Der düstere Wachturm, der ganz Schneehalla überblickt, besitzt eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf dich.
"Was gibt es dort?", fragst du Knorr, dessen Miene sich verdüstert.
"Komm", sagt dein großer Begleiter.
Ihr stapft durch die Straßen und den gewundenen Pfad zum Wachtturm hinauf. Knorr stößt eine Tür auf, die in den Angel quietscht.
Im Turm ist es unheimlich still. Du hörst leises Tropfen von Wasser, möglicherweise von schmelzendem Schnee. Der Turm ist aus Schnee erbaut, die enge Treppe im Inneren ist jedoch mit Steinen ausgekleidet, damit man nicht von den Stufen rutscht.
Knorr hebt dich vorsichtig auf seine Schultern und trägt dich die Treppe hinauf, denn die Stufen sind viel zu hoch für dich.
Oben setzt dein Übersetzer dich ab.
Ihr habt einen düsteren Raum erreicht, dessen Boden mit Holzbrettern bedeckt ist. Es ist dunkel, Licht kommt nur durch ein einziges, hohes und schmales Fenster. Eine in die Wand geschlagene Leiter führt zur obersten Ebene.
"Hallo?", ruft Knorr in deiner Sprache.
Oben rumpelt es, dann erscheint ein pechschwarzer Kopf in der Öffnung in der Decke. Du unterdrückst einen Schreckensschrei: Es ist ein Yeti mit nachtschwarzem Fell, nur die Augen glitzern in der Dunkelheit.
"Ist es der Mensch?", fragt der Yeti mit einem heiseren Flüstern. "Ist es der Mensch, den ihr gefunden habt?"
Knorr drückt dich sanft nach vorne und schweigt.
Du räusperst dich. "J-ja. Ich bin ... der Mensch."
"Ah. Ich habe mich gefragt, wann du kommst", sagt der schwarze Yeti und reicht dir von oben einen langen Arm. "Komm, Mensch mit Verstand. Komm her, Weltenwanderer. Du musst die Sterne sehen."
Nach einem letzten, hilflosen Blick zu Knorr trittst du auf die dargebotene Pranke und lässt dich nach oben ziehen.
Du findest dich auf einer Aussichtsplattform wieder. Es gibt ein von dünnen Schneesäulen getragenes Dach und ein Geländer um den runden Turm. Der Wind heult laut und es ist kalt. Selbst mit dem neuen Pelz klappern dir die Zähne.
"Sieh nach oben", haucht dir der schwarze Yetis in Ohr. "Sieh nach oben zu den Sternen."
Du trittst an den Rand der Plattform, unter dem Dach hervor und packst das Geländer. Einen Moment siehst du nach unten, wo klein wie Spielzeug die Häuser von Schneehalla stehen.
Dann hebst du den Kopf in den Nacken.
Es sind viele Sterne. Sie leuchten aus der schwarzen Nacht hervor, blinken und blinzeln, angeordnet zu Nebeln und Straßen und zu Sternbildern, die du nicht kennst. Die Nacht ist klar und mondlos. Der Himmel kommt dir unendlich weit vor. Für einige Augenblicke fühlst du dich, als würdest du in einen tiefen Brunnen stürzen.
"Sieh genau hin - siehst du, wie die Sterne verschwinden?" Der schwarze Yeti steht immer noch neben dir.
Tatsächlich: Du kannst erkennen, wie die Sterne einer nach dem anderen von einer formlosen Dunkelheit verschlungen werden. Es sind so viele, dass der Verlust kaum auffällt, doch offenbar schreitet er stetig und unaufhaltsam voran.
"Wer bist du?", fragst du den Yeti flüsternd.
"Ich bin der Sehende", antwortet er. "Und ich bin dein Bote, Weltenwanderer. Die Dunkelheit kommt, um uns zu verschlingen: Sterne, Berge und Meer - die ganze Welt. Nur du kannst sie aufhalten, nur du kannst das Licht bringen."
"Ich?"
"Du. Ein Weltenwanderer. Du kannst als einziger zum Ende der Welt gehen und Rettung finden."
Dich fröstelt. Du schlingt den Mantel fest um deine Schultern und weichst zurück. "Ich ... ich weiß nicht, ob ich das kann! Ich bin doch nur ..."
"Du bist ein Weltenwanderer, der letzte, der noch übrig ist. Du kannst diese Welt verlassen, niemand sonst kann das. Es ist deine Verantwortung", sagt der schwarze Yeti.
Du stolperst rückwärts und trittst ins Leere. Du fällst durch die Öffnung im Boden.
Noch bevor du schreien kannst, fängt dich jemand auf. Knorr.
"Mensch mit Verstand! Alles gut?", fragt der riesenhafte Yeti.
Du setzt dich langsam auf. "Ja. Danke, Knorr."
Du siehst nach oben, doch von dem schwarzen Yeti ist in der Öffnung nichts zu sehen.
"Wer ... wer ist das, Knorr?"
"Wer? Wovon du sprechen?", fragt der Yeti verwirrt. "Ist niemand hier oben. Ist Frieden, wir keine Wachen brauchen." Er mustert dich besorgt. "Wir besser gehen."
Da kannst du dem Yeti nur zustimmen. In deinem Kopf dreht sich noch immer alles.
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- Auf den Marktplatz. Kapitel 466:
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- In das Haus der Versammlung. Kapitel 464:
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- In den Schlafsaal. Kapitel 465:
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- In den Tempel. Kapitel 462:
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- In die Weberstube. Kapitel 463:
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- Dich mit Knorr unterhalten. Kapitel 748:
[https://belletristica.com/de/chapters/138138/edit]
Möchtest du Schneehalla verlassen, lies bei Kapitel 470 weiter. [https://belletristica.com/de/chapters/35942/edit]