(Andrews Sicht)
Wieder nur die Mailbox, verdammt.
Schon seit zwei Tagen versuchte ich, Mia zu erreichen, bislang ohne Erfolg. Hatte sie mich bereits abgeschrieben?
Nein, ich kannte meine Mia, so schnell würde sie mich nicht aufgeben. Ich vermutete, dass Tyron sie wieder voll einnahm.
Oft musste sie bis spät in die Nacht arbeiten, und dennoch früh wieder im Büro sein. Viel zu oft hatte sie blaue Flecke, die sie oft irgendwo am Körper mitbrachte. Meist kam die alte Ausrede, sie hätte sich irgendwo gestoßen.
Ich wusste, dass Tyron oder einer von seinen primitiven Kumpanen ihr das antaten.
Leider stand es mir nicht zu, etwas dagegen zu unternehmen, oder die drei dahin zu befördern, wo sie herkamen.
Hier saß ich also, auf dem Bett, in einem kleinen Apartment, mitten in Los Angeles. Schon seit einer Stunde versuchte ich, Mia zu erreichen, aber auch zu Hause nahm sie nicht ab. Ich hätte bei ihr bleiben sollen, aber mir blieb nichts anderes übrig, es war besser für uns beide.
Ich atmete tief durch und begann dann, meine Aufgaben zu erledigen. Das beinhaltete, verschiedene Anrufe zu tätigen, und Papierkram.
Schließlich begann ich, meine Sachen zu packen, Vorfreude stieg in mir auf, endlich wieder nach Hause zukommen.
Leider nicht zu Mia, aber vielleicht könnte ich versuchen, sie einmal zu sehen, auch, wenn es nur kurz auf der Straße sein sollte.
Ich hoffte, dass es ihr gut geht, eines stand für mich fest, würde Tyron, oder einer der anderen beiden Mia anfassen, wären sie so gut wie tot, möge kommen, was da wolle.
Heute Abend sollte ich meinen Flug nehmen. Bis dahin, so wusste ich, würde ich noch sehr oft versuchen, Mia zu erreichen.
****************************************************
(Mias Sicht)
Niemand von uns verlor auch nur ein Wort über den Mann, den ich bei Baal gesehen hatte. Vielleicht war es sein komischer Begleiter gewesen, aber es interessierte mich nicht wirklich.
Die Landschaft brauste nur so an uns vorbei und doch hatte ich das Gefühl, wir brauchten noch ewig bis nach Hause.
„Wann sind wir denn da?“, frage ich schließlich.
„Ich schätze heute Abend!“, antwortete er kurz.
Es sollten unseren letzten Sätze sein, keiner von uns begann eine Unterhaltung. Eine lange Fahrt würde uns bevor stehen.
Und ich behielt Recht, Keiner von uns redete, und so zog sich die Fahrt in unermessliche Länge.
Baal riss mich aus meinen Gedanken, die ich versuchte, so gut ich konnte vor ihm zu verbergen.
„Wir sind da!“, sagte er, während er einparkte.
Obwohl ich kaum erwarten konnte, Heim zukommen, hatte ich nicht wirklich mitbekommen, dass wir in die Stadt gefahren waren.
Und jetzt standen wir sogar vor meinem Apartmenthaus.
Erst wollte ich fragen, woher er wusste, wo ich wohnte, verkniff es mir aber, als mir wieder einfiel, dass er mich beobachtet hatte.
Vor meiner Tür fiel mir erst ein, dass ich keinen Schlüssel hatte. Zum Glück kam meine Erinnerung wieder, dass Andrew damals einen Schlüssel unter die Fußmatte geklebt hatte.
Erleichtert darüber, dass er noch an Ort und Stelle war, nahm ich ihn und schloss auf.
Ich betrat die Wohnung und stellte fest, dass sich hier nichts verändert hatte. Obwohl ich mir denken konnte, dass auch Andrews Schrank noch leer stehen würde, schaute ich dennoch nach, und meine Enttäuschung war dennoch groß. Fast wie von allein ging ich zum Telefon und betätigte die Taste mit der Aufschrift „Play“, in der Hoffnung, dass er angerufen hatte. Einfach seine Stimme zu hören, würde mir etwas von meiner Normalität zurückgeben.
Kurz piepte es und eine weibliche Computerstimme meldete sich: „Sie haben keine neuen Nachrichten!“ Das Piepen wiederholte sich und hinterließ Stille.
„Ruhen Sie sich heute noch etwas aus. Morgen ist ein langer Tag!“
Ich zuckte nur beiläufig mit den Schultern. Ohne etwas zu erwidern, ging ich in die Küche, nahm mir eine Flasche Wein aus dem Regal, ging damit ins Badezimmer und ließ Wasser in die Wanne laufen.
Ich schlüpfte aus meinen Sachen und steig in die Wanne. Das heiße Wasser und der darauf schwimmende Schaum verschlangen mich regelrecht und ich genoss es.
Es war sicher nicht damenhaft aus einer Weinflasche zu trinken, aber wen interessierte das schon?
