Dass David hier war und redete, war richtig gut. Und diese Frage nur die logische Konsequenz aus dem, was er bisher mitbekommen hatte. Noah hatte es ja auch darauf angelegt, als er gar nicht erst versucht hatte, die beiden Telefongespräche vor ihm geheim zu halten. Es gab überhaupt keinen Grund dafür.
"Julian ist mein Exfreund."
"Er sagt Tiger zu dir?", lächelte der Kleinere nicht unbedingt tiefenentspannt.
"Das ist nicht weniger ironisch, als ihn Kätzchen zu nennen. Er ist keines, das gebe ich dir schriftlich."
"Ah. Ihr versteht euch immer noch gut?"
"Wieso denn nicht? Wir waren fast drei Jahre zusammen. Er ist einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben. Und ich in seinem. Wenn wir uns nicht ganz blöd anstellen, bleibt das so. Wir wollen nicht so tun, als wären wir uns egal."
David machte eine unstete Kopfbewegung. "Wieso hat es nicht hingehauen?"
"Das hat es."
"Dann hat Julian Schluss gemacht?"
"Nein. Ich."
"Verstehe ich nicht. Warum?"
"Weil ich ihn liebe. Deshalb. Ich möchte, dass er den einen findet, der seinem Herzen am nächsten ist."
"Das bist nicht du?"
"Ich bin seinem Hirn am nächsten", lächelte er. "Was auch cool ist. Aber da muss mehr sein. Nicht für mich. Für ihn."
"Dann habt ihr euch getrennt, weil ..."
"Ich nicht der bin, den er braucht. Da ist etwas in ihm, das ... Ich weiß nicht. Ich kann es nicht mal benennen. Ich habe nie herausgefunden, was es ist."
"Dann glaubst du, er wäre sowieso irgendwann gegangen?"
"Nein. Er hätte sich nie von mir getrennt. Das war ja mein Problem."
"Und wenn er diesen einen gefunden hätte?"
"Auch dann nicht. Er ist mir dankbar, ich weiß nicht wofür. Er hat viel mehr für mich getan, als ich für ihn. Ich habe ihn mit dieser Entscheidung nur vor sich selbst gerettet. Er hat das akzeptiert. Weil er tief drinnen auch spürt, dass ich recht habe."
Der Rotblonde stellte seine Tasse ab.
"Wir waren Freunde, bevor wir ein Paar waren. Dann hatten wir eine großartige Beziehung, die vorbei ist. Wir sind immer noch Freunde. So einfach ist das. Hier." Noah hielt David sein Handy vors Gesicht. "Das ist Julian."
Der Dunkelblonde mit den tiefblauen Augen war umwerfend! Auf diesem Schnappschuss hatte er beide Arme von hinten fest um Noah geschlungen und ein strahlendes Lächeln im Gesicht.
"Das ist ... dein Exfreund?"
"Ja. kaum zu glauben, was?"
"So ... habe ich das nicht gemeint."
"Schon gut. Ich wundere mich auch jeden Tag."
"Ihr habt glücklich ausgesehen. Damals."
"Damals? Das hat Emma erst vor ein paar Wochen gemacht. Auf Ibiza. Wir waren alle auf der Hochzeit gemeinsamer Freunden eingeladen. Stefan und Lui." Der Brünette wischte mehrmals über das Display und hatte schon nach kurzer Zeit ein Foto der beiden von diesem Tag gefunden. "War schon toll. Vor allem, weil keiner von uns je gedacht hätte, dass die wirklich mal heiraten."
"Sind sie noch nicht so lange zusammen?"
"Doch, das schon. Seit dem Gymnasium. Aber die beiden haben einfach nichts gemeinsam. Stefan ist Notar. Ich kenne ihn durch Emma, mit der ich während des Studiums in einer WG gewohnt habe. Er ist ihr Cousin. Sehr besonnen, sehr ruhig ist er. Und dann ist da Lui. Ein fröhlicher, bunter Schmetterling, siehst du ja."
"Asiate?"
"Seine Mutter ist Japanerin. Daher der leicht exotische Touch. Er ist lustig, quirlig und ... nennen wir es mal ... überaus kontaktfreudig."
"Soll heißen?"
"Der verschwand immer mal wieder, wenn er jemanden kennengelernt hatte, der ihm gefiel. Meistens nur für einige Tage. Manchmal aber auch Wochen. Da gab es einmal zum Beispiel diesen einen Kerl. Aus Barcelona war der, wenn ich mich recht erinnere. Jedenfalls, Lui war restlos begeistert, sprang sofort in den nächsten Flieger und weg war er. Spätestens da dachten wir alle, diesmal käme er nicht wieder."
"Hatte der Spanier denn mehr mit ihm gemeinsam?"
"Das nicht. Aber er hatte eine Ray-Ban und Lui spiegelte sich gern darin."
David musste richtig lachen. "Hat Stefan das nichts ausgemacht?"
"Ich glaube schon, dass es das hat. Aber es war ihm wohl lieber so, als dass er ihn ganz verloren hätte. Er hat ihm nie einen Vorwurf gemacht und Lui kam ja auch immer zurück."
"Wow."
"Ja, das kannst du laut sagen. Vor etwa einem Jahr ist dann in der Wiener Innenstadt ein Haus in die Luft geflogen. Das war überall in den Nachrichten. Ein Leck in der Gasleitung. An diesem Tag hat sich alles geändert."
"Was hatte das damit zu tun?"
"Nun, Stefans Büro war da drin. Er hat zu dieser Zeit sein Gerichtspraktikum gemacht. Als die Feuerwehr versuchte die Flammen einzudämmen, kam Lui gerade gemütlich um die Ecke geschlendert. Er war total fassungslos, hat ihn überall gesucht."
