(Mias Sicht)
Eigentlich dachte ich, dass er mich jetzt schlug, mich erschlug oder sonst irgendwie bestrafte. Aber wieder zeigte er mir wie anders er heute war. Mit angespanntem Unterkiefer blieb er knapp vor mir stehen und sah mich mit seinen verdunkelten Augen an, seine Hände zu Fäusten geballt.
„Was hast du mit Andrew gemacht?“, schoss es aus mir raus, bevor ich es irgendwie aufhalten konnte. Ich hatte den Bogen schon lange überspannt und machte es so sicher nicht wirklich besser.
Aber das Gefühl, ich wäre Tyron überlegen, stieg in mir auf und ließ mich so reagieren. Dann kam mir der Gedanke, dass es vielleicht auch an der Kette von Baal lag. Ich wusste nicht, was diese Kette für eine dämonische Macht besaß, ganz zu schweigen von Baal. Er hatte mir einiges von der Unterwelt erzählt, was es für Ränge gab, die Politik, aber nichts darüber, was seine Funktion da war.
„Was soll ich schon gemacht haben?“, entgegnete er und verschränkte seine Arme vor der Brust.
„Ich weiß, dass du was mit seinem Verschwinden zu tun hast.“, konterte ich und bemerkte, dass ich nun so klang, wie Tyron. Auch er hatte mir immer vorgeworfen, dass ich wüsste, wo Vassago und Sam waren, aber im Gegenteil zu ihm, wusste ich nicht wirklich, wo die beiden waren.
„Und wenn schon, du kommst zu spät.“, sagte er schulterzuckend.
Ein Ruck ging durch meinen Körper, ich glaubte ihm kein Wort, er konnte nicht tot sein. Baal würde ihn nicht einfach sterben lassen, oder doch? Gesagt hatte er es, aber konnte das unmöglich ernst gemeint haben.
„Du lügst.“, zischte ich und staunte erneut über meine Art und Weise, wie ich mit Tyron redete.
„Mach nur so weiter, du wirst nicht ungestraft davon kommen.“, drohte er mit einer unglaublich ruhigen Stimme. Er verschränkte seine Arme vor der Brust und wirkte, als könnte er sich nur so davor zurück halten, mich zu schlagen oder zu erwürgen.
Ohne Umschweife sah ich in seine Augen und ich erschrak. Als ich ankam und seine Augen gesehen hatte, waren sie wie immer gewesen, braungolden. Aber jetzt waren sie weder verdunkelt noch heller, sie waren nicht einmal mehr braungolden, nun waren sie vertikale Schlitze und leuchteten grün.
Mir kamen drei Möglichkeiten in den Sinn, entweder wollte Tyron mich so verwirren, er zeigte mir eine seiner Fähigkeiten, oder dieser Dämon vor mir war nicht Tyron.
Als sich nun auch seine Haare von schwarz in rot änderten, wich ich einige Schritte zurück und legte meine Hand auf meinen Hosenbund am Rücken. Eigentlich sollte da meine Waffe sein, aber ich hatte sie im Wagen liegen gelassen. Viel hätte sie mir auch nicht gebracht, was half schon eine Waffe gegen einen Dämon? Spätestens seit dem Vorfall im Haus sollte ich das doch wissen.
„Ich habe mich wohl etwas verschätzt mit meiner Zeit.“, sagte er und verwandelte sich gänzlich zurück. Seine Haut änderte sich zu blauen Schuppen, seine Ohren Spitz, seine Zähne klein, spitz und gelb verfärbt. Die Nase sah nun aus wie nach hinten gedrückt, wie die, eines Schweines. Unter seinen Augen bildeten sich dunkle Ringe.
„Wer bist du?“, fragte ich einfach drauf los und musterte ihn noch einmal. Die Kleidung hang in Fetzen an ihm runter, bis auf sein Haar war nichts mehr menschliches an ihm.
„Ich bin Chival. Dämon der Träume.“, antwortete er mit seiner tiefen, zischenden Stimme.
Meine Brauen zogen sich zusammen, ich war ziemlich sicher, dass ich nicht träumte.
„Habe ich was verpasst? Bin ich eingeschlafen?“, fragte ich skeptisch.
Chival zog eine Grimasse, was wohl ein Grinsen sein sollte.
„Du hast ein ganz schön freches Mundwerk.“, stellte er fest und lehnte sich lässig gegen Tyrons Schreibtisch. „Tyron hat mir die Möglichkeit verschafft, mich auch außerhalb von Träumen zu bewegen. Unter der Bedingung, dass ich ihm diene.“, fügte er langsam hinzu und zuckte seine vernarbten Schultern. Er gab Einiges an Informationen preis, was ich nicht richtig verstand. Wieso sollte er mir das einfach alles erzählen, es ergab einfach kein Sinn.
„Wo ist er?“, fragte ich und blickte mich im Büro um, es sah aus wie immer.
Wieder zuckte er mit den Schultern. „Keine Ahnung, meine Aufgabe ist es, dich hier festzuhalten, bis er wieder da ist.“
Kurz kam mir in den Sinn, zumindest zu versuchen abzuhauen, andererseits war ich hier um Tyron zu treffen und zur Rede zu stellen. Ich wollte Andrew wieder, lebend.
