So müde wie glücklich, streckte David eine Hand nach Noah aus. "Habe schon heute Nacht die ersten Fotos bekommen. Sie ist so süß!"
"Oh ja, das ist sie", gab er ihm recht. "Warte. Ich habe noch ungefähr ... tausend, die du alle ansehen musst." Lachend nahm er sein Handy und setzte sich auf einen der Sessel neben dem Bett. "Schau mal." Ein entzückendes Baby-Bild nach dem anderen erschien auf dem Display. Aber es war ein wenig unpraktisch so, denn wenn es für den einen gut zu sehen war, war es für den anderen schlecht und umgekehrt. "Rutsch mal rüber."
"Was?"
Zügig streifte er seine Schuhe ab und legte sich neben David auf die Decke. "Besser."
Noah hatte anscheinend nicht übertrieben. Emmas kleine Tochter musste das meist fotografierte Neugeborene der Welt sein! Er erzählte davon, wie gerne er es gehalten hatte, wie niedlich es sein kleines Gesichtlein verziehen konnte und wie gut es duftete. Er war glücklich und das zu sehen war schön für David, der nach einigen Minuten ein wenig näher rückte. Nur bis er seinen Kopf an die Schulter des Größeren lehnen konnte. Der schob sofort den Arm unter ihn und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. David lag auf seiner Schulter und sah fragend zu ihm nach oben.
"Ich ...", räusperte Noah sich ertappt. "Das war ein Reflex."
Ein kleines Lächeln zeigte sich in dem blassen Gesicht. Dann fand David das wohl nicht so schlimm. Als er sich ihm zu wandte, indem er sich etwas zur Seite drehte und vorsichtig einen Arm um ihn legte, atmete Noah endgültig auf.
"Glaubst du, ich darf sie bald mal sehen? Und vielleicht auch halten?"
"Emma kommt zu dir, sobald sie entlassen wird. Sie darf von der Geburtsstation mit dem Kind vorher nicht raus. Wegen der Ansteckungsgefahr."
"Wie bei mir, manchmal", versuchte David zu scherzen.
"Ja." Noah zog ihn fester an sich. "Wie bei dir, manchmal." Und dann schwieg er. Sein Nugett fühlte sich an, als wäre kaum noch etwas von ihm da.
David sagte auch nichts mehr. Er schloss die Augen und hoffte er würde einschlafen, bevor er wieder alleine wäre. Ohne ihn. Das mit dem Loslassen hatte er sich einfacher vorgestellt.
Generell.
"Was?!", schrie Tom am anderen Ende der Leitung entsetzt auf. "Lui? Kommt nicht in Frage!"
Emma hatte keine Zeit, den Plan noch einmal komplett umzuwerfen. Es war die einzige Lösung. "Er war von Anfang an dabei. Lui weiß genau worum es geht. Er wird das hinkriegen!"
"Wenn der die Lösung ist, will ich das Problem zurück!"
"Tom." Sie musste ihn überzeugen. "Ich weiß nicht ob es klappt. Aber, wir müssen es versuchen. Wir haben keine andere Wahl. Bitte."
Es war totenstill. Nach einer gefühlten Ewigkeit war ein genervtes Schnauben zu vernehmen. "Okay. Viertel nach Zwei. Wehe, er ist nicht pünktlich!"
Noah und Lui waren schon bei Emma, als Stefan, ihr Cousin und Luis Ehemann, mit einem wundervollen Blumenstrauß das Zimmer betrat.
"Oh", begeisterte sein Liebster sich, "die sind ja wirklich zauberhaft! Danke, Darling!"
"Also, eigentlich ...", versuchte der große Blonde ganz vorsichtig zu erklären, "sind die ..." Weiter kam er nicht, weil sein Mann ihn vor Freude fast umhaute. Emma schmunzelte und machte eine leicht wegwerfende Handbewegung. Stefan zuckte entschuldigend mit den Schultern und schon war Lui nach draußen verschwunden, weil ihm spontan irgendwas eingefallen war.
