Ich wachte langsam auf, allerdings wunderte ich mich, im Bett zu liegen. War ich am Vortag etwa noch ins Bett gegangen? Ich konnte mich nicht mehr erinnern. Wo war denn Andrew? Wie ein Blitz traf mich die Erinnerung, war er wirklich weg? Hatte er mich wirklich verlassen? Ich sprang auf und lief ins Wohnzimmer und von da weiter in die Küche, auch hier war er nicht. Er war nicht da.
So schnell ich konnte, lief ich zurück ins Schlafzimmer und riss die Schranktüren auf. Leer. Der Schrank war vollkommen leer. Auf der oberen Ablage sah ich einen Zettel. Mit zitternden Händen nahm ich den Zettel und las ihn.
Liebste Mia,
Ich musste geschäftlich weg. Du fragst dich sicher, warum ich alle Sachen mitgenommen habe, aber wenn ich mich wirklich entschließen sollte, dass unsere Beziehung nicht mehr funktioniert, möchte ich keinen Grund haben, noch einmal in die Wohnung kommen zu müssen.
Pass auf dich auf Mia.
Ich liebe dich
Andrew
Ich spürte, wie meine Knie zitterten. Mit einem Mal hatte mein Leben eine Wendung genommen, warum sollte ich jetzt noch weiterleben? Durch ihn konnte ich jeden Tag bei Tyron durchstehen, wie sollte ich das jetzt noch schaffen?
Reiß dich zusammen, fuhr ich mich an. Noch hatte er sich nicht entschieden und solange das der Fall war, würde ich auch nicht aufgeben. Noch hatte Tyron nicht gewonnen. Wie aufs Stichwort ging mein Handy los.
„Ja?“, fragte ich, nachdem ich es auf dem Nachttisch gefunden hatte.
„Wo bleibst du?“, fuhr mich Sam am anderen Ende an.
„Was? Warum?“
„Es ist bereit um elf, du solltest schon lange bei Tyron sein!“, sagt er gereizt.
„Verdammt, ich bin in weniger als einer Stunde da!“, gab ich zurück und tat etwas, was ich noch nie getan hatte. Ich legte einfach auf. So schnell ich konnte, ging ich duschen, frisierte mich und ging zurück ins Schlafzimmer. Ich schlüpfte in meine Sachen, eine Jeans und ein roter Pullover.
Ich schnappte mir mein Handy, die Schlüssel und rannte runter zu meinem Wagen. Gerade erst vom Verlobten verlassen und schon wieder arbeiten gehen, meine Stimmung sank noch tiefer. Ich hatte mit dem Gedanken gespielt, einfach nicht zu gehen, aber ich wusste wiederum, dass Tyron ihn finden und ihm etwas antun würde. Ebenso wäre ich danach das nächste Opfer gewesen.
Ich kam beim Bürogebäude an, stellte das Auto auf dem Parkplatz ab und rannte fast nach drinnen. Die Tür zu Tyrons Büro öffnete sich natürlich von allein. Ich lief zum Schreibtisch, doch unterwegs wurde mein Arm auf den Rücken gedreht, ich wurde zu Boden gedrückt und mein Kopf wurde an meinen Haaren zurückgezogen. Ich blickte direkt zu Tyron, er hatte seine Finger ineinander verschränkt und seine Augen geschlossen. „Mia“, begann er mit ruhiger Stimme. „Verrat mir bitte, was du dir dabei gedacht hast, mich hier warten zu lassen und Sam so am Telefon zu behandeln?“
„Es tut mir Leid. Ich hatte verschlafen und wollte dann nur so schnell wie möglich herkommen!“, erklärte ich, so schnell ich konnte.
Meine Arme begannen zu kribbeln. Was sollte das?
„Mia, Mia. Es war ein großer Fehler und muss wohl oder übel bestraft werden!“, sagte Tyron und öffnete jetzt seine Augen.
„Tyron, bitte. Es wird nicht noch mal vorkommen!“, flüsterte ich.
„Du weißt, dass ich so etwas nicht dulde!“
Mein Arm schmerzte, aber jetzt war es auch kein Kribbeln mehr, sondern leichte Stromstöße, die durch meine Arme gejagt wurden. Vassago, dachte ich.
Ich nickte schwach.
„Na schön, dieses eine Mal lass ich es dir durchgehen, aber wehe es kommt noch einmal vor!“, ermahnte er mich.
Noch einmal nickte ich. Er machte eine wegwerfende Handbewegung, nachdem Vassago noch einem zugedrückt hatte, ließ er mich los.
Ich war froh, noch einmal davongekommen zu sein, aber natürlich freute ich mich zu früh. Langsam stand ich auf und wartete auf Anweisungen, als ich schon wieder an den Haaren gepackt und rücklings auf den Boden befördert wurde. Der Aufprall drückte mir die Luft aus der Lunge und ließ mich keuchen. Mein Kopf begann zu dröhnen und ich kämpfte mit der Schwärze. Zu meinem Glück, wenn ich das so bezeichnen konnte, gewann ich und bekam so meinen Angreifer zu Gesicht. Sam. Er stand über mir und sah mich mit wütenden Augen an.
