Am Montag werde ich von meinen Eltern zur Schule gefahren. Es ist Jahre her, dass sie das das letzte Mal getan haben. Da haben wir noch in einem winzigen Kaff gewohnt, an dessen Namen ich mich nicht einmal mehr erinnere. Damals konnte ich nur zu Fuß oder mit dem Auto zur Schule kommen. Daran zurückzudenken, fühlt sich an, als wäre das alles in einem ganz anderen Leben passiert, das sich nicht mehr wirklich wie mein eigenes anfühlt.
So viele verschiedene Mädchen bin ich schon gewesen, weil ich mich mit jedem neuen Umzug neu entdecken und mein altes Ich samt aller zurückgelassener Erinnerungen und Menschen habe abstreifen wollen. Und doch bin ich hinter all diesen durchsichtigen Masken immer ich geblieben. So sehr ich mich selbst auch unter diesem Scherbenhaufen an gebrochenen Herzen und aufgegebenen Leben nicht mehr wiederfinde. Durch das ständige Umziehen habe ich mich selbst zwar nicht verloren, aber doch begraben, damit die vielen Abschiede doch nicht ganz so tiefe Spuren hinterlassen, wie sie es eigentlich hätten sollen.
Ich bin froh, dass ich heute nicht die U-Bahn nehmen muss. Mir wäre unwohl dabei, mich in etwas zu setzen, wovor ich mich vor wenigen Tagen noch habe werfen wollen. Sicher wollen mich meine Eltern aus fast dem gleichen Grund erst mal nicht aus den Augen lassen. Vermutlich halten sie mich jetzt beide für labil, obwohl sie in meiner Gegenwart beide tun, als wäre nicht das Geringste vorgefallen. Dabei habe ich doch schon von selbst verstanden, wie dumm das gewesen ist, was ich da getan habe – oder eher habe tun wollen. Nicht zuletzt durch Evan, dessen Worte mir einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen wollen.
Er hat recht gehabt. So zu sterben wäre würdelos gewesen. Der Tod ist zu endgültig. Es muss einen anderen Weg geben. Klar, die Leere frisst mich von innen heraus auf und ich habe nichts, woran ich mich wirklich festhalten kann, doch so geht es doch jedem Teenager auf dieser Welt an irgendeinem Punkt seines Lebens, oder? Selbstmord ist dumm. Vor allem, wenn ich jetzt weiß, dass es doch Menschen gibt, die am Boden zerstört wären, wenn ich von jetzt auf gleich verschwinden würde. Ich kann das meinen Eltern nicht antun. Sie haben schon komplett aufgelöst gewirkt, als eine Krankenschwester sie angerufen und ihnen berichtet hat, was fast passiert wäre. Da will ich gar nicht wissen, wie sie reagiert hätten, wäre ich wirklich in diesen kalten, verdreckten und einsamem U-Bahnschacht gestorben.
Nein, das haben diese beiden Menschen nicht verdient, die mich bedingungslos lieben, egal wie viele Umstände ich ihnen bereite und wie sehr ich wünschte, dass ich niemals geboren worden wäre. Ich komme mir so undankbar vor, dass ich auch nur einen Moment daran gezweifelt habe, dass sie mich vermissen würden. Mit meinem Tod würde ich das Leben meiner Eltern viel mehr zerstören, als ich es jemals lebendig könnte. Verdammt, warum müssen depressive Menschen nur immer so ichbezogen und egoistisch sein? Macht das die Krankheit mit einem? Vermutlich schaltet die alles im Hirn aus, was auch nur ein bisschen was mit Empathie und Lebensfreude zu tun hat und ersetzt die Teile mit ewiger Jammerei und Selbstfolter. Das ist wohl auch der Grund, warum immer gesagt wird, dass man sich von diesen Gefühlen nicht verschlucken lassen soll. Weil sie das eben tun und einen schleichend zugrunde richten, wenn man mal einen Moment die Kontrolle über sich und sein Chaos verliert.
Ich will nicht mehr darüber nachdenken und lasse meinen Blick lieber ziellos umherschweifen, um mich abzulenken. So schaue ich mitunter aus dem Fenster und sehe die Stadt viel zu schnell an mir vorbeiziehen. Da schaue ich doch lieber meine Eltern im vorderen Teil des Autos an und rufe mir wieder ins Gedächtnis, was ich doch alles verloren hätte, wäre ich so leichtfertig gestorben.