Stefan nahm seine Cousine in die Arme. Er drückte auch Noah fest, sie beide waren seit Jahren befreundet. Da der Notar in Wien lebte, wo er die Kanzlei seines Vaters übernommen hatte, sahen sie sich in letzter Zeit nicht mehr so oft.
"Wo ist denn nun die Kleine?" fragte Stefan gespannt.
"Gleich zurück", erklärte Emma. "Eine Schwester hat sie vor ein paar Minuten abgeholt, um sie zu wiegen."
Der Blonde schmunzelte. "Und du warst wirklich mit Lui alleine?"
"Hey!", kam es äußerst angefressen aus Richtung Tür. "Warum tut eigentlich jeder, als wäre das ein Problem gewesen?!"
Noah, Stefan und Emma sahen sich betreten an und versuchten nicht zu lachen.
"Ich meine, ich ... war großartig!" Bitterböse verschränkte der junge Mann die Arme vor der Brust. "Ich hatte das so was von im Griff, ja? Nur, damit ihr es wisst!"
"Das ist wahr." Emma nickte so ernst sie konnte. "Ich war froh, dass du da warst."
"Da hört ihr es!", fühlte Lui sich sofort bestätigt. "Ich war ein Fels! Jawohl!"
Sein Mann umarmte ihn lächelnd. "Das glaube ich dir doch", flüsterte er.
"Das Gefühl habe ich aber gar nicht", kam es trotzig zurück.
"Lui?" Mit zwei Fingern hob er sein Kinn leicht an. "Du bist auch mein Fels."
"Ich ... weiß", blickte der Kleinere zu ihm auf. Eine seltene, leichte Röte erschien auf seinen Wangen. "Aber ... danke, dass du es trotzdem gesagt hast. Ich ... muss jetzt auch los, weil ... ich was zu erledigen habe. Wir sehen uns heute Abend Darling."
"Aber was hast du denn vor?", fragte sein Mann irritiert.
"Na was wohl." Mega lässig schob Liu sich eine Sonnenbrille ins Gesicht. Er war cooler als jeder Eiswürfel in einem seiner Strawberry-Daiquiris es jemals gewesen war. "Ich gehe die scheiß Welt retten, Baby." Im Vorbeigehen verpasste er seinem Schatz einen kräftigen Klaps auf den Hintern und verschwand ohne sich noch einmal umzusehen.
"Was war das denn?", lachte Noah auf.
"Vielleicht hat er einen Bruce Willis Film gesehen", mutmaßte Stefan fassungslos. "Oder das war gerade ein Alien. Aber was hat es mit meinem Mann gemacht?" Ungläubig starrte er noch immer auf die Tür, die eben wieder aufflog.
"Oh - mein - Gott", kreischte Lui, "das ist ja alles so aufregend!"
"Ach", freute der Blonde sich. "Da ist er ja wieder."
Stefan zog eine dünne Mappe aus seiner Tasche. "Dann erledigen wir mal den Papierkram", schmunzelte er. "Ich brauche noch einige Unterschriften. Möchtest du es noch einmal durchgehen?"
"Das ist nicht nötig", winkte Noah ab, während er ohne zu zögern mehrmals seinen Namen auf einige der Seiten setzte. Danach machte er wieder einen ordentlichen Stapel daraus, klappte die Hülle zu und übergab alles zusammen Emma.
"Was ist das?", fragte sie erstaunt.
"Ein notariell beglaubigtes Vaterschaftsanerkenntnis", meinte Noah so
selbstverständlich, als ginge es um die Speisekarte einer Pizzeria.
"W... Was?" Sie musste sich eindeutig verhört haben.
"Denk in Ruhe darüber nach. Du brauchst das nicht gleich entscheiden."
"Das ist richtig. Erst mit der Einreichung beim zuständigen Standesamt wird es wirksam", erklärte der junge Jurist. "Ob du das möchtest, bleibt alleine dir überlassen."
