Natürlich hält es Marianne bis zum Jahreswechsel ohne den Hanswerner aus. Sie hat es ja schon ganz viele Jahre ohne ihn geschafft. Aber nun da sie weiß, dass ihn gibt und nach weiteren samstäglichen Gesprächen ist sie sich sicher, dass es sich lohnt, mehr Zeit mit Hawe verbringen zu wollen. Sie hatte sich in den zurückliegenden Tagen, hingegen ihrer sonstigen Gewohnheiten, doch so einige Gedanken um sich selbst, um die bevorstehenden Zeiten allgemein und um ihre Wünsche und Hoffnungen im speziellen gemacht. War es bisher doch so, dass sie wunderbar allein zurecht kam, sie keinen Gedanken an die Zukunft verschwendete und sich gewöhnlich keiner Liebeleien hingab. Warum wusste sie selbst nicht. Sie hatte es einfach nicht interessiert. Nun aber, hat es sie getroffen könne man sagen. Romantische Gefühle, Schwärmereien, Carola, die über Mariannes „Zustand“ unterrichtet war, hatte im letzten Brief geantwortet, sie sei wohl verknallt. Gut möglich, egal es fühlte sich toll an und die Signale über das Telefon, aus vorerst sicherem 153,2 Kilometern Abstand, waren alles andere als ablehnend.
Von dort kamen Ideen, Vorschläge, Konzepte, Anregungen und latente Aufforderungen. Hawe entwickelte ungeahnte Aktivität und Kreativität wie man das nächste Zusammentreffen gestalten könnte.
Dabei hatte er stets maßvoll im Blick, dass er und Marianne (noch) kein Paar im eigentlichen Sinne waren. Auch die monetären Voraussetzungen konnten unterschiedlicher nicht sein. Da er sich sicher war, dass seine Begleitung es sich verbitten würde sich aushalten zu lassen und somit in moralische Zugzwänge zu geraten, musste es eine andere, eine elegantere Lösung geben.
Er glaubte nun nach einigen Tagen Internetrecherche, mehren Besuchen in örtlichen Reisebüros, wochenlangem Kataloge durchwälzen und mehreren Stunden reiflicher Überlegung, einen vortrefflichen Rahmen für die sicherlich schönen Stunden zu zweit, dass er so formulierte konnte er selbst nicht glauben, gefunden zu haben.
Winterliche Ostsee, mit mitternächtlichem Strandfeuerwerk! Unterkunft im kleinen bequemen Hotel, direkt hinter der Düne. Hotelsuite mit getrennten Schlafmöglichkeiten. Diese sind eigentlich für junge Familien mit Kindern konzipiert, aber was soll´s. Er würde Marianne die Möglichkeit einräumen, den Einzelzimmerzuschlag selbst zu tragen, sodass sie nicht in seiner Schuld stand. Am folgenden Samstag wird er ihr diesen Plan unterbreiten. Wenn sie jetzt nein sagt, würde es knapp werden noch etwas anderes passendes raus zu finden.
Seit einigen Wochen startet Marianne ihre Samstage mit Elan und wesentlich organisierter als noch zu Beginn des Jahres. Zum einen gibt es Anfang Dezember einfach mehr zu tun und zum anderen möchte sie, dass nun zum stillschweigendem Gesetz gewordene Telefonat, nicht zwischen Tür und Angel erledigen. Wie mich der Hawe mich verändert, dachte sie sich jetzt manchmal. Halb elf, schellt das Mobiltelefon, welches seit einer halben Stunde schon nicht mehr aus den Augen gelassen wurde, neben Marianne auf dem Lieblingssessel. Ruck Zuck ist sie dran und nach dem Austausch der in der Tat beidseitig von Herzen kommenden freundlichen Floskeln über -WETTER- WOHLBEFINDEN-DIES UND DAS- wurde die männliche Stimme am Telefon sachlicher und Marianne kann sich vorstellen, wie Hawe seinen früheren Antragstellern die frohe Kunde der Kreditzuteilung offenbarte. Hawe schilderte seine Vorschläge mit angemessener Zurückhaltung.
