Der Morgen erwacht und mit ihm auch Marianne. Viel zu früh, aber was soll man machen. Ungewohnte Betten, ungewohntes Umfeld, Gerüche, Geräusche und ungewohnte Gefühle. Der Tag beginnt, wie die letzten sonnig und sonnig beschreibt auch ihre innere Stimmung am besten. Ab ins Bad, präsentabel machen. Viel gibt es traditionell für sie da nicht zu tun, Toilette, Dusche, in wohlig warme Handtücher einwickeln und die Wonne spüren, sich prima zu fühlen. Fünf Minuten am offenen Fenster auf dem Bett liegen und den gestrigen Tag Revue passieren lassen. Danach vor den Spiegel und ...aber Hallo, das kann sich sehen lassen. Ein strahlendes Lachen einer zufriedenen Frau in der Mitte des Lebens. Damit kann ich alles erobern, weiß Marianne. Hawes Nacht ist ein wenig holprig. Er findet, erschöpft oder nicht, erst späht in den Schlaf! Zu aufregend war das Erlebte. Zu viele neue wunderschöne Momente gab es da. Er hat es gänzlich vergessen, wie schön Erlebnisse sein können, wenn man sie teilt. Nicht teilt, so wie die sogenannten modernen Medien „teilen“ sagen und durch ungehemmtes weiterverteilen und kopieren die Ereignisse zu unglaubwürdigen Fakenews werden. Nein, richtig teilen, von Mensch zu Mensch. Das mag sich ein wenig oldschool anhören, entspricht aber genau der Einstellung von Hawe. Authentisch nicht um jeden Preis, nein, authentisch weil es nun mal ist wie es ist. Und weil wir schon im modernen Kontext sind, muss er alles erlebte in den richtigen Unterverzeichnissen und Ordnen abspeichern. Und das dauert nun mal auf einer Festplatte älteren Datums etwas länger als auf einer brandneuen ultramoderen Festplatte. Mit dem ersten Laut, des irgendwo in der Nachbarschaft lebenden Wachhundes, ist er wieder wach (deswegen Wachhund) und weiß genau, dass er bis zu Mariannes Abreise im laufe des Tages kein Auge mehr schließen kann. Denn wenn er die Augen schließen würde, also nur mal angenommen, dann sähe er Dinge die ihm zwar gefallen könnten, von denen er aber mit Sicherheit weiß, dass sie nicht geschehen werden. Jedenfalls nicht so und schon gar nicht unmittelbar. Dafür ist er zwar nicht zu alt, aber viel zu gut erzogen.
Also kann er genau so gut auch jetzt aufstehen.Nach Morgentoilette, Rasur und Dusche, beginnt er mit den Vorbereitungen für das Frühstück. Kaffee oder Tee, Müsli, Toast oder Brötchen, süß oder herzhaft, Wasser oder Saft? Hoppla, über was man alles stolpern kann! Aus purer Verzweiflung über die brutalen Varianten des Morgens entscheidet er sich für nichts, setzt sich dick eingemummelt auf seinen bequemen Stuhl auf die Terrasse, döst ein wenig und genießt die wunderbar klare Herbstluft. Bis aus dem Zimmer im Ostflügel einige Geräusche zu vernehmen sind. Hawe schlägt langsam die Augen auf und im gleichen Augenblick spürt er schon Mariannes Hände von hinten kommend auf seinen Schultern. Ein unschuldiger Morgenkuss auf seinen Kopf folgt. Er muss träumen! Nun tritt Marianne vor Ihn auf die Terrasse. Ein wenig im Notfallmodus bietet er Marianne nun an, gemeinsam das Frühstück zu bereiten. Kurz darauf klappert in der Küche alles, was es für ein ausgiebiges Frühstück im Esszimmer mit Aussicht braucht. Marianne hätte jetzt gern Routine. Aber solche Situationen gab es noch nicht in ihrem Leben, jedenfalls nicht nachdem Sie der elterlichen Wohnung entwachsen war und im auf Dauer glücklosen Eheleben strandete. Bei allem gegenseitigen Einvernehmen in die Bewertung der letzten Stunden, wollte keiner der beiden sich selbst oder den anderen unter Druck setzt. Keiner traute sich, seine Gefühle klar zu benennen. Kommt Zeit kommt