Langsam beugte er sich zu mir runter und packte mich am Hals. Er schien es zu genießen.
„Du kommst mir nicht so leicht davon!“, drohte er und ging wieder.
Ich quälte mich auf und rieb über meinen Hals. Tyron schüttelte lächelnd den Kopf, wenn ich es nicht besser gewusst hätte, würde ich sagen, dass er eben Kinder beobachtet hatte, die gemeinsam spielten.
Es dauerte nicht sonderlich lange, bis ich wieder schmerzfrei atmen konnte. Im selben Moment reichte Tyron mir fünf Notiz zettel. Auf allen standen Straßennamen und Uhrzeiten. Wie sooft durfte ich quer durch die ganze Stadt fahren. Natürlich ließ ich es mir nicht anmerken, wie sehr es mir gegen den Strich ging. Ich lächelte.
„Wird erledigt!“
Tyron nickte und gab mir die Erlaubnis, zu gehen.
Als ich wieder in meinem Auto saß, verriegelte ich die Türen, auch wenn sie niemals einen Dämon aufgehalten hätten. Aber ich braucht das Gefühl von Sicherheit, schon lange hatte ich mich nicht mehr so verletzlich oder angreifbar gefühlt.
Ich nahm mein Handy aus der Hosentasche und warf es auf den Beifahrersitz. Schließlich machte ich mich auf den Weg zu meinem ersten Treffpunkt. Ein Uhr sollte das erste Treffen in einer Gasse stattfinden. Leider war es nicht immer leicht, die Dämonen zu überzeugen, für Tyron zu arbeiten.
Am Straßenrand blieb ich stehen, stellte den Motor ab und lehnte mich zurück. Noch hatte ich fünfzehn Minuten, also hieß es für mich warten. Ich sah auf die andere Straßenseite zu der Gasse, in der ich mich dann mit dem Dämon treffen würde.
Die Straße war natürlich sehr belebt. Frauen gingen mit oder ohne Kinder ihren Einkäufe nach, Geschäftsmänner schrien um die Wette ins Handy, Teenager fuhren mit Skateboards oder Inlineskater über den Gehweg, Verkäufer brüllten, andere Leute lachten, tratschen oder saßen auf der Bank und warteten auf den Bus.
Ich blickte zurück zur Gasse, bis auf ein paar Müllcontainer und streuenden Katzen war da nichts zu sehen. Ich nahm mein Handy und sah auf die Uhr, immer noch zehn Minuten Zeit. Eine Weile blickte ich auf mein Handy. Sollte ich ihm schreiben? Ich schüttelte den Kopf. Miese Idee. Ich knallte mein Kopf gegen die Kopflehne und legte das Handy zurück. Was solltest du ihm schreiben? Dass du eben etwas für Tyron erledigen bist und du dir gedacht hast, ihm mal zu schreiben?, fuhr ich mich in Gedanken an.
Ob ich nun wollte oder nicht, ich musste mich in Geduld üben und einfach warten, bis er sich meldete.
Ich fuhr mir durch meine Haare und blickte zur Gasse. Da war er. Aus dem Handschuhfach holte ich mir meine Waffe, lud diese und steckte sie gesichert in meinen Hosenbund am Rücken. Ich stieg aus dem Wagen, schloss ab und ging zur Gasse. Für einen Dämon sah er nicht schlecht aus. Kurze schwarze Haare, schwarze Jeans, blaues Hemd.
Ohne uns zu begrüßen oder irgendwie zu berühren, gingen wir tiefer hinein. Am Ende blieben wir stehen und ich sagte: „Du weißt, warum ich hier bin!“
Er nickte. Mit einer tiefen Stimme, die so gar nicht zu ihm passte, antwortete er: „Ja, aber ich weiß nicht, warum ich für Tyron arbeiten sollte!“ „Ganz einfach, entweder du hilfst ihm bei seinem Plan oder du wirst sterben!“, erklärte ich und stemmte die Hände in die Hüfte.
„Was hat er überhaupt vor?“
Genervt zuckte ich mit den Schultern. „Wie du mitbekommen hast, bin ich nur ein Mensch, warum also sollte er mich bitte einweihen?“
Er sah mir direkt in die Augen und verschränkte seine Arme vor der Brust. Ich wartete einfach ab, letztendlich war es mir egal, was er tat. Ich war nur der Bote und falls notwendig, der Henker. Allerdings tötete ich sehr ungern, auch wenn es nur ein Dämon war, aber ich glaubte bei Tyron, Vassago und Sam eine Ausnahme machen zu können.
„Na schön!“, riss er mich aus meinen Gedanken. „Wo soll ich hin?“
Ich gab ihm die Adresse von dem Bürogebäude.
