Hermine.
Wo bist du?
Wo bist du?
Ich hoffe, du warst nicht so dumm, in dein Elternhaus zurückzukehren. Sie werden dich suchen und dich finden, wenn du dort bist.
Ich hoffe, du warst nicht so dumm, zu Potter zu gehen. Sie werden angreifen.
Heute haben sich alle Todesser bei uns versammelt. Snape hat von eurem Plan erzählt. Wieso lebt Potter überhaupt noch bei seinen Muggelverwandten? Ist jemand bei ihm, der ihn bewacht? Und warum warten alle, bis er das Haus verlässt? Es wurde von irgendeinem Schutz gesprochen, der über seinem Haus liegt, aber ich verstehe das nicht. Wie kann eine Muggelfamilie ihn schützen?
Hermine, was auch immer du tust, geh nicht dahin. Snape weiß, wann ihr Potter da raus holen wollt. Ich weiß nicht, woher er es weiß. Ein anderer Todesser, Yaxley, hat aus dem Ministerium erfahren, dass ihr Potter am 30. holen wollt, aber Snape meinte, das stimmt nicht. Er hat gesagt, dass der Orden weiß, dass das Ministerium unterwandert wurde, deswegen haben sie absichtlich falsche Informationen gestreut. Ich habe keine Ahnung, wie Snape das wissen kann, wenn er nicht mehr Teil des Ordens ist. Er ist kein Teil mehr, oder? Nach dem, was er getan hat, kann er es nicht sein. Ihr wärt dümmer als gedacht, wenn ihr ihm weiterhin vertrauen würdet. Woher also weiß er so viel? Und wieso vertraut der Dunkle Lord ihm, ohne dass er seine Quelle offenbaren muss?
Ich wollte dir nicht schreiben, aber ich muss. Ich muss. Da war noch jemand hier heute. Eine Lehrerin aus Hogwarts. Ich glaube, du kennst sie. Professor Burbage. Sie hat Muggelkunde unterrichtet. Du hättest sehen sollen, wie sie Snape anfleht. Sie hat geweint und gebettelt. Sie dachte, Snape würde ihr helfen. Wie kann er so kalt sein? Sie waren jahrelang Kollegen und er hat zugesehen, wie sie umgebracht wurde, ohne mit der Wimper zu zucken. Da war nichts in seinem Gesicht, Hermine, gar nichts. Ich wusste, dass er krank ist, aber das? Er hat einfach zugesehen, wie sie getötet wurde. Und dann … Nagini hat sie … gefressen. Sie lag auf dem Tisch, an dem wir sonst immer essen, und diese Schlange hat sich auf sie gestürzt.
Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalte. Ich werde wahnsinnig hier. Warum müssen die Todesser-Treffen hier stattfinden?
Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Ich habe mich heute gefragt, ob ich nach den Sommerferien wieder nach Hogwarts gehen kann. Lächerlich, oder? Menschen sterben, und ich mache mir Gedanken, ob ich zur Schule gehen kann. Aber vielleicht ist das genau das, was du versucht hast, mir zu erklären: Je chaotischer und wahnsinniger die Welt wird, umso wichtiger ist es, an jedem bisschen Normalität festzuhalten.
Aber ich kann nicht nach Hogwarts. Ich bin Schuld an Dumbledores Tod. Sie würden mich nicht mehr reinlassen.
Aber was, wenn die Todesser das Ministerium vollständig in ihre Macht reißen können? Was, wenn nicht Zauberer wie ich, sondern alle, die auf eurer Seite stehen, plötzlich die Ausgestoßenen werden? Ich will mir das gar nicht vorstellen. Eine Welt, in der die Todesser die Autorität haben, über das Ministerium und die Schule zu verfügen? Und was wird dann aus dir? Willst du nach Hogwarts zurück?
Ich habe bisher nicht wirklich darüber nachgedacht. Irgendwie ging ich davon aus, dass wir uns nach dem Sommer wiedersehen. Aber das ist unmöglich, oder? Wir können nicht einfach weiter zur Schule gehen, als wäre nichts geschehen. Alles ist jetzt anders.
