"Die Überraschung haben wir den Kindern leider verdorben", schüttelte die Mutter den Kopf.
"Ja", erklärte Emma mit einem scharfen Blick zu Noah, "dabei wollten wir es euch so gerne an eurem Hochzeitstag in drei Wochen sagen."
"Und wir dachten im ersten Moment, ihr versucht es vor uns geheim zu halten", zwinkerte der Vater seiner Tochter zu.
"Das wäre wirklich ein fantastischer Anlass gewesen", seufzte die ältere Frau, "aber nun ist es raus und wir freuen uns von Herzen mit euch!"
"So ist es", gab ihr Mann ihr recht. "Wir hatten schon Befürchtungen, unsere Emma würde unverheiratet bleiben."
"Was auch nicht schlimm wäre, Papa", meinte die Tochter kleinlaut.
"Die Ehe ist die einzig ehrbare Lebensform für eine Frau. Nimm dir ein Beispiel an deiner Mutter."
Die hatte gerade David entdeckt und beobachtete ihn äußerst reserviert. Schon an seinem Haarschopf, der ihm auf einer Seite bis zum Wangenknochen fiel, schien die Frau sich zu stören. Noch länger blieb ihr Blick an seinen Hosen haften. Es waren Jeans in einem satten Dunkellila, die an allen sichtbaren Nähten silberfarbene Nieten eingearbeitet hatten. "Und Sie sind?"
"Der Goldschmied!", antwortete Emma an Davids Stelle, noch bevor er überhaupt die Chance dazu hatte. "Er ist Goldschmied, Mama."
"Sie arbeiten noch so spät?"
"Das tut er für besondere Kunden, nicht wahr?"
"Ich ... Ja?" Die junge Frau schien verzweifelt, da hielt er es für das Beste einfach mitzuspielen. "Ja, selbstverständlich."
"Nun", bemerkte der Vater, "ich meine, das unterstreicht die Ernsthaftigkeit eurer Absichten." Der Mann war zufrieden.
Auch der Gesichtsausdruck seiner Gattin wurde mit einem Schlag äußerst wohlwollend. "Ach so. Zeigen Sie uns doch mal, welche Ringe unsere beiden Turteltäubchen sich ausgesucht haben!"
"Mama!", wurde sie von ihrer Tochter gebremst. "Willst du nicht erst mal deine Jacke ausziehen? Wir ... haben uns auch noch gar nicht endgültig entschieden. Nicht wahr, Schatz?"
Bedauerlicherweise fühlte Schatz sich nicht angesprochen. Nein, Noah schwebte irgendwo in einem Vakuum, das atmen, denken und reden unmöglich machte.
"Ich muss schon sagen", merkte der ältere Mann an, als er durch die Schiebetür ins Wohnzimmer trat, "ich bin beeindruckt! Die Frage, ob du für unsere Tochter angemessen sorgen kannst erübrigt sich, wie ich hoffe?"
"Wilhelm!", wies seine Gattin ihn errötend zurecht.
"Ach was, Elfriede! Wir sind hier alle erwachsen und der junge Mann hat Verständnis dafür, dass wir uns Gedanken um die Zukunft unserer einzigen Tochter machen, nicht wahr?!"
"Papa, aus wirtschaftlichen Gründen müssen wir nicht heiraten. Ich kann sehr gut für mich alleine sorgen, ich arbeite", ergriff Emma das Wort, weil Noah nach wie vor vollkommen neben sich stand. Vielleicht hätte sie ihn doch warnen sollen?
"Noch, mein Kind. Das ist vorbei, sobald das Baby da ist. Du wirst natürlich aufhören, mit diesem Unsinn."
"Ich habe einen sehr guten Abschluss, Pa..."
"Das Thema ist beendet! Eine Mutter gehört zu ihrer Familie!"
Die junge Frau blieb still. Nur David sah, wie sie ihre Lippen aufeinander presste und die Hände zu Fäusten ballte, nachdem sie die Jacken ihrer Eltern aufgehängt hatte. Sie tat ihm leid.
"Dürfen wir euch etwas zu trinken anbieten? Noah?" Ihr Blick war ein einziges Flehen, als sie seine Hand in ihre nahm und fest drückte.
"Ich ... Ja? Ein Glas ... Wein?", fragte er, ohne Emma dabei aus den Augen zu lassen. Was zum Teufel ging hier eigentlich vor?
