Unter die Menschenmenge gemischt lief Lucinda fröhlich nach Hause in die kleine WG, die sie sich mit einem Studienkollegen teilte und der ständig von seinem großen Bruder schwärmte. Einer der Gründe weshalb sie diesen ein wenig ärgern musste. Lucinda verstand sich gut mit Melanie, ihrer Studienpartnerin und Quasselstrippe, was die Dinge aus ihrer Familie anging. So hatte sie auch erfahren, dass ihr Bruder ein Polizist war. "Bin wieder daa!", rief sie strahlend als sie langsam in die Wohnung schritt.
Melanie kam ihr sofort strahlend entgegen. "Luce!", rief sie freudig. "Ich will meinen Bruder heute Abend überraschen! Willst du mitkommen?", fragte diese nun aufgeregt.
Lucinda wurde nachdenklich. Keine schlechte Idee. Immerhin musste sie sich nur ihre...Besondere Lache und das kichern unterdrücken, dann würde er sie nicht erkennen. Und solange sich keiner verletzte würde sie diese Seite an ihr nicht an den Tag legen. "Klar! Aber vorher brauche ich ein wenig Schlaf ja?", fragte sie Melanie lächelnd.
Diese stimmte zu und Lucinda ging in ihr Zimmer um sich etwas schlafen zu legen. Schließlich musste sie im Notfall verschwinden können, vor allem, wenn sie sich mit ihrem neuen Spielkameraden traf.
Einige Stunden später saß Dante deprimiert in seinem Büro. In seinem Fall kam er einfach nicht weiter, selbst der Gerichtsmediziner hatte ihm einen Vogel gezeigt. Er bräuchte eine Leiche und kein Gehacktes, hatte dieser alte Mann ihm entgegen geschleudert. Den gesamten Nachmittag hatte er nach einem Experten gesucht und tatsächlich einen gefunden. Leider hatte dadurch auch die Landespolizei von der Sache etwas mitbekommen und wollte sich nun an dem Fall beteiligen. Ihm sollte es recht sein, solange sie die Täterin fanden. Nach gut fünf Stunden packte er seine Sachen und verließ das Büro. Es war immer noch viel Trubel auf dem Revier und jeder hier schien ihm mitleidige Blicke zuzuwerfen. Im Grunde dachten sie alle, dass der Fall als ungeklärt abgestempelt würde und er sich die Mühe sparen könnte, doch bis jetzt hatte noch niemand gewagt es auszusprechen. "Pizza. Ich brauche Mengen an Pizza und Kaffee." Energie. Hauptsache Energie, sei sie nun ungesund oder nicht. Dieser Falle, die kuriose Leiche und das verdammte Gör ließen ihn einfach nicht in Ruhe.
Als er nach fast einer weiteren Stunde in seiner kleinen Wohnung ankam, hatte er fünf Schachteln Mageritapizza und zwei Pakete Kaffee bei sich. Sollte für den Abend reichen.
Es war mittlerweile einige Zeit vergangen, und Luce ließ sich schief grinsend zu der Wohnung des Bruders ihrer besten Freundin und Mitbewohnerin schleifen. Sogar wo er wohnte wusste sie nun. Es wäre so einfach ihn zu ihrem nächsten Opfer zu machen. Doch wo bliebe denn da der Spaß?
"Ding dong"
Die Türklingel erklang als Melanies Finger den mit Plastik überzogenen Knopf streifte. "Du wirst ihn bestimmt mögen! Er ist einer der tollsten und attraktivsten Männer die ich kenne!", schwärmte sie und stieß Luce mit vielsagendem Blick in die Rippen. Luce musste schmunzeln. Sie mochte Melanie, doch sowas... naja, sie war ihr in manchen Dingen etwas zu aufgedreht. Nur was das Aussehen des Mannes betraf, gab sie Melanie Recht. kurze, braune Haare. athletischer Körperbau, saphierblaue Augen. Letzteres begründete ihrer Ansicht nach seine bisherige Blauäugigkeit. Aufmerksam musterte Luce das Gebäude und die Umgebung während sie versuchte sich diese genau einzuprägen, sollte ihr doch mal danach sein, ihrem Verfolger privat einen Streich zu spielen.
