Als Salome mit einer Flasche Wasser und zwei Gläsern wieder zurückkam, saß Harald etwas entspannter gegen das Kopfteil des Bettes gelehnt. Er schaute auf und lächelte, als Salome die Tür hinter sich schloss. Sie stellte Flasche und Gläser ab und setzte sich ihm gegenüber.
"So, weil ich nicht weiß, wo ich anfangen soll, frag mich einfach irgendetwas", begann sie das Gespräch.
Über den Anfang hatte sie sich den ganzen Weg lang den Kopf zerbrochen, wusste aber selbst jetzt noch nicht, ob er so klug gewählt war.
Auch Harald hatte viel darüber nachgedacht, was er fragen und sagen würde. Er wollte sie nicht verschrecken, aber gleichzeitig auch seine Neugier befriedigen.
"Ich weiß gar nicht, was die richtige Frage ist", gab er deshalb zu, "aber vielleicht, wie kommst du dazu, hier zu sein? Kannst du das erzählen?".
Salome atmete tief durch, um sich darauf vorzubereiten.
"Ja, kann ich, aber erwarte nicht zu viel. Ich bin hier seit ungefähr zwei Jahren, obwohl, nicht nur hier. Es hat angefangen nach dem Abi, als ich gedacht habe, ein wenig Geld vor dem Studium ansparen wäre gut.
Ich habe im Escortservice angefangen, weil mein Zuhälter mir viel Geld dort versprochen hat, und ich war eben jung und naiv.
Wegen Schulden bei ihm bin ich dann hier her gekommen, hier verdient man angeblich noch mehr.
Wenn ich schuldenfrei bin, dürfte ich sogar gehen, aber das wird vermutlich sowieso nie passieren und damit hat sich das mit dem Studium dann wohl auch erledigt."
Salome lächelte ein verbittertes Lächeln und verkniff sich die Tränen. Wenn sie ihre Geschichte selbst so hörte, konnte sie fast nicht glauben, was sie erzählte.
Harald ging es ähnlich, Salomes Geständnis hatte ihn schockiert und sprachlos gemacht.
"Wieso kann er dich einfach hier behalten?".
"Ich war dumm genug einen Vertrag zu unterschreiben, der das alles regelt. Ich würde meinem 17 jährigen Ich gerne den Hals umdrehen dafür, aber mein Zuhälter meint, dass das alles rechtens ist und ich habe ehrlich gesagt nicht die Mittel, das zu kontrollieren."
Harald runzelte beim Überlegen die Stirn, aber auch er kannte sich zu wenig aus, um hier spontan zu helfen.
"Willst du denn gehen?", fragte er vorsichtig. Dabei achtete er genau auf Salomes Reaktionen und ihr nur für einen Moment trauriger Gesichtsausdruck verriet sie sofort.
"Wollen wäre schön, ich kann nicht", seufzte Salome schließlich und wandte sich ab.
Sie wollte nicht, dass Harald sah, wie sie die Tränen unterdrücken musste.
Weil die Geschichte Salome aufgewühlt hatte, stand sie auf und tigerte ruhelos im Raum umher, bis sie schließlich Halt an der Fensterbank fand.
Harald war davon eingeschüchtert, aber seine Neugier war geweckt.
Er stand ebenfalls vom Bett auf und ging ein paar Schritte auf Salome zu.
"Möchtest du Hilfe? Ich will dir helfen", fragte er leise und Harald hoffte, dass er damit nicht zu weit gegangen war.
Salome verzog unwillig das Gesicht. Sie war seit ihrem Abitur eine Einzelkämpferin gewesen und Hilfe anzunehmen fiel ihr schwer.
"Ich weiß nicht... wie willst du mir denn helfen? Meine Schulden bezahlen? Das kannst du vergessen, das ist viel zu viel."
"Wie viel denn?", fragte Harald hellhörig.
"Ich weiß es nicht genau, wir kriegen immer am Ende des Monats bescheid, aber etwas um die 2000 Euro dürften es sein."
"Vergiss es", fügte Salome noch hinzu, als sie bemerkte, ass Harald still geworden war.
"Aber das könnte ich", protestierte er halbherzig, aber der energische Ton in Salomes Stimme verunsicherte ihn.
Salome verschränkte ihre Arme vor der Brust und funkelte Harald böse an.
"Nein, du bezahlst es nicht. Ich habe das Geld nicht und ich will weder meinem Zuhälter noch dir was schulden, was ist das für ein Unterschied?".
Bevor Harald "ein großer!" sagen konnte, war Salome in Tränen ausgebrochen.
Über ihre Vergangenheit und ihren innigsten Wunsch zu reden, war einfach zu viel. Sie hatte sogar bereits vergessen, wie fremd Harald ihr eigentlich war. Noch nie hatte ihr ein Mann so lange zugehört und wollte ihr auch noch helfen.
Zögernd blieb Harald vor ihr stehen. Sein Reflex war, Salome in den Arm zu nehmen und sie zu trösten, aber er konnte nicht abschätzen, ob Salome das genau so sehen würde.
Vorsichtig berührte er sie an der Schulter, und als sie ihn nicht wegstieß, legte er erst locker einen Arm um ihre Schultern, dann nahm er sie schließlich ganz in den Arm.
Sie wirkte so zerbrechlich, weil an ihr kein Gramm Fett zu viel war, dass Harald sich fragte, wie sie den Alltag hier durchstand.
Er beschloss für sich, dass er gar nicht anders konnte, als ihr zu helfen. Wenn er ein paar Tage über eine Lösung nachdenken konnte, war Salome vielleicht schneller hier draußen, als sie jemals gedacht hätte.