Emma meinte zu träumen. "Noah? Weißt du, was du da tust? Was für Folgen das hat?"
"Ja. Wenn ich morgen den Löffel abgebe, erbt unser Schokostückchen ein Drittel von meinem Kram."
Sie sah ihn an, als wäre er nicht real.
"Emma", sagte er wieder ernster. "Das ist keine spontane Idee, die mir heute Morgen zwischen Zähneputzen und Kaffee gekommen ist. Stefan hat mir
schon vor Wochen sehr genau erklärt, welche rechtlichen Konsequenzen das hat. Auch, dass es einen Unterhaltsanspruch nach sich zieht. Aber ich ..."
"Noah", unterbrach sie ihn, "Ich würde doch nie Alimente von dir wollen! Warum machst du das?"
"Ist nicht ganz uneigennützig", gab er zu. "Ich denke nicht, dass ich jemals ein eigenes Kind haben werde. Jedenfalls nicht, wenn mein größter Wunsch in Erfüllung geht. Das bedeutet aber nicht, dass ich nicht gerne eines hätte." Er suchte nach den richtigen Worten. "Du bist meine beste Freundin. Schon immer gewesen. Ich hab dich lieb. Es gibt schlechtere Voraussetzungen, um gemeinsam eine Tochter groß zu ziehen."
"Du ... willst das wirklich?"
"Ja. Ich möchte aber, dass dir klar ist worauf du dich einlässt, wenn du diese Unterlagen abgibst. Ich werde nämlich kein Vater nur auf dem Papier sein."
"Okay? Worauf lasse ich mich ein?"
"Auf geteiltes Sorgerecht."
"Das ... Ist dein Ernst, nicht wahr?!"
"Ist es. Wenn sie laufen lernt, will ich da sein um sie zu fangen, bevor sie fällt. Ich möchte ihr Gutenachtgeschichten vorlesen und Radfahren beibringen dürfen. Ich würde gerne am ersten Schultag ihre Hand halten. Und wenn sie in ... zwanzig Jahren mit ihrem ersten Freund nach Hause kommt, dann muss der erst mal an mir vorbei!"
"In zwanzig Jahren?", blinzelte Emma einen Tränenschleier weg.
"Ich wäre eben ein sehr toleranter Papa. Aber, du hast recht. Sagen wir, fünfundzwanzig."
"Noah, ... "
"Hör zu, Süße", unterbrach er sie sanft. "Hab keine Angst. Wenn du den Mann deines Lebens triffst und heiratest, trete ich gerne einen Schritt zurück. Wenn er vor hat, die Kleine zu adoptieren, weil ihr eine möglichst ... normale Familie sein wollt, verstehe ich das. Bis dahin bin ich für euch beide da. Wenn du mich lässt, noch lange darüber hinaus. Egal, ob mein Name nun in der Geburtsurkunde steht, oder nicht. Das verspreche ich dir."
"Den Mann meines Lebens?" Sie musste lächeln, weil Noah ausgerechnet diese Formulierung verwendet hatte. "Du kennst mich, rechne mal lieber nicht so schnell damit." Die junge Frau fiel ihm um den Hals, so stürmisch, dass ihm kurz die Luft weg blieb. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich liebe dich, weißt du das?"
Er küsste ihre Wange und wuschelte ihr kurz durch die Haare. "Ich dich doch auch. Überleg es dir einfach."
Für Emma gab es nichts zu überlegen. Nicht mal einen Herzschlag lang.
Mega aufgeregt sprang Lui zu Tom ins Auto. Exakt im selben Augenblick, als die frisch gebackenen Großeltern, Wilhelm und Elfriede, dem ihren in erwartungsvoller Vorfreude entstiegen.
Lediglich Pfarrer Ströbel war in der Stille seines alten Pfarrhauses in gelangweilter Stimmung. Hätte er gewusst was an diesem Tag noch auf ihn zukommen würde, oder besser wer, hätte er diesen Zustand viel mehr zu schätzen gewusst!