wäre ruhig auf Rihos Rückkehr zu warten... Aber was, wenn sie einfach nicht zurückkäme, wenn ihr dort draußen etwas zustieß?
Es wäre alles nur Yukikos Schuld, sie, die immer auf den Beistand und die Unterstützung anderer angewiesen war.
Sie, die es einfach nicht ertrug, alleine zu sein.
Dann spürte sie plötzlich eine sanfte Berührung auf ihrem Kopf. Sie sah wieder auf und erblickte Riho, die ihr mit einem sanften Lächeln übers Haar strich.
Hikaru hatte das auch oft getan, wenn sie traurig war...
„Es ist in Ordnung, Ihr braucht mir keine Antwort zu geben.“
„R-Riho...“
„Es wird alles wieder in Ordnung kommen, das verspreche ich Euch. Ihr vertraut mir doch, oder etwa nicht?“
Yukiko nickte ohne zu zögern.
„Natürlich tue ich das!“
„Gut. Dann tut es auch bitte jetzt und haltet Euch bedeckt; überlasst alles weitere einfach mir.“
Das jüngere Mädchen wollte widersprechen, darauf beharren, Riho trotz allem zu begleiten – aber sie tat es nicht. Am Ende würde sie wahrscheinlich sowieso alles nur schlimmer machen...
Yukiko seufzte.
„Versprich' mir einfach, dass du auf dich aufpasst und nichts leichtsinniges machst...“
Riho zog ihre Hand zurück und verbeugte sich geradezu leichtherzig vor ihr.
„Selbstverständlich, junge Herrin. Ich werde bald wieder zurück sein, ja?“
Und mit diesen Worten machte sich das Kammerfräulein leise auf den Weg.
Die Zeit wollte und wollte einfach nicht vergehen. Für Yukiko, die zwischen den großen Kisten und Säcken kauerte, fühlte es sich so an, als wäre seit Rihos Abgang bereits eine Ewigkeit vergangen – dabei waren es bloß knapp fünfzehn Minuten.
Ihr Versteck war zwar recht sicher, aber dafür auch mindestens genauso unbequem; Yukiko wagte es nicht, sich großartig zu bewegen, aus Angst, sie könnte aus Versehen eine der zahlreichen Lagergegenstände umwerfen.
Also wartete sie einfach, möglichst regungslos, darauf bedacht, keinen Laut von sich zu geben. Immer wieder hörte sie die unruhigen, schweren Schritte ihrer Verfolger, versuchte, die leisen Gesprächsfetzen aufzuschnappen.
Nach dem, was sie hatte hören können, ist es den Wachen noch nicht gelungen, einen der anderen festzusetzen – wenigstens eine gute Nachricht.
Gerade jetzt, da sie zur Untätigkeit verdammt worden war, kreisten Yukikos Gedanken unablässig. Sie dachte an die Gespräche, die sie mit Shougo und Tomoe geführt hatte, doch so sehr sie sich auch den Kopf darüber zerbrach, so fand sie in diesen Erinnerungen nichts, was auf diese Entwicklung der Dinge hätte hinweisen können. Zwar hatte das Mädchen Shougo nicht leiden können – jetzt tat sie es noch viel weniger - , doch er hatte sich ihr gegenüber immer korrekt und gemäß dem Protokoll verhalten. Und auch zwischen Sakuya und Tomoe hatten keinerlei Spannungen geherrscht, ganz im Gegenteil...
Wieso also das alles?
War diese Entwicklung von Anfang an geplant gewesen, oder hatte sie sich spontan und von anderen Umständen bedingt ergeben? Genau, Riho hatte doch irgendeinen Vorfall in der Kaiserstadt erwähnt...
Was mochte dort wohl geschehen sein?
Nun ja, aber selbst wenn Yukiko die Ursachen wüsste, so würde ihr dieses Wissen jetzt kaum helfen können.
Niedergeschlagen starrte sie auf die spitze, solide Nadel, die sie vorhin wieder aus ihrem Ärmel befördert hatte und so mit den Händen umklammerte, als würde ihr Leben von diesem Gegenstand abhängen.
Riho hatte diesen Mann ohne zu zögern getötet.
Yukiko wusste, dass ihr Kammerfräulein das nur ihretwegen getan hatte, doch das machte die Tat auch nicht besser. Hätte es nicht eine andere Möglichkeit gegeben, eine Lösung, bei der niemand hätte sterben müssen?