"Da sage ich nicht Nein", entschied Wilhelm und lehnte sich verschwörerisch in Richtung des vermeintlichen Paares. "Meine Frau kann einen Schluck gebrauchen, sie ist noch immer ganz neben der Spur wegen des Taxifahrers."
"Was ... war denn mit ihm?", fragte der große Brünette. Die junge Frau an seiner Seite schloss die Augen.
"Ein Kameltreiber", schüttelte die Mutter fassungslos den Kopf. "Sicher ein Dschihadist!"
"Mama! Nur weil er aus dem nahen Osten stammt, ist er noch lange kein Attentäter!"
"Diese Mohamedaner sind gefährlich. Man darf sie nicht ins Land lassen. Wehret den Anfängen, mein Kind! Wir sind bloß froh, dass du dir einen Österreicher ausgesucht hast, Liebes."
"Wir haben nichts anderes erwartet", stellte der Vater klar. "Emma hat uns natürlich gesagt, dass du in Südtirol aufgewachsen bist. Wir möchten, dass du weißt, dass wir dich deswegen nicht weniger gerne in unserer Familie willkommen heißen. Es ist eine Schande, was euch widerfahren ist."
"Was ... ist ... uns denn wider...?"
In einer tröstlichen Geste legte er seinem zukünftigen Schwiegersohn die Hand auf die Schulter. "Italiener nur dem Staate, jedoch Österreicher dem Blute nach. Wir betrachten dich selbstverständlich als einen von uns."
"Dan...ke?"
"Nichts weiter, als ein bedauerlicher Irrtum der Geschichte, der selbstredend einer unbedingten Korrektur bedarf."
Auf Bitten ihrer Tochter durchquerte das Paar das Wohnzimmer und wurde direkt auf die Dachterrasse gelotst. Emma entschuldigte sich unter dem Vorwand, in der Küche nach dem rechten sehen zu wollen. Als sie wieder bei ihm war, stand der Brünette noch immer unter Schock.
"Kannst - du - mir - mal - erklären - was - das - soll?"
"Später! Spiel einfach mit, ja?"
"Du bist ... schwa...?! Wieso erzä... Deine Eltern denken, ich wäre der Vater?", überschlugen sich seine Worte.
"Sssccchhht! Es ist ja auch ein bisschen deine Schuld", zischte die junge Frau.
"Mei ... Also daran könnte ich mich aber erinnern, verdammt!"
"Darauf kannst du wetten, Honey. Er hat gesagt, ich soll mal wieder Urlaub machen", erklärte sie David, der schweigsam abwartend neben ihnen stand. Die Situation war amüsant. Na, gut. Für Noah vielleicht nicht so. Für unbeteiligte Zuschauer durchaus!
"Das kannst du vergessen." Der Große schüttelte energisch den Kopf. "Dabei mache ich nicht mit, ich ..."
"Bitte! Noah! Tu das für mich, nur heute!"
"Nein. Kommt überhaupt nicht in Frage. Wir klären das jetzt sofort, ..."
"Hilf mir!" Sie fing an zu weinen. David griff nach ihrer Hand, die sie voller Dankbarkeit fest drückte. "Du hast sie doch gerade kennengelernt", fuhr sie fort, auf ihren besten Freund einzureden. "Sie sind ..."
"Furchtbar? Das kommt nicht mal annähernd hin!" Die Tränen zeigten Wirkung. Er konnte das einfach nicht sehen und riss sich etwas zusammen. Sein Ton wurde eine Spur sanfter. "Wie lange kennen wir uns denn?! Warum hast du nie etwas über die gesagt?!"
"Was hätte ich denn sagen sollen?"
"Wie wäre es gewesen mit 'meine Eltern sind gemeine Rassisten?!"
"Noah, ich bitte dich so sehr! Die Wahrheit schaffe ich nicht! Noch nicht! Das mit dir ist nur eine kleine Notlüge, das ging nicht anders. Eine meiner Cousinen hat mich beim Gynäkologen gesehen und eins und eins zusammengezählt. Ich konnte es nicht länger verheimlichen! Es ist nur heute Abe..."
"Also, ich muss schon sagen, eine bezaubernde Aussicht habt ihr hier", unterbrach Elfriede das Gespräch. "Alles so sauber und gepflegt. In dieser Nachbarschaft gibt es sicher keine sozialschmarotzenden Asylanten."
David ließ Emmas Hand los. Er grinste inzwischen über das ganze Gesicht. "Ich werde mich dann mal verabschieden."
