Für Henry Morgan zumindest, war es ebendieser.
Als ihn die Nachricht über den Tod seines Großonkels ereilte, war seine nicht vorhandene Bekümmertheit vollends verdeckt von der Tatsache, das er sich absolut keines Verwandtschaftsverhältnisses in dieser Region Neu Englands bewusst war.
Er wäre der Bitte um Erscheinen wohl auch nicht nachgekommen, hätte es nicht deutliche Hinweise auf die testamentarische Auflösung des Vermögens des alten Herren gegeben, die wohl in größerem Maße ihn betreffen sollten.
Dennoch stellte sich ihm die dringende Frage, wie jene Nachricht ihn überhaupt erreichen und wer um seine Beziehung zu Aldwyn Morgan wissen konnte.
So machte er sich von Portland aus auf den beschwerlichen Weg nach Arkham, ein Reise äußerst unangenehmer Kutschenfahrten durch das Hinterland der Welt, wie es ihm schien.
Tatsächlich hatte Henry überhaupt keine bekannte Verwandtschaft vorzuweisen.
Aufgewachsen in einem staatlichen Waisenhaus, in das er Nachforschungen zufolge unter mysteriösen Umständen gelangt war, wuchs er fernab familiärer Geborgenheit auf.
Das beschwerliche Leben dort sorgte aber zumindest dafür, das aus Henry ein durchsetzungsfähiger junger Mann wurde, der es in der überregionalen Geschäftswelt zu einigem Ansehen brachte.
Durch mehr Glück als Verstand vielleicht, gelang ihm der günstige Erwerb einer kleinen Manufaktur für Gebrauchsmöbel in erbarmungswürdigen Zustand.
Das Bank Darlehen wurde erstaunlicherweise ohne viel Aufhebens gewährt, was Henry auf sein energisches Auftreten und die dargebotene Überzeugungsarbeit schob, die er bei deren Antrag an den Tag gelegt hatte.
Wieder aller Erwartungen seines Bekanntenkreises, gelang es ihm in kürzester Zeit sein Geschäft recht ordentlich aufzubauen und die Verkaufszahlen in ungeahnte Höhen zu treiben.
Größere Aufträge schienen ihm geradezu ohne größere Selbstbeteiligung zuzufliegen.
Ein Umstand den Henry stets mit seiner Integrität und Schaffenskraft erklärte, mit der er schnell zu einiger Berühmtheit gelangte.
Finanziell stand er also recht fest im Leben und hätte keines Vermögenszuwachses bedarft, doch tat er sich schwer solch eine Gelegenheit vorbeiziehen zu lassen.
Es war wohl mehr die Aussicht auf Gewinn, als die mögliche Erforschung seiner wahren Herkunft, die ihn veranlasste sich auf den Weg nach Arkham zu machen.
Derlei Dinge nahmen Aufgrund ihrer lebenslangen Abwesenheit kaum Raum in Henry Morgans Gedankenwelt ein.
So kam es also das er an einem kalten Frühlingsmorgen, zerknautscht und über alle Maßen übernächtigt, aus der wackeligen Kutsche, die ihn eine gefühlte Ewigkeit transportiert hatte, auf den feuchten Pflasterstein von Arkham trat.
Der Kutscher, ein griesgrämiger Geselle ohne auch nur den Anflug von Manieren, lud wortlos sein Gepäck ab und machte sich übertrieben hastig wieder auf den Weg die Stadt hinaus.
Kopfschüttelnd sah Henry ihm noch eine Weile nach, bevor er seinen Koffer aufnahm und sich seine Umgebung betrachtete.
Der Platz war leer, bis auf einen verwahrlosten streunenden Hund, der den Müll vor einer Spelunke durchwühlte.
Die Sonne war noch nicht ganz aufgegangen, was alles in lange Schatten badete und den tief hängenden Giebeln der umgebenden Häuser ein bedrohliches Aussehen bescherte.
Kein Licht brannte hinter ihren Fenstern, dennoch hatte Henry den Eindruck von mehreren Augenpaaren verfolgt zu werden, als er auf den Gehsteig trat.
Die Luft, feucht und kalt, ließ ihn frösteln und sein Athem bildete kleine Wolken vor seinem Gesicht.
Gedankenverloren berührte er das kleine Medaillon das unter seinem Hemd an seinem Hals lag.
Es war bis auf einen kurzen Brief alles, was ihm vor dieser langen Zeit mitgegeben worden war, als man ihn auf der Schwelle des Waisenhauses abgelegt hatte. Sein Inhalt barg indess kein Bild der Mutter oder sonstige Hinweise auf seine Herkunft, das merkwürdig geformte Stück zeigte nur ein ihm völlig willkürlich erscheinendes Muster aus Linien und schien aus irgendeiner dunklen Metalllegierung zu bestehen, die den Eindruck von Gestein hatte.
Er trug es stets bei sich, weniger aus sentimentalen Gründen als eher der Tatsache sich seiner Anfänge als Waise bewusst zu sein, wodurch er sich eine gewissen Bodenständigkeit erhoffte.
Als er die bedrückende Athmosphäre des kleinen Kutschenplatzes in sich Aufnahm, dachte er kurz an die Zeilen, die in dem Brief gestanden hatten, der ihm an seinem sechzehnten Geburtstag ausgehändigt worden war.
Er beinhaltete nur den Tag seiner Geburt und folgenden Satz:
'Dies ist Henry Morgan, möge die Gefahr der er entgangen ist, ihn niemals einholen.'
Henry machte ein abfälliges Geräusch bei dem Gedanken, packte seinen Koffer fester und machte sich auf den kurzen Weg zu der kleinen Pension am Ende des Platzes, die ihm als Unterkunft dienen sollte.