Natürlich war auch Yukiko bewusst, dass sie in einer Welt lebte, in der der Tod – und auch das Töten – etwas alltägliches war. Obwohl sie in eine relativ friedliche Zeit hineingeboren worden war, so gab es trotz allem unzählige Konflikte und Auseinandersetzungen, die Izayoi heimsuchten, Kämpfe zwischen rivalisierenden Dörfern oder Familien, Banditen, die marodierend durch die Ländereien zogen, Fehden und Blutrache...
Doch für sie, die noch nie zuvor so direkt damit konfrontiert worden war, war dies eine schreckliche Erfahrung gewesen.
In Hikarus Fall hatte es schließlich keinen Körper und kein Blut gegeben.
Yukikos Hand verkrampfte sich, das kühle Metall der Nadel presste sich dicht an ihre Haut.
Warum nur musste sie wirklich alles immer mit ihren toten Bruder in Verbindung bringen? Hikaru war weg und würde niemals zurückkommen.
Wie sehr sie ihn nur vermisste, wie sehr sie sich ihn zurückwünschte, ihren gutherzigen, großen Bruder, der immer mit Yukiko gespielt und auf sie aufgepasst, der sich immer für Katsuya eingesetzt hatte...
Wie aus dem Nichts ertönte ein helles, glockenartiges Geräusch.
Yukiko schreckte hoch und schaute sich irritiert um; hatte sie das gerade wirklich gehört oder war es lediglich eine Einbildung gewesen?
Außer ihr war niemand im Raum... Sie musste wirklich allmählich paranoid werden.
Das Klingen erklang erneut, doch dieses Mal wurde es von einem wohligen Gefühl begleitet, welches sich langsam in Yukiko ausbreitete – es erinnerte sie sehr stark an eine der sanften, warmen Brisen des Spätfrühlings.
'...Kannst du mich hören?'
Die unbekannte Stimme kam vollkommen unerwartet.
Yukiko kletterte aus ihrem Versteck heraus, suchte die Kammer gründlich mit ihren Blicken ab, konnte den Besitzer dieser mysteriösen Stimme jedoch nirgends sehen.
Mehr als nur ein wenig beunruhigt fasste sich das Mädchen an den Kopf; nein, sie war nicht paranoid, sie schien ihren Verstand verloren zu haben! Warum sonst hörte sie auf einmal körperlose Stimmen?
'Ich rufe schon seit so langer Zeit, aber konnte bisher niemanden erreichen...
Ich bitte dich: Antworte mir, wenn du mich hören kannst.'
Trotz des angenehmen Gefühls, das noch immer ihren Körper erfüllte, wurde Yukiko innerlich kalt; nein, das war keine Einbildung gewesen.
Aber warum war dann niemand mit ihr im Raum? Die Rufe konnten unmöglich vom Flur oder aus einer der Kisten stammen, dafür klang sie nicht gedämpft genug! Nein, der Sprecher *musste* hier doch irgendwo sein...
„Bist du... ein Geist?“, fragte sie ohne nachzudenken.
Es war nicht so, als hätte Yukiko die Existenz von Geistern oder Dämonen in ihrem bisherigen Leben ausgeschlossen; tatsächlich war der Glaube an diese übernatürliche Wesen ein tief verwurzelter Bestandteil der Religion und Kultur, weswegen kein wirklicher Zweifel bestand.
Allerdings waren nur sehr wenige Menschen dazu in der Lage, die Seelen der Toten klar erfassen, sehen zu können, und diejenigen, die diese 'Gabe' besaßen, hatten kein sonderlich schönes Leben...
Aber eigentlich gehörte Yukiko nicht zu diesen vermeintlichen Akuma ; sie war ein normales Mädchen mit normalen Begabung und ohne auch nur der geringsten Affinität zum Übernatürlichen.
Warum also sollte sie auf einmal Kontakt zu einem Geist aufnehmen können? Vielleicht war dieses Wesen ja auch ein Dämon; die mächtigeren hatten angeblich keine Probleme damit, mit Menschen zu kommunizieren...
'Ich kann dir helfen, wenn du mir hilfst', sprach er weiter, ohne auf ihre Frage einzugehen.
Yukiko wurde misstrauisch – also war er doch ein Dämon!