Zurück in meinem Wagen sah ich auf dem nächsten Zettel. Um drei Uhr war das Treffen, also noch gute zwei Stunden Zeit. Ich musste zum großen Marktplatz. Unterwegs dahin machte ich noch einmal bei einem Bäcker Halt, kaufte mir eine Zimtschnecke und einen Kaffee. Als ich beim Marktplatz ankam, schaffte ich mir zuerst einen Überblick. Natürlich musste das Treffen auf einem überfüllten Platz stattfinden, wo man selbst kaum laufen konnte. Überall standen Buden, Verkäufer boten ihre Waren an und andere sahen sich um. Da ich noch eine Stunde Zeit hatte, genoss ich meine Zimtschnecke und meinen Kaffee.
Wieder fiel mein Blick aufs Handy. Schüttelte aber schnell den Kopf und nippte noch einmal an meinem Kaffee. Schließlich nahm ich die Überreste meines kurzen Mahls und stieg aus. Ich machte mich auf dem Weg zum Treffpunkt, warf unterwegs den Müll weg und sah mir hier und da einige Waren an.
Das erinnerte mich daran, wie ich immer mit Andrew zum Weihnachtsmarkt gegangen war, wir hatten immer viel Spaß. Immer, kurz bevor wir wieder gingen, kauften wir uns Zuckerwatte und das auch immer am selben Stand. Ob es auch dieses Jahr so sein wird? Ich ging weiter zum Treffpunkt mit der Hoffnung, dass der Dämon eher kommen würde.
Dass ich aber tatsächlich mal Glück haben würde, hätte ich niemals erwartet. Eine Hand legte sich auf meine Schulter, ich zuckte zusammen und drehte mich ruckartig um.
„Ich mach mit, also wo muss ich hin?“, platzte es aus ihm heraus.
Dieser Dämon hatte die Gestalt eines Teenagers, ein pickeliges Gesicht, die Hose und das Shirt, das er trug, waren ihm zu groß.
„Woher wusstest du, dass ich dein Kontaktmann bin?“, fragte erstaunt.
„Du riechst nach Dämon, ich war mir sicher, dass du es bist!“, erklärte er.
Ich zuckte mit den Schultern und gab auch ihm die Adresse und war froh, bereits das zweite Treffen hinter mir zu haben. Als ich wieder im Auto saß, rief ich Tyron an und gab ihm Bescheid, dass bereits zwei Dämonen unterwegs waren. Natürlich war er begeistert.
„Gute Arbeit Mia, bevor ich es vergesse. Vergiss die anderen Treffen. Du musst einen anderen, wichtigeren Auftrag erledigen!“, erklärte er. Wenn ich mich getraut hätte, hätte ich natürlich widersprochen.
„Wo soll ich denn hin?“
„Du fährst raus aus der Stadt, auf den Highway und folgst der Straße um die zwanzig Meilen. Irgendwann wirst du auf ein Haus stoßen, das erste auf deiner Fahrt, also wirst du es nicht übersehen. Den Rest kennst du!“, erklärte er.
„Natürlich. Ich melde mich, wenn ich alles erledigt habe!“
„Gut!“, antwortete er noch und legte auf.
Die Dämmerung setzte bereits ein, als ich endlich ein Haus sah. Es sah heruntergekommen aus.
Ich parkte direkt davor und sah es an. Das Dach war bereits eingebrochen, Fenster waren verdreckt und einige zerbrochen. Ich überprüfte, ob meine Waffe noch immer im Hosenbund steckte. So leise ich konnte, lief ich auf die Veranda, das Holz knarrte unter meinen Füßen.
Die Haustür hing nur noch schwach an der Türangel. Ich schob sie auf, wie ich mir gedacht hatte, brach sie von der Angel ab und fiel krachend zu Boden.
Auch von innen war das Haus heruntergekommen, die Decke und der Boden wiesen Löcher auf. Das Treppengeländer lag am Boden und ich wusste, dass auch die Treppe nicht mehr sehr stabil war. Von jetzt auf gleich änderte sich alles, die Umgebung blieb natürlich, aber die Atmosphäre war eine vollkommen andere, das ruhige Gefühl änderte sich in Gefahr. Die Luft war geladen und düster als zuvor.
Wenn auch leise und schwach, hörte ich ein Knistern, es war vergleichbar mit einer Tüte oder wie Elektrizität. Meine Augen weiteten sich. Das konnte nicht sein, dachte ich und drehte mich langsam um.
Er stand tatsächlich da, Vassago. Seine Augen blitzen regelrecht, ob es Vorfreude oder Wut war, konnte ich nicht bestimmen, beides gefiel mir ganz und gar nicht. Als auch noch Sam neben Vassago auftauchte, verstärkte sich mein Angstgefühl. Es sah schlecht für mich aus, das wusste ich.
Beide kamen mit einem breiten Grinsen auf ihren Lippen in meine Richtung gelaufen.