Hätte ich versuchen sollen, wegzulaufen? Was hätte es gebracht? Entweder hätte er oder Tyron mich gefunden. Wo lag also der Unterschied des Schreckens?
Baal war kein bisschen besser als Tyron. Er meinte zwar, etwas Gutes zu tun, in dem er die Menschheit von Tyron befreien wollte, aber die Mittel waren nicht besser als die von Tyron. Wie konnte ich Baal eigentlich helfen? Er wusste, dass ich in dem alten Haus fast gestorben wäre. Was sollte ich schon ausrichten können?
Da saß ich in der hintersten Ecke meines Zimmers, meine Beine hatte ich an meinen Körper gezogen und meine Arme herumgeschlungen. Mein Kopf lag auf meinen Knien.
Endlich hatte ich zu zittern aufgehört, ich wusste nicht einmal, warum es angefangen hatte. Aber jetzt schmerzte mein Kopf und ich fühlte mich müde.
Wann Baal gegangen war, wusste ich nicht, eigentlich war es mit vollkommen gleich.
Er wusste bereits, dass ich ihm helfen würde, auch wenn mein Leben katastrophal und mit Schmerzen verbunden war, hing ich daran. Noch konnte ich hoffen, dass Andrew sich nach dieser ganzen Sache bei mir melden würde.
Natürlich vernahm ich, dass die Tür ins Schloss gedrückt wurde und dass jemand in meinem Zimmer stand, aber es war mit egal. Sollte Baal doch hören, was ich dachte, zumindest brauchte ich es ihm nicht noch einmal sagen. Ich wollte nur noch nach Hause, wollte zu Andrew, wollte mein Leben wieder haben, bevor das mit Tyron beginnen würde.
„Miss Shepard, Sie sollten etwas essen!“ hörte ich Baals Stimme.
Stimmt, Callie hatte mir ein Tablett mit einem Sandwich und Saft gebracht, aber ich verspürte weder Hunger noch Durst.
Ich hörte Baal schwer atmen.
„Hören Sie, Miss Shepard. Ich kann mir denken, dass Sie hoffen, endlich verschwinden und sich vor Tyron verstecken zu können...“ Ich lachte laut auf und unterbrach ihn damit.
„Verstecken? Vor Tyron? Sie selber sind doch ein Dämon. Sie müssten wissen, dass man sich nicht so einfach verstecken kann!“
Noch immer saß ich an meinem Platz, hatte meinen Kopf auf meinen Knien und sah auch weiterhin zur Wand. Ich wollte Baal nicht sehen, das musste ich auch gar nicht. Ich konnte mir gut vorstellen, wie er nickte.
„Sie haben Recht, aber wenn Sie mir helfen und vor allem wenn Tyron in der Hölle ist, können Sie Ihr gewünschtes Leben führen. Sie können Leben, wo Sie wollen und Sie werden unter meinem persönlichen Schutz stehen!“ erklärte er. Ich spürte seinen Blick auf mir. Langsam hob ich meinen Kopf und sah in Baals Augen.
„Können Sie das überhaupt?“ fragte ich flüsternd und erlaubte, das Gefühl von Hoffnung in mir aufkommen zu lassen.
Er nickte. „Ich kann es Ihnen Versprechen!“
Ich schüttelte den Kopf. „Versprechen von Dämonen bedeuten nichts!“ zischte ich.
Ich sah, wie ein Lächeln über seine Lippen huschte. „Meine schon!“
Schweigen lag im Raum.
Wir sahen uns in die Augen, ich suchte nach der Lüge. Nach all den Jahren hatte ich bei Tyron mitbekommen, wenn er log. Seine Augen verdunkelten sich immer um einiges.
Aber bei Baal war es nicht so, er starrte mir weiter in die Augen, aber nichts änderte sich, vielleicht konnte er einfach besser lügen oder er sagte die Wahrheit.
Ob ich wollte oder nicht, ich musste ihm vertrauen. Oh Gott, ich musste einem Dämonen vertrauen.