Genervt stieg Dante aus der Dusche und schlang sich ein Handtuch um die Hüften ehe er die Treppen runter eilte und brummend die Türe aufriss. "Mel? Was bitte machst du hier?"
Als er sah, dass seine Schwester nicht allein war zog er die Augenbrauen hoch. Besuch konnte er jetzt gar nicht gebrauchen. "Okay, ihr zwei. Was wollt ihr? Ihr kommt gerade echt ungelegen." Seufzend rieb er sich seinen Nasenrücken. Es tat ihm zwar Leid, seine süße kleine Schwester so vor den Kopf zu stoßen, doch er musste unbedingt einen Hinweis finden.
Melanie sah ihren Bruder auf dessen Aussage hin aus großen Augen an.
"Ach Bruderherz, ich wollte dich überraschen! Bitte lass uns doch rein! Ich wollte dir meine Mitbewohnerin vorstellen!", schmollte sie und setzte ihren typischen unwiderstehlichen Hundeblick auf. Nicht mal Lucinda konnte diesem Blick auf Dauer stand halten. "Deine Hinweise laufen doch sicher nicht weg! Da kannst du dir doch ein paar Stunden für deine liebe kleine Lieblingsschwester nehmen, oder?", fragte sie und sah etwas grinsend zu Lucinda rüber. Immerhin wollte sie dieser zeigen, wie gut sie ihren Bruder unter Kontrolle hatte, ihre Intention war allerdings nicht nur diese einfache, offensichtliche.Verdammt. "Du bist echt-" Widerwillig öffnete er die Tür richtig und trat zur Seite. Seine Wohnung sah aus, wie immer, wenn er bei einem Fall Schwierigkeiten hatte. Die Pizzakartons von diesem Abend waren überall verteilt. Genauso schien er überall Kaffeetassen stehen zu haben. Alle leer oder halb voll. Der ganze Papierkram machte das Chaos dann perfekt. Genau aus diesem Grund mochte er keinen unangekündigten Besuch.
"Sag mir beim nächsten Mal Bescheid, bevor du vorbei kommst. Ich geh mich anziehen und dann kannst du mir deine neue Mitbewohnerin vorstellen." Abschätzend sah er die für ihn Fremde einmal genau an. Nichts an ihr kam ihm bekannt vor. Mhh. Danach beeilte er sich in sein Schlafzimmer zu kommen und rief noch über die Schulter hinweg: "Nichts anfassen!"
"Tss. Nichts anfassen. Bei dieser Wohnung! Die kann man doch nicht so lassen!", grummelte Melanie vor sich hin und krämpelte sich die Ärmel ihrer himmelblauen Bluse hoch bevor sie begann ihrem Putzwahn zu folgen. Als erstes nahm sie sich die Pizzaschachteln vor.
"Der Fall muss ihn echt beschäftigen, sonst ist er nicht so unordentlich!", versicherte Melanie. Luce sah sich schief grinsend um und lehnte sich dann einfach locker in den Türrahmen. Sie kannte ihre Mitbewohnerin nun langsam ein wenig, und was fest stand war, dass man sie beim putzen nicht stören sollte. War ihr auch ganz Recht so, weniger zu tun und mehr Zeit, sich ein wenig unauffällig umzusehen.
Als er im Shirt und mit Jeans wieder kam, hätte er am liebsten geschrien.
"Mel. Was tust du denn da schon wieder?"
Um zu verhindern, dass seine Schwester ihren Ordnungsfimmel noch weiter an seiner Wohnug ausließ, warf er sie sich kurzerhand über die Schulter. "Ich hab doch gesagt, dass nichts angefasst werden soll und was machst du als erstes? Fasst alles an, was in die Nähe deiner Grabschehändchen kommt." Immer noch mit Mel über seiner Schulter kam er nun zu der bisher noch nicht vorgestellten Mitbewohnerin. Lächelnd hielt er ihr die Hand hin.
"Hey. Ich bin Dante, der Bruder dieser Nervensäge hier. Hoffentlich bereitet sie dir nicht zu viele Probleme."