Nun war es an mir, mit den Schultern zu zucken.
„Ich habe nicht vor, zu gehen. Ich kann warten.“, sagte ich und versuchte, so überzeugend wie möglich zu wirken. Ich hatte keine Angst, aber Nervosität stieg dennoch in mir auf.
„Ich sehe sie und rieche sie.“, zischte er mit seiner widerlichen Stimme und spukte grünen Speichel, der zischend am Boden landete.
„Was meinst du?“, fragte ich und richtete meinen Blick wieder auf seine Augen.
„Die Angst, deine Angst.“, korrigierte er sich und musterte mich von oben bis unten.
„Ich habe keine Angst.“, konterte ich und wich augenblicklich zurück, als er auf mich zu kam und nur knapp vor mir stehen blieb. Ich lehnte an der Tür, die mich in die Freiheit gebracht hätte und sein widerlich verfaulter Atem knallte gegen mein Gesicht, als er zusprechen begann.
„Ich kann es an dir riechen. Ich kann es sehen, wie es sich umhüllt. Ich kann es auf der Zunge schmecken.“, zischte er und atmete tief ein. Er kicherte widerlich. „Ich kann es kaum erwarten, bis du schläfst.“, fügte er dazu und entfernte sich wieder von mir.
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(Baals Sicht)
Ich lief in Mias Wohnung auf und ab. Ich wusste einfach nicht, wie ich reagieren sollte. Natürlich musste ich etwas tun, seit mir Akatash erzählt hatte, dass der Träger meiner Kette starb, schoss mir ein Gedanke nach dem anderen durch den Kopf. Alle davon hatten mit Mias Rettung zu tun. Ich stellte die Gedanken in Frage. Wieso sollte ich jahrelange Arbeit wegen einer Frau zerstören, wegen einer Menschenfrau?
„Was habt ihr vor?“, fragte mich Akatash, der seit der Ankunft in ihrer Wohnung direkt neben Akamanah an der Flur Tür stand.
Ich hielt mitten der Bewegung inne, hob meinen Blick und sah beide Dämonen im Wechsel an. Beide erwarteten eine Anweisung, beide wollten Befehle hören, sie wollten Handeln.
Seufzend fuhr ich mir durch mein Haar, ich wurde jeden Tag, den ich in diesem verdammten Körper verbrachte, immer menschlicher, immer mehr Gedanken schlichen sich in meinen Kopf, die da nicht hin gehörten, immer mehr Gefühle erwachten in meinem Herz, welches nicht einmal schlagen sollte.
„Schickt nach Flaga.“, befahl ich letztendlich. Flaga war ein Bote der Unterwelt, der königliche Bote um genau zu sein.
Ich musste Handeln und Opfer hinnehmen.
Beide Dämonen verneigten sich kurz um schließlich kurzzeitig zu verschwinden. Als sie wieder auftauchten, saß ein Adler auf Akamanahs Arm. Augenblicklich flog er vor mir auf den Tisch. Sofort stieg Flaga von ihm und verneigte sich leicht. Flaga war nichts weiter, als eine kleine Fee. Jeder denkt jetzt, dass Feen eigentlich das reinste Licht sind, gute Wesen die irgendwelchen Blumen beim Wachsen halfen, die Menschen die Liebe näher brachten. Alles Müll, natürlich gab es auch solche Art Feen, aber diese sind sozusagen vom Aussterben bedroht. Diese Feen leben von dem Glauben der Menschen und diesen Glauben brachten nur noch wenige zustande, die Kinder sind es, die Feen am Leben erhalten.
Flaga dagegen war eine Fee, die sich der Dunkelheit verpflichtet hatte und somit bei den Dämonen lebte und diesen auch diente. Er sah aus, wie jede andere Fee, Flügel, eine Strumpfhosen ähnliche Beinbekleidung und ein langes Shirt. Alles in schwarz.
„Was kann ich für Euch tun, Meister?“, fragte Flaga und sah zu mir auf.
Ich ließ mich auf die Couch fallen, stützte meine Arme auf den Knien ab und beugte mich zu ihm nach vorn.
„Du wirst Garm erwecken und ihn zu mir bringen, egal wo ich in diesem Moment bin.“, befahl ich und blickte in Flagas schwarze Augen.
Er blickte eher skeptisch zurück und zog seine Brauen nach oben.
„Seid ihr euch sicher, Herr?“, fragte Flaga.
Ich musste zugeben ich war es nicht, Garm war der Höllenhund, das stärkste Wesen in der Hölle, sogar stärker als der König selbst. Es musste gut überlegt werden, wann und ob er dazu geholt wurde. Es war nicht so, dass Garm nicht auf den König hörte, es war einfach so, dass er miese Laune hatte, wenn er geweckt wurde. Flaga war der einzige, der Garm wecken konnte. So wurde es von meinen Vorfahren bestimmt und so war es auch heute noch. Flaga war seit Jahrhunderten in den Diensten des Königs und hatte das tiefe Vertrauen nie missbraucht.