Ich genoss den Wein, der mich von innen, und das heiße Wasser, das mich von außen so gut wie betäubte.
Am nächsten Morgen wachte ich wie gerädert auf, aber nicht weil ich gestern eine Flasche Wein getrunken hatte, sondern, weil ich mich die halbe Nacht nur im Bett gewälzt hatte und nicht schlafen konnte. Ob es daran lag, dass ich heute wieder zu Tyron musste, oder, weil ich den anderen beiden da begegnen würde, wusste ich nicht genau.
Ich musste da nun mal durch, noch hatte ich ein Ziel vor mir und solange ich das hatte würde ich auch Tyron überstehen.
Ich machte mich fertig wie an jedem Morgen, ging dann in die Küche, machte und trank da meinen Kaffee.
Baal saß im Wohnzimmer auf der Couch und musterte mich, als ich vor ihm stehen blieb.
„Sie haben schlecht geschlafen.“ Es war eine direkte Feststellung.
„Woher wissen Sie das schon wieder?“
Er lächelte leicht. „Ich habe Sie gehört!“
„Haben Sie nichts Besseres zu tun, als mir beim schlafen zuzuhören?“
Er machte ein Gesicht, als würde er überlegen und antwortete schließlich: „Nein, Sie sollten wissen, ich schlafe nicht!“
Ich verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf.
„Ich muss bis dann!“, sagte ich und lief zur Tür.
Ich hatte die Tür nur einen Spalt geöffnet, als Baal sie wieder zuschlug und sich mit seiner Hand dagegen lehnte.
„Was haben sie denn vor?“, fragte er und fixierte mich mit seinen verdunkelten roten Augen.
„Wie Sie selbst verlangt hatten, fahr ich zu Tyron um Ihren Plan irgendwie umzusetzen!“
„Einfach so? Woher wollen Sie wissen, ob Sie es überleben? Sie gehen ohne jeglichen Schutz darein!“, er klang aufgebracht.
Ich stand in der Ecke des Flures, zwischen Tür und Wand, vor mir Baal.
„Auch wenn es Ihnen egal ist, aber ich weiß, dass Tyron mich nicht töten wird - bestrafen vielleicht - aber töten sicher nicht!“, erklärte ich.
„Wieso sind Sie sich da so sicher?“
Sicher? Habe ich etwa danach geklungen? Nachdem ich das gesagt hatte, machte sich Angst in mir breit, ich kannte die Arten von Tyrons Bestrafungen.
„Ich bin die letzte Sucherin, die er hat!“
„Das ist ihr Argument? Ich bitte Sie!“
Ich nahm meinen Mut zusammen und auch einiges an Wut und schubste ihn mit meiner Hand von der Tür weg. Überraschend für mich, dass ich es wirklich schaffte.
Während ich ihn weg stieß, meinte ich: „Jetzt sag ich Ihnen mal was, über sieben Jahre bin ich da zurecht gekommen und auch heute werde ich das tun!“
Ohne auf eine Antwort oder Reaktion zu warten, verließ ich die Wohnung und machte mich, nachdem ich unten ein Taxi ran gewunken hatte, auf den weg zu Tyron.
Da stand ich nun, vor dem Fahrstuhl, der mich nach oben in die Hölle brachte. Was für eine Ironie, dachte ich.
Ein kurzes „Ding“ kündigte den Fahrstuhl an, der sich auch direkt danach öffnete.
Mit zitternden Knien betrat ich den Fahrstuhl und sah mit steigernder Nervosität zu, wie sich die Türen schlossen.
Mein Herz raste.
Wieder machte es „Ding“ und ich dachte, dass mein Herz gleich meine Rippen durchbricht, so stark schlug es dagegen.
Ich versuchte, den Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hatte, runter zu schlucken.
Je näher ich der Tür des Büros kam, umso stärker wurde das Gefühl, einfach kehrt zu machen und wegzulaufen, aber ich zwang meine Beine weiter auf die große Doppeltür zu.
Mit einem großen und eigentlich auch unnötigen Schwung öffnete ich die Tür.
Wie ich es kannte, saß Tyron hinter seinem Schreibtisch, Sam und Vassago saßen auf der Couch.
Tyron sah mich erschrocken und zugleich auch überrascht an. Mein Herz raste noch immer und ich hätte wetten können, dass Tyron es mitbekam.
„Ich dachte sie wäre tot!“, sagte Tyron an Sam und Vassago gewandt und stand auf.
„Wie du siehst, ist es nicht so!“, warf ich ein, musste aber darauf achten, nicht zu weit zu gehen.
Tyron nickte. „Das freut mich, Liebes. Ehrlich!“
Er kam um seinen Schreibtisch herum und auf mich zu.
„Aber du bist spät!“, sagte er und blieb nur eine halbe Armlänge von mir stehen.
Ich nickte. „Ich weiß, aber...“ Von einer schallenden Ohrfeige wurde ich unterbrochen. Meine Wange brannte und ich war mir sicher, dass sie sich rot färbte.
„Sieh das als deine Bestrafung, es ist immerhin nicht allein deine Schuld!“
Nicht allein meine Schuld? Es war überhaupt nicht meine Schuld, oder hatte ich darum gebeten, halb tot geprügelt zu werden?
