"Das glaubst du nicht, Nugget! Die sehen absolut gleich aus!"
Auf dem Bett sitzend, blätterte David grinsend in einem der Bücher die er am Vorabend geschenkt bekommen hatte. Noah war nebenan im Badezimmer noch mit Zähneputzen beschäftigt. Er hatte vorhin seine Brüder abgeholt und war dabei Sarah und Sophie begegnet. Nicola und Matteo hatten die Mädchen aus dem wenige Kilometer entfernten Städtchen Hallein, vor einem halben Jahr bei einem Zwillingstreffen kennengelernt und die Gelegenheit genutzt, sich zu verabreden.
"Deine Brüder sehen auch absolut gleich aus."
"Was?!" Noahs überaus verständnisloses Gesicht tauchte kurz im Türrahmen auf. "Überhaupt nicht! Die sind voll unterschiedlich!"
David musste richtig lachen. Auch noch, als sein Schatz wenige Minuten später neben ihm unter die Decke schlüpfte.
"Gefällt es dir?", fragte er gespannt. Es war gar nicht so leicht gewesen, den Bildband über Skandinavien auszusuchen.
"Es ist großartig! Sieh mal, wie perfekt die Fotos sind!" Davids Augen leuchteten richtig. Aber er klappte das Buch dann doch zu und legte es neben sich auf den Nachttisch. "Ich finde es schön, dass ihr euch Süßigkeiten und was zum Lesen schenkt. Es kommt mir oft so vor, als würde es an Weihnachten nur noch darum gehen, wer die teuersten Geschenke macht." Der junge Mann strich gedankenverloren mit der Hand über ein Kissen. "Ich hatte ein bisschen Angst deswegen. Wenn es ein Wettbewerb geworden wäre, hätte ich nämlich verloren."
Noah schüttelte den Kopf. Genau das hatte er befürchtet. "Es darf nie einer werden. Schon gar nicht, zwischen dir und mir." Er umfing David mit beiden Armen von der Seite und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. "Ich bin trotzdem froh, dass wir darüber reden. Weil ich, ehrlich gesagt, auch ein bisschen Angst gehabt habe."
"Hast du? Warum?"
"Für mich liegen die wertvollsten Geschenke nicht unter Bäumen. Aber ich wusste nicht genau, wie du das siehst. Und was du von mir erwartest. Gerade weil du weißt, dass ich es mir leisten kann, Geld auszugeben. Ich war mir nicht sicher, wie gut du es finden würdest, wenn ich es für dich nicht tue. Aber auch nicht, was du davon hältst, wenn ich es mache. Ich ... möchte dich nicht enttäuschen."
"Du mich enttäuschen? Wie soll das gehen?"
Noah zuckte mit den Schultern. "Ich will dir doch alles geben, was du dir von mir wünschst. Alles, was ich kann. Einfach nur, weil ich dich liebe."
Lächelnd zog David den Größeren zu sich. "Du gibst mir schon jeden Tag alles, was ich mir wünsche. Was ich mir je gewünscht habe. Und was du mir schenkst, ist unbezahlbar." Sanft und warm streiften seine Lippen Noahs Haut, ein leises, "Ich liebe dich auch", in einen Kuss murmelnd. Er begann zärtlich, fast unschuldig, wurde dann aber rasch intensiver. Leise seufzend vergrub der Kleinere seine Finger in den haselnussbraunen Haaren des Anderen und kam dabei näher und näher. David saß schon fast auf Noahs Schoß, als der ihn mit beiden Händen an der Hüfte packte und gleichzeitig selbst deutlich nach hinten rückte, um Abstand zwischen ihnen beiden zu schaffen. "Oh, hey!", keuchte er auf. "Dir ist schon klar, dass du mich gerade ... in Schwierigkeiten bringst, oder?"
"Schon wieder?"
"Aha? Es fällt dir auf?" Ein verwegenes Grinsen breitete sich auf Noahs Gesicht aus. "Weil meine Schwierigkeiten zu groß sind, um sie nicht zu bemerken?"
"Angeber."
"Vielleicht. Vielleicht auch nicht."
Lachend ließ David sich nach hinten fallen. Sein Schatz tat es ihm gleich, die Decke fester um sich ziehend. Einige Minuten schauten sie beide schweigend durch das Dachfenster in den dunklen Himmel.
"Noah?"
"Ja?"
"Flüchtest du deswegen jeden Morgen gleich nach dem Aufwachen?"