„Was meinst du mit 'helfen'? Und überhaupt, mit einem bösen Geist möchte ich nichts zu schaffen haben!“, zischte sie, darum bemüht, ihre eigene Furcht zu verbergen.
'Begebe dich auf die Suche und...finde mich...'
Daraufhin verstummte die Stimme, reagierte nicht mehr auf Yukikos Fragen und Aufforderungen, überließ sie erneut der nervenzerreißenden Stille, die den Raum zuvor so fest im Griff gehabt hatte.
Yukiko spürte, wie ihre Knie weich wurden; dieses Wesen gerade eben... Was konnte es nur von ihr gewollt haben? Es hatte sie dazu aufgefordert, sich auf die Suche nach ihm zu begeben.
Das Mädchen, welches den Gedanken, noch vor wenigen Minuten Kontakt mit einem mutmaßlichen Dämon gehabt zu haben, mehr als nur ein wenig beängstigend fand, schüttelte heftig seinen Kopf – sie war doch nicht so naiv, die Befehle irgendeines zwielichtigen Wesens zu befolgen! Riho hatte sich ihretwegen in Gefahr begeben und Yukiko ganz eindeutig instruiert, sich bedeckt zu halten und auf ihre Rückkehr zu warten...
Aber aus irgendeinem Grund zögerte die Adelstochter. Ja, ihr Verstand sperrte sich gegen die Vorstellung, sich Rihos Anweisung zu widersetzen, betrachtete es als gefährliche Leichtsinnigkeit...
...Doch da war noch etwas anderes. Die Stimme dieses Geisterwesens hatten ein tiefsitzendes, irgendwie vertraut wirkendes Gefühl in ihr geweckt, eine Empfindung, die sie zwar nicht einordnen konnte, aber die sie in dieser Form schon einmal, vor langer Zeit, gehabt haben musste.
Yukiko langte sich an den Kopf und schüttelte ihn erneut; nun war wirklich nicht die Zeit, sich irgendwelchen irrationalen Regungen hinzugeben! Letztendlich ging es hier schließlich nicht nur um sie, sondern auch um Riho!
Das helle Läuten erklang ein drittes Mal.
'...Finde mich...'
„...B...Bruder?“
Einen Moment lang verkrampfte sich Yukikos Körper regelrecht, ehe sie sich wie ferngesteuert in Bewegung setzte und auf die Türe zustrebte.
Ja, diese Stimme... Sie erinnerte sie an Hikaru! Es mochte zwar nicht direkt seine sein – obwohl Yukiko sie schon seit sechs Jahren nicht mehr gehört hatte – aber dennoch brachte sie sie mit ihm in Verbindung, auf eine unerklärliche, abstrakte Weise.
Das Mädchen streckte seine Hand aus und berührte die Türklinke.
Ihr Verstand versuchte sich noch immer gegen diese unlogische, impulsive Handlung zur Wehr zu setzen, doch dieses Mal war der Drang zu stark, um ihn noch niederkämpfen zu können.
Ehe sich Yukiko versah, sprang die Türe auch schon mit einem leisen Knarren auf. Auf leisen Füßen schlich sie sich auf den schwach beleuchteten Flur hinaus.
'Du wirst mich suchen, nicht wahr? Hilf' mir...'
Yukiko schaute sich um, überlegte, welche Richtung sie nun einschlagen sollte. Die Stimme - ihr Bruder – bat sie um ihre Hilfe, also musste sie doch etwas tun! Dämon oder nicht, dieses Wesen hatte etwas mit Hikaru zu tun, musste irgendwie mit ihm in Verbindung stehen, daher würde Yukiko indem sie diesem Geschöpf half auch ihrem Bruder helfen.
Dessen war sie sich nun vollkommen sicher.
In ihrem benebelten Zustand bemerkte sie die Wachen, die den Korridor entlang patrouillierten, erst, als es beinahe schon zu spät war.
„Stehen geblieben, junge Dame!“, forderte sie einer der Soldaten, der schnellen Schrittes näher kam, mit barschem Ton auf.
Einen kurzen Moment lang kam Yukiko – mehr aus Gewohnheit denn beabsichtigt – der Aufforderung tatsächlich nach; lange genug, um den beiden Männern einen klaren Blick auf ihr Gesicht zu gewähren. Beinahe sofort fiel es ihnen wie Schuppen vor den Augen.
