,,Er ist hier", murmelte die Mutter verzweifelt und schloss die Fenster des Kinderzimmers im ersten Stock. Hinter ihr ihr Mann und der kleine Junge, den sie gemeinsam hatten. Die ganze Farbe war ihr aus dem Gesicht gewichen und sie zitterte am gesamten Leib. ,,Was sollen wir nur tun?"
,,Wir können nichts tun. Hier warten und ihm die Stirn bieten, das ist alles", antwortete ihr Mann mit finsterer Miene und hob den quengelnden Buben vom Boden auf.
,,Und was, wenn er uns beide umbringt? Was wird dann aus ihm?" Sie deutete auf den Kleinen. Er sah seinem Vater so ähnlich. Schwarze Haare und dunkle Augen. Aber auch sonst war er ihm wie aus dem Gesicht geschnitten.
,,Ich habe ja gesagt, lass uns teleportieren, aber du wolltest ja nicht!"
,,Thomas ist noch viel zu klein dafür und das weißt du!", schrie sie zurück. Die Tränen standen ihr in den Augen. ,,Streiten bringt jetzt auch nichts. Egal was passiert, bring ihn in Sicherheit, versprochen?" Von unten hörte man die Haustüre auffallen. Ihr Atem wurde schneller und das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Eine raue, scheusliche Stimme drang von unten hinauf, doch verstehen konnten sie ihn nicht. Zu undeutlich war die Stimme des Elementbändiger, der seinen Auftrag erfüllen wollte. Hier und jetzt.
,,Ich werde euch finden, ihr könnt euch nicht ewig verstecken!" Dieses Mal war die Stimme deutlich. Er war die Stiegen schon zu ihnen hinauf gestiegen.
Selbst der Sohn schien zu merken, dass etwas nicht stimmte. Er wurde unruhig und fing an zu weinen. Sein Vater schaukelte ihn ein wenig in den Armen und versuchte, ihn zu beruhigen. Sie mussten möglichst leise sein und er verriet sie gerade. Tränen liefen sein kleines Gesicht hinunter.
Die Tür wurde aufgebrochen und ein großer Mann trat ein. Sein grau-blondes Haar hing wirr von seinem Kopf und das eine heile Auge blickte den Kleinen an, was ihn erst recht zum kreischen brachte. Er hatte definitiv große Angst vor dem vernarbten Mann. Aber man konnte es ihm nicht verübeln. Selbst sein Vater fürchtete ihn. Sein blaues Auge war vielleicht noch Furcht einflößender, als das Blinde. Und der graue Stoppelbart machte alles nicht besser.
,,Grey", sprach der Mann jedoch mutig und hob den Kopf ein Stück, den Jungen fest an seine Brust gedrückt und seinen Blick eingeschränkt.
,,Na, wen haben wir denn da? Marie und Finn. Oh, und selbst Calder Junior ist dabei. Welch eine Ehre", sprach der Elementbändiger sarkastisch und lachte. Das tiefe Geräusch hallte von den scheinbar so grauen Wänden wieder.
,,Was willst du hier, Jacob?"
,,Als wenn du es nicht wüsstest, Finn. Rück es schon raus. Du tust damit allen einen Gefallen", meinte Grey hinterlistig und streckte seine Hand aus. Auch diese war von Narben übersät und es schien, als wäre der kleine Finger einmal fast abgetrennt worden.
,,Eher würde ich töten!"
,,Nun, das lässt sich einrichten." Schon hing die Frau kopfüber im Raum; völlig bewegungsunfähig. Ihre Augen hingen starr auf ihm, sahen aber nicht ihrem Mann in die Augen, sondern auf den Kopf des Jungen. ,,Wir haben dich beobachtet. Beweis uns, dass du gefährlich bist und wir nehmen dich und deinen Sohn auf. Er wird uns schon noch irgendwie nützlich sein. Vielleicht ist er ja auch der neue Avatar. Wer weiß das schon?"
,,Du hast Tan umgebracht, nicht wahr?"
,,Und was, wenn?", lachte Grey auf und deutete auf die Frau im Raum.
,,Marie", wisperte der Mann, der sich zu ihr gedreht hatte, und sah ihr tief in die blauen Augen, die blutunterlaufen waren. Sie konnte ihn nicht hören. Und auch Grey nicht. Egal, was passiert, bring ihn in Sicherheit, versprochen? ,,Versprochen", flüsterte er an Gedanken daran, was sie vor wenigen Minuten gesagt hatte. Langsam setzte er ihr Kind ab, das sofort wieder zu schreien begann und seine Hände nach oben hielt, um aufgehoben zu werden, und streckte selbst seine Hand aus, den Kopf abgewandt.
,,Zusehen", wies Jacob an. Finn tat wie befohlen. Er wollte es nicht sehen. Er konnte nicht. Sie war doch die Liebe seines Lebens. Sein ein und alles. Aber was würde ihm das bringen, wenn er selbst sterben würde? ,,Und jetzt schneid ihr die Halsschlagader auf." Schon zog sich ein länglicher Schnitt ihren Hals entlang und sie erwachte aus ihrer Starre. Schreiend fiel sie zu Boden und krümmte sich. Rotes Blut floss aus ihr und benetzte den Teppich auf dem Boden. Schnell hob er Thomas auf und drückte seinen Kopf an seine Schulter, damit er nichts mehr sah. Es schüttelte ihn selbst und er hatte das Gefühl, als müsse er gleich auf den Boden kotzen, bei dem, was er da mit ansehen musste. Seine arme Marie. ,,Du hast es geschafft", meinte Grey milde beeindruckt und kam näher. Finn drückte immer wieder das Auge, das seiner Ehefrau zugewandt war, zu und wand den Kopf leicht ab, aber die Schreie wurden deswegen auch nicht weniger.
Als der Einbrecher ganz nahe war, wand er seinen Blick endgültig ab. Er beobachtete jede einzelne kleine Handlung seines Gegenüber. Jacob nahm den Kopf des Jungen und drehte ihn in seine Richtung; musterte ihn ein wenig. Jetzt machte der Kleine keine Laute mehr. Er war wahrscheinlich in einer Schockstarre, von dem was er sah und hörte. ,,Gut, er kommt mit", beschloss er und legte Finn eine Hand auf die Schulter. Sie teleportierten. Hätten sie es nur gleich gemacht, dann wäre Marie noch am Leben und er kein Mörder.
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