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Der Regen prasselte unerbittlich auf sie herab. Sie war bis auf die Knochen durchnässt und auch wenn es Spätsommer und dadurch noch relativ warm war, fror sie bereits. Sie zog ihr Oberteil über die Hüfte, um ihre kalten Nieren zu bedecken, aber das Oberteil war viel zu kurz und schnellte wieder an seinen angestammten Platz über dem Bauchnabel. Obwohl sie keine Uhr trug, war sie sich ziemlich sicher, dass sie noch eine Weile hier stehen würde. Bei Sonnenaufgang würde sie sich ein paar Stunden Schlaf gönnen, bis dahin musste sie noch dringend ihr Budget aufbessern.
Sie war nicht die einzige junge Frau heute Nacht, die sich diesen Rastplatz als Jagdrevier auserkoren hatte. Weil sie außer Konkurrenz bleiben wollte, hatte sie sich ein wenig abseits positioniert, dank ihrer blau gefärbten Haare fiel sie dennoch auf.
Heute Abend war ihre Kundschaft eher spärlich gewesen, deshalb war sie versessen darauf, noch ein paar Männer zu beglücken. Als hätte irgendjemand ihr stummes Flehen erhört, bog ein dunkelblauer, alter Golf in die Haltebucht ein und hielt als erstes vor ihr. Mit breitem Lächeln rückte sie ihr Dekolleté zurecht und beugte sich auf den Rand der Fahrertürscheibe.
Hinter der Scheibe kam ein junger Mann zum vorschien, der nicht nur jünger, sondern auch besser aussah als die meisten ihrer Kunden. Sein kantiges Gesicht war bartlos und auf Anhieb hätte Salome ihn ähnlich alt geschätzt wie sich selbst. VIelleicht würde es mit ihm Spaß machen.
"Guten Abend", hauchte sie mit ihrem verführerischsten Lächeln, "wie kann ich denn einen so hübschen Mann heute glücklich machen?".
"Frierst du nicht?", fragte ihr Gegenüber mit einem Akzent, den sie nicht hätte zuordnen können.
Annehmend, dass das nur ein Spiel war, stieg sie darauf ein. "Und wie mir kalt ist. Kann ich mich bei dir vielleicht ein bisschen aufwärmen?".
"Klar. Steig ein."
Wieder war da dieses komische 'r', das er so anders betonte, als ein Deutscher. Salome fragte sich, wo ihr Gegenüber wohl herkommen mochte.
Nachdem sie sich ins Auto gesetzt hatte, wandte sie sich ihm zu, die Brüste durch das Verschränken ihrer Arme etwas gepusht.
"So, was kann ich denn nun für dich tun? Möchtest du es gleich hier oder sollen wir in eine dunkle Ecke fahren?".
Seinem unsicheren Blick nach zu urteilen, hatte er es das erste Mal mit ihrem Milieu zu tun, deshalb war sie etwas forscher als gewöhnlich. Sie lege eine Hand in seinen Schritt, aber dort hatte sich bisher offenbar nichts getan.
"Da muss ich wohl etwas nachhelfen", grinste sie, aber er nahm ihre Hand und legte sie in ihren Schoß zurück.
"Nein, was machst du da?", fragte er, sein Blick inzwischen leicht panisch.
Sie hatte schon vielen jungen Männern das erste Mal abgenommen, aber er war außergewöhnlich nervös. Hoffentlich war er wenigstens die Mühe wert und zahlte auch ordentlich.
"Lass dich von mir ein wenig verwöhnen", gurrte sie mit ihrem verführerischsten Augenaufschlag, "du möchtest doch sicher auch ein wenig von mir erleben."
Demonstrativ schob sie sich auf seinen Sitz und presste ihre Brüste gegen seinen Oberkörper. Er hob seine Hände und gerade als Salome meinte, endlich Erfolg zu haben, schob er sie zurück auf den Beifahrersitz.
"Ich will das nicht, wieso machst du das?", fragte er wieder.
Damit hatte er ihre Geduld eindeutig überstrapaziert.
"Hör mal, ich arbeite hier und wenn du nicht willst, wieso hast du mich dann reingelassen? Für mich ist Zeit Geld, also entscheide dich", knurrte sie und funkelte ihn dabei böse an.
Der junge Kerl legte den Kopf schief. Erst langsam begann er zu begreifen, wen er da eigentlich vor sich hatte.
"Oh", machte er leise. "Oh mist. Ich habe wirklich gedacht, dir ist nur kalt", murmelte er, dann kramte er in der Mittelkonsole nach seinem Geldbeutel und hielt ihr 100 Euro hin.
"Wenn ich dir das gebe, bleibst du noch ein wenig?".
Mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtete sie den 100 Euro Schein. SIe war sich nicht sicher, ob er das Angebot ernst meinte, deshalb zögerte sie. Viel zu oft schon war sie von ihren Freiern auf solche Weise verarscht worden.
"Was willst du von mir?", fragte sie argwöhnisch.
"Ich weiß nicht. Vielleicht kannst du dich aufwärmen hier im Auto, draußen ist es ziemlich kalt. Was machst du denn überhaupt hier?".
"Arbeiten", lautete die trockene Antwort.
Nun war es an ihrem Gegenüber, überrascht die Augenbrauen zu heben.
"Arbeiten? Als was denn?".
Ihr Auflachen klang hart. "Okay, hör bitte auf mich zu verarschen, ja? Willst du denn jetzt noch Sex mit mir oder kann ich aussteigen? Es warten noch andere Kunden auf mich und die Konkurrenz ist hart, siehst du ja draußen."
