Salome wickelte sich die Klamotten enger um den Körper, es half aber nicht wirklich gegen die Kälte. Wie sollte ein Spaghettiträgertop mit Pushup auch nur irgendwelche Kälte abhalten?
Aber Arbeitskleidung musste sein, das wurde ihr tagein, tagaus von Juri, ihrem Zuhälter, gepredigt. Auch nach ettlichen Klagen, Erkältungen und Nierenentzündungen hielt Juri eisern an seiner Meinung fest, so mehr Kunden generierel zu können und besseren Verdienst zu haben.
Deshalb stand sie nun bei Temperaturen knapp über Null in Top und Hotpants auf der Straße und betete innig, dass bald ein Wagen vorbeifahren und sie einsammeln möge, am liebsten ein ganz bestimmter.
Trotzig schüttelte Salome den Kopf und vertrieb den Gedanken wieder. Seit Harald vor ein paar Tagen aufgehört hatte, sich täglich zu melden, wurde ihre Sehnsucht immer größer und sein Platz in ihren Gedanken ebenfalls. Seitdem fragte sie sich fast durchgängig, ob sie einen Fehler gemacht hatte, ihn abzuweisen.
Harald war seit langem der erste Mann, der nicht gemein zu ihr war und überhaupt der allererste Mann, der sie hier raus holen wollte. Die Chance schien sie sich seit ein paar Tagen verbaut zu haben.
Einen Anruf bei Harald wagte sie nicht. Zu groß war die Angst, dass Harald sie einfach wegdrückte oder nicht ans Telefon ging.
Sie schalt sich dafür, schon wieder so viele Gedanken an diesen Kerl verschwendet zu haben, während er bestimmt schon bei einer anderen im Bett lag.
In Gedanken versunken hatte sie nicht gemerkt, dass ihre Kollegin Jelena sich zu ihr gesellt hatte. Anfangs hatten sie sich gut verstanden, aber Salome hatte schnell gemerkt, dass Jelena nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht war. Seit dieser Erkenntnis hielt sie Abstand von der gebürtigen Polin.
„Salome Schatz, wo ist denn dein Kerl mit dem kleinen Wagen von dem alle so schwärmen?“.
Salome starrte sie einige Sekunden verwirrt an. Von wem redete Jelena da?
„Der, der so lange bei dir auf dem Zimmer war, der junge Kerl“, half Jelena nach, dann fiel der Groschen bei Salome und ihre Laune verschlechterte sich augenblicklich.
„Was weiß ich wo der ist. Hier ist er jedenfalls nicht, wie du siehst.“
„Ja das schon, aber ihr hattet so viel Kontakt und jetzt? Habt ihr Streit? Du hast immer so viel Geld gehabt nachdem er bei dir war, wir haben uns schon alle so für dich gefreut.“
„Du kannst aber schlecht lügen, Jelena“, grinste Salome, „als ob sich irgendjemand von euch darüber freut. Ihr wollt ihn nur selbst bedienen. Von mir aus tut euch da keinen Zwang an, zu mir kommt er in nächster Zeit jedenfalls nicht mehr.“
Jelena presste ihre aufgespritzten Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Mit Salomes Direktheit konnte sie schon immer schlecht umgehen und sie war genervt davon, dass Salome sie stets durchschaute.
„Dann habt ihr ja doch Streit“, flötete sie so gut gelaunt wie möglich.
„Das geht dich überhaupt nichts an. Am besten verkrümelst du dich wieder woanders hin und schaust, dass du Geld verdienst“, fauchte Salome zunehmend gereizter.
Pikiert stöckelte Jelena davon, ihr Gang auf Highheels war nicht gerade grazil.
Salome atmete erleichtert aus. Sie hasste es ohnehin, mit ihren Kolleginnen reden zu müssen, aber Jelena hasste sie ganz besonders wegen ihrer falschen Art. Außerdem hasste sie sie jetzt dafür, dass sie Salome mit Harald aufzog. Es war auch ohne das schon schwer genug, ihn aus ihren Gedanken zu halten und Jelena machte es damit nicht besser. Ihre negativen Gedanken über ihre Kollegin wurden von einem schwarzen, großen Mercedes unterbrochen, der auffällig langsam an ihnen vorbeifuhr. Er war der erste Kunde am heutigen Abend und sie konnte sehen, wie alle ihre Kolleginnen darauf erpicht waren, den Wagen zu sich zu locken. Manche machten sich die Haare, andere richteten ihr Dekolleté. Salome war sich sicher, dass der Mann hinter dem Steuer sich gerade eine von ihnen aussuchte und diejenige würde Glück haben, denn das Auto verriet, dass er viel Geld hatte. Solche Kunden zahlte meistens sehr gut.
Schließlich stoppte der Wagen vor Salome und sie jubelte innerlich.
SIe konnte die neidischen Blicke förmlich spüren, als sie sich mit zurechtgerücktem Dekolleté auf die aufgehende Beifahrerscheibe lehnte.
Der Fahrer des Wagens war noch jung und in einen Anzug gekleidet. Seine blonden Haare waren zurückgekämmt. Am ehesten hätte Salome ihn in eine Bank gesteckt- auch das verhieß viel Geld für heute Abend. Er musste ähnlich jung sein wie Harald, also auch so alt wie Salome, aber sie verwarf den Gedanken gleich. BEi einem Freier an einen anderen zu denken gehörte sich nicht.
„Na, was kann ich denn für dich tun?“, säuselte sie in ihrer süßesten Stimme.