Beruhigend streichelte er über ihre blau gefärbten Haare und murmelte leise Worte auf norwegisch, wie es seine Mutter früher so oft getan hatte.
Die fremde Sprache und die tiefe, angenehme Stimme beruhigten Salome allmählich, aber aus der Umarmung wollte sie sich nicht lösen. Die Wärme und Geborgenheit sog sie auf wie ein Schwamm, bevor der Moment vorbei war.
"Lass mich dir helfen, bitte. Ich finde irgendeine Lösung", bat Harald nochmals. "Ich will nicht, dass du hier sein musst, hier ist es schrecklich. Und du willst hier auch nicht sein. Also bitte lass mich dir helfen."
Salome musste sich die Tränen aus den Augen wischen, um Harald erkennen zu können. Mit wässrigen Augen starrte sie zu ihm hinauf.
"Du willst mir wirklich helfen? Einfach so?", murmelte sie.
Harald nickte bekräftigend und umarmte sie ein wenig fester.
"Aber nur, wenn du normal aussiehst", meinte er grinsend, "also nicht in solchen Kleidern."
"Ist nicht meine Alltagskleidung", versicherte Salome ihm.
Sie hasste diesen kurzen Fummel mit Leidenschaft, aber bei ihrem Job gab es nun mal eine Art Dresscode, de 'so wenig wie möglich' besagte.
"Und weniger Schminke. Du siehst gerade schlimm aus", fügte Harald noch hinzu und fuhr mit dem Daumen ein mal über ihre Wange.
Zum Beweis hielt er die nun schwarz gefärbte Daumenkuppe hoch.
"Oh, ja", Salome kicherte, "ich glaube ich muss mal ins Bad, ich sehe bestimmt nicht besonders erotisch aus."
Harald schüttelte den Kopf.
"Nein, nicht wirklich. Wie war es heute denn? hast du viel verdient?".
"Es geht, warum?", fragte Salome skeptisch zurück.
Harald zog sein Portmonee hervor und reichte ihr einen Hunderteuroschein.
"Das kann ich gar nicht annehmen", hauchte Salome, aber Harald zuckte mit den Schultern.
"Du hast hier Zeit mit mir verbracht, also? Komm, das kriegst du auch nicht mehr so lange, sonst macht mich das noch pleite. Aber wir finden ja bald einen Weg, wie du hier rauskommst."
Immer noch zögerlich verstaute Salome das Geld in ihrer Hosentasche. Dabei fragte sie sich, was Harald wohl arbeitete, dass er ihr ständig Geld zustecken konnte.
Bevor sie zur Frage ansetzen konnte, tränten ihre Augen vom verlaufen Makeup so stark, dass sie mit einem sehenden und ienem zusammengekniffenen Auge zur Toilette auf dem Gang wankte.
"Ich warte draußen", hörte sie Harald noch sagen, als sie die Tür zur Frauentoilette schloss.
Nicht nur das Wasser half, sie von dem Makeup zu befreien, auch die Abschminktücher, die ihr Zuhälter Juri ihnen zur Verfügung stellte, sorgten dafür, dass Salome immer mehr wie eine normale, junge Frau aussah.
Ohne die Schminke erkannte sie sich kaum wieder. Ihre Wangen waren gerötet, ob von Harald oder dem Abschminken konnte sie nicht sagen.
Mit einem tief zufriedenen Gefühl verließ sie die Toilette wieder und stieß draußen auf den wartenden Harald, der sie mit einem Lächeln begrüßte.
"Viel besser siehst du aus", meinte er, und dabei dachte er nicht nur an die verlaufene Schminke. Auch ungeschminkt war Salome eine hübsche, junge Frau mit großen, rehbraunen Augen, die förmlich zum Beschützen einluden.
"Danke", murmelte Salome, "und jetzt? Gehst du?".
Mit dem Makeup war auch ein Großteil ihres Selbstbewusstseins geschwunden, zumindest gegenüber Männern. Ihnen eine Maske vorzuspielen war so viel leichter, und Harald brachte sie sowieso mehr aus dem Konzept als jeder andere Mann zuvor.
"Gleich. Hast du ein Handy? Wir können Nummern tauschen, dann kann ich dir schreiben, wenn ich eine Lösung gefunden habe - oder auch einfach so."
"Klar hab ich ein Handy", meinte Salome, "aber hast du Zettel und Stift?".
"Einen Edding habe ich, aber einen Zettel...".
Suchend griff Harald in seine Hosentaschen, wo er schließlich einen alten Einkaufszettel zu Tage förderte.
Er zerriss ihn in der Mitte und schrieb auf den einen Teil seine Nummer. Den drückte er Salome dann in die Hand, samt dem Edding.
Salome schrieb auf den anderen Zettel ihre Nummer und gab diesen mit dem Edding zurück.
"Danke", bedankte sich Harald, "ist es okayn, wenn ich mich bald bei dir melde? Vielleicht brauchst du auch jemanden, der mit dir schreibt?".
Der Vorschlag zauberte Salome ein kleines Lächeln ins Gesicht. Sie nickte und Harald fing ihr Lächeln auf, um es zurückzugeben.
Zum Abschied umarmte er Salome ein weiteres Mal.
"Bis heute Abend. Halte durch", flüsterte er ihr ins Ohr, dann machte er kehrt, weil Salome ihn schon darauf hingewiesen hatte, dass ihre Kolleginnen ihnen skeptische Blicke zuwarfen.
Harald verließ das Bordell mit einem Hochgefühl, das er noch gar nicht verspürt hatte, seit er in Deutschland angekommen war.
Er hatte den Eindruck, Salome für sich gewonnen zu haben und er war sich sicher, dass er ihr schon irgendwie helfen konnte.
Wie genau, darüber würde er in den nächsten Tagen nachdenken.