Es fühlt sich seltsam an, sein Leben nur durch eine Nahtoderfahrung zu schätzen gelernt zu haben. Und meinen Eltern damit vermutlich einen, wenn auch sporadischen Einblick in meinen Kopf gegeben zu haben. Vorher haben sie bestimmt gedacht, dass ihre Tochter vollkommen normal wäre. Tja, kann ja niemand damit rechnen, dass sich Wahnsinn nicht direkt auf den ersten Blick erkennen lässt. Hoffentlich geben sich meine Eltern keine Schuld daran, dass ich einfach nicht normal sein kann. Denn das ist mein Fehler, nicht ihrer.
Das Chaos in meinem Kopf will heute einfach keine Ruhe geben. Auch nicht, als wir an der Schule ankommen und meine Eltern mich schweren Herzens und nicht ohne einen Abschiedskuss auf die Stirn gehen lassen. Sie sind wirklich besorgt. Ich hasse dieses Gefühl, dass ich ihnen mit meiner dummen Aktion so wehgetan habe, dass sie jetzt denken, dass sie irgendwas wiedergutmachen müssten. Am liebsten würde ich in der Zeit zurückreisen und alles rückgängig machen, damit ich diese Sorge, die sich da ihren Augen widerspiegelt, nicht mehr ertragen muss.
So kann ich mich auch nur schweren Herzens von meinen Eltern lösen, um mich wieder ins Schulleben zu stürzen, als wäre nichts passiert. Schon der erste Schritt weg vom Auto lässt mich wünschen, dass ich einfach umkehren, wieder in dieses einsteigen und irgendwo hinfahren könnte, wo die Zeit und das Leben stillstehen und ich mich vor der Welt verstecken kann. Denn allein beim Anblick des Schulgebäudes wird mir bewusst, was dort drin auf mich warten wird. Zu viele unangenehme Fragen und bohrende Blicke von Leuten, die sich zuvor einen Scheißdreck um mich geschert haben. Jetzt werden sie tun, als müssten sie mich mit Samthandschuhen anfassen, damit ich mich nicht noch mal umbringen will. Warum auch immer es sie etwas angehen sollte. Die meisten von denen kennen mich nicht, ebenso wenig, wie ich sie kenne. Und ich will sie auch bestimmt nicht durch dieses blöde Missgeschick kennenlernen müssen.
Doch es hilft alles nichts. Ich muss weitermachen. Und dazu gehört eben, zur Schule zu gehen wie jeder andere in meinem Alter auch. Warum sollte ich mich noch mehr zum Sonderling degradieren lassen, indem ich mich in einer Ecke verkrieche und warte, dass die Welt aufhört, sich zu drehen? Ein Selbstmordversuch und meine Angst vor der Reaktion anderer Menschen sollte mir nicht meine Zukunft nehmen können. Ich kann nicht ewig davor weglaufen. Die Massen werden eh irgendwann das Interesse an der Geschichte verlieren und dann kann ich wieder ganz allein für mich leben und andere Menschen aus meiner Wahrnehmung filtern, damit ich mich ja nicht mit ihnen anfreunde.
Auf diese Weise versuche ich mir Mut zuzusprechen, während ich den Weg zu meinem Klassenraum bahne. Montags ist zuerst Geschichte mit Miss Schmidt dran. Die ist wenigstens immer so pünktlich, dass niemand mehr die Zeit haben wird, mich anzusprechen. Denn bis Unterrichtsbeginn habe ich nur noch fünf Minuten und die werde ich brauchen, um überhaupt zum Raum am anderen Ende des Gebäudekomplexes zu kommen. Verdammte Schule. Welcher Kinderhasser hat sich nur dazu entschieden, das Gebäude so in die Länge zu ziehen und gefühlt alle wichtigen Räume so weit wie nur möglich vom Haupteingang zu legen?
