Yukiko war überglücklich, Katsuyas Stimme zu hören. Alles, was sie nun noch von ihm trennte, war die Wand und obwohl der Ausgang aus dem Raum nun blockiert war, so war das Mädchen zuversichtlich, dass sie auch dieses Problem bewältigen konnte.
Hektisch schaute sie sich in der Kammer um, in der Hoffnung, einen weiteren Weg entdecken zu können. Yukiko wusste, dass sie sich beeilen musste – wenn Katsuya sich wirklich hatte fangen lassen, dann würde der Angreifer früher oder später zwangsläufig zurückkehren... Bei Yukikos Glück eher früher.
Der Raum, in den sie sich gerettet hatte, war nicht sonderlich groß. Wenn sich das Mädchen nicht vollkommen täuschte, handelte es sich um eine Art Ankleidezimmer – zumindest würden die Schränke aus wertvollen roten Kamiya-Holz, der große, klare Spiegel und der Wandschirm mit den schönen Malereien dafür sprechen. Unter anderen Umständen hätte Yukiko liebend gerne die Kommoden durchwühlt und sich die viel zu teuren Accessoires angelegt, die Riho mit Sicherheit so viel besser als ihr stehen würden, doch danach war der Adeligen momentan nun wirklich nicht zumute.
Yukiko beschloss, einen Blick hinter den recht großzügigen Faltschirm zu werfen.
Sie ging auf ihn zu; bei jedem Schritt knarrte der hölzerne Boden, strapazierte ihre ohnehin schon angegriffene Nerven nur noch zusätzlich. Yukiko lugte hinter die Leinwand und tatsächlich – ein schmaler Durchgang war in die Wand eingelassen worden. So, wie es aussah, würde er zwar nicht direkt ins Nebenzimmer führen, doch möglicherweise befand sich dort hinten noch etwas nützliches...
Das Mädchen zögerte nicht lange und schlüpfte durch den kurzen, beengenden Gang durch.
Yukiko fand sich in einem kleineren Raum wieder. Anders als in der Ankleidekammer, in der es wenigstens eine Art schwaches Dämmerlicht gegeben hatte, war es hier recht dunkel. Zudem war die Einrichtung sehr karg – alles, was Yukiko ausmachen konnte, waren ein Wandschrank, ein Regal und ein schmaler Tisch, der gegen die Wand geschoben worden war.
Ein wenig nervös schaute das Mädchen zurück – zwar verbarg der große Standschirm den Blick auf den Nebenraum, doch da es noch ziemlich still war, machte es nicht den Anschein, als hätten ihre Verfolger die Möbel-Barriere noch nicht überwunden. Sie betete zu den Himmelsgeistern, dass sie ihr noch ein bisschen mehr Zeit gewähren würden.
Yukiko zögerte einen Moment, entschloss sich dann jedoch dazu, zuerst den Schrank zu untersuchen; vielleicht befand sich in ihm etwas Interessantes.
Ein wenig schwungvoller als beabsichtigt schob sie die Türe beiseite. Die Dunkelheit machte es ein wenig schwierig, Details zu erkennen, doch Yukiko begriff sofort, was sie dort vor sich hatte:
Es war einer der traditionellen Hausaltäre, von denen eigentlich jede Familie, die etwas auf sich hielt, einen oder mehrere eingerichtet hatte. Er bestand aus der kleinen hölzernen Nachbildung eines Schreins, die wahrscheinlich eine der regionalen Tempel darstellte. In einer Porzellanvase waren violette Blumen – Astern, wie Yukiko feststellte – aufgestellt, an Fäden baumelten zickzack-förmig geschnittene Papierstreifen herab, die dazu dienen sollten, den Altar von negativen Energien reinzuhalten.
Die Schwarzhaarige fragte sich, welchem der zahlreichen Himmelsgeister dieser Schrein wohl geweiht sein mochte. Aus Respekt vor dem hohen Wesen und in Hoffnung auf himmlischen Beistand klappte sie ihre Hände zusammen und bot ein rasches Gebet dar. An sich war Yukiko nicht sonderlich religiös – zumindest nicht mehr als der Rest ihres Haushaltes – doch wann immer sie besorgt oder nervös war, sie sich in unsicheren Situationen befand, fand sie einen gewissen Trost darin.
