Der Abend kam mit einem Schneesturm, der um die Türme des Schlosses jaulte. Doch innerhalb der Burg störte sich niemand daran, denn die zahlreichen Flure lagen leer und verlassen da.
Die Dienerschaft war von den beiden Vampiren in die Feiertage entlassen worden und so waren sie nur zu viert. Sammy, der keine Familie hatte, zu der er hätte reisen können, war kurzerhand einfach eingeladen worden, mit den Escanors zu feiern, denn deren Ziehtochter Kathy, die schon seit Monaten auf Reisen war, um die Welt zu entdecken, hatte es nicht geschafft, sondern stattdessen eine Karte und ein großes Weihnachtsgeschenk für ihren kleinen Bruder geschickt. Eines mehr auf dem ohnehin schon viel zu großen Haufen, der für Arian bestimmt war. Die bunt eingewickelten Päckchen türmten sich unter und hinter dem festlich geschmückten kleinen Weihnachtsbaum, der im Wohnzimmer beim Kamin stand und neben dem Feuer sein Licht in den Raum warf.
»Das ist die letzte Platte«, grinste Riley, als er durch die Nebentür in den Salon kam und einen großen Porzellanteller auf den Tisch stellte, der sich schon biegen würde, wäre er nicht aus massiver Eiche gefertigt worden.
Da ihnen der Vogel abhanden gekommen war, den es eigentlich zum Essen hätte geben sollen, hatten die beiden Vampire improvisiert. Riley hatte Phobos erzählt, dass es in seiner Heimat bei vielen Menschen an Heiligabend üblich war, Kartoffelsalat und Würstchen zu essen. Sammy brachte den Einwurf, dass manche auch Fisch aßen und so standen nun auf der Festtafel sowohl eine große Platte mit Wienern als auch eine weitere mit Fischstäbchen, auf die besonders der kleine Arian ein Auge geworfen hatte. Der saß bereits in seinem Hochstuhl, ließ die Spitzen seiner Turnschuhe von unten gegen die Tischplatte knallen und schmatzte vor Erwartung.
Schüsseln mit Kartoffel-, Krautsalat und Brötchen komplettierten das Essen.
Phobos zog die Augenbraue hoch, als sein Liebster sich an den Tisch setzte. »Gut«, murmelte der Vampir, »noch mehr und wir haben den Rest der Feiertage nichts mehr zu essen.«
»Dann fangen wir einen Troll«, kicherte der junge Unsterbliche und Sammy machte große Augen.
»Euer Ernst?«
»Todernst.«
»Bleh«, brummte die männliche Nanny und die Vampire grinsten nur. Niemand würde verstehen, was den beiden an diesen stinkenden Untieren so zusagte, aber das mussten sie auch nicht.
»Ari hat Huuuuuuunger!«, krähte der Kleine, trommelte mit seinen Händchen auf den Tisch und zog die Aufmerksamkeit der Erwachsenen auf sich.
»Er hat Recht, lasst uns essen, solange es noch heiß ist. Umso eher können wir Geschenke auspacken.«
»Gescheeeenke!«, trillerte Arian wieder und klatschte in die Hände. Ihm war nicht klar, warum es welche gab, doch wie alle kleinen Kinder liebte er es, Papier von etwas herunterzureißen, Unordnung zu schaffen und neues Spielzeug zu bekommen. Ohne zu zögern griff der Junge nach den Fischstäbchen, die Riley ihm auf den Teller legte. Sie waren etwas abgekühlt und Arian aß sie mit den Fingern. Schmatzend grinste er und stopfte sich den Mund voll.
»Piep, piep, piep«, nuschelte er, »alle haben Ari lieb!«
Die Vampire und Sammy lachten leise. »Na, so geht der Spruch aber nicht, Krümel.« Riley reichte ihm ein kleines Würstchen, das der Junge annahm, mit den Schultern zuckte und hineinbiss.
Das Essen verlief gemütlich und schmeckte allen, trotz der Einfachheit, sehr gut.
»Wir sollten mit der Bescherung hinmachen«, murmelte Riley etwas später Phobos zu, als sie das Geschirr zusammenräumten. Sammy hatte Arian bereits die Hände gewaschen und war mit ihm auf das Sofa umgezogen.
»Ja?«
»Ja. Ari wird müde und bevor er schlechte Laune bekommt, sollte er ins Bett. Sonst heult er die halbe Nacht. Und dann«, der junge Vampir grinste, »haben wir keine Zeit für uns, wenn du verstehst, was ich meine.«
Phobos kräuselte amüsiert die Lippen. »Du willst mich heute noch im Weihnachtsmannkostüm mitsamt der Rute sehen?«
»Von mir aus auch ohne die Verkleidung«, entgegnete Riley und fing zu lachen an.