„Ja, wir werden jetzt stärkere Geschütze auffahren. Du holst Garm. Akatash, Akamanah und ich werden dich an einem anderen Ort erwarten, du hast eine Stunde.“, verkündete ich und sah alle kurzzeitig an, bis mein Blick sich wieder auf Flaga legte. Er nickte schließlich, verneigte sich erneut, stieg wieder auf seinen schwarzen Adler und flog über Akatashs Kopf hinweg.
„Garm zu holen ist ein großer Schritt, Herr.“, meinte nun Akamanah und sah mich prüfend an. Ich hätte es als Beleidigung auffassen können, aber sowohl Akatash als auch Akamanah waren mir schon immer Treu gewesen, wie zuvor auch schon anderen Königen und standen mir mit Rat und Tat zur Seite.
„Ich weiß, aber der Einzige, der mir noch einfällt. Tyron muss beseitigt werden.“, verkündete ich nun, erhob ich wieder und sah ihm fest in die Augen.
Tyron war schon viel zu lange hier oben, er gehörte bestraft, wie auch schon Sam und Vassago zuvor.
„Wie viel Zeit bleibt dem Träger noch?“, fragte ich und sah Akatash an.
„Keine dreißig Minuten.“, antwortete er kurz und tauschte einen Blick mit Akamanah, bevor sein fragender Blick wieder mich traf. „Verzeiht die Frage, Meister. Aber hat der Befehl, Garm zu wecken etwas mit dem jetzigen Träger der Kette zu tun?“
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah Akatash lange in die Augen. Wieder bemerkte ich, dass ich schon viel zu lange in diesem menschlichen Körper steckte. Denn die Antwort war: ja, es war Mia, die ich so schützen wollte.
Natürlich wollte ich Tyron endlich in die Hölle befördern und diesen gottverdammten Körper verlassen, aber Mia zu retten stand für mich an oberster Stelle.
„Nein.“, log ich schließlich. „Es ist die einzige Möglichkeit, endlich den ganzen Spuk hier zu beenden. Wir wissen nicht, was für Pläne er verfolgt, zumindest nicht direkt, wir müssen Handeln.“
Warum ich die beiden anlog, wusste ich nicht. Wieder eine negative Eigenschaft von diesem menschlichen Körper. Allerdings konnte ich diesen noch nicht ablegen, ich brauchte ihn noch. Wir mussten uns wie Menschen diesem Bürogebäude nähern und auch betreten, denn Tyron hatte vorgesorgt und würde sofort mitbekommen, wenn ein Dämon sich auf Dämonenart Zutritt zum Gebäude verschaffen würde. Natürlich würde er es auch mitbekommen, wenn wir in diesem Gebäude waren, aber um einiges später.
„Gehen wir.“, sagte ich schließlich im Befehlston und verließ die Wohnung.
Wir liefen rüber zu einem schwarzen Wagen, der am Bordstein stand. Dieses Auto war nicht zufällig da, es war eben ein deutlicher Vorteil, ein Dämon zu sein.
Akamanah und Akatash saßen auf der Rückbank, für mich sahen sie wie immer aus, aber für die Menschen sahen sie ebenfalls wie Menschen aus. Wir Dämonen konnten uns immer und überall erkennen, wir konnten uns einfach nicht vor anderen verstecken.
Es dauerte keine Viertelstunde, bis wir auch schon vor dem Gebäude standen. Wir stiegen aus und blieben vor dem Eingang stehen, denn das Wachpersonal musterte uns. Akamanah und Akatash standen direkt neben mir, sie wirkten wie Bodyguards. Ich blickte die beiden Männeraussehenden Dämonen an. Es lebten viele Dämonen hier, einige davon lebten wie die Menschen, sie arbeiteten, ernährten sich und einige von ihnen verliebten sich sogar und gründeten eine Familie.
Beide Wachposten verneigten sich fast unbemerkt und ließen uns vorbei. Ohne Umschweife liefen wir zu dem Aufzug, der sich am anderen Ende des Ganges befand. Nachdem ich den Knopf gedrückt hatte und sich die Türen öffneten, betraten wir diesen und ich betätigte den nächsten Knopf, der uns nach oben brachte.
„Weiß er es schon?“, fragte Akamanah und starrte unentwegt auf die geschlossene Tür vor uns. Ich wusste, was er damit meinte.
„Vermutlich. Spätestens, wenn wir den Flur betreten, müsste er es mitbekommen.“, sagte ich und blickte auf die Anzeige über der Tür. Das Licht bei der Etage zehn verlosch um als nächstes bei der elften wieder aufzutauchen.
„Flaga wird aber noch eine Weile brauchen.“, erinnerte mich Akatash. Ich nickte nur zur Antwort. Es würde noch lange dauern, bis er endlich mit Garm auftauchte, aber Tyron hörte sich schon immer gern selber reden, er würde die Zeit schon rumbekommen. Ich dachte eher daran, wie ich Mia aus dem Büro raus bekam ohne, dass sie verletzt wurde und was ihren Tod anging, blieben mir dagegen nicht mal mehr zehn Minuten.