Wie gern hätte ich ihm das an den Kopf geknallt, aber ich hing schon an meinem Leben und meinen Gliedmaßen.
Ich nickte kurz. „Danke Tyron!“
„Sam bring ihre Sachen!“, befahl Tyron lächelnd.
Ohne zu murren stand er auf und lief in den Nebenraum, um kurz darauf mit meinen Sachen in seinen Händen zurück zu kommen.
Er gab mir mein Handy, Waffe und Schlüssel. Als ich jetzt Sam anblickte, erschrak ich. Sams Gesicht sah nicht mehr so aus, wie ich es mal kannte. Seine Nase sah schiefer aus, und über sein linkes Auge und rechte Wange erstreckten sich Narben.
Während Sam zurück zur Couch ging, meinte Tyron: „Das passiert wenn man etwas gegen meinem Befehl macht!“
Ich reagierte nicht darauf, begegnete aber wieder seinem Blick.
„Du kannst gehen, sei Morgen pünktlich da, dann bekommst du Arbeit!“
Ich nickte. „Danke Tyron, ich werde pünktlich sein!“
Er nickte lächelnd. „Dein Wagen steht auf dem Parkplatz!“
Ich drehte mich auf dem Absatz um und verließ mit mäßigen Schritten das Büro, obwohl mein ganzer Körper schrie: „Lauf!“
Nachdem sich der Fahrstuhl im Erdgeschoss öffnete, stürzte ich nach draußen zu meinem Wagen.
Von innen verriegelte ich die Türen, die Waffe legte ich ins Handschuhfach und blickte auf mein Handy.
Ich klappte es auf und versuchte, es an zuschalten. Bitte, bitte, flehte ich. Und ich hatte wirklich einmal Glück, es begann zu leuchten und verlangte den Pin.
Ich gab diesen ein und wartete. Der Akku stand bereits auf leer. Plötzlich ging es los und zeigte mir drei Meldungen auf der Mailbox.
Mit zitternden Fingern wählte ich die Nummer und hörte diese ab.
Die erste Nachricht war tatsächlich von Andrew, erneut bildete sich ein Kloß in meinem Hals, während ich ihn hörte. „Hallo Mia, schade, dass ich Dich nicht persönlich erreiche. Ich verspreche dir, dass ich Dich irgendwann aufsuchen werde, um mit dir zu sprechen. Pass auf dich auf!“
Ich Atmete tief durch und kämpfte mit den Tränen.
Die zweite Nachricht, die keine vier Stunden nach der ersten hinterlassen wurde, wurde abgespielt; ebenfalls Andrew.
Er atmete tief durch. „Hast du mich schon abgeschrieben? Bitte Mia, antworte mir!“
Ich holte zitternd Luft. Ob er jetzt dachte, dass ich ihn verlassen habe?
Jetzt kam die letzte Nachricht, wieder Andrew. Mein Gott, was muss er von mir denken?
Stille, sehr leise hörte ich ihn atmen. Nach einem tiefen Atemzug sagte er: „Mia...“ Pause
Andrew, dachte ich.
„Ich liebe dich!“
Das war zu viel, meine Tränen rollten über meine Wangen.
Mein Handy machte ein kurzes Geräusch und ging schließlich aus. Der Akku war jetzt genau das, wie ich mich fühlte, Tot.
Vollkommene leere, wie an jenem Tag, als Andrew gegangen war.
*********************************************************************
(Andrews Sicht)
Ich befand mich gerade auf dem Weg zum Flughafen, als mein Handy losging.
Ich hatte noch genügend Zeit, also fuhr ich an den Rand und sah mit die Mitteilung an.
Mias Handy war an. So schnell ich konnte, wählte ich ihre Nummer, mein Herz und mein Atem stockten.
Langsam entwich mein Atem wieder, wieder nur die Mailbox. Ohne etwas zu hinterlassen, legte ich auf und lehnte meinen Kopf gegen die Lehne. Meinen nächsten Schritt musste ich gut durchdenken, aber egal was ich tat, meine Gefühle und mein Verlangen nach ihr, allein schon nach ihrer Stimme, ließen mich jetzt diese Nummer wählen und drängten die Angst zurück.
Mein Herz machte einen kurzen und nervösen Sprung, als das Freizeichen erklang.
„Was ist?“, fragte mein Gesprächspartner am anderen Ende.
Ich Atmete tief durch. „Ich will mit ihr sprechen, sofort!“
Es hatte keinen Sinn, lange herum zu reden, es würde nichts bringen.
„Das geht nicht!“
Ich spürte, wie meine Wut in mir aufstieg.
„Ich möchte mit ihr sprechen, ich habe es verdient, wir haben das!“
„Nicht heute, Andrew!“, sagte er wütend.
„So hast du mich das letzte Mal schon abgewiesen, nicht noch einmal nicht Heute!“
Stille. Schlimmer konnte ich es nicht mehr machen, also sagte ich, mit überraschend fester Stimme: „Gib sie mir, Baal!“