"David, es tut mir leid! So, so leid!" Emma war in sein Zimmer gestürmt, hatte sich zu ihm aufs Bett geworfen und war ihm um den Hals gefallen. "Ich konnte nicht anders, bitte verzeih mir! Noah war einfach immer für mich da. Da habe ich ... ich ... er war der einzige, der in Frage kam. Sei mir nicht böse!"
"Warum sollte ich?", lächelte er.
"Noah und du ..."
"Wir sind nur Freunde."
Die junge Frau grinste ein wenig schief.
"Was ist?"
"Ach, nichts." Sie streichelte mit beiden Händen über ihr kleines Bäuchlein. "Man muss schon ziemlich dämlich sein, um heutzutage noch ungeplant schwanger zu werden, oder?"
Offensichtlich erwartete sie einen Kommentar von ihm. Sie sah ihn so erwartungsvoll an.
"Das ... kann ich nicht beurteilen?"
"Und ... Wie findest du es?"
"Schön."
"Ja? Weil die meisten anderen, denen ich erzählt habe, dass ich ein Baby bekomme, mich nämlich gefragt haben, warum ich es nicht habe wegmachen lassen."
"Nicht alle, oder?"
"Noah nicht", lächelte sie unsicher. "Es war nicht so, dass ich es nicht früh genug bemerkt hätte. Und, ich meine, ich bin Feministin, ja? Mein Körper gehört mir und so. Ich bin da voll dafür! Echt! Aber ... Ich konnte das nicht."
"Ist allein deine Entscheidung. Ist gut."
"Bist du grundsätzlich gegen Abtreibungen?"
"Ich glaube nicht, dass mir zu dem Thema eine Meinung zusteht."
"Wieso nicht? Eine Meinung darf man immer haben. Ich zum Beispiel, habe zu fast allem eine."
"Ich denke ... dass man es nicht tun soll, wenn es nicht unbedingt sein muss. Keine Ahnung, wie ich es besser ausdrücken soll."
Die junge Frau schwieg eine Weile. Sie sah aus, als würde sie jeden Augenblick anfangen zu weinen. "Ich werde die furchtbarste Mutter der Welt sein, weißt du das?"
David holte Pralinen aus dem Nachtkästchen, öffnete die Schachtel und hielt sie ihr hin. Ihm fiel im Moment nichts besseres ein.
Dicke Tränen rannen ihre Wangen hinunter, als sie den jungen Mann schluchzend umarmte. "E...es ist echt kei... kein Wunder, dass, dass Noah dich so gern hat. Ich mag dich auch total! Ich habe so viel Angst."
Den ersten Teil ignorierte David mal lieber. Etwas hilflos strich er ihr über die Haare. "Wieso denn, Emma?"
"Du ... Du kennst mich ja noch nicht. Ich bin eine einzige Katastrophe. Ich bin chaotisch, nervig, chronisch pleite und kann nicht mal kochen. Mein Kind wird sicher verhungern. Wenn ich es nicht vorher in einem Einkaufszentrum vergesse. Oder auf dem Autodach."
"Du machst dir viel zu viele Sorgen."
"Ja. Kann sein. Ist sowieso zu spät. Entschuldigung. Ich bin sonst nicht so. Aber seit ich schwanger bin, bekomme ich das mit den Gefühlen einfach nicht mehr in den Griff. Wenn ich nur eine Merci-Werbung sehe, gibt es für mich kein Halten mehr! Emotional, meine ich."
"Die sind aber auch wahnsinnig ergreifend", schmunzelte David.
Emma wischte sich mit dem Ärmel ihres Pyjamas über das Gesicht. "Das ist wahr."
"Wo warst du denn im Urlaub?", wechselte er das Thema.
"Jamaika. Also, spätestens wenn das Kind da ist, ist Noah schon aus rein optischen Gründen aus der Sache raus." Ein scheues Lächeln huschte über ihre Lippen.
"Wa... Nein, oder?", grinste der Rotblonde.
"Doch. Ach, David! Dieser Mann ... oooohhhh!", seufzte die junge Frau versonnen. "Warte mal. Ich habe ein Foto. Ein einziges, aber ..." Sie wischte mehrmals über das Display ihres Handys. "Da, schau."
"Hola, die Waldfee!"
