Er wusste nicht, ob Steppi und Mads die richtigen Personen waren, um über seine Probleme zu reden, aber sie waren gute Freunde und wenn die Sprache bei ihrem gemeinsamen Essen darauf kommen würde, vielleicht würde Harald es sich überlegen. Zu wem er sonst gehen konnte, wusste er nicht. Mit Oli wollte er nicht nochmal ein Wort wechseln, der schien ihn sowieso für verrückt zu halten, Salome nachzulaufen
Sie hatten sich zu einem Mittagessen bei Harald verabredet, weil er nicht nur die größte Küche der drei hatte, sondern auch noch der beste Koch war. Seit sie in der Mannschaft waren, war das eine Regelmäßigkeit geworden die vor allem Mads und Steppi sehr schätzten, aber auch Harald freute sich über Gesellschaft
Mit der Vorspeise waren sie bereits durch, und nun verfielen die drei Jungs in Diskussionen über Steppis Beziehung.
Harald und Mads kannten seine Freundin, sie hatten ebenfalls bei ihr Deutschunterricht genommen, und eigentlich freuten sie sich für ihn, deshalb hörten sie geduldig seinen Berschwerden zu.
"Aber jetzt reicht es, was ist mit euch?", fragte Steppi schließlich nach einem längeren Monolog.
Über Frauen zu reden hatte ihnen schnell das Gefühl gegeben, eine lange Männerfreundschaft zu pflegen, deshalb war die Frage für die drei zu einer Art Ritual geworden.
Harald zögerte, seine Geschichte zu erzählen. Er wusste nicht, wie die anderen beiden auf Salomes Herkunft reagieren würden und hatte Angst, bei ihnen in Ungnade zu fallen.
Weil er aber noch nie gehört hatte, wie Mads oder Steppi schlecht über Prostituierte redete, entschloss er sich dazu, die Wahrheit zu sagen.
"Ich hab jemanden, so halb denke ich", nuschelte er und errötete dabei.
"Was heißt, du hast so halb jemanden?", hakte Mads nach.
Harald rutschte tiefer in seinen Stuhl und war kurz davor zu bereuen, etwas gesagt zu haben, denn er traute sich nicht richtig.
"Seid ihr schon zusammen?", versuchte Steppi ihm zu helfen.
Er schüttelte den Kopf.
"Nein, das nicht. Aber ich mag sie sehr gerne und ich glaube, dass sie mich auch mag."
"Wo habt ihr euch kennengelernt?", fragte Mads.
Harald schluckte einen dicken Kloß hinunter und lächelte:
"Tja, das ist nicht ganz so normal. Aber ich schwöre euch, ich erzähle die Wahrheit."
Zur Verdeutlichung hob Harald feierlich die Schwurhand und spannte seine Freunde damit so auf die Folter, dass die Anspannung fast mit Händen greifbar war.
"Wir haben uns auf der Straße kennengelernt", meinte Harald schließlich, Steppi und Mads runzelten die Stirn.
"Wie auf der Straße, hat sie keine Wohnung?", fragte Mads nach.
"Doch", grinste Harald, "also quasi schon. Sie arbeitet auf der Straße und, naja, in einem Bordell."
Fast hätte Harald gelacht, so überrascht sahen Mads und Steppi aus. Die Enthüllung hatte die beiden verstummen lassen, immer noch überlegend, ob Harald sie gerade veräppelte.
"Jungs, das ist mein Ernst. Ich kann euch die Straße und das Bordell und das Mädchen zeigen", beteuerte Harald mit todernster Miene.
"Lass mal", würgte Steppi hervor, "aber wie hast du sie denn kennengelernt? Ich wusste nicht, dass du... naja...".
"Ich gehe nicht deshalb zu ihr!", protestierte Harald energisch.
"Das war Zufall, dass ich sie gesehen habe beim ersten Mal. Und dann musste ich nur noch an sie denken, und ich habe sie gesucht und im Bordell besucht...".
Mads' und Steppis Augen wurden immer größer, je länger Harald erzählte. Als er geendet hatte, machte sich in der Gruppe ein betretenes Schweigen breit.
"Was denkt ihr?", fragte Harald nach einigen Minuten der Stille. Er hatte Angst, Mads und Steppi tatsächlich verschreckt zu haben.
"Ziemlich viel durcheinander", gab Mads die ehrliche Antwort, die Steppi durch nicken beipflichtete.
"Du hast erzählt, dass du ihre Schulden bezahlen willst, aber sie das nicht will. Welche Lösung willst du dann finden?", fragte Steppi ehrlich neugierig.
Harald zuckte mit den Schultern.
"Ehrlichgesagt habe ich gehofft, dass ihr da vielleicht Ideen habt, denn ich hatte noch keine, die wirklich gut war."
"Vielleicht würde was mit einem Anwalt gehen", überlegte Mads laut, "aber der kostet natürlich auch wieder und das Geld hat sie auch nicht. Ich weiß nicht, wie teuer so ein Anwalt ist, aber vielleicht spart man gar nichts, wenn man zu ihm geht, statt die Schulden zu bezahlen."
Harald ließ sich Mads' Gedanken durch den Kopf gehen. An einen Anwalt hatte er auch schon gedacht, aber es gab so viele verschiedene und er wusste auch nicht, wie Salome oder ihr Zuhälter reagieren würden.
"Daran habe ich auch schon gedacht, aber ich sehe dieselben Probleme wie du, Mads", nahm er den Gedanken auf.
"VIelleicht gibt es noch kreativere Ideen, ich weiß es wirklich nicht."
"Aber wir wissen ja jetzt bescheid und können uns auch etwas überlegen", versuchte Steppi den etwas geknickt wirkenden Harald aufzumuntern. Harald wusste, dass Steppi es nur gut meinte, aber wirklich aufmuntern tat ihn das nicht.