Marianne merkte sofort, dass dieser Typ Mann, an alles gedacht hatte und nichts böses im Schilde führt. Froh über einen solchen Plan sagte Marianne zu, weil es ihr zu sagte. Zu dem war sie erleichtert, dass Hawe nicht jetzt zu ihr kommen muss. Irgendwie war es ihr noch nicht möglich, ihr leicht chaotisches nicht perfekt strukturiertes Leben vor einem Mann aus zu breiten. Zu dem wäre es der Mann gewesen, der trotz aller offenbaren Unterschiede, ihr Herz erreicht hatte. In den Jahren nach der ersten Verliebtheit in ihren späteren Exmann hatte sie stellenweise vergessen, dass sie so etwas hatte. Gegenseitig wurde sich nun beteuert, wie sehr man sich auf die Tage zu zweit freue! Hawe würde an am 30. auf Marianne warten und dann würden sie es mit Hawes Wagen wagen. Zurück sollten sie im Neuen Jahr sein. Ein elektrisierender Plan.
Die Tage bis dahin, würden sich von alleine füllen. Bei Marianne. Für die Weihnachtsfeiertage hatte sich ihre Brieffreundin Carola, die nun vor Neugierde platze, eingeladen. Sie würde Marianne ins Gebet nehmen , soviel stand fest. Einerseits die beste Möglichkeit , die nicht enden wollenden Tage unterm Tannenbaum zu verleben und andererseits müsste sie innerlich Farbe bekennen, wenn das Gespräch auf den geheimnisvollen Mister X (so wie ihn Carola unbekannter Weise nannte) zu sprechen kam. Vielleicht würde das Thema auch ein bisschen aufgebauscht werden, aber es ist ja auch eine wirklich gute Steilvorlage um sich das Maul zu zerfetzen.
Hawe telefonierte noch einige Male mit dem Familiengeführtem Hotel „Zur lachenden Möwe“! Bei dem Namen musste er sicher gehen, dass er auch bekommt, was er bucht. Nach mehreren glaubhaften Beteuerungen von Seiten des immer noch freundlichen Rezeptionistens, verlegte Hawe seine Reisevorbereitungen auf den Kauf von im Ernstfall vorzeigbarer zeitgemäßer Unterwäsche. Der kluge Mann baut vor. Mit allem anderen war er körperlich und bekleidungstechnisch soweit ausgestattet, dass er gut und gerne für einige Jahre jünger geschätzt werden könnte. Noch mal zum Frisör und das war´s dann. Alles war tipp-topp. An den Feiertagen telefonierte er mit seiner Nochimmergattin, deren Existenz im Alltag keine Rolle spielte, so stark sind die Spuren in Haus, Garten und auf Hawes Seele schon verblasst. Finanziell sind die Forderungen von der Insel insgesamt als bescheiden zu bezeichnen. Also gibt es für ihn keinen Grund an dem Status quo etwas zu ändern. Emotional berührt ist Hawe nur noch von Silke. Die hatte die Mama zu sich genommen, als diese irgendwann mit drei großen Koffern vor ihrer Metzgerstür stand. So haben alle was sie sich wünschen, Silke ein bisschen Familie in der Wahlheimat, Hawes angetraute Eheweib hat ihr Fleisch und Blut, ihre Freiheiten durch Cornwall zu streifen und ein leicht subventioniertes Leben in einer Fernsehkulisse zu führen. Hawe hatte Gewissheit, dass nicht alles daneben ging bei Frau und Kind und ansonsten hatte er das war er während der gemeinsamen Jahre nicht wirklich bekam, Ruhe und Frieden. WIN-WIN-WIN!
Nun waren die selbst auferlegten Pflichten auch für dieses Jahr geschafft und so konnte er sich auf die Kür vorbereiten. Er informierte sich über die Gegend der Lachenden Möwe und über etwaige Freizeitaktivitäten, lernte die Entfernungen zwischen den Leuchttürmen und anderen Sehenswürdigkeiten auswendig. Das ging schnell, den außer Strand mit Sand gab es nicht viel was den Titel Sehenswürdigkeit verdient hatte. Aber genau das hatte er ja auch gesucht und gebucht.
Am Abend vor der geplanten Reise, rief Marianne noch einmal bei Hawe an. Er wirkte verunsichert, befürchtete er doch, spontane Kalte Füße bei Marianne. Aber weit gefehlt. Marianne wollte die Uhrzeit abstimmen, wann sie bei Hawe sein sollte. Sie und kalte Füße. Für keinen Preis der Welt hätte sie auf die bevorstehenden Tage verzichtet. Jede Faser ihres Körpers sehnte sie sich nach, ja nach was, Aufmerksamkeit, Zuneigung, Zweisamkeit? Sie wusste es nicht recht in Worte zu fassen, das Wort, welches es am treffendsten beschreibt ist Ihr erst beim Zähneputzen eingefallen. Veränderung!