Als der Rotblonde nach seiner Jacke griff, reagierte Noah geradezu entsetzt. Aber hier musste er wohl oder übel alleine durch.
"Wir werden Sie anrufen, sobald wir so weit sind." Ihre Erleichterung war der jungen Frau überdeutlich anzusehen. "Wegen ..."
"Der Ringe!", seufzte ihre Mutter glücklich. "Sind Sie selbstständig, Herr ..."
"Behrens. David Behrens. Nein, ich bin angestellt."
"Hoffentlich nicht bei einem Juden!"
"Das ... weiß ich nicht. Habe nie gefragt."
"Man hört, die meisten Juweliere sind Juden. Sagen Sie, sind Sie auch schon verheiratet?"
"Nein. Mein Exfreund war eher nicht so der beständige Typ, wissen Sie?"
Der älteren Frau fiel die Kinnlade nach unten. Sie wirkte wie versteinert.
"Der davor war schon verheiratet", dachte er laut nach.
"Das, das ... Ist ja ... überraschend!"
"Allerdings", gab er ihr sofort recht. "Aber niemand war so überrascht, wie ich. Das können Sie mir glauben."
"Ach ... Ach was?"
Das machte ja richtig Spaß hier! Da konnte er glatt noch ein Schäufelchen drauflegen. "Ja, und von all den anderen ... Außer im Bett hatten wir nirgendwo was gemeinsam, muss ich sagen. Sie kennen das sicher?"
"Ich?!" Die Dame schnappte hörbar nach Luft.
"Ich sehe schon, Sie wissen was ich meine. Tja. Mit so was kann man sich wunderbar die Zeit vertreiben, aber für das ganze Leben ist es eher nichts. Hat mich gefreut", zwinkerte er Emma zu, während er durch die Tür nach draußen schlüpfte. In ihrem verstohlenen Lächeln lag eine große Portion Respekt.
David wunderte sich kein bisschen darüber, dass die junge Frau mit ihrem Problem zu Noah gekommen war. Der tat ihm zwar leid, weil er nicht abhauen konnte, aber er würde seine Freundin sowieso nie im Stich lassen. Er nicht. Sie wusste das auch.
Elfriede hatte am Tisch Platz genommen und fächelte sich mit ihrer Stoffserviette Luft zu. "Also, so was! Und wie er das gesagt hat! Als wäre das normal!"
"Was ist denn schon wieder, Elfi?", wollte ihr Mann wissen.
"Dieser Goldschmied. Er ist ho-mo-sex-u-ell!" Sie nickte todernst.
"Nun ja. Mit solchen Leuten muss man gewiss vorsichtig sein."
"Mit Goldschmieden?", fragte Noah zähneknischend.
"Humor! Gefällt mir!" Seine Miene verzog sich aber kein bisschen dabei. "Die haben AIDS und wer weiß, was sonst noch alles. So einem solltet ihr unbedingt aus dem Weg gehen."
Der Gastgeber holte tief Luft. Er sah aus, als würde es ihn gleich zerreißen. Kein Essen dieser Welt konnte diesen Abend noch retten! Nicht mal, wenn Paul Bocuse persönlich es gekocht hätte. Oder Eva Braun.
Die junge Frau legte Noah beschwichtigend die Hand auf den Oberschenkel. Sie bewegte ihre Lippen. Ja, sie betete.
"Es ist vernünftiger, wenn ihr euch einen anderen sucht", fuhr der Ältere unbeirrt fort.
Hätte Schnaps in Reichweite gestanden, hätte der Brünette den genommen. So schluckte er, seiner besten Freundin zuliebe, seinen Zorn so gut es ging mit Wein hinunter. Warum das hauchdünne Glas, in dem der edle Tropfen sich befand, den wütenden Angriff unbeschadet überlebte, war aus rein physikalischen Gründen unerklärlich. "Ich bin mir sicher, dass keine Gefahr von ihm ausgeht. Und außer einem Ring will ich ja auch gar nichts von ihm."
"Trotzdem. Sicher ist sicher. Es wird ja wohl noch mehr von denen geben."
"Für mich nicht. Er ist nun mal ... der eine."
Emma sah lächelnd zu dem Mann an ihrer Seite auf und griff unter dem Tisch fest nach seiner Hand. "Das ist wahr, Papa. 'Der oder keiner', hat mein Liebster gesagt. Gleich am ersten Tag. Und ich bin ganz seiner Meinung."