"Hat er ihn gefunden?"
"Nein. Aber Stefan, der zum Glück einen Außentermin gehabt hatte, hat gegen Abend Lui gefunden. In einem Krankenhaus."
"Wieso das denn?"
"Er hatte einen Nervenzusammenbruch. Da ist ihm wohl klar geworden, was er verloren hätte, wenn seine Befürchtungen sich bestätigt hätten. Also, wenn sich Stefan zum Zeitpunkt der Explosion im Gebäude aufgehalten hätte. Lui konnte nicht mehr aufhören zu weinen, schwor hoch und heilig dass jetzt alles anders würde und blieb von da an Abends zuhause."
"Er meinte es also ernst."
"Wir waren uns am Anfang nicht sicher. Es gab ein paar Wetten darauf, wie lange diese Phase anhalten würde. Aber er war tatsächlich fest entschlossen, suchte sich sogar einen Job."
"Was macht er denn?"
"Er ist Fitnesstrainer."
"Ist das gut? Ich meine ... für jemand der so ... kontaktfreudig ist?"
"Oh, nein. Ich weiß was du meinst, aber da besteht eher keine Gefahr. Er arbeitet in einem Damen-Figurstudio."
"Was?"
"Ja, Yoga, Pilates, so was. Und es funktioniert, er macht das toll. Alle seine Kurse sind auf Monate ausgebucht. Die Mädels ab Ende vierzig rennen ihm die Bude ein! Wie auch immer, jetzt haben die beiden geheiratet."
"Das ist doch schön. Oder?"
"Auf jeden Fall. Und dabei wäre aus der Sache im letzten Moment fast nichts mehr geworden."
"Wieso denn?"
"Weil der Standesbeamte darauf beharrte, bei der Trauung die Namen des Paares so vorzulesen, wie sie in den Ausweisen standen."
"Logisch. Wo ist da das Problem?"
"Na ja. Du musst wissen, Lui ist eine Abkürzung. Für Ludwig. Aber um Gottes Willen, sag das nie zu ihm! Und verrate bloß nicht, dass ich es dir erzählt habe!"
"Oh. Hat er ein Problem damit?"
"Das wäre stark untertrieben. Er würde niemals zulassen, dass das in der Öffentlichkeit bekannt würde. Auch dann nicht, wenn das Gesetz es verlangt. Was natürlich völliger Schwachsinn ist, wir alle wissen schließlich, wie er heißt. Wie auch immer. Er war kurz davor alles hinzuschmeißen, notfalls auch das Hotel nieder zu brennen und eine Atombombe auf das Einwohner-Meldeamt zu werfen."
"So schlimm?"
"Komplett hysterisch. Sogar die Wedding-Planerin dachte zum ersten Mal in ihrem Berufsleben ernsthaft über eine Umschulung nach", schüttelte Noah in Gedanken den Kopf. "Die Frau war seit über zwanzig Jahren im Geschäft."
"Und dann?"
"Nun, wir konnten den Beamten zu einem Kompromiss überreden. Er hat die beiden getraut, ganz vorschriftsmäßig, nur sie zwei und ihre Trauzeugen. Und nachher hat der gute Mann die Sache noch mal abgezogen, als Show für die Gäste sozusagen."
"Das ist voll schräg."
"Nein. Das ist Lui", lachte der große Brünette, schaute konzentriert in Richtung Tür und stand vorsichtig auf. "Sieh mal, wer da ist."
Die beiden Männer wurden von zwei wachen Katzenaugen beobachtet. Herbert duckte sich lauernd, als Noah sehr langsam auf ihn zu, und dann in die Hocke ging. Das Tier war angespannt. Aber es lief nicht weg. Weil die Parallelen zu David kaum zu übersehen waren, musste Noah unwillkürlich schmunzeln. Er blieb einfach so und bewegte sich nicht. Zögerlich setzte der Kleine schließlich eine Pfote vor die andere und huschte geschwind an ihm vorbei. Direkt in die Arme seines Lieblingsmenschen, der ihn glücklich an sich drückte.
"Ich glaube nicht, dass du ihn suchen musst", grinste der Brünette. "Sieht so aus, als fände er dich. Ich muss euch beide jetzt leider alleine lassen und zusehen, dass ich noch ein paar Stunden schlafen kann. Du kommst zurecht, ja? Fühl dich wie zuhause und nimm dir, was immer du möchtest."
"Danke. Aber ... Es ist ja nur bis morgen Früh."
"Überleg dir das, David. Deine arme Katze ist auch so schon ziemlich durch den Wind. Willst du sie wirklich im Tierheim abgeben? Dann kennt sie sich gar nicht mehr aus. Den Stress kannst du ihr leicht ersparen."
"Nein. Wir gehen dir nicht länger auf die Nerven, als es unbedingt sein muss", lächelte der Rotblonde.
"Das ist Unsinn. Es freut mich, dass ihr hier seid."
Herbert fühlte sich zunehmend wohler. Leise schnurrend schmiegte er sich an David.
"Siehst du", sagte Noah überzeugt, "er ist absolut meiner Meinung."
"Du wohnst noch nicht lange hier, oder?"
"Etwa anderthalb Jahre. Warum?"
"Nur so. Es ist ... leer, irgendwie."
"Jetzt nicht mehr. Gute Nacht, ihr beiden."
Ganz sicher war der Mann nicht, als er die Treppe nach oben ging. Aber er fand schon, dass es gut lief und ein vorsichtiger Optimismus nicht übertrieben war.