Doch dann fiel ihr Blick auf die kleine, hölzerne Statuette, die sich im Schatten des Miniaturschreines befand. Obwohl sie wusste, dass sie eigentlich absolut keine Zeit zu verlieren hatte, gab sie sich dennoch ihrer Neugier hin und griff vorsichtig nach der Skulptur.
Eigentlich waren Ikonen ein Relikt der Vergangenheit. Noch bis vor 60 Jahren hatte sie sich großer Beliebtheit erfreut, doch dann gerieten sie schlagartig außer Mode – wahrscheinlich, weil die damalige Kaiserin nicht allzu viel von ihnen gehalten hatte und die Oberschicht sich stets an den Vorlieben des Palastes orientierte.
Die Statuette stellte eine Person dar. Sie sah androgyn aus und hatte keine detaillierten Schnitzereien, sodass es nicht möglich war, das Geschlecht zu bestimmen. Bemerkenswert war jedoch, dass die Figur Flügel hatte, die Yukiko an die eines Kranichs erinnerte.
An sich war die Ikone noch nicht einmal sonderlich schön, aber trotzdem – sie hatte irgendetwas an sich, das Yukiko auf eine seltsame Art und Weise faszinierte. Sie umschloss die Holzfigur fest mit ihrer Hand, drückte sie an sich und wandte sich vom Hausschrein ab. Das Mädchen ging zur Tür, welche wahrscheinlich auf den Korridor zurückführte, legte ihre Hand auf die Klinke und drückte sie hinunter.
Verschlossen.
Was denn auch sonst?
Yukiko kniff ihre Augen zusammen und fasste sich an die Stirn; in diesem Moment fühlte sie sich unendlich gestresst, hatte die Schwelle zur Panik schon längst erreicht. Das widerwärtige, heiße Gefühl in ihrer Magengegend war ebenfalls kaum noch zu ertragen.
So, was nun? Würde sie jetzt einfach darauf warten, dass sich die Wachen ihren Weg in den Raum bahnen und dann die Gelegenheit nutzen, um möglichst unbemerkt zu entkommen? So wie es momentan aussah war dies wohl die einzige Möglichkeit...
...Aber würde Katsuya noch so viel Zeit bleiben?
Unwillkürlich verstärkte sich Yukikos Griff um die Statuette.
Was sollte sie tun, wenn sie zu spät kam, wenn sie Katsuya nicht mehr retten konnte? Sie konnte und wollte es sich nicht vorstellen, ohne ihn zu sein, war er doch seit Hikarus Verschwinden die Person, die ihr am nächsten stand – abgesehen von ihren Eltern und Riho.
Yukiko atmete tief durch.
Nun panisch zu werden, würde weder ihr noch Katsuya helfen. Gab es vielleicht eine Möglichkeit, diese Türe aufzubrechen? Zwar hatte Yukiko noch niemals zuvor in ihrem Leben so etwas getan, aber das sollte kein Hindernis darstellen.
Diese Überlegungen wurden hinfällig, als sie hörte, wie ein Schlüssel in das Schloss der Türe gesteckt und umgedreht wurde. Sofort kehrte die Anspannung und der Stress zurück, Yukikos gesamter Körper versteifte sich. Nervös blickte sie sich um und überlegte, wo sie sich am geschicktesten verstecken könnte.
Das Klicken des Schlosses und das leise Knarren, das das Aufspringen der Türe begleitete, ließen sie wissen, dass die Zeit abgelaufen war und das noch ehe sie in irgendeiner Form hätte reagieren können.
Yukiko starrte die Frau mit den langen dunklen Haaren, die nun den Raum betrat, mit großen Augen an. Instinktiv wich sie zurück, die Statuette fest umklammernd – es war beinahe so, als stelle diese Ikone eine Art Rettungsleine dar, etwas, das ihr dabei half, ihrer Panik nicht vollkommen zu verfallen.
Die Frau musterte sie kalt, mit emotionslosen Blick, doch dann veränderte sich ihr Ausdruck schlagartig; sie lachte leise auf.
„Das hätte ich nun wirklich nicht erwartet. Shion muss mir wahrlich gnädig sein!“
Die Frau starrte Yukiko nun mit einem Blick an, der zwischen Manie und kaltem Hass schwankte; dem Mädchen lief es eiskalt den Rücken hinunter. Sie kannte diese Person nicht, hatte sie noch niemals zuvor in ihrem Leben gesehen, doch eines war offensichtlich: Sie schien Yukiko auf irgendeine Weise zu kennen.