Die Gänge sind glücklicherweise bereits wie ausgestorben und so fühle ich mich ein bisschen, als wäre ich gefangen in einem sehr klischeehaften Albtraum, während ich die leeren Schulgänge entlang renne. Meine Schritte hallen unangenehm laut von den Wänden wider. Es ist mitten am Tag und trotzdem lässt die Angst mein Herz flattern und ich fühle mich wieder einer Panikattacke nahe. Woher auch immer diese kommen wollte.
Doch schnell verflüchtigt sich dieses etwas bedrohliche Flimmern am Rande meiner Sicht, als ich endlich vor meinem Klassenraum ankomme. Die Tür dessen ist noch offen, also schlüpfe ich schnell hindurch, flüchte auf meinen Platz recht weit hinten im Raum und versuche wieder runterzukommen. Solche Albtraumsequenzen rauben mir immer den Atem. Viel mehr als der kleine Sprint hierher es je könnte. Warum rede ich mir nur immer solche Horrorszenarien ein? Hauptsache ich falle nicht wieder mitten im Unterricht in Ohnmacht – noch mal tue ich mir diese Peinlichkeit sicher nicht an. Das wäre zu viel Aufmerksamkeit in so kurzer Zeit für eine Person wie mich, die einfach nur in Ruhe gelassen werden will.
Komischerweise beruhige ich mich jedoch sofort, als ich an meinem Stammplatz sitze und mich mental darauf vorbereite, wieder ein normales Mädchen zu sein. Ich bin hier, um später aufs College gehen und dann einen netten Job ergreifen zu können. Deshalb blende ich auch einfach meine Mitschüler und ihre Blicke, die mich zumindest kurz zu streifen scheinen, aus und schaue stur nach vorn, wo Miss Schmidt uns gerade einen guten Morgen wünscht. Das Lächeln auf ihren rosigen Lippen lässt mich die trüben Gedanken vergessen und wieder auf Schulmodus schalten. So ist auch das Chaos in meinem Kopf leiser als sonst. Zum Glück, denn sonst könnte ich mich wirklich nicht konzentrieren.
»Ich habe Neuigkeiten für euch«, lässt meine Geschichtslehrerin mich aufhorchen. Sie lächelt weiterhin und lässt ihren Blick über die Klasse schweifen. »Ab heute können wir einen neuen Schüler in unserer Mitte willkommen heißen.«
Sofort stellt sich ein überraschtes Murmeln unter meinen Mitschülern ein. In dieser Schule scheint wirklich nicht viel zu passieren, wenn alle von so einer belanglosen Nachricht so aus der Fassung gebracht werden können.
»Mitten im Schuljahr?«, fragt irgendjemand aus der anderen Ecke des Raumes.
Miss Schmidt lächelt beinahe schon unbehaglich. Bestimmt hat sie mit dieser Frage gerechnet, weiß nur nicht, wie sie richtig auf diese antworten soll.
»Ich weiß, es ist sehr ungewöhnlich. Nichtsdestotrotz verlange ich von euch, dass ihr euren neuen Mitschüler so gut es geht integriert und ihn so herzlich willkommen heißt, wie ihr es zuletzt bei Taissa getan habt.«
Ich könnte schwören, dass die blonde Frau da vorne am Lehrerpult kurz speziell mir einen Blick zuwirft. Dabei hat sie doch keine Ahnung, dass diese Klasse eigentlich keine Einheit, sondern ein bunt gemischter Haufen an verschiedenen Leben ist, die sich nicht einfach zu einem einzelnen und funktionieren Organismus zusammenfügen lassen, wie es die Lehrer immer wollen. Aber die sehen ja auch nur, dass es keine Schlägereien und keine offensichtlichen Mobbingattacken gibt und denken somit, dass sich ausnahmslos alle Schüler miteinander verstehen. Lehrer sind halt die, die am wenigsten Ahnung von Kindern haben, weil die sich vielleicht theoretisches Wissen über Pädagogik angelesen, aber selbst verlernt haben, wie ein Kind zu denken. Sie tun lieber so, als wären sie uns übergeordnet. Schwachsinn. Leute wie Miss Schmidt wissen doch gar nicht, was sie mit solchen Phrasen anrichten.
