Der Kerl in der Lederjacke stöhnte gequält, als er mit dem Schädel hart auf das Pflaster aufschlug. "Steh auf", sagte der Andere schwer atmend zu ihm, aber seine Stimme war dabei seltsam ruhig. Der Beschreibung nach musste das David sein. Aber der sah irgendwie so gar nicht nicht aus, als bräuchte er Hilfe. Was man von dem Typ am Boden gerade nicht behaupten konnte.
Der stand tatsächlich auf. Ein Fehler, wie sich innerhalb von Sekunden herausstellte. Ein gezielter Kick traf ihn in der Magengegend, der nächste zog ihm die Beine weg.
Was für ein Schauspiel! Amüsiert stand der Mann in der Uniform am Rande der Szene und grinste. Was dem Kleineren an Kraft fehlte, machte er an Technik mehr als wett. Ein Nahkampf wie aus dem Lehrbuch!
"Na, los. Versuch es noch mal!", forderte David den anderen heraus.
Dieser Idiot stand tatsächlich noch einmal auf. Besonders helle oder lernfähig war er anscheinend nicht. In rasender Geschwindigkeit trafen ihn Fausthiebe an Kinn und Brustbein, nach Luft ringend ging er in die Knie. "Du ... du spinnst wohl", keuchte er. "Das wird dir noch leid tun!"
Das hätte er nicht sagen sollen. In Davids grünen Augen flackerte nackter Hass auf. "Ja? Was du nicht sagst!" Hatte er bisher gewartet, bis sein Gegner auf beiden Beinen vor ihm gestanden hatte, so trat er jetzt blind vor Wut auf den unten liegenden ein.
Der große Blonde hatte sich vorgenommen einzugreifen, wenn es unbedingt nötig wäre. So gerne er auch noch ein wenig zugesehen hätte, der Zeitpunkt war jetzt absolut gekommen. Sein Mitleid hielt sich zwar in engen Grenzen, dennoch stellte er sich vor den Kerl in der Lederjacke. "David, wenn du vor hast ihn umzubringen, mach es lieber im Wald, oder so. Auf Asphalt ist die Sauerei immer so groß."
Der Kleinere blieb stehen und blinzelte irritiert. Hatte dieser Fremde ihn gerade mit seinem Vornamen angesprochen?
Der Mann am Boden spuckte Blut während er seine Chance ergriff und sich aufrappelte. Stöhnend vor Schmerzen humpelte er einige Meter in Richtung Straße. "Das wirst du bereuen, das sage ich dir!" Zitternd deutete er auf David.
"Jetzt reicht's mir aber", brüllte der riesige Blonde in der olivfarbenen Uniform, machte ein paar schnelle Schritte hinter dem anderen her, holte ihn ein, packte ihn am Kragen und schmetterte ihn gegen den nächsten Baumstamm. "Werd ja nich frech! Du Vogel hast wohl den Knall nich gehört, was?! Ich hab dir grad das Leben gerettet, falls du's nich schnallst! Aber wenn ich dich noch mal hier sehe, das versprech ich dir, trete ich dir persönlich hinten so in den Arsch, dass dir vorne alle Zähne rausfliegen! Wenn ich mit dir fertig bin, hältst du das hier für'n Kindergeburtstag!" Mit grimmigem Gesichtsausdruck ließ er ihn los.
"Verstehe", grinste der Kerl gehässig. "Neuer Lover, was?"
Dem Unteroffizier riss der Geduldsfaden. Er packte das Großmaul, drehte ihm den Arm auf den Rücken, schleifte den schreienden, geschockten Mann zum nächsten Auto, knallte ihn auf die Motorhaube und drückte ihn mit dem ganzen Gewicht nach unten.
Was der Blonde dabei flüsterte, konnte David nicht hören. Er konnte den anderen, etwas kleineren, wenig später nur entsetzt davonstolpern sehen. Ein kräftiger Fußtritt hatte ihm geholfen, die richtige Richtung zu finden.
Bis der Kerl sich mühsam zu seinem Auto geschleppt hatte und davongefahren war, war der Blonde stehen geblieben. Nur zur Sicherheit. In aller Ruhe hatte er sich eine Zigarette angezündet.
David war inzwischen rückwärts die Stufen zur Eingangstür seines Wohnhauses hinauf gegangen. Aber er hatte sie noch nicht aufgemacht. Vorsichtig beobachtete er den Unteroffizier, der jetzt gemütlich auf ihn zu schlenderte. "War ziemlich beeindruckend, Mann", sagte er ehrlich und setzte sich auf die mittlere der drei Stufen.
David sagte nichts. Er konnte sein Blut noch pochen hören. Hätte ihn in diesem Moment jemand gefragt, wie es ihm gerade ging, er hätte die Frage beim besten Willen nicht beantworten können.
"Wie lange machst du schon Kampfsport?"
"Noch ... nicht so lange. Und ich weiß auch nicht ..."
"... ob du stolz darauf sein sollst? Das haben wir uns alle schon mal gefragt, Mann."
"Ich habe ihn wirklich geschlagen", sagte David leise und mehr zu sich selbst. Er konnte es kaum glauben.