„Was... Wer seid Ihr?“, fragte das Mädchen mit dünner und leicht zittriger Stimme.
Noch nie zuvor war ihr jemand mit einer derartigen Reaktion begegnet...
Die Frau schnaubte. Mit ihrer rechten Hand fuhr sie sich durch die Haare, hielt dann in ihrer Bewegung inne und umschloss eines der dicken, dunkelbraunen Haarbüschel – einen Moment lang glaubte Yukiko, sie würde es sich ausreißen.
„Wer ich bin, fragst du? Unverschämte, ignorante Göre, wie kannst du es wagen, mir diese Frage zu stellen? Sind die Asatsuyus etwa noch immer so meisterhaft darin, die Wahrheit unter den Teppich zu kehren und ihre Augen vor der Realität zu verschließen?“
Yukiko wusste nicht, was sie daraufhin sagen sollte; sie schüttelte energisch mit dem Kopf, hatte kein Wort von dem, was die Fremde da gerade gesagt hatte, verstanden.
Welche Wahrheit? Was hatte ihre Familie denn der Meinung dieser Frau nach getan?
„W-Wovon sprecht Ihr da? Es tut mir Leid, aber ich kann Euch absolut nicht folgen!“
Als sie sah, wie die Frau Anstalten machte, sich ihr zu nähern, sah Yukiko zu, dass sie ihren Abstand schleunigst wieder vergrößerte. Was auch immer die Fremde von ihr wollte – es konnte nichts Gutes sein.
Yukiko warf der Tür, die zum Korridor führte, einen hastigen Blick zu. Da sie nicht gesehen hatte, wie die Frau den Schlüssel abgezogen hatte, nahm sie an, dass er noch immer von außen steckte; die Tür für ihren Teil müsste unverschlossen sein. Wenn Yukiko rasch handelte und flink genug war, hatte sie gute Chancen, nach draußen zu entkommen und die Person an ihrer Statt in diesem Raum einzuschließen...
Doch das Mädchen hatte kein sonderlich hohes Vertrauen in seine körperlichen Fähigkeiten. Zwar war Yukiko bei Weitem nicht so ungeschickt wie Katsuya, der wirklich ständig über ziemlich offensichtliche Gegenstände stolperte oder sich mit seiner Kleidung irgendwo verfing, aber das bedeutete noch lange nicht, dass sie sonderlich sportlich war – obwohl der menschliche Körper in Stress- beziehungsweise Gefahrensituation anscheinend wahre Meisterleistungen vollbringen konnte.
Und außerdem hatte Yukiko noch immer die lange, spitze Nadel bei sich.
Sie holte tief Luft und stürmte, ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, los, geradewegs auf die Tür.
Obwohl die Distanz nur wenige Meter betrug, erschien sie Yukiko in diesem Moment wie eine Ewigkeit. Sie streckte ihre Hand aus, wollte die Klinke herunterdrücken und nach draußen fliehen -
- Als sie ruckartig zuerst nach hinten zurückgezogen und anschließend nach unten, auf den hölzernen Boden, befördert wurde.
Sie prallte unsanft auf, wobei nur ihre einigermaßen guten Reflexe verhindern konnten, dass sie sich das Kinn anstieß. Sowohl die Nadel, die sie in ihrem Ärmel aufbewahrt hatte als auch die Holzstatue fielen klackernd zu Boden, wobei letztere ein Stückchen von ihr wegrollte.
Yukiko, die nun ausgestreckt auf dem Bauch lag, wusste im ersten Moment nicht, wie ihr geschehen war. Sie spürte, wie sie zu Boden gedrückt wurde und dann, als sie sich wehren und wieder auf die Beine kämpfen wollte, fühlte sie kaltes Metall, welches ihr gegen das Genick gedrückt wurde.
„Oh nein, so leicht kommst du mir nicht davon“, zischte die Frau, die für Yukikos unglückliche Lage verantwortlich war.
Als sich das Mädchen widersetzen und die Fremde abschütteln wollte, presste sie die Klinge nur noch fester gegen dessen nackte, ungeschützte Haut; das noch recht schwache aber dennoch brennend-stechende Gefühl zwang Yukiko dazu, ihre Gegenwehr einzustellen.
Nur mit Mühe gelang es ihr, die Tränen zurückzuhalten; sie hatte verloren.
Die Frau war viel stärker als sie und hatte zudem eine Waffe, mit der sie auch umgehen konnte, während Yukiko, die noch nie zuvor um die Leben hatte kämpfen müssen, eindeutig unterlegen war.