Werde ich dich überhaupt jemals wiedersehen?
Draco verharrte im Schreiben. Seine Augen starrten die letzte Zeile an. Sein Schlafzimmer wirkte plötzlich unwirklich, entrückt. Er konnte das Blut in seine Ohren rauschen hören, fühlte, wie sein ganzer Körper erstarrte. Panik wusch über ihn wie eine eiskalte, alles verschlingende Meereswoge.
Würde er Hermine jemals wiedersehen?
Er hatte die Zeilen geschrieben, ehe er wusste, was er da tat. Jetzt war es da. Schwarz auf Weiß. Die Angst, die ihn seit jenem Tag, an dem er Hermine das letzte Mal gesehen hatte, ständig begleitete. Die Angst, die er mit aller Macht in die letzte Ecke seines Verstandes geschoben hatte, weil er wusste, wenn er sie nicht ignorierte, würde sie ihn verschlingen.
Er konnte sich keine Welt ohne Hermine vorstellen. Wie sollte er jemals ohne ihre Wärme, ihre Güte, ihre Liebe bestehen?
Entschlossen nahm er den Brief und warf ihn in das Feuer, das in dem kleinen Kamin in seinem Zimmer brannte. Er musste aufhören, ständig an sie zu denken. Jedes Wort, das er geschrieben hatte, hätte sein Todesurteil sein können, wenn irgendjemand es gefunden hätte. Selbst wenn es nur seine eigenen Eltern gewesen wären. Konnte er ihnen noch vertrauen? Konnte er überhaupt irgendjemandem noch vertrauen?
Die kalte Panik, die ihn ergriffen hatte, verschwand nicht. Sie hielt ihn fest und leerte seinen Kopf von allen anderen Gedanken. Sein rasendes Herz, die Übelkeit, der Schweiß, der seinen ganzen Körper bedeckte. Alles schrie Panik.
***
Sie waren kaum gestartet, da brach das Chaos aus. Mindestens dreißig dunkle Gestalten umringten ihre kleine Gruppe von falschen Harrys und Auroren.
„Zauberstab!“, schrie Kingsley ihr zu, während er selbst nach seinem griff.
Hermine reagierte, ehe sie verstand, was gerade geschah. Fünf der Todesser, die sie auf Besen umkreisten, flogen auf sie zu, während Kingsley versucht, den Thestral weg von der Gruppe zu lenken. Sie mussten sich aufteilen und den Ring durchbrechen, wenn sie überhaupt eine Chance haben wollten, diesen Angriff zu überleben.
Sie zwang sich, nicht zu Harry auf Hagrids Motorrad zu schauen. Sie durfte keinen noch so kleinen Hinweis geben, wer von ihnen der echte Harry war. Entschlossen nahm sie die Todesser ins Visier, die die Verfolgung aufgenommen hatten. Der Thestral flog schnell, aber die Zauberer auf den Besen konnten mithalten.
Ein roter Fluch schoss an ihnen vorbei ins Nichts. Kingsley war mit dem Thestral beschäftigt, zu konzentriert darauf, sie in Sicherheit zu bringen, als dass er die Todesser hätte angreifen können. Für einen Moment zögerte Hermine. Wenn sie ernsthafte Flüche gegen die Todesser schickte, war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass jemand starb. Nicht von ihren Zaubern, aber von dem unvermeidlichen Fall vom Besen.
Ein weiterer Fluch verpasste sie nur haarscharf.
„Geben Sie uns Deckung!“, schrie Kingsley und schoss blind einen Fluch hinter sich. Ein Todesser schrie laut auf, doch sie unterbrachen die Verfolgung nicht.
Wütend über sich selbst drehte Hermine sich auf dem Rücken des Thestrals um und zielte. Wenn sie nicht eingriff, würden sie diesen Angriff nicht überleben.