"Ja, genau! Und dann stell dir noch das Südseeparadies um ihn, und das Urlaubsfeeling um mich herum vor. Ich meine, sieh dir ihn an, und dann sieh dir mich an. Es war eine Jetzt-oder-nie-Situation!"
"Wieso sagst du das?"
"Seien wir mal ehrlich. An mir ist nicht viel interessant. Über mich sagen alle, 'oh ja, Emma ist klug'. Da scheiß ich drauf! Ich möchte verdammt noch mal auch eine von den Frauen sein, denen man zuerst in den Ausschnitt glotzt und erst dann ins Gesicht!"
"Wie klug du bist, weiß ich nicht. Ich mag dich nur, weil du so hübsch bist."
"Dan-ke-schön! Und ich mag dich nur, weil du so ehrlich bist." Sie mussten beide lachen.
"Und?" fragte David vergnügt, "wo hat er hingesehen als ihr euch zum ersten mal begegnet seid?"
"In das Klo, in dem mein Fuß steckte."
"Was?!"
"Ja. Romantisch, nicht wahr?"
"Wie Liebesgeschichten, die in Toiletten beginnen, eben so sind", grinste der Goldschmied.
"Du sagst es. Ich begegnete Mr. Perfect unter den wohl erniedrigendsten Umständen, die du dir überhaupt vorstellen kannst. Die Tür dieser Kabine ging nicht mehr auf. Ich bin sonst sehr umgänglich", fuhr sie nachdenklich fort, "aber wenn ich auf engem Raum gefangen gehalten werde, neige ich anscheinend zu Panik-Attacken." Emma griff nach einer Praline. "Ich weiß das selbst auch erst seit diesem Tag. Schreien und weinen halfen nicht, da bin ich auf den Deckel gestiegen um oben drüber klettern zu können. Und, na ja. Dabei bin ich eingebrochen. Und kam nicht mehr raus."
"Und er ... er...?" David musste sich ungemein zusammenreißen, um nicht lauthals loszulachen.
"Versuch mal einigermaßen würdevoll auszusehen, während ein Mann mit dem Körper eines griechischen Gottes, nur in schwarz, und einem Gesicht wie aus einer Tui-Werbung, damit beschäftigt ist, dich aus einem Klo zu ziehen. Ich sag dir was: Es geht nicht."
"Tut ... tut mir leid, aber das ist so ...", prustete er los. "Anscheinend ging aber dann doch was?"
"Als er mir ein paar Tage später nochmal über den Weg lief, ich hatte zwei, drei Cocktails und nichts mehr zu verlieren, habe ich alles auf eine Karte gesetzt. Ich habe sozusagen nach den Sternen gegriffen."
"Und dabei seinen Penis erwischt?", gluckste er.
Emma kicherte verhalten. "Ja, genau. Schmeckte nach Kokosnuss. Hatte vorher ein Bounty gegessen."
David musste so lachen, dass er vornüber in die Kissen fiel.
"Emma? Eeemmaaa!"
Mit Schwung wurde die Tür zum Gästezimmer aufgerissen. David hatte längst aufgehört, es abzuschließen. Seit er hier war, war Noah noch nie in dieses Zimmer gekommen. Das war also eindeutig eine Ausnahmesituation. Der sonst so ausgeglichene Mann konnte anscheinend doch wütend werden.
"Wo bleibst du denn so lange?", meinte die junge Frau vorwurfsvoll und warf sich noch eine Praline ein. Sie schien von seinem Auftritt gänzlich unbeeindruckt. "Ich habe gleich David angerufen, als du meine Eltern nach unten zum Taxi gebracht hast."
"Wo ich ...?! Das Ehepaar Goebbels wollte unbedingt noch einen Spaziergang durch die Getreidegasse machen!" Der Mann sah aus, als würde er vor Zorn gleich explodieren. "Was mich auch schon zu meiner nächsten Frage bringt: Was-hast-du-dir-da-bei-ge-dacht?!"
"Na ja, du hast sie ja kennengelernt. Sie sind ein bisschen ..."
"Ein bisschen?!" Seine Stimme überschlug sich schon fast.
"Ja, es ist ein Wunder, dass ich so normal bin, oder? Ich kann ihnen die Wahrheit nicht sagen, ich bin noch nicht so weit. Da kam ich auf dich, weil ..."