"Ja, Na ja. Kann schon sein."
"Und gelegentlich auch von der Couch beim Fernsehen?"
"Sieht wohl so aus."
David stützte sich auf einen Ellbogen und sah ihn sehr nachdenklich an. In ihm schien mit einem Mal eine große Unruhe zu herrschen.
"Was erwartest du?", fragte Noah schmunzelnd. "Du bist zum Anbeißen, und ich auch nur ein Mann!" Er griff nach der Hand des Anderen und drückte sie leicht. "Licht aus?"
"Ja."
Ganz dunkel wurde es nicht, als der Größere hinter sich auf einen Schalter tippte. Gegenüber des Bettes blieb eine Salzlampe an, die ihre Umgebung in ein schwaches warmes Licht tauchte, das sofort ein Lächeln in Davids hübsches Gesicht zauberte.
"Die war letzte Nacht schon an, aber du hast sie nicht mehr gesehen. Als ich aus dem Badezimmer kam, hast du schon geschlafen."
"Noah?"
"Hm?"
"Danke."
"Wofür?"
"Alles."
Dass David hellwach war, wusste Noah. Zudem hatte er eine recht gute Vorstellung davon, was ihn gerade so stark beschäftigte: Die Sache, über die sie nicht sprachen. Er unterbrach die Stille schließlich mit einem betont tiefen Seufzen. "Ich finde, wir könnten es auch gleich tun."
"Was?"
"Dann haben wir es hinter uns. Wir wissen beide, dass es passieren wird, also warum nicht sofort?"
"Ich ... Ähm ..."
Beherzten Griffes, einen Arm unter Davids Rücken, den anderen über seiner Brust, zog Noah seinen Schatz mit einem Ruck an sich. Der hielt fühlbar den Atem an, während der Größere sich umständlich in eine bequeme, leicht seitliche Rückenlage brachte, ohne ihn dabei loszulassen.
"Gute Nacht, Nugget."
Langsam aber sicher realisierte der junge Mann, dass dem offenbar nichts weiter folgen würde. "Was ... wird denn das?"
"In spätestens einer halben Stunde würden wir ohnehin genau so hier liegen." Weil ein fragenden Blick ihn traf, gab es dazu eine genauere Erklärung. "Du kuschelst dich im Schlaf an die nächstbeste Wärmequelle. Mangels Alternativen bin ich das." Das klang äußerst zufrieden.
"Wirklich?"
"Siehst du noch jemand?"
"Ich meine ... tue ich das?"
"Ja. Kaum, dass du die Augen zu hast."
"Oh." David war schon mehrmals so aufgewacht und hielt es für durchaus möglich. "Dann ist das alles, was du gerade vor hattest?"
"Meine Eltern schlafen direkt nebenan."
"Das bedeutet?"
"Ich könnte vermutlich nicht mal, wenn ich wollte."
"Also ... Würdest du gar nicht wollen?"
"Darum geht es doch gar nicht! Ich würde vor allem nicht wollen, dass die was hören!" Es reichte, dass Emma entschieden zu viel wusste.
"Ich habe ein paar Wochen in diesem Gästezimmer geschlafen. Und nie was gehört!"
"Ja, aber nur, weil es nichts zu hören gab!"
"Noah? Deine Eltern denken sicher sowieso, dass wir miteinander schlafen."
"Tun sie nicht."
"Nicht?"
"Nein. Ich denke ja auch nicht, dass sie miteinander schlafen. Oder es jemals getan haben. Never ever."
War das sein Ernst? "Ähm... Du hast fünf Brüder."
"Uns hat alle der Storch gebracht. Meine - Mama - macht - so - was - nicht, - klar?"
"Klar", gluckste David. "Entschuldige. Aber einen Gute Nacht Kuss kriege ich schon noch, oder?" Da war ganz schön viel zusammengeraffte Decke zwischen ihnen, unter der wühlte der junge Mann sich nun zügig durch, bis er bei Noah angekommen war. Den Kopf auf seiner Schulter, ein Bein mehr oder weniger über seiner Hüfte, war das super gemütlich. Allerdings nur für Sekunden.
"Uah!" Der Größere packte ihn fest an beiden Handgelenken und warf ihn neben sich auf die Matratze. "Über meine Schwierigkeiten haben wir aber schon gesprochen, oder?" Es war schwer zu sagen, im schwachen Licht. Aber als er so auf ihn hinunter sah, meinte er ein Aufflackern in seinen Augen zu erkennen, das er so noch nie gesehen hatte. Langsam ließ er ihn los. "Du magst das."