Ich zumindest sehe echt schwarz für den Neuen, wenn er meint, mitten Schuljahr kommen und somit einen ganz besonderen Auftritt hinlegen zu müssen. Dem werden die üblichen Verdächtigen wie Prolet Brian und seine Freunde sicher das übergroße Ego aus dem Leib prügeln, wenn er nicht auf sich aufpasst. Mir tut der Neue jetzt schon leid.
»Möchtest du dich vorstellen?«, fragt die Geschichtslehrerin und heftet ihren Blick genau auf mich, scheint jedoch seltsamerweise durch mich hindurchzusehen. Für einen Moment bin ich wie erstarrt. Warum soll ich mich denn nach mehreren Monaten hier vorstellen? Das ergibt keinen Sinn.
Erst dann wird mir klar, dass sie die Person, die meine Lehrerin die Person, die direkt hinter mir sitzt, meinen muss. Diese scheint Miss Schmidts Anfrage zuzustimmen, denn nicht nur sehe ich, wie sich ihre zuvor recht angespannten Gesichtszüge wieder etwas entspannen, sondern höre auch deutlich, wie der Neue hinter mir aufsteht und langsam zur Front des Klassenraums läuft. Irgendwas an ihm wirkt vertraut auf mich, obwohl ich es nicht ganz zuordnen kann. Diese braunen, etwas wirren Haare kommen mir bekannt vor. Doch die Erkenntnis trifft mich erst, als der Junge vorn am Pult ankommt und sich endlich zur Klasse dreht.
Mir stockt der Atem. Es ist Evan. Wie selbstverständlich steht er da neben Miss Schmidt und setzt ein Lächeln auf, das mir einen kalten Schauder den Rücken runterlaufen lässt. Es ist kalt, viel kälter als das, was er mir geschenkt hat, als wir zusammen in dieser Menschenmenge am U-Bahnhof gefangen gewesen sind. Evan sieht aus, als hätte er sich das alles ganz anders vorgestellt – als hätte er sich eigentlich auf seinen ersten Tag hier gefreut, aber wäre dann von der grausamen Realität erschlagen worden. Genau so fühle ich mich gerade auch. Die Anwesenheit dieses besonderen Jungen in diesem sonst so schnöden Raum nimmt mir die letzte Möglichkeit, einfach vor dem wegzulaufen, was ich am Freitag getan habe. Das Schicksal scheint uns einfach nicht unserer Wege gehen lassen zu wollen, seit Evan mir das Leben gerettet hat.
Plötzlich wirkt alles viel zu real und so, als hätte man mir ins Gesicht geschlagen, um mich aus meinen Träumen zu wecken. Die Welt um mich herum scheint sich von einer Sekunde auf die anderen vollkommen zu verändern. Jetzt kann ich nur noch hoffen, dass niemand meiner Mitschüler am Wochenende im Internet gewesen ist oder Zeitung gelesen hat. Das alles ist sehr unwahrscheinlich, aber diesen kleinen Funken Hoffnung will ich mir bewahren, so lange es geht. Wenn dieser glückliche Umstand nämlich wirklich eintritt, kann ich mir zumindest für heute diese schrecklichen Blicke sparen und Evan wäre auch fein raus, auch wenn der eher bewundert als bemitleidet werden würde.
Unter den neugierigen Blicken seiner neuen Klassenkameraden, die ihn noch unverblümter anstarren, als ich es zugegebenermaßen tue, beginnt Evan sich vorzustellen.
»Guten Tag zusammen, mein Name ist Evan Leroy, ich bin siebzehn Jahre alt, werde demnächst achtzehn und bin hier geboren, auch wenn ich eigentlich nicht so aussehe. Meine Mutter ist Koreanerin, mein Vater Franzose, deshalb spreche ich fließend Englisch, Französisch und Koreanisch. Außerdem kann ich Saxofon spielen, habe den schwarzen Gürtel im Judo und bin ganz gut im Schreiben, denke ich. Freut mich, euch kennenzulernen.«
Als er endet, verbeugt sich der Junge dort vorn am Pult, was ein neues Murmeln durch die Sitzreihen wandern lässt.
Nur einer, ein dunkelhaariger Lockenkopf namens Dallas, traut sich, Evan direkt anzusprechen. »Bist du nicht der Junge, der Taissa gerettet hat?«
Dallas schaut drein, als wäre er sehr zufrieden mit sich und seiner ach so cleveren Frage, die eher einer Feststellung gleicht. Aber so kennt man ihn eben – überall Klassenbester, aber trotzdem mit dem Verstand eines Gänseblümchens gesegnet.