Mads klopfte ihm auf die Schulter.
"Wenn du wirklich willst, dann helfen wir dir natürlich. Wie ist sie denn so? Nett? Wie sieht sie aus? Erzähl mal."
Während Harald erzählte, kam allmählich seine gute Laune zurück und er geriet ins Schwärmen.
"Sie ist kleiner als ich natürlich, und sie fällt mit ihren blauen Haaren sehr auf. Und ihre Augen sind wunderschön, groß und braun, und wenn sie mich anschaut und gerade nicht böse ist, dann würde ich alles machen für diese Augen."
Harald seufzte, in Gedanken an Salomes Augen völlig versunken.
Steppi und Mads teilten grinsend ein Highfive. Wenigstens Haralds schlechte Laune war damit hoffentlich entgültig überwunden.
"Weiß sie denn eigentlich, wer du bist? Also was dein Beruf ist", fragte Steppi, aber Harald schien ihn nicht gehört zu haben, er antwortete nicht.
Mads wedelte mit einer Hand vor Haralds Gesicht herum und holte ihn damit zurück in die Wirkichkeit.
Harald schüttelte kurz den Kopf, um sich wieder ganz auf Mads und Steppi konzentrieren zu können.
"Was hast du gefragt? Tut mir leid."
"Ob sie weiß, was du arbeitest", wiederholte Steppi seine Frage.
Harald seufzte schwermütig.
"Nein, das hat sie noch nicht gefragt und als wir uns gesehen haben war hauptsächlich sie Thema. Sie weiß es nicht."
"Aber du sagst es ihr?", fragte Mads.
"Ja klar, irgendwann bestimmt. Aber erst mal muss sie da raus, dann kann man über alles andere nachdenken."
"Und wenn sie da raus ist, was macht ihr dann? Ich meine, seid ihr dann ein Paar oder wo wohnt sie dann, wenn sie keine Wohnung hat?", fragte Steppi weiter.
Harald zuckte wiederum mit den Schultern.
"Darüber habe ich mir auch noch keine Gedanken gemacht, das kommt alles noch", gab er ein wenig zerknirscht zu.
"Ziemlich wenig durchdacht, aber sehr edel", kommentierte Mads seinen Freund und senkte damit Haralds Laune weiter.
"Ich muss mal kurz wohin", verabschiedete der sich und steuerte seine Toilette an.
Es tat gut, mal einen Moment Pause von Steppi und Mads zu haben, nichts anderes war der Grund, wieso er aufgestanden war.
Leider musste er für sich zugeben, dass die Einwände seiner Freunde nicht ganz unberechtigt waren. Er hatte bisher wirklich wenig an dem Plan durchdacht, so wäre die Aktion vemrutlich zum Scheitern verurteilt gewesen.
Im Bad rieb er sich mit wassernassen Händen über das Gesicht, das half ihm beim Denken.
Sein Spiegelbild wirkte erschöpft, aber hatte einen entschlossenen Blick.
Ja, er musste diese ganzen Kleinigkeiten bedenken, bevor er Salome half, aber dann würde seiner Aktion nichts mehr im Weg stehn. Eine fast grimmige Entschlossenheit erfasste ihn und er hätte seinem Spiegelbild fast aush Reflex ermunternd zugenickt.
Mit frischem Mut verließ Harald sein Bad wieder und ließ sich auf seinen Platz gegenüber Steppi und Mads nieder. Die beiden tauschten einen besorgten Blick miteinander, vermutlich hatten sie in seiner Abwesenheit über ihn geredet.
Steppi rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum.
"Wir wollten dich nicht ärgern, Harald, es tut uns leid", brachte er schließlich murmelnd hervor.
Erstaunt hob Harald die Augenbrauen.
"Ihr habt mich nicht geärgert, ich war nicht sauer oder so etwas. Ihr habt natürlich recht mit dem, was ihr mir gesagt habt, dass mein Plan nicht sehr gut ist. Aber das kann er ja noch werden."
Zuversichtlich lächelte Harald.
"Und dabei habt ihr mit euren Aussagen ja geholfen, also ist alles gut."
Wieder tauschten Steppi und Mads einen diesmal erleichterten Blick miteinander.
"Natürlich helfen wir dir auch weiter, du musst uns nur fragen", bot Mads an. "Irgendwie kriegen wir das dann auch noch hin mit deiner Beziehung."
Die drei stießen auf ihren Pakt an, mit Wasser, aber die Stimmung war trotzdem verschwörerisch feierlich.
"Danke für eure Hilfe, Jungs, wirklich: Ich bin froh, dass ich mit euch geredet habe, und dass ich jetzt auch immer mit jemandem reden kann."
"Kannst du", bestätigte Steppi kopfnickend, "und wir helfen dir, so gut wir können."
"Dann lasst uns mal alle Dinge, die ihr gesagt habt, lösen", grinste Harald voller Zuversicht.
Die Nacht würde wohl lang werden, da war es gut, dass sie morgen einen Tag frei hatten.
Je länger die Zeit voranschritt, desto ausgereifter wurde der Schlachtplan. Den dreien machte es Spaß, den ultimativen Plan zur Rettung von Haralds Wunschbeziehung zu entwerfen.
Stunde um Stunde verging, das Essen wurde geleert, Flaschen ebenso, und sie wurden nicht müde, Möglichkeiten zu diskutieren.
"Danke Leute, wirklich", hörte man Harald öfter einwerfen, aber immer winkten Steppi und Mads ab.
An diesem Abend war es das erste Mal nicht nur das Gefühl einer langen Männerfreundschaft, an diesem Abend entstand unter dem Projekt eine Freundschaft, die wirklich länger halten konnte, als nur ein paar Monate.