Die Sonne war schon lange untergegangen und die Nacht hereingebrochen, als Riley erschöpft durch das Portal trat und sich den Schnee von der Jacke putzte. Am Stall war es drunter und drüber gegangen, als die neu eingetroffene Shetlandpony-Herde durchgegangen war und es hatte Stunden gedauert, die kleinen wolligen Biester wieder einzufangen.
Der junge Vampir wollte ein Bad, ein Steak und dann ins Bett. Mit schweren Tritten stieg er die Stufen hinauf und begrüßte, dass es im Schloss ruhig war. Phobos hatte Arian anscheinend bereits schlafen gelegt. Für seinen geliebten kleinen Quälgeist hätte Riley im Moment keine Energie mehr gehabt.
»Da bist du ja. Ich wollte schon nen Suchtrupp losschicken«, begrüßte ihn der andere Unsterbliche, als er in den Salon kam. Riley knurrte leise, machte einen schnellen Schritt und stahl Phobos den Rest seines belegten Brotes aus den Fingern.
»Hey«, grinste dieser schelmisch.
»Sorry. Ich könnte einen Troll verspeisen.«
»Oh, so einen habe ich nicht, aber vielleicht was anderes, was dir auch gefällt.« Phobos ergriff die Hand seines erschöpften Liebsten, der leicht das Gesicht verzog.
»Ich möchte jetzt keine Überraschungen mehr. Ich will ein Steak. Und Sex. Und ins Bett«, nörgelte er, konnte ein leises Lachen aber nicht unterdrücken.
»So so ...«, schmunzelte der Andere und führte Riley durch einen der seltener benutzten Korridore bis zu einer schweren Tür. Als er diese öffnete, gab sie den Blick auf einen winzigen, kreisrunden Hof frei, der vollkommen im Dunkeln lag. Nur der matte Mondschein deutete an, dass sich in der Mitte des Platzes etwas befand. Etwas Großes.
»Was wird denn das?«
»Heute«, lächelte Phobos und schob Riley nach draußen, »ist eine besondere Nacht.«
Der junge Vampir blieb unschlüssig in der Dunkelheit stehen, während der andere Unsterbliche hinter seinem Rücken ein Streichholz anriss und eine Fackel entzündete. Die Finsternis auf dem Hof wurde von dem warmen Schein des Feuers zerrissen und Riley erkannte nun, dass die steinernen Wände, die den Platz einrahmten, mit Girlanden aus Tannen- und Stechpalmenzweigen geschmückt worden waren. Strohsterne mit acht Zacken zierten sie und in der Mitte stand eine Pyramide, errichtet aus Holzscheiten, Ästen und Stroh.
»Ah«, machte der junge Vampir verwundert, als Phobos ihm die Fackel in die Hand drückte.
»Ich überlasse dir die Ehre.«
»Was ist das hier?«
»Weißt du denn nicht, welcher Tag heute ist?«
Riley sog die Unterlippe zwischen die Zähne. »Winteranfang?«
»Auch«, nickte der Andere, »aber zuallererst ist heute die Mutternacht. Wintersonnenwende. Die längste Nacht des Jahres und der Beginn der Weihnachtszeit in meiner alten Heimat.«
Er legte seine Finger auf die des jungen Vampirs, die den brennenden Stecken hielten und führte ihn an die hölzerne Pyramide heran.
»Heute Nacht stirbt die Sonne, um im neuen Jahreskreis wiedergeboren zu werden. Um das Licht zu feiern, entzündete man bei uns die Sonnwendfeuer, als Zeichen des Wandels und des Neubeginns.« Phobos schob den brennenden Ast zwischen die Spalten der Pyramide, dessen Flammen das trockene Stroh darin sogleich lichterloh zum Brennen brachten.
Die beiden Vampire traten einige Schritte zurück und betrachteten, wie das Feuer hungrig, lebendig und hell über die Holzscheite zu lecken begann und Wärme breitete sich aus. Der Schnee auf dem kleinen Innenhof schmolz langsam.
»Wie schön«, murmelte Riley und schloss die Augen, als ein feiner Lufthauch wie ein Streicheln über sein Gesicht strich.
Phobos legte ihm den Arm um die Schultern. »Dem alten Brauch nach könnten wir jetzt die Orakel befragen, indem wir Blei gießen und daraus Voraussagen treffen, doch«, der Unsterbliche drehte sich zu seinem Liebsten um und legte die Stirn an seine, »ich glaube, wir beide wissen ganz genau, was die Zukunft für uns bringt, oder?«