"Nein! Nein will ich nicht!". Ihm war die Bestürzung ins Gesicht geschrieben.
"Sowas machst du? Warum? Du kannst doch bestimmt auch anders dein Geld verdienen. Wieso verkaufst du dich?".
Sie seufzte laut. "Das geht dich überhaupt nichts an, klar? Du musst dir um mich keine Gedanken machen außer, du möchtest mal wieder ein wenig Stau abbauen. Für mehr bin ich nicht da und auf mehr habe ich auch keine Lust."
Ihr Gegenüber schreckte zurück, eine solche Reaktion hatte er nicht erwartet. Er starrte sie einfach nur an und versuchte zu begreifen, warum sie solche Sachen wohl freiwillig mit sich machen ließ.
"Also, was ist jetzt? Willst du mich noch oder nicht?", fragte sie schließlich, langsam war die Ungeduld in ihrer Stimme zu hören.
"Nein!", meinte er noch entschiedener, dann schickte sie sich an, das Auto zu verlassen. Sie hatte die Tür schon entriegelt, als er sie nochmals zurückhielt.
"Warte, was ist mit dem Geld? Ich will, dass du es bekommst."
Er wedelte mit dem 100 Euro Schein vor ihrer Nase.
"Wofür denn, ich habe keine Arbeit gemacht. Jetzt verschwinde und halte mich nicht weiter davon ab, Geld zu verdienen."
Verlockend war es schon, derart viel Geld für nichts zu bekommen, aber eigentlich widersprach es ihren Prinzipien. Genau genommen widersprach sogar ihre Arbeit ihren Prinzipien, erinnerte sie sich leise selbst. Weil der Schein immer noch vor ihrer Nase tanzte, nahm sie ihn schließlich entgegen, Erleichterung durchflutete ihren Körper dabei.
"Na gut, wenn du unbedingt willst. Kann ich dann jetzt gehen oder willst du noch irgendetwas?".
Das Anstarren wurde ihr langsam unangenehm und ihr Wunsch, das Auto endlich zu verlassen, wuchs. Weil keine Antwort kam, öffnete sie schließlich die Tür und wurde wiederum aufgehalten, indem er sie am Handgelenk festhielt.
"Warte! Wir sehen uns nie wieder, wenn du jetzt gehst, oder?".
Mit einem zufriedenen Lächeln registrierte sie seinen angstvollen Blick.
"Ich bin öfter hier. Du kannst einfach nach Salome fragen, die Leute kennen mich. Die blauen Haare fallen auf", zwinkerte sie, dann stieg sie aus und verschwand in der Dunkelheit der Nacht.
Immer noch entgeistert starrte er ihr hinterher. Seine Gefühle waren irgendwo zwischen Mitleid und Bewunderung, denn dieses Mädchen war irgendwie anders, das spürte er. Oder er glaubte es zumindest, zu spüren.
Mit diesen höchst widersprüchlichen Gefühlen im Gepäck startete er sein Auto wieder, denn es machten sich bereits andere Frauen auf den Weg zu seinem Auto, das konnte er im Rückspiegel verfolgen. Da er sich eigentlich nur verfahren hatte, trat er schnell aufs Gas, um Abstand zwischen sein Auto und die Frauen zu bringen. Aber diese eine wollte ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen.
Salome steckte sich den Verdienst zufrieden in ihren Beutel, den sie bei jeder Schicht mit sich führte. Die Nacht war noch jung, und wenn sie weiter so viel Glück hatte wie gerade eben, würde sie noch ziemlich gut verdienen heute Nacht. Dann würde ihr Schuldenberg endlich mal wieder kleiner statt größer werden.
Die nächsten Autos drosselten bereits ihr Tempo und sie rückte ihre Klamotten zurecht, um sich den nächsten Kunden zu schnappen. Allerdings tauchte immer wieder das besorgte Gesicht vor ihrem inneren Auge auf und hemmte sie. Es war nicht normal, sich so viele Gedanken um sie zu machen und sie fragte sich, was ihn dazu bewogen hatte.
Zuerst hatte sie es als Masche abgetan, aber spätestens als er ihr das Geld einfach so in die Hand gedrückt hatte, war sie fast gezwungen, ihm alles zu glauben.
Kopfschüttelnd versuchte sie, die Gedanken zu vertreiben. Sie ärgerte sich, dass er überhaupt in ihren Gedanken blieb, nachdem er weggefahren war. Das hatte sie noch nie einem Kerl gestattet und so einem ungewöhnlichen erst recht nicht.
Trotzig hielt sie nach dem nächsten Auto ausschau. Ihr würde doch eine Begegnung nicht reichen, um ihr Geschäft für heute zu versauen. Entschlossen hielt sie auf das nächste Auto zu, das vor ihr das Tempo drosselte, schob ihren Push-Up zurecht und legte ihr laszivestes Lächeln an den Tag. Sie würde es ihm schon beweisen, und vor allem sich selbst, dass sie sehr wohl noch Kunden hatte und dass er gefälligst aufhörte, in ihrem Kopf herumzuspuken.
Als die Beifahrertür geöffnet wurde und ein älterer Mann im Anzug zum Vorschein kam, beglückwünschte sich Salome innerlich für ihre Entscheidung. Denn sie war sich sicher, dass auch dieser Kunde hier fürstlich zahlen würde.
Lächelnd schloss sie die Tür hintersich und beugte sich zu ihrem neuen Kunden. Sie hörte schon die Kasse klingeln und hatte die Begegnung davor bereits gedanklich nach hinten geschoben. In ihrer Welt zählte doch nur der Profit.