"Ich ..." David schüttelte den Kopf und hielt sich einige Sekunden lang die Hände vors Gesicht.
"Es gefällt dir, ab und zu mal ein klein wenig härter angefasst zu werden! Ist es dir peinlich, dass ich es gemerkt habe?", grinste Noah. "Wieso?!"
"Weil mir ... das ... irgendwann immer ..."
"Zum Verhängnis wird? Weil es dir zu viel wird und du dir dann nicht mehr helfen kannst?", riet Noah. Er traf damit ins Schwarze. Ein stummes Nicken war die einzige Antwort. "Dann brauchen wir ein Safeword", entschied er pragmatisch.
"Was?"
"Das muss ein Wort sein, das du sonst im Bett nicht sagen würdest. Damit es sofort auffällt."
"Ist das ... Nicht so eine BDSM-Sache?"
"Und?"
"Ich ... Weiß nicht."
"Also?"
"Also was?", fragte David unsicher.
"Dein Wort!"
"Na ... gut. Dann ... nehme ich ... Vanillekipferl?"
"Okay. Dann nehme ich Zimtstern!"
"Du?!", lachte er auf.
"Auf jeden Fall!" Noah kuschelte sich neben ihm wieder ein. "Reine Sicherheitsmaßnahme", murmelte er ernst. "Man kann nie wissen!"
David konnte sich kaum zusammenreißen. Sein ganzer Körper bebte vor unterdrücktem Lachen. Es war immer wieder erstaunlich, wie sein Schatz Probleme gar nicht erst groß werden ließ. Als er seine Arme ausbreitete, fiel der junge Mann glücklich hinein und wurde sofort gedrückt. Die Decke zwischen ihnen, blieb wo sie war.
"Nugget, macht es dir etwas aus, wenn Emma noch eine Weile hier ist?", wechselte Noah wenig später das Thema.
"Mir? Natürlich nicht. Konntest du ihr helfen?"
"Sagen wir, ich habe es probiert. Die Zuversicht ist ihr abhanden gekommen. Sie zweifelt daran, dass sie es schaffen wird. Alleine. Mit dem Baby."
"Was hast du ihr geraten?"
"Gar nichts. Gut gemeinte Ratschläge braucht sie nicht. Ich habe ihr einfach nur gesagt, wie ich es sehe."
David stützte sich ein wenig auf und sah ihn abwartend an.
"Es gibt doch nicht nur alles oder nichts. Schwarz oder weiß. Alleinerziehend oder Bilderbuchfamilie. Da ist ganz viel dazwischen, was geht. Was möglich ist. Es braucht nur ein bisschen Mut. Denkst du nicht?"
"Doch, bestimmt." Längere Zeit dachte der junge Mann nach. Ob er das auch haben könnte? Etwas zwischen alles oder nichts? Jetzt? Hier? "Glaubst du, das gilt überall? Im Leben, meine ich?"
"Wieso nicht? Was zählt ist doch am Ende nur, dass es für alle die es angeht gut ist."
"Ja." Federleicht legten seine Lippen sich auf die des Anderen. "Gut?"
"Mmmmm."
Was als warmer, zärtlicher Kuss begann, wurde so ablenkend, dass der junge Mann diesmal deutlich weiter unter der Decke kam, als vorhin. Genau genommen kniete er längst über Noah, als diesem das endlich auch aufzufallen schien.
"Zimtstern! Ziiiiimtsteeern!!!"
Sofort hielt David in seiner Bewegung inne.
"Oh, Gott sei Dank", atmete der Mann unter ihm auf. "Es funktioniert!"
"Das Safeword ist für Notfälle! Du hast überhaupt keinen Grund, es zu benutzen!"
"Ich muss es doch testen dürfen!" Dass er verbissen versuchte nicht zu lachen, strafte seinen empörten Tonfall Lügen. "Auch ohne Grund!"
Er war keineswegs so entspannt, wie er gerade wirken wollte. Sein rasendes Herz und die leicht zittrigen Hände verrieten ihn ja doch. Was Noah da machte, war einfach nur seine ganz besondere Art, David zu bitten noch einmal darüber nachzudenken, ob er das hier auch wirklich wollte. Er wusste das und liebte ihn dafür.
"Hör auf mich zu ärgern, sonst gebe ich dir einen, klar?"