"Windelweich geprügelt, würd ich das nennen! Aber wenn du dich wohler fühlst, können wir uns auch einen politisch korrekten Wortlaut überlegen, der dir besser gefällt. Körperbetonte Konfliktlösung?" Er klopfte mit der flachen Hand neben sich auf die Fliesen. "Möchtest du dich setzen, David?"
Da hatte er sich vorhin also nicht verhört. "Woher ... kennen Sie denn meinen Namen?", fragte er vorsichtig.
"Willst du auch eine?" Der Kerl in der Uniform wedelte mit einer Packung Camel in dir Luft, ohne auf die Frage einzugehen.
"Nein. Danke. Ich rauche nicht", antwortete der Kleinere noch immer leise und nahm zögernd neben ihm Platz. Sicherheitshalber auf der obersten Stufe und weit genug weg.
"Eis."
"Was?"
"Für die Fingerknöchel. Du musst Eis drauf tun, sonst kannst du morgen die Hände nich gebrauchen." Noch immer lag ein sehr skeptischer Blick auf ihm. "Ich bin Tom."
"Sollte ... ich Sie kennen?"
"Jetzt kennst du mich." Tom grinste breit. "Ein gemeinsamer Freund hat mich gebeten, ein Auge auf dich zu haben. Er macht es sonst selbst, aber leider ist er im Moment grad irgendwo anders."
Das konnte nur ein Missverständnis sein. "Ich habe keine Freunde."
"Na, einen hast du mindestens", lachte der große Blonde.
Sogar im Sitzen erschien er David riesig. "Dann waren Sie die ganze Zeit hier vor dem Haus?"
"Natürlich nich", schüttelte der Andere den Kopf. "Ich war vor deiner Firma und bin dir hier her gefolgt."
"Oh. Das ist ... irgendwie ..."
"Beunruhigend? Ja, jetzt wo ich drüber nachdenke wie sich das grad angehört hat, irgendwie schon."
David wusste nicht so recht, wie er mit dieser Situation gerade umgehen sollte. Er musste trotzdem ein bisschen über den Mann lächeln, der da so ganz entspannt, die Füße mit den geschnürten Stiefeln gemütlich von sich gestreckt, neben ihm saß. Vorhin hatte er sehr bedrohlich ausgesehen. Jetzt überhaupt nicht mehr. Der Kerl strahlte sogar eine beispiellose Ruhe aus. "Schon. Aber es ist auch ... nett. Obwohl ich keine Hilfe gebraucht hätte!"
"Hab ich gesehen." Nachdenklich nahm Tom einen tiefen Zug aus seiner Zigarette. "Dein Ex?"
Der Kleinere nickte langsam.
"Kleines Aggressionsproblem das Herzchen, hm?"
"Nur wenn er Worte hört, die er nicht kennt."
"Zum Beispiel?"
"Nein?"
"Verstehe. Is'n schwieriges Wort." Der Blonde kramte in seiner Brusttasche. "Hier", warf er ihm eine kleine Dose zu, "für dich."
"Was ist das?"
"Pfefferspray. Benutz es."
"Fällt das nicht unter das Waffengesetz?"
"Darauf kannst du wetten."
Das war wirklich verwirrend. Dieses Gespräch, dieser Fremde, der gerade eine Nachricht auf seinem Handy checkte, diese ganze Situation.
"Ines. Ines ... Ines. Hm. Ich hab da letzte Woche zwei Mädels kennengelernt. Da war, glaub ich, eine Ines dabei." Ratlos schaute er David ihn an. "Die hat mich grad zu sich nach Hause eingeladen!"
"Okay?"
"Wenn ich mich nur erinnern könnte, welche das war, verdammt! Die heiße Latina, oder ihre Freundin. Die heiße Kartoffel."
"Kar...toffel?"
"Brillengläser wie Flaschenböden, Zahnspange, breiter als hoch?"
"Ja. Das ... keine Ahnung."
"Ines klingt aber irgendwie schon nach Knaller, oder?"
"Ich ... kann schon sein? Ja?"
Tom stand auf. Er war wirklich riesig. "Wünsch mir Glück, Kleiner! Man sieht sich!" Beherzt klopfte er ihm auf die Schulter. "Ich glaub nich, dass der nochmal auftaucht. Aber wenn, ruf mich ruhig an. Dann rede ich auch noch mal mit ihm", zwinkerte er und verschwand fröhlich pfeifend aus seinem Blickfeld.
Sehr durcheinander betrat David seine Wohnung. Was war das denn eben gewesen? Was für ein gemeinsamer Freund denn?
Er stellte sich unter die heiße Dusche. Blut abwaschen. Und Erinnerungen. Das erste ging weg.
Auf seinen Fingerknöcheln taten die Kühlbeutel gut. Bis zum späten Abend tauschte er sie immer mal wieder aus. Kurz bevor er ins Bett gehen wollte, summte sein Handy. Es war eine WhatsApp-Nachricht. "Alles in Ordnung?" stand da.
Davids Puls schoss nach oben, diese Nummer kannte er nicht! Er überlegte. Zu lange.
"David? Geht es dir gut?"
Was? Dann war es schon mal nicht sein Exfreund. Der hatte sich noch nie dafür interessiert. Und warum sollte er danach fragen, wo er gerade die Abreibung seines Lebens kassiert hatte? Aber wer war es dann? Viel konnte ja nicht passieren, wenn er zurückschrieb. Oder?