„Stupor!“
Es war der erste Duellzauber, der ihr in den Sinn kam. Sie wusste, es würde den Tod eines Menschen bedeuten, wenn sie tatsächlich traf, aber das durfte sie nicht abschrecken. Wenn sie überleben wollte, musste sie den Tod der Gegner in Kauf nehmen.
Ihr Fluch traf tatsächlich. Einen Moment verharrte der getroffene Todesser in seiner Position auf dem Besen, dann kippte er steif zur Seite weg und fiel. Zu ihrer Überraschung machte ein anderer sofort kehrt und schoss seinem Kollegen nach zu Boden. Vielleicht, ging es Hermine durch den Kopf, waren diese Todesser doch mehr als gesichtslose Verbrecher. Vielleicht waren auch sie Menschen, die Freunde hatten und sich vor dem Tod fürchteten.
Kalte Angst rollte plötzlich über sie. Mit großen Augen starrte sie auf die Gruppe der Todesser, die sie noch immer verfolgte. In ihrer Mitte, ohne Besen, ohne jegliches Hilfsmittel, schwebte Voldemort, sein Gesicht zu einer Maske aus Hass verzogen. Er war hier, um sie zu töten. Nicht sie, aber Harry, dessen Gestalt sie gerade trug.
Doch sie hatte keine Zeit, länger darüber nachzudenken. Die Verfolger ließen nicht ab, im Gegenteil, sie schlossen auf. Entschlossen schickte Hermine einen weiteren Stupor in ihre Richtung, doch diesmal verfehlte sie ihr Ziel.
Und plötzlich waren sie weg. Nur eine Sekunde hatte Hermine sich nach Kingsley umgeschaut, um ihn auf Voldemort hinzuweisen, und als sie den Blick wieder nach hinten auf ihre Verfolger richten wollte, waren sie verschwunden.
„Sie sind weg!“, schrie sie gegen den Wind an.
„Weg?“, erwiderte Kingsley verwirrt. Seine Augen suchten den Himmel ab, doch auch er konnte die Gegner nicht mehr finden.
„Wo sind sie hin? Warum haben sie plötzlich aufgegeben?“
Vorsichtig drehte Hermine sich auf dem Rücken des Thestrals wieder nach vorne um. Obwohl sie sein Gesicht nicht sehen konnte, hörte Hermine doch die Anspannung aus Kinglseys Stimme, als er erwiderte: „Vielleicht haben sie ihr Ziel erreicht?“
„Was?“
„Ich sagte, vielleicht haben sie ihr Ziel erreicht. Vielleicht haben sie Harry erwischt?“
Panik ergriff Hermine. Nein. Nein, das konnte nicht sein. Das war unmöglich. Harry konnte nicht sterben, das war unmöglich.
„Wir werden es wissen, wenn wir im Fuchsbau sind. Mit etwas Glück erreichen wir unseren Portschlüssel noch.“
Die nächsten Minuten erschienen Hermine wie Stunden. Die Ungewissheit, was mit den anderen geschehen war, machte sie beinahe wahnsinnig. Woher hatten die Todesser gewusst, dass sie Harry heute wegbringen würden? Sie hatten extra im Ministerium eine falsche Fährte gelegt.
Doch sie belog sich selbst, das wusste sie. Die einzige Möglichkeit, die blieb, war, dass jemand sie verraten hatte. Irgendjemand aus dem Orden musste es den Todessern mitgeteilt haben. Grimmig klammerte sie sich am Rücken des Thestrals fest. Wenn sie im Fuchsbau waren, hatten sie Antworten. Aber konnten sie den Menschen, die sich im Fuchsbau versammeln würden, wirklich trauen?
Sie folgte Kingsley, nachdem sie gelandet waren.
„Sie-wissen-schon-wer hat uns verfolgt,“ sagte sie, während sie nach dem Portschlüssen suchten, „ohne Besen. Er kann fliegen. Er war einfach plötzlich da, flog zwischen den Todessern, und dann war er wieder weg.“
Kingsleys einzige Antwort darauf war ein Fluch. Hermine wusste, dass ihnen die Zeit davon lief. Wenn sie den Portschlüssen nicht innerhalb der nächsten Minuten erreichten, würden sie ihn verpassen.