Auf seine dumme Bemerkung hin schwillt das Murmeln in der Klasse etwas an und immer wieder huschen Blicke von Evan zu mir und wieder zurück. Am liebsten würde ich gerade im Erdboden versinken vor Scham. Toll gemacht, Dallas. Wie ich diesen elenden Besserwisser doch hasse. Kann der nicht einmal die Klappe halten?
Das alles ist so beschämend. Jetzt denken wirklich alle, ich wäre geisteskrank. Komisch bin ich für meine Mitschüler sicher schon immer gewesen. Doch jetzt kann ich mich wohl endgültig davon verabschieden, dass sie mich nicht dauernd anschauen, als wäre ich eine Aussätzige, während sie irgendwie versuchen, an mich ranzukommen, um zumindest so zu tun, als wäre ich durch meine dunkle Haut nicht die reinste Freakshow an dieser Schule. Jetzt bin ich schwarz und selbstmordgefährdet. Es fühlt sich an, als wäre alles wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Ich hasse dieses Gefühl. So sehr, dass ich am liebsten davor davonlaufen würde.
Deshalb schwanke ich ernsthaft dazwischen, einfach in Ohnmacht zu fallen oder schnellstmöglich aus dem Raum zu flüchten, bis mir Evan ein weiteres Mal zur Hilfe kommt. »Ich denke, für solche Fragen haben wir in der Pause noch genug Zeit. Nun möchte ich den Unterricht nicht mehr unnötig aufhalten.«
Mit diesen Worten setzt sich der Junge wieder auf seinen Platz. Ich hätte ich schwören können, dass er mir wieder dieses ‚Du kannst mir ruhig dankbar sein, Kleines‘-Lächeln zugeworfen hat, als er an mir vorbeigelaufen ist. Dieser Idiot. Ich hätte auch selbst etwas sagen können. Als wäre ich auf seine Hilfe angewiesen. Er ist nicht mein persönlicher Schutzengel, nur weil ich seinetwegen noch hier bin. Was denkt der, wer er ist?
»Taissa, da du selbst noch nicht lange hier bist und bereits bekannt mit Evan bist, würde ich dich bitten, dass du ihn in der Pause ein wenig mit dem Schulgebäude und den Regeln hier vertraut machst.«
Selbst Miss Schmidt scheint Dallas’ dumme Bemerkung nicht vollständig ignorieren zu können. Ihren mitleidigen Blick kann sie sich aber sparen. Dass sie auch davon weiß, ist mir von Anfang an klar gewesen. Sollte eine Lehrerin nicht zumindest so tun können, als würde sie Privates und Schulisches ihrer Schüler auseinanderhalten können? Das alles kann ja noch heiter werden.
Evans brennender Blick, den ich auf meinem Rücken ruhen spüre, hilft mir auch nicht, wieder runterzukommen. Am liebsten würde ich diesen Jungen einfach aus meinem Leben verschwinden lassen. Dann wäre vielleicht alles wieder halbwegs normal. Es fühlt sich an, als wäre dieser komische Junge ein gleißender Lichtstrahl in der Dunkelheit, der vielleicht in der ersten Sekunde ganz guttut, einem dann aber in den Augen brennt. Er rückt mich nur unnötig ins Scheinwerferlicht, obwohl ich doch am liebsten im Schatten geblieben und einfach gelebt hätte wie bisher. Und jetzt bin ich auch noch für diesen Lichtstrahl verantwortlich, weil ich ihm scheinbar irgendwas schulde. Warum nur scheint sich alles gegen mich verschworen zu haben? Ist Selbstmord wirklich so eine Sünde, dass ich jetzt in der Hölle auf Erden schmoren muss?
Den Rest der Geschichtsstunde kann ich mich kaum auf das konzentrieren, was Miss Schmidt da zu erklären versucht. Denn immer noch spüre ich, wie Evan mich anstarrt, als würde er mir so sagen wollen, dass er mit dieser Situation genauso wenig einverstanden ist wie ich.