„Sie werden es nicht bereuen!“ flüsterte er.
Mein Blick wich nicht von seinen Augen, ich mochte es gar, nicht wenn er meine Gedanken las.
Ich musste mich daran gewöhnen, ob ich wollte oder nicht und aufpassen, was ich in seiner Gegenwart dachte.
„Miss Shepard, essen Sie bitte etwas und nehmen Sie danach ein Bad, ich werde dann wieder zu Ihnen kommen!“
Ich nickte. Ich war Baal dankbar, dass er mich etwas entspannen ließ. Meine Kopfschmerzen waren noch immer präsent.
Nachdem er das Zimmer verlassen hatte, stand ich langsam auf, setzte mich auf mein Bett und begann zu essen. Callies Sandwich war mal wieder lecker. Ich trank den Saft und ging dann ins Badezimmer duschen.
Sobald das heiße Wasser über meinen Körper lief, entspannte ich mich. Immer wenn ich badete oder duschte, gab es mir ein Gefühl der Normalität. Ich setzte mich in die Wanne und ließ das Wasser einfach auf mich rieseln, es war ein unglaubliches Gefühl.
Nach ungefähr dreißig Minuten stellte ich das Wasser ab, stieg aus der Wanne, trocknete mich ab und schlüpfte wieder in meine Sachen.
Ich trat in den Flur und zuckte zusammen, als ich jemand brüllen hörte: „Das kannst du nicht von mir verlangen!“
Diese Stimme, ging es mir durch den Kopf und ich sah zur Treppe.
„Pass auf, mit wem du redest! Ich würde es nicht verlangen wenn es nicht nötig wäre!“ hörte ich Baal antworten, aber ich achtete weniger auf seine, als auf die des anderen Mannes.
„Ich kann das nicht!“ entgegnete nun er etwas ruhiger, er klang sogar verzweifelt.
„Wenn es nötig ist, wirst du es tun!“ verlangte Baal.
Ich stand am oberen Treppenabsatz, mein Herz dröhnte in meinen Ohren, ich bekam Angst, dass Baal es hören könnte, so laut schlug es.
„Jetzt geh an die Arbeit!“ wies Baal ihn an. Ich sah die Haustür und zwei weitere Türen links und rechts von der Treppe. Aus dem linken Raum traten Baal und der Mann, von dem ich die Stimme gehört hatte.
Aber das konnte nicht sein. Schlief ich etwa? Träumte ich nur?
„Andrew!“ flüsterte ich. Beide hörten mich nicht. Baal brachte ihn zu Tür und schloss diese, in diesem Moment löste sich meine Starre.
„Andrew! rief ich und rannte die Treppe hinunter. Ich wollte und musste einfach zur Tür, aber Baal hielt mich auf, er packte mich am Arm.
„Sie bleiben hier!“ fuhr er mich an.
Hastig schüttelte ich den Kopf. „Ich will doch nur mit ihm sprechen!“ Ich konnte mich losreißen, stieß die Tür auf und sah zu dem Mann, der gerade in das Auto stieg. Aber es war nicht Andrew. Hatte ich mir das eingebildet? Ich hatte doch die Stimme gehört und ihn gesehen, oder nicht? Verlor ich jetzt meinen Verstand?
„Miss Shepard, ich würde Sie bitten, wieder ins Haus zu kommen!“ hörte ich Baals gereizte Stimme.
Kann er es bewerkstelligt haben? Hatte er etwas damit zu tun, dass ich dachte, dass dieser Fremde Mann Andrew war oder dass ich dachte, dass Andrew ein Fremder war?
„Ich bin ein Dämon, kein Zauberer!“ antwortete er auf meine Gedanken. Oder hatte ich diese Frage laut gestellt? Ich wusste es nicht, mit einem Lauten Knall schloss ich die Tür und drehte mich zu Baal.
„Gehen Sie nach oben Miss Shepard, ich komm gleich nach!“ Ich hatte keine Lust, zu widersprechen und lief nach oben in mein Zimmer.