Rat. Leider hatte Marianne kein passendes Event in Wohnortnähe parat, um eine sofortige Gegeneinladung auszusprechen. Eins steht für sie auch fest, der liebe Hawe hat es dann aber nicht so luxuriös wie sie hier und es gäbe nur ein Bad. Und wo würden sie dann schlafen, aber soweit war es ja noch lange nicht. Erstmal kommt der Herbst, dann die Weihnachtszeit und dann schau‘n wir mal. Bevor Marianne alles was sie gestern ausgepackt hatte, wieder in Ihrem Köfferchen verstaut hatte, vereinbarten sie, dass sie den Jahreswechsel zusammen verbringen wollen. Jetzt, da das Datum fest stand, müsste bloß noch der richtige Rahmen gefunden werden. Zum Glück musste keiner von beiden jetzt sofort irgendwelche Zusagen komplizierter Art machen. Als Marianne alles im Auto hatte, sich beherzt mit einer eventuell zu festen und eventuell zu langen Umarmung von Hawe in der Tiefgarage des Anwesens verabschiedete, stieg sie mechanisch ein und nahm die Richtung ein aus der sie 24 Stunden vorher gekommen war. Hawe hatte ein Kloß im Hals. Er hasste sich nicht, aber für sein traniges Tempo bei Gefühlsentscheidungen, war er schon immer berühmt gewesen. So fiel er in den Vormariannestatus zurück und das Leben als solches fand wieder irgendwo vor der soliden Grundstücksabgrenzung statt.Mann oh Mann, wie kann das möglich sein. Er, der im Laufe seines Berufslebens über das finanzielle Wohl und Weh von Familien und Unternehmen wachte. Auch bei öffentlichen Projekten so achtsam, umsichtig und ideenreich zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Fäden gezogen hatte, dass alles zur allgemeinen Zufriedenheit wachsen und gedeihen konnte, ist zu deppert sein eigenes Leben auf die richtige, die Glücksspur zu heben. Erzählen darf man das niemanden. Es geht hier aber nicht um berufliche Reputation, um stramme Karriereplanung es geht um Gefühle. Da ist Hawe Opfer, Opfer als Kind einer Zeit, in denen man über Gefühle allenfalls beim Arzt oder im Beichtstuhl gesprochen hatte. Schon gar nicht als Junge in einer hessischen Kleinstadt. Da war man im Fußballclub, bei der Feuerwehr und maximal noch im Karnevalsverein. Das war es dann aber auch. Schule, Oberschule, Uni. Da war Hawe mit durchschnittlichem Abi, der Höheren Handelsschule und der Ausbildung bei der Sparkasse schon im grenzwertigen Bereich. Als klassischer Spätentwickler kam er dann aber mit Cleverness und Beharrlichkeit auf den aufsteigenden Ast. Er nahm sich nun vor, auf die frühkindliche Prägung zu schei…. und alles anders zu machen, als es ihm in die Wiege gelegt wurde.Er konnte nur verlieren, was er besaß und Marianne ist nicht sein Eigentum und wird es auch nicht, selbst wenn er sie irgendwie, irgendwo, irgendwann (Entschuldigung für den Ohrwurm) gewänne. Marianne kullerten auf der Landstraße nach Hause ein paar Tränen von der Wange auf die Bluse. Nicht die tiefstehende Sonne war der Grund . Das Herz, ihres heulte vor Freude. Sentimentalität, Warum nicht ? Sieht ja keiner und schon gar nicht Hawe! Dabei hätte er sich bestimmt nicht abgewendet, im Gegenteil denkt Marianne. Es hätte dem einsamen Wolf geschmeichelt und ihren tatsächlichen Empfindungen Rechnung getragen. Selbstbetrug ging nicht bei ihr dafür war sie schon immer viel zu direkt. Aber was soll das, warum das Leben so verkomplizieren, wer hat sich das nur ausgedacht? Erstmal heil nach Hause, alles sacken lassen und dann prüfen ob sie das bis Silvester ohne IHREN Hanswerner aushält. Der Prismablick den die Tränen verursachten, verschwand erst 20 Kilometer vor ihrer Haustür. Alles im Allem Glück gehabt, in den letzten 24 Stunden!