»Du bist vielleicht ein kleines Ferkel.«
»Och ...« Der junge Vampir machte zwei Schritte, als er sich noch einmal umdrehte. »Vergiss’ nicht, was du vorhattest. Von wegen Kostüm und so. Ich sage dir, er wird es dir um die Ohren hauen«, kichernd setzte der Unsterbliche seinen Weg fort und nahm bei Sammy auf dem Sofa Platz.
Sie hatten früher am Abend den Couchtisch an die Seite geschafft, um eine freie Fläche zu haben, auf der Arian herumkrabbeln und seine Päckchen öffnen und sie alle gemütlich würden sitzen können. Bereits jetzt hockte der kleine Junge auf dem weichen Teppich.
Phobos hingegen zog mit grinsendem Gesicht einen künstlichen Rauschebart und eine Weihnachtsmütze aus einer Schublade der Kommode und zog sie auf, bevor er sich einen roten Mantel umwarf, der seine Kleidung verbarg. Der Vampir fand die Eigenart der Menschen aus Rileys Welt, sich für ihre Kinder als Weihnachtsmann zu verkleiden, um ihnen die Geschenke zu überreichen, irgendwie lustig und wollte das bei Ari ausprobieren. Das war ein wesentlich liebenswerterer Brauch als der aus seiner eigenen Heimat, wo man unartigen Jungen und Mädchen mit Schauergeschichten über den Krampus Angst gemacht hatte.
Arian war so vertieft in das Spiel mit seinen Plüschwürfeln, dass er nicht bemerkt hatte, was seine Väter ausgeheckt hatten. Als er nun durch ein Geräusch aufmerksam gemacht wurde und den Kopf zum Sofa herumdrehte, sah er folglich einen großen Mann dort stehen, den er aufgrund des weißen Bartes nicht erkannte. Der kleine Junge machte große Augen und blickte zu Riley und Sammy, die mit ernsten Gesichtern auf ihn hinunterblickten.
Arian wusste nicht, was das alles zu bedeuten hatte und bevor die Männer sich versahen, fing er wie eine Sirene zu heulen an. Der Mann in dem roten Mantel machte ihm Angst und er wollte den nicht hier haben.
»Haaahahaha«, lachte Riley los, »ich hab die Wette gewonnen.«
Phobos zischte und hockte sich zu seinem Sohn auf den Teppich, der sich mit Händen und Füßen wehrte, als er diesen hochnahm.
»Hey Krümel«, sprach der Vampir den Kleinen an, der ihn mit riesigen Augen ansah und plötzlich verstummte. Die Stimme des unheimlichen Mannes kannte er. Arian krallte seine Fingerchen in den künstlichen Bart und zog diesen nach unten, was Phobos’ Gesicht freigab.
»Papa?«, piepste der Kleine. Dicke Tränen hingen in seinen Augenwinkeln und er zog die Nase hoch.
Der Unsterbliche nickte und strich Arian über die Wange. »Ja. Papa wollte Weihnachtsmann für Ari spielen. Der bringt Geschenke.«
»Ari mag Papa lieber als den ollen Weihnachtsmann«, wehrte der kleine Junge ab und legte Phobos die Arme um den Nacken, bevor er sich an ihn kuschelte.
Die Vampire lächelten einander an, während Arian sich schaukeln ließ und sich schließlich vollends beruhigte.
»Experiment fehlgeschlagen, Graf Escanor«, schmunzelte Riley und Sammy grinste.
»Seht es mal so: Eigentlich ist es unsinnig, dass Kinder glauben, ein Mann in rotem Mantel bringt ihnen die Geschenke. Ist es nicht förderlicher, wenn sie wissen, dass alles, was sie bekommen, von den Eltern kommt? Der Weihnachtsmann ist genauso eine Erpressungstaktik wie Gott. Wer gehorcht und kuscht, wird belohnt, wer es nicht tut, erhält Strafe. Ich finde es gut, Kinder nicht mit diesem Konstrukt der Furcht aufwachsen zu lassen.«
Die beiden Unsterblichen sahen einander erneut lange an und nickten schließlich. Es sollte niemals etwas geben, das ihrem Sohn Angst machte und schon gar keine Fabelwesen, die Menschen sich ausgedacht hatten. Arian den Glauben an den Weihnachtsmann einreden zu wollen, war keine gute Idee gewesen. Er würde auch ohne das die Magie der Adventszeit genießen können, solange er diese in der Familie verbrachte.
»Hey, Ari«, murmelte Phobos dem Kleinen ins Ohr, »willst du jetzt mit Papa, Daddy und Sammy Geschenke auspacken?«
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In diesem Sinne: Frohe Weihnachten euch allen :D