„Da ist er!“, rief sie aus. Tatsächlich, gut versteckt in dem kleinen Haus, das ihr Zielort gewesen war, zwischen allem möglichen anderen Gerümpel, ragte ein Kleiderbügel hervor. Sie griffen zu und das altbekannte Ziehen am Nabel sog sie davon.
Kaum waren sie gelandet, kamen Harry und Lupin aus dem Fuchsbau auf sie zu gerannt. Ohne an ihre Befürchtung, dass einer von ihnen ein Verräter sein könnte, zu denken, fiel sie Harry um den Hals.
Neben ihr waren Lupin und Kingsley weniger unachtsam. Sie forderten geheimes Wissen voneinander, ehe sie zuließen, dass alle ins Haus zurückkehrten.
„Wer ist schon zurück?“, erkundigte Hermine sich.
„Hagrid, Remus, Goerge und ich“, erwiderte Harry und deutete auf den auf einem Sofa liegenden George: „George hat’s erwischt. Er hat sein Ohr verloren, aber er wird es überleben.“
Erschöpft ließ Hermine sich auf einen Sessel sinken. Um sie herum diskutierten Lupin, Kingsley und Harry die Geschehnisse des Abends, doch Hermine konnte sich nicht konzentrieren. Ihre Gedanken waren bei Ron, der noch nicht zurück war. Sie wusste, dass Tonks bei ihm war. Tonks war eine fähige Aurorin, auch wenn sie noch jung war. Ihnen würde nichts geschehen. Ganz gewiss würde ihnen nichts geschehen.
Als nächstes trafen Fred und Arthur Weasley ein. Ungeduldig sprang Hermine auf. Wo blieb Ron nur? Mit halbem Ohr hörte sie sich die lahmen Witze, die Fred und George austauschen an. Schweizer Käse. Ganz kurz musste sie grinsen. Wenn die Zwillinge in einer Situation wie dieser noch Scherze machen konnten, würde bestimmt alles gut gehen. Alles würde gut gehen.
Sie stellte sich an den Eingang und starrte in den dunklen Nachthimmel. Wenn sie ihre Portschlüssel verpasst hatten, würden sie vermutlich mit dem Besen kommen. Das konnte schon dauern. Es war völlig normal, dass es dann länger dauerte.
Und plötzlich formten sich zwei Gestalten in der Dunkelheit.
„Da sind sie!“, schrie sie den anderen zu, ehe sie zu den beiden hinlief.
Ohne auf ihre Umgebung zu achten, riss sie Ron in eine Umarmung. Er lebte. Alles war gut. Er lebte und wirkte gesund und unverletzt.
„Dir ist nichts passiert“, murmelte er leise in ihr Haar, während er die Umarmung ebenso fest erwiderte.
„Ich dachte … ich dachte…“, schluchzte Hermine, doch sie konnte nicht aussprechen, was wirklich in ihr vor sich ging.
„Es ist okay, mir geht es gut“, versicherte ihr Ron, während er ihr liebevoll über den Rücken streichelte.
„Ron war großartig!“, sagte Tonks, die sich ihrerseits aus einer Umarmung von Remus löste: „Große Klasse! Hat einen Todesser direkt erwischt, am Kopf! Vom Besen aus ein fliegendes Ziel zu treffen … einsame Spitze!“
Jegliche Anspannung löste sich von Hermine und sie lachte auf: „Das hast du getan?“
Ron warf ihr einen finsteren Blick zu: „Warum wirkst du immer so überrascht?“
Erleichterung durchströmte Hermine. Ron und Harry waren die beiden wichtigsten Menschen in ihrem Leben. Ron und Harry und Draco. Sie wüsste nicht, was sie tun würde, wenn sie einen von ihnen verlieren würde.