„Warte, das ist doch - !“
Yukiko ließ ihn nicht ausreden; sofort machte sie scharf kehrt und rannte davon, so schnell sie nur konnte. Sie hörte, wie auch die beiden Wachsoldaten beschleunigten... Yukiko bezweifelte, dass sie ihnen auf Dauer entkommen würde, nicht zwei trainierten Männern. Sie wagte es nicht, zurückzuschauen, obwohl sie hören konnte, dass ihre Verfolger schnell zu ihr aufschlossen.
Ein Klos bildete sich in Yukikos Hals, ihr Mund wurde trocken und das Herz schlug wie verrückt. *Noch* hatte sie ein wenig Energie, war vom Adrenalinschub beflügelt, aber sobald dieser abflaute oder sie sich auch nur ein klein wenig verlangsamte, ins Straucheln geriet, dann wäre es vorbei; der lange Yukata, den das Mädchen trug, machte es auch nicht wirklich besser.
Yukiko nutzte jede Gelegenheit, scharf abzubiegen, flüchtete sich in die schmaleren Seitengänge, in der Hoffnung, auf diese Weise ihre Verfolger abzubremsen. Allerdings hatten diese einen entscheidenden Vorteil: Sie waren mit der Architektur des Gebäudes vertraut. Yukiko hingegen... Das einzige Gute war, dass sie bisher mit keinem entgegenkommenden Soldaten zusammengestoßen war.
Ihre Augen begannen zu brennen und auch das Atmen fiel ihr immer schwerer.
Gleich würden die beiden Männer sie erreichen, jeden Moment würden ihre Beine nachgeben, ihre Kräfte sie verlassen...
...Das Läuten, dieses Mal dumpf und tief, ertönte erneut, zum vierten Mal.
Yukiko blinzelte und sah am Ende des Ganges eine diffusen, schattige Silhouette. Sie hob ihre Hand und deutete auf eine schmale offen stehende Tür links von ihr.
'...Hier entlang...'
Yukiko dachte nicht weiter nach, verschwendete keinen Gedanken an die mysteriöse Gestalt, sondern rannte geradewegs auf das Ziel zu; sie musste durchhalten, es war nicht mehr weit!
Die Silhouette hatte sich bereits in Luft aufgelöst, als Yukiko die Türe erreicht hatte. Sie stürmte in das Zimmer, unwissend, was sie dort erwarten würde oder sich dort überhaupt erhoffen könnte.
...Kaum hatte sie sich in den Raum geflüchtet, hörte sie ein lautes, krachendes Geräusch hinter sich.
Yukiko stolperte und stürzte erschöpft und schwer atmend zu Boden. Sie wusste nicht, was dort hinten gerade geschehen sein mochte und traute sich auch nicht, zurückzuschauen; stattdessen erwartete sie, gleich den festen, unbarmherzigen Griff der Wachen zu spüren, von ihnen fortgezogen zu werden -
Aber dies geschah nicht.
Das Mädchen rappelte sich mühsam auf und wischte sich mit ihrem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Erst jetzt bemerkte sie, wie stark sie zitterte. Yukiko zwang sich, wieder ruhiger zu atmen und von ihrer Aufregung und Nervosität herunter zu kommen.
Dann, endlich, fasste sie sich ein Herz und wandte sich zur Türe um:
Der Ausgang wurde von einem schweren, massiven Schrank, der wie von Geisterhand zur Seite gekippt war, blockiert. Mehrere kleinere Regale, die an der Wand gestanden hatten, waren wie aus dem Nichts umgestürzt und in sich selbst kollabiert, der hölzerne Schutt und die gelagerten Gegenstände bildeten eine zusätzliche Barriere.
Yukiko hörte die Stimmen der beiden Wächter, die von außen gegen die Möbelstücke schlugen – ohne Erfolg. Es wirkte beinahe so, als würde eine unsichtbare Kraft dagegenhalten, die Männer auf diese Weise am Eindringen hindern. Aus ihrem Augenwinkel sah Yukiko erneut die Schattengestalt, die regungslos in einer Ecke des Raumes stand und das Mädchen zu mustern schien; als sie sich dem Wesen zuwandte, ihr etwas zurufen wollte, war es bereits verschwunden, beinahe so, als wäre es niemals dort gewesen.
Trotzdem spürte Yukiko noch immer seine unheimliche, aber dennoch vertraute Präsenz und hörte die Worte, die es ihr einflüsterte:
'Finde mich und rette mich,Yuki...'