"Darüber werden wir auch noch reden, Fräulein! Darauf kannst du Gift nehmen! Aber vorher verrätst du mir mal bitteschön, wie das kommt!!!"
"Hat dir das noch keiner erklärt?" Sie schenkte ihm einen naiven Augenaufschlag.
"Verdammt noch mal, Emma! Hältst du das alles für einen Witz? Du hattest ungeschützten Sex mit einem völlig Fremden! Du bist fast dreißig! Müssen wir wirklich über Hepatitis und HIV und den ganzen Mist reden, den du dir dabei hättest einfangen können?", schrie er.
"Ist mir passiert, okay?!", brüllte sie zurück.
"Im fünften ... Du bist im fünften Monat und sagst mir nichts?! Mein Gott, dann warst du auf Ibiza ... Du hast dir einen Cocktail nach dem anderen reingezogen!"
"Die waren alle alkoholfrei! Ich bin doch nicht wahnsinnig!"
"Darüber kann man streiten! Versteck dich ja nicht hinter David!"
"Wer hat denn gesagt, ich soll mal wieder Urlaub machen?!", funkelte die junge Frau ihren besten Freund an. "Und dann hast du mich auch noch alleine fahren lassen! Am Boden zerstört, wie ich war!"
"Also gut." Noah rang sichtlich nach Fassung. Dass er merkte, wie David sich zwischen ihnen klein zu machen versuchte, war Emmas Glück. Er war ja ohne Verschulden in diese Konfrontation geraten und sah dabei so gar nicht glücklich aus. "Das ist mir jetzt zu blöd. Komm mit. Ich richte dir mein Schlafzimmer."
"Lass mal, ich schlafe bei David."
"Was?" "Was?!", sagten beide Männer gleichzeitig.
"Ja, ich bin hier schon eingekuschelt. Mach dir keine Umstände."
"Wie du meinst", knurrte der große Brünette, drehte sich um und schlug die Tür zu. Sie ging schon Sekunden später wieder auf, er schnappte sich mit Nachdruck die Pralinen und verschwand damit ohne ein weiteres Wort. Diesmal endgültig.
"Ups. Nicht gut. Er glaubt ja immer, dass er ein paar Kilo zu viel hat. Aber wenn er richtig sauer ist, frisst er trotzdem alle Süßigkeiten, die er findet", erklärte Emma knapp. "Wenn du welche hast, die du behalten willst, musst du sie gut verstecken."
"Aha."
Offensichtlich hatte sie wirklich vor, hier zu bleiben. Sie machte es sich auf der einen Seite des Bettes gemütlich.
"Noah und du ... ward ihr mal ...?"
"Ein Paar? Nein. Wir haben nur zusammen gewohnt. Ich war nie sein Typ. Als Frau, meine ich. Er hatte immer hübsche Freundinnen. Zumindest die, die ich kannte. Und Julian, na, der war ja dann sowieso ein Knaller!"
"Hat dich das gar nicht gewundert?"
"Dass er mit einem Mann zusammen war? Nein. Sagen wir, es gab über die Jahre immer wieder gewisse Anzeichen."
Zum Glück redete Emma von selbst weiter. Auch wenn David gerade ziemlich neugierig war, gefragt hätte er nicht.
"Da war zum Beispiel diese Faschingsfete, ja? Wir Mädels verkleideten uns als Superhelden. Seine Barbara machte normal angezogen schon was her, entsprechend umwerfend sah sie in ihrem hautengen Catwomen-Latex-und-Leder-Kostüm aus. Sie stellt sich damit also direkt vor Noah, der schaut kurz vom Bildschirm auf, checkt sie von oben bis unten ab und fragt, ob man das Teil eh in der Maschine waschen kann."
"Ähm ..."
"Sie hat genau so geschaut, wie du jetzt", nickte Emma. "Ich hoffe, er beruhigt sich wieder", meinte sie leise. "Ich habe noch nie zuvor so viel Mist gebaut."
Vielleicht brauchte Noah ein bisschen Zeit für sich alleine. Oder sollte besser jemand mit ihm reden? David war sich nicht sicher. Er dachte lange darüber nach. Die Junge Frau neben ihm war längst eingeschlafen, als er das Zimmer verließ.