Was würde nun geschehen? Würde sie ihr das Leben nehmen? Wenn sie das Verhalten bedachte, welches die Frau ihr gegenüber an den Tag gelegt hatte, war dies durchaus möglich...
Yukiko wollte nicht sterben, unter keinen Umständen.
Es gab noch so viele Dinge, die sie tun wollte, hatte Menschen, die ihr am Herzen lagen und die mit Sicherheit traurig wäre, sollte sie sterben. Aber vor allem Dingen wollte Yukiko auch um ihrer eigen Willen leben.
Sie kämpfte die Tränen nieder, da sie ihrer Feindin nicht diese Befriedigung gewähren wollte und zwang sich dazu, die kalte Angst aus ihrer Stimme herauszuhalten – womit sie keinen allzu großen Erfolg hatte.
„W-Was wollt Ihr von mir? W... Warum wollt Ihr mir so etwas antun? Ich habe Euch doch gar nichts getan!“
Für einige Momente sollte sie keine Antwort erhalten. Stattdessen wurde Yukiko von der Frau unsanft hochgerissen und mit dem Rücken gegen die nahe Wand gedrückt. Der lange Dolch, dessen Schneide mit einem Blutrinnsal benetzt war, wurde ihr nun gegen die Kehle gehalten.
„Was du getan oder nicht getan hast, spielt keine Rolle“, bekam sie kalt zur Antwort. „Verstehst du es nicht, du verzogene Göre? Es geht nicht um das, was eine einzelnePerson verbrochen hat, sondern um die Schuld aller. Eine Schwester muss für die Fehler ihres Bruders geradestehen, ein Sohn für die Verbrechen seines Vaters. So war es schon immer und so wird es auch immer sein.“
Yukiko zwang sich, aufzusehen. Ihr Blick traf die hasserfüllten, braunen Augen der Frau; dieser unmenschliche Ausdruck allein genügte, um ihren Magen dazu zu bringen, sich schmerzhaft zu verkrampften. Die scharfe Waffe, die diese Wahnsinnige noch immer auf sie gerichtet hatte, machte es nicht wirklich besser.
Die Frau sprach weiter.
„Daher genügt es, dass du den Namen Asatsuyu trägst, um schuldig zu sein. Jeder von euch, egal ob Kleinkind oder Greis, muss bezahlen.“
Aber für was? Yukikos Wissen nach hatte ihre Familie nichts getan, was einen derartig manischen Hass bewirken könnte! Besonders ihr Vater war ein guter Mann, der anderen niemals Schaden zufügen würde und auch ihre Mutter war bei all ihren Eigenheiten eine wahrlich ehrenwerte Person.
Warum also?
Yukiko zitterte am ganzen Körper, ihre Augen brannten.
„...Was haben wir denn getan? Wieso das alles? Bitte, sagt es mir!“
Die Frau schwieg erneut. Einen Moment lang waren ihre Augen vollkommen leer und ausdruckslos, ihr Blick starr auf Yukiko fixiert.
Als sie letztendlich weitersprach, klang ihre Stimme leise und kraftlos.
„...Yayoi...“
„W-Wie? Was wollt Ihr mir damit sagen?“
Die Fremde machte keine Anstalten, ihr eine Erklärung zu liefern. Beinahe sofort nahm ihr Gesicht den gewohnten, wahnsinnigen Ausdruck an.
„Ich sollte dich töten, weißt du? Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie gerne ich das tun würde... Schon seit so langer Zeit warte ich auf den Tag, an dem ich meine Aufgabe endlich zu Ende führen und euren gesamten, verdammten Klan vom Angesicht der Welt tilgen kann!“
Sie seufzte resignierend.
„...Aber bedauerlicherweise haben wir eine Vereinbarung, an die wir uns zu halten haben. Aus welchen Gründen auch immer, die werte Herrin Amemiya und ihr Balg möchten dich lebend haben. Daher werde ich mich zumindest für den Moment zurückhalten...“
Yukiko wüsste zu gerne, welches Spiel hier eigentlich gespielt wurde. Welche Verbindung bestand zwischen Shougo, Tomoe und dieser Person? Was war denn nun überhaupt das Ziel dieser ganzen Aktion?
Allerdings hatte Yukiko nun wirklich keine Zeit, sich in diesen Gedanken zu verlieren; diese Art Überlegungen konnte sie anstellen, sobald sie die anderen gefunden und das Amemiya-Anwesen hinter sich gelassen hatte.
