Zähflüssiges Blut tropft wie in Zeitlupe in das unbefleckte weiß des Neuschnees.
Es rinnt von der scharfen Klinge eines Messers, noch warm und frisch.
Die allgegenwärtige Kälte lässt es dampfen als es tief in den Boden einsinkend, die Unschuld des Winters stiehlt.
Die Hand, die die Schneide führt zittert nicht.
Stille umschließt die Szenerie wie ein Leichentuch, nur durchbrochen vom Hauch des Windes.
Der Mond scheint sein müdes Licht auf die Welt.
In dieser Nacht.
Dieser kalten, hoffnungslosen Nacht.
Die Hand öffnet sich und entlässt das Messer in sein eisiges Grab.
Es fällt herrab und mit ihm fällt die Stille, diese unerklärliche Abwesenheit von Leben, das so bestimmt ist von Lärm.
Die Hand ballt sich zur Faust.
Sie gehört einem Mann der regungslos in der Mitte der kleinen Lichtung steht, die tief im Wald, neugierigen Blicken verborgen ist.
Ein Lächeln stiehlt sich auf seine Züge, kriecht hervor wie eine Schlange.
Kein Humor lässt es entstehen, nur Bosheit.
Grenzenlose Bosheit, so endlos wie die Zeit selbst, so unnahbar wie der Tod.
Die Augen des Mannes haben die Farbe des ewigen Frostes.
Als ob das Eis seiner Seele aus ihm herausschreien wollte, blickt er mit ihnen hinab auf das geschändete Leben zu seinen Füßen.
Dort ist kein Leben mehr.
Dort war Schmerz. Dort war Angst und Verzweiflung.
Dort war der Tod.
Und es war kein leichter Tod gewesen, oh Nein.
Der Mann legt den Kopf schief, grade so als dächte er über etwas nach, etwas das er in seinem blutigen Werk erkannt hat.
Er beginnt leise zu pfeiffen.
Es ist ein altes Kinderlied.
Wie als Verhönung der Unschuld besingt er so das Ende des Lebens zu seinen Füßen.
Er trauert nicht.
Es ist ein Abschied, ein letztes Geleit.
Der Schrei eines Raben holt ihn aus seinen Gedanken.
Er dreht den Kopf langsam in die Richtung der Unterbrechung, ungehalten über die fremde Stimme.
Es durfte hier nichts anders geben als Stille.
Nicht in dieser Nacht.
Der Vogel steht in einiger Entfernung im Schnee und starrt gierig herüber, den Kopf wie in Nachahmung des Fremden leicht schräg gelegt.
Wieder ein Schrei.
Das Lächeln des Mannes verschwindet.
Er blickt erneut hinab und öffnet den Mund.
Ein Moment der Unsicherheit beschleicht ihn, nur ein kurzer Moment der überlegten Gnade.
Doch seine Züge verhärten sich wieder bevor dieser Keim Wurzeln schlagen kann.
Was die Erde hervorbringt soll sie zurückerhalten. Der Kreislauf darf nicht unterbrochen werden.
Auch sein tun dient nur der Schöpfung selbst.
In welchem Maße auch immer.
Der schwarze Aasfresser hüpft ein wenig näher, vorsichtig genug, doch eindeutig fordernd.
Das Lächeln kehrt zurück auf das harte Gesicht des Mannes.
Es ist alles wie es sein soll.
Wie es sein muß.
Doch eines fehlt noch, ein letzter Teil des Spieles, der letzte Akt.
Was ist das Leben ohne eine Erinnerung an den Tod? Was ist der Tod ohne den Beweis des Lebens?
Er beugt sich herunter, sinkt ein in das Blut und den Schmerz dessen Zeuge er war und nimmt was er braucht.
Nimmt was er haben muß um nicht zu vergessen.
Seine Hand ist rot als er sie wieder hebt, rot und warm.
Er reckt die Faust in den Himmel, zeigt dem Schicksal seinen Lohn und dem Universum seine Vergänglichkeit.
Als der Rabe wieder schreit wendet sich der Mann ihm zu und lacht ihm ins Gesicht.
Keine Heiterkeit oder Belustigung, kein Trotz oder Haß beeinflussen diese hohle Geste.
Es ist Triumph der ihn Ambitioniert.
Er lacht seinen Sieg in die Nacht und zum Boten des Todes im Federkleid hinaus.
Alarmiert weicht der Vogel zurück, die Flügel protestierend schlagend.
Doch bleibt er.
Wartend.
Hungrig.
Unendlich langsam wendet der Mann den Blick ab, die Augen stetig auf den Raben gerichtet.
Lächelnd.
Wissend.
Er schaut nicht mehr nach unten.
Dort gibt es nichts mehr für ihn.
Dort ist nur Fleisch, das kalt sein wird bevor es verschlungen wird.
Alles ist Perfekt.
Alles ist so wie es sein muß.
Er wendet sich ab, geht zurück zu dem Schlitten der am Rande der Lichtung wartet.
Seine Schritte stampfen erneut Löcher in den tiefen Schnee.
Er blickt auf die zweite Spur die ihn an diesen verlassenen Ort begleitet hat, während er das tut.
Diese Schritte werden nun nicht mehr zurück gehen.
Er erreicht den Rand der Lichtung, Dunkelheit schlägt ihm aus dem Wald entgegen.
Alles ist so wie er es verlassen hat.
Die Welt dreht sich weiter in seiner ewigen Bahn, grade so als wäre nichts geschehen.
Die Zugtiere geben keinen Laut von sich als er sich nähert.
Trotzig stehen sie ungebeugt in den Schatten.
Sie alle Blicken ihn an.
Anklagend, die schwarzen Augen voller Verachtung.
Er zögert, bleibt stehen und denkt kurz an die Klinge die er dem Schnee übergeben hat.
Aber nichts geschieht.
Er lächelt kalt wie der Winter,
besteigt das Gefährt und nimmt die Zügel in die linke Hand.
Die rechte ist noch immer geschlossen.
Der Wind scheint heftiger zu wehen als er sie langsam öffnet.
Geweihe schlagen bockend gegeneinander als die vorderen Zugtiere steigen. Schnaubend versucht sich das Leittier loszureißen.
Doch es ist gefangen.
So wie er es einst war.
Zu ewiger Folgsamkeit verdammt.
Doch er war nie da gewesen um Freude zu bringen.
Nein nicht Er.
Sein Dasein diente stets nur einem Zweck, einem dunklem
und bei weitem einsameren.
Er zieht die Zügel an.
Streubend setzen sich die Tiere in Bewegung, ohnmächtig ob ihrer Wut.
Inmitten der Lichtung schreit erneut der Rabe.
Die Hand öffnet sich.
Mit boshaften Funkeln starrt der Mann grinsend auf seinen blutbesudelten Inhalt.
Er nimmt ihn zwischen Daumen und Zeigefinger und bewegt ihn hin und her.
Der helle Ton der kleinen Glocke mit dem rotem Band durchbricht die Stille zum letzten Mal.