MARKUS
„Wir brauche Baum, Markus!“
Wie jetzt?
„Einen Baum?“, wiederhole ich stumpfsinnig.
„Ja, du wissen. Weihnachtsbaum!“
Ach so ja, diese Geschichte. Alle Jahre wieder.
„Maria, du vergisst, Gregor ist ein Vampir. Und Vampire feiern kein Weihnachten.“
„Du reden Unsinn. Er noch nie beschwert darüber.“, widerspricht sie energisch.
„Ja, weil er zu höflich ist. Wenn er nichts sagt heißt es nicht, dass er es auch haben will.“
„Oh doch! Er sagen sehr wohl Meinung zu mir.“
Das ist wohl war.
Aber in diesem Falle kann ich den Grafen nicht einschätzen. Vielleicht möchte er auch einfach ihre Gefühle nicht verletzen?
Ich selbst habe nichts gegen einen Baum. Ganz im Gegenteil.
Als meine Eltern noch lebten, hatten wir natürlich auch jedes Jahr einen.
Im Wohnzimmer stand er immer, links vor der Wand.
Ich erinnere mich noch genau.
Vater pflegte ihn immer samstags zu schlagen. Mit persönlicher Erlaubnis des gnädigen alten Herrn von Wattenstein, dem dieser Wald auch gehörte.
Und er wechselte gerecht ab. Jedes Jahr durfte einer von uns Kindern ihn begleiten. Gemeinsam wurde dann diskutiert:
Dieser ist
zu klein oder zu groß
zu krumm oder zu gerade
zu buschig oder zu kahl
lieber Fichte oder Kiefer
Papa behandelte uns immer gleichberechtigt und hörte uns in Ruhe an, was wir zu sagen hatten. Das Aussuchen ging länger als das Fällen an sich und war unser Ritual. Gehörte quasi dazu. Wir diskutierten, warum wir gerade diesen Baum haben wollten oder eben nicht.
Interessanterweise haben wir auch nie die wirklich schönen mitgenommen. Und davon gab es mehr als genug.
Nicht die geraden, nach Norm gewachsenen Bäume hatten es uns angetan. Nein, die mit den schiefen Ästen, die asymmetrischen, manchmal auch kleine Exemplare.
Individuell, von Wind und Wetter gezeichnet, diese Bäume suchten wir aus.
Und so hatten wir auch nie einen „gefälligen“ Weihnachtsbaum – und doch in unseren Augen mit den Ecken und Kanten viel schöner als diese genormten und langweiligen Bäume, die man sonst überall anzutreffen pflegt.
Denn diese Bäume wurden nicht in Reih und Glied angepflanzt und eingenormt, sondern durften wachsen, wie Mutter Natur es für sie vorgesehen hatte.