Die Zeit verging in diesem Jahr mal wieder wie im Flug. Schon war kein Blatt mehr an den Bäumen. Alles war kahl und schließlich weiß, mit Schnee bedeckt. Zentimeterweise lag er auf den Gehwegen, machte die Äste der Bäume schwer. Manche brachen unter dem Gewicht. Die Sonne ließ den Schnee glitzern, war aber nicht in der Lage ihn zum Schmelzen zu bringen.
Die Parkbank war kalt, selbst unter der dicken Hose, welche ich heute trug. Frierend legte ich die Arme fröstelnd über meine Oberschenkel, versuchte zumindest ein klein wenig der Kälte davon abzuhalten durch meine Kleidung zu dringen, doch es war vergebens. Ich fühlte mich bereits durchgefroren. Doch aufstehen wollte ich nicht. Ich brauchte eine Pause. Eine kleine wenigstens. Meine Füße taten mir weh. Den ganzen Weg zum Bahnhof war ich gelaufen. Mein Wagen war in der Werkstatt und eigentlich hatte ich an diesem Wochenende nirgends mehr hin gemusst. Die öffentlichen Verkehrsmittel waren für mich keine echte Option gewesen. Sie waren unzuverlässig wegen des vielen Schnees und ohnehin völlig überfüllt. Langsam kroch die Kälte in mir hoch. Fröstelnd sah ich auf die Uhr, welche ich um mein Handgelenk trug. Mein Freund hatte sie mir letztes Jahr geschenkt. Zu meinem Geburtstag. Wir waren damals erst knapp 3 Monate zusammen gewesen und doch fühlte es sich an wie Jahre. Ich konnte es mir selbst nicht erklären, aber es war so. Ich musste lächeln, wenn ich daran dachte, wie intensiv sich schon damals alles angefühlt hatte. Vermissen tat ich meinen Liebsten sehr. Wir führten eine Fernbeziehung und sahen uns nur am Wochenende. Es war hart für mich, aber auch für meinen Freund.
Die Uhr zeigte kurz vor 11. Gleich würde der Zug am Bahnsteig einfahren und mein Liebster würde aussteigen. Ich stand von der grünen Bank auf, auf der ich gesessen hatte und setzte mich langsam in Bewegung. Ich hätte mir neue Handschuhe kaufen sollen. Meine Hände froren. Ich ging die wenigen Schritte bis zur Bahnhofsvorhalle, durchschritt diese, grüßte nebenbei den Mann vom Kiosk und betrat den Bahnsteig. Heute war es wieder besonders voll. Überall standen Menschen mit Koffern in dicken Winterjacken und Mänteln, mit Wollmützen und Ohrenschützern. Die elektronische Anzeige zeigte an, dass der Zug aus Richtung Bramsdorf gleich einfahren würde. Mein Herz schlug schneller. Endlich. Gleich würde mein Freund eintreffen. Unruhig zog ich mit der Spitze meines Fußes Halbkreise auf dem Boden des Bahnsteiges. Mittlerweile fror ich beachtlich. Es würde guttun wieder in meine Wohnung zu kommen. Dann endlich war es soweit. Der Fernzug fuhr ein, hielt und ich wartete gespannt darauf, dass mein Liebster aussteigen würde. Die Türen glitten auf und nach gefühlten Hundert anderen Menschen sah ich ihn endlich. „Markus!“, rief ich laut. „Markus, hier!“, ich riss meinen rechten Arm in die Luft und wackelte wie wild mit meiner behandschuhten Hand, welche sich mittlerweile leicht taub anfühlte. Der blonde Haarschopf regte aus der Menge hervor. Markus war groß. Fast 2 Meter maß er. Ich konnte sehen, wie er sich seine rote Pudelmütze aufsetzte, mich sah und sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete.
Er kämpfte sich durch die Menschenmassen zu mir umarmte mich stürmisch und schwups, wurde ich in die Höhe gerissen. Mühelos hob Markus mich hoch, stemmte mich über seinen Kopf und sah mich von unten herauf an, bevor er mich herumwirbelte, wieder vor sich auf den Boden des Bahnsteiges abstellte und mit einer Hand im Nacken zu einem zärtlich Kuss an sich zog. Ich umarmte ihn fest, drängte mich gegen den starken Körper und lehnte mich in den langersehnten Kuss. „Endlich bist du da“, hauchte ich an Markus Lippen, als wir uns wieder voneinander lösten. „Ich liebe es, wenn du mich überrascht und früher kommst. Deine Nachricht über den Spontanbesuch hat mir den Tag versüßt.“ Verschmitzt grinsend stand Markus da. „Ich konnte einfach nicht mehr einen Tag länger ohne dich sein, Maus“, sagte er glücklich. Maus. Das war der Spitzname, den er mir gegeben hatte. Weil ich immer schon ein graues Mäuschen war. Schüchtern, zurückhaltend, unauffällig. Bevor Markus in mein Leben getreten war, wurde ich kaum von Männern wahrgenommen. Daten war bei mir nur übers Internet möglich gewesen. In Bars oder Clubs ging ich in der Menge der attraktiven Typen einfach unter. Umso überraschender war es für mich, dass der hübsche blonde Mann, der ein wenig aussah wie ein Wikinger, mich bei einem Theaterbesuch einfach ansprach. „Ein tolles Stück, nicht war?“, hatte er gefragt. Ich hatte zuerst gar nicht begriffen, dass ich angesprochen wurde. Aber ich hatte geantwortet und wir waren ins Gespräch gekommen. Nach dem Theater waren wir dann noch gemeinsam essen gewesen und hatten uns so gut verstanden, dass wir uns gleich für den nächsten Tag verabredet hatten. Das war der Beginn unserer Liebe gewesen.
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