Auch wenn es momentan danach nicht wirklich danach aussah.
„Welche Vereinbarung?“, fragte sie nach, teils aus echtem Interesse, aber andererseits auch deswegen, um Zeit zu schinden.
Abgesehen eines regelrecht tötenden Blickes erhielt Yukiko keine Antwort. Dann, auf einmal, stahl sich ein vergnügtes Lächeln auf die Lippen der Frau.
„Dieser Akuma, den ich vorhin im Korridor aufgegriffen habe... Er gehört zu dir, nicht wahr?“
Yukiko blickte irritert drein. Akuma? Sprach sie etwa von Katsuya?
„Nennt ihn nicht so, er ist keiner“, forderte sie die Frau geradezu reflexartig auf.
Beinahe sofort dämmerte es ihr, dass dies hier nicht das Problem war. Yukiko wurde – wenn es denn möglich war – noch übler, als sie sich sowieso schon gefühlt hatte.
Angesichts des angsterfüllten Blickes der jungen Adeligen wurde das Grinsen der Frau noch breiter.
„Hm, hat er mir denn seinen Namen gesagt? Vorausgesetzt natürlich, er hat einen – bei seinesgleichen ist das nicht unbedingt selbstverständlich...“
„H-Haltet ihn aus dieser Sache raus! Er hat nichts mit Eurem Problem zu tun!“, forderte Yukiko sie so energisch wie möglich auf.
Die Frau zuckte noch immer vergnügt die Schultern.
„Du magst ihn also, oder? Wie niedlich. Wäre es nicht schrecklich, wenn ihm etwas zustoßen würde...?“
Die Frau beugte sich ein wenig weiter zu Yukiko.
„Er hat hübsche Augen, findest du nicht? Weißt du, es gibt Sammler für die kuriosesten Dinge...“
Yukiko wünschte sich, sie hätte diese Andeutung nicht verstanden.
„Er trägt keine Schuld an dem, was Euch zugestoßen ist! Wenn Ihr an jemandem Rache nehmen wollte, dann tut dies an mir, aber bitte – tut Katsuya nicht weh!“
Das Mädchen konnte die Tränen nun nicht mehr zurückhalten; sie spürte, wie sie ihr ungehindert die Wangen hinabrollten und auf ihren nicht mehr gar so sauberen Yukata tropften.
Ihr Stolz konnte ihr in diesem Moment nicht gleichgültiger sein. Yukiko war ihr Leben lang beschützt worden, sei es durch ihre Eltern, Riho, Katsuya oder einer der anderen Angestellten ihres Haushaltes. Gerade jetzt, wo sie sich in dieser ausweglosen Situation befand, wurde sie sich ihrer eigenen Macht- und Hilflosigkeit schmerzlichst bewusst.
Es war allein ihre Schuld, dass sich Riho und Katsuya in Gefahr befanden – dass dies nicht beabsichtigt war, spielte dabei keine Rolle. Yukiko sah es in ihrer Verantwortung als die junge Herrin ihrer Familie, die Sicherheit ihrer Untergebenen zu gewährleisten. Ja, sie hatte panische Angst und würde am liebsten um Gnade flehen, aber das konnte sie nicht tun, nicht, nachdem sie diese kaum verhüllte Drohung erhalten hatte.
„Bitte... Lasst' die anderen gehen...“, brachte sie schluchzend hervor.
„Das kann ich bedauerlicherweise nicht tun“, erwiderte die Frau mit einem beunruhigend fröhlichen Tonfall. „Ich habe noch andere Verpflichtungen und selbst wenn ich es könnte - dir würde ich diesen Gefallen ganz gewiss nicht tun.“
Auch wenn Yukiko nichts anderes erwartet hatte, so traf es sie dennoch.
Dann drückte die Frau sie nochmals grob gegen die Wand, richtete die Klinge dieses Mal auf ihre Brust.
„Ich werde dich zwar nicht umbringen – zumindest nicht jetzt - , doch das bedeutet nicht, dass ich es dir einfach machen werde. Meine Anweisungen haben sich letzten Endes nicht auf meinen Umgang mit dir bezogen...“
Yukiko ahnte, dass sie nichts Gutes erwarten würde. Sie betete zu den Geistern, dass all dies noch ein gutes Ende nehmen würde – sowohl für ihre Freunde und Familie, als auch für sie selbst.