Was war hier nur los? Wurde ich wirklich langsam verrückt? Ich blickte durchs Fenster nach draußen, anscheinend ging nicht mal ein kleines Lüftchen oder sah ich es einfach nicht? Ich vertraute mir selber kaum noch. Wo würde das denn hinführen?
Die Tür fiel ins Schloss. Langsam drehte ich mich zu Baal um.
„Was war unten los mit Ihnen?“ Baals Stimme klang beherrscht.
Ich hatte daran gedacht, es auf sich beruhen zu lassen, nicht zu antworten oder mich einfach zu entschuldigen. Aber dann dachte ich daran, dass ich mich immer gebeugt hatte.
„Ich musste einfach sicher gehen, ich dachte die Stimme meines...“ ich stockte kurz. „Ich meine, ich dachte, die Stimme von Andrew gehört zu haben!“
Baal sah mich skeptisch an. War es Skepsis? Er schüttelte den Kopf.
„Lassen wir es gut sein. Kommen wir zum eigentlichen Thema. Tyron!“
Ich wusste nicht, warum, aber ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Ich wollte wissen, ob es Andrew war oder nicht, aber Baal würde mir diese Antwort nie geben. Ob ich nun wollte oder nicht, ich musste dieses Thema erst einmal ruhen lassen und hoffen, irgendwann die Antwort zu bekommen.
„Wie hatten Sie sich das vorgestellt?“ fragte ich gereizter als gewollt.
„Es wird einige Zeit in Anspruch nehmen, aber da müssten wir wohl durch!“ natürlich unterbricht man niemanden beim Reden, aber ich tat es schon wieder.
„Soll das heißen, es kann sein, dass ich noch Jahre bei Tyron feststecke?“ fragte ich geschockt.
Baal nickte. „Das kann gut sein!“
„Gut? Das können Sie nicht machen. Wer weiß, wie lange ich noch am Leben sein werde!“ brauste ich auf und sah ihn jetzt entsetzt an.
„Sie stehen unter meinem Schutz!“ erinnerte er mich.
„Wie wollen Sie mich bitte schützen, wenn ich bei Tyron bin?“
„Lassen Sie das meine Sache sein!“
Ich wurde langsam wütend, er spielte mit meinem Leben. Eigentlich musste ich daran gewöhnt sein, aber es machte mich einfach wütend, weil ich gedacht hatte, dass er anders war, dass ich ihm vertrauen konnte und weil ich mir das Gefühl der Hoffnung erlaubt hatte.
„Um auf Ihre Aufgaben zurückzukommen, natürlich werden Sie nach wie vor das tun, was Tyron verlangt. Aber Sie werden sich auch etwas einfallen lassen müssen, um Sam und Vassago von Tyron zu trennen!“ erklärte er.
„Verraten Sie mir auch, wie ich sie trennen soll?“ fragte ich und verschränkte jetzt meine Arme vor der Brust.
„Das wiederum ist Ihre Sache. Lassen Sie sich etwas einfallen!“.
Wäre er kein Dämon, einen Kopf kleiner als jetzt und nicht so muskulös gebaut, würde ich ihn auf der Stelle erwürgen.
„Sie schaffen das schon!“ sagte er fast lächelnd.
Hatte ich überhaupt eine andere Wahl?, fragte ich mich und war mir sicher, dass Baal irgendwie antwortete. Und er enttäuschte mich nicht, nur knapp schüttelte er den Kopf, versuchte aber auch abzulenken.
„Sie sollten sich ausruhen, Callie wird Ihnen sicher gleich Ihr Abendessen bringen. Guten Nacht, Miss Shepard!“ mit den Worten ließ er mich allein.
Ich legte mich aufs Bett, jetzt, nachdem meine Wut abgeklungen war, brach die Müdigkeit über mich ein. Ich glaubte kaum, dass Callie böse sein würde, wenn ich das Essen einfach ausfallen ließ. Mein Augen fielen bereits von allein zu und ich schlief ein.