„Sehr viel bestimmt, meine Hübsche. Steig ein.“
Die Stimme war angenehm tief und Salome konnte gar nicht anders, als sofort Vertrauen zu dem jungen Mann zu fassen.
Salome stieg ein, machte die Tür hinter sich zu und wandte sich dann zu ihrem Kunden, lächelnd. Er musterte sie ausgiebig, ließ seine Finger über ihren Körper wandern.
„Ja, das sieht doch gut aus“, murmelte er dabei, „wir zwei werden sicher eine Menge Spaß miteinander haben.“
„Das kann ich dir versprechen. Ich kann dir bestimmt alles bieten, was du möchtest, du musst es mir nur sagen“, hauchte Salome und beugte sich bereits zu ihm herüber.
Sein Aftershave roch angenehm, nicht stechend, und lud dazu ein, mit den Lippen an seinem Hals zu verweilen.
„So, das meinst du also? Das klingt doch sehr gut. Ich werde dich auch fürstlich bezahlen, wenn wir fertig sind. Jetzt bin ich aber mal gespannt, was du dazu sagst“, grinste der junge Mann und etwas an der Art, wie er grinste, ließ Salome schaudern.
Dann hörte Salome, wie die Zentralveriegelung des Autos mit einem Schließgeräusch zuschnappte und wurde ein bisschen nervös. Sie hatte in ihrer Jugend zu viele Krimis und Thriller gelesen, als dass jetzt nicht ein Schauder über ihren Rücken jagte. Sie musste hier wieder raus, ganz egal wie viel Geld ihr dabei durch die Lappen ging.
„Ähm, ehrlichgesagt fühle ich mich wohler, wenn das Auto nicht abgeschlossen ist“, versuchte sie, der Situation zu entkommen.
Der Kerl grinste süffisant und musterte sie nochmals ausgebig, bevor er sich endlich zu einer Antwort herabließ, die Salome den Angstschweiß auf die Stirn trieb.
„Ist mir egal. Du kommst jetzt jedenfalls erst mal mit mir“, meinte er nur und parkte seelenruhig aus. Dann fuhr er los und Salome drehte sich leicht panisch zu den Mädels um. Keine davon schien sich dafür zu interessieren. Sie waren zu sehr mit sich beschäftigt, um zu bemerken, was hier los war oder Juri um Hilfe zu rufen.
„Weißt du, eigentlich machen wir es nur hier an dem Strich. Wegfahren ist nicht erlaubt“, erklärte Salome ein bisschen bestimmter, mit festerer Stimme als zuvor. Keine Reaktion. Stattdessen fuhr er einfach weiter, in die Stadt hinein. Die Augen waren starr auf den Verkehr gerichtet, als wäre Salome nichts als Luft für ihn.
„Hallo? Bring mich sofort wieder zurück! Das was du da gerade machst, ist Entführung! Ich hab da keinen Bock drauf, sofort anhalten!“. Salome wurde immer lauter und versuchte schließlich, ins Lenkrad zu greifen, aber er packte ihren Arm, so lässig, als wäre nichts.
„Wenn du mir ins Lenkrad greifst, haben wir beide nichts davon außer einen Unfall vielleicht. Also würde ich dir raten, es zu lassen“, erklärte er ruhig.
„Und was ist mit dem Thema Entführung?“, fauchte sie verängstigt und funkelte ihn an. In ihr war die pure Panik hochgekrochen und sie wollte nichts anderes, als sofort von hier zu verschwinden. Warum nur hatte sie sich darauf eingelassen?
„Und wennschon. Wen interessiert es bei dir? Dein Zuhälter wird schon Ersatz finden, oder hast du etwa noch einen Freund?“.
Die lüsternen Blicke, die ihr der Kerl jetzt ab und zu von der Seite zuwarf, ekelten Salome so sehr an, dass sie sich bemühen müsste, nicht zu brechen.
Scheiße, der Typ meinte es ja echt so ernst, wie es aussah. Dabei war er so ruhig, dass er Salome damit noch mehr in Panik versetzte. Trotzdem versuchte sie, einen kühlen Kopf zu bewahren. Die Mädels würden sie vielleicht bei Juri melden, zumindest hoffte sie das. Und ihr Handy hatte sie ja auch noch in der Tasche… noch.
Sollte sie versuchen, den Notruf zu wählen? Aber damit würde Juri vielleicht in Schwierigkeiten geraten und Ärger mit Juri war wirklich das Letzte, was sie gebrauchen konnte. Nur wen konnte sie dan anrufen?
Haralds Gesicht tauchte vor ihrem inneren Auge auf, aber sie sträubte sich dagegen. Harald war doch nicht ihr Allheilmittel. Was sollte er schon tun, den Kerl hier verprügeln? Das hätte er vermutlich gekonnt als Sportler, aber bei ihm hatte sie zur Zeit nicht die besten Karten.
Und vielleicht könnte sie ja weglaufen, wenn sie dann ausstiegen, wo auch immer das sein sollte. Vielleicht hatte der Kerl doch nicht alles so gut durchdacht und sie hatte eine Chance. Wenn ich unter Menschen kam, war sie vermutlich in Sicherheit. So weit waren sie bisher noch nicht gefahren, noch sah Salome Lichter und Häuser um sich herum.
Okay, das würde sie auf jeden Fall versuchen. Weglaufen, sobald sie ausstiegen. Obwohl Salome schlecht war vor Angst, bemühte sie sich um einen ruhigen Atem und einen klaren Kopf. Sie würde hier schon irgendwie rausfinden, sie musste!