Lucinda musste grinsen bei der Art, mit der ihr eben als Dante vorgestellte Polizist mit seiner Schwester umging, die daran schon gewöhnt leise lachend und wie ein Sack über seiner Schulter hing. "Nein, dank ihr muss ich bei uns nie sauber machen.", antwortete sie schmunzelnd. "Ich bin übrigens Luce."
"Ich kann halt nicht einfach so rum sitzen, wenn deine Bude aussieht wie sau!", verteidigte Mel sich grinsend und kraulte ihrem Bruder den Nacken.
"Freut mich dich kennen zu lernen, Luce."Ihre Stimme klang einer anderen, die er erst vor Kurzem gehört hatte, ganz ähnlich. "Woher hast du diesen Aufräumzwang eigentlich, Mel? Ist irgendein Gen bei dir kaputt?" Ohne große Rücksichtnahme warf er sie auf die viel zu große Couch in die ganzen Kissen rein.
"Setz dich doch zu Mel, Luce. Mögt ihr was trinken? Ich hab Kaffee, Kaffe, Kaffee und Wasser direkt aus dem Wasserhahn."
Luce musterte die lachende Mel, die sich in dem Kissenberg sichtlich wohl fühlte. "Hmm... Also Kaffee und Kaffee mag ich ja nicht so, aber ein Kaffee wäre ganz nett.", grinste sie und lehnte sich an die ebenfalls gut gepolsterte Rückenlehne der Couch. "Ich nehm das gleiche wie immer!", grinste Mel und sah dann nachdenklich zu ihrem Bruder. "Und wo ich den Fimmel her habe? Ich kenne dich schon ein paar Tage, Bruderherz, und du hattest dich immer schon für die Gerechtigkeit interessiert, heißt es sah damals schon so aus bei dir! Daher kommt der Fimmel!", erklärte sie grinsend.
"Jetzt bin ich es also schuld?" Lächelnd ging er in die Küche und bereitete zwei Tassen Kaffee vor. Für seine Schwester tat er eine Menge Frischmilch hinzu. Wie man dieses Milchkaffeegesöff trinken konnte verstand er nicht. Als er wieder ins Wohnzimmer kam, stellte er die Tassen auf den kleinen Tisch ab.
"So. Für das Monster und einmal für die mit dem guten Humor."
Danke, ich mag meinen Humor auch.", mischte sich Mel grinsend ein und nahm den fast weißen Kaffee an sich, Luce schüttelte grinsend den Kopf und nahm sich ihren Kaffee. An sich schien dieser Polizist kein schlechter Kerl zu sein. Dennoch würde sie noch so einigen Spaß mit ihm haben. Sie musste nur bedacht handeln. Und das würde Zeit zur Vorbereitung benötigen. "Dann erzählt mal, was euch ausgerechnet heute hier herführt?" Normalerweise ging man schließlich nicht mal eben bis zu ihm. Es kam selten vor, dass man ihn antraf. Man konnte ja nie wissen, wann der nächste Mord geschehen würde. Er griff nach einem der Pizzakartons und schüttelte dran. Es befand sich auf jeden Fall noch gut eine halbe Pizza darin, also klappte er den Karton auf und stellte ihn ordentlich auf den Tisch bevor er sich ein Stück nahm. "Keine Sorge, die sind alle von heute Abend."
Luce sah auf die Pizzaschachtel und nahm sich dann schmunzelnd ebenfalls ein Stück. "Najaaa...", begann Mel zu kichern und nahm die von Pizza freie Hand von Luce, welche ihr daraufhin einen verwunderten Blick zuwarf.
"Ich finde, dass du schon viiieel zu lang allein bist, Bruderherz!", grinste sie, während ihrem Versuch Luces Hand zu ihm zu ziehen, zog Luce sie augenblicklich zurück. "Melanie?!", fuhr Luce sie an, dann schoss ihr ein Bild durch den Kopf bei dem sie sich einfach das lachen verkneifen musste. Sie, in ihren, durch einen erst kürzlich geschehenen Mord, blutdurchtränkten Klamotten, Arm in Arm mit dem sichtlich durcheinander drein schauenden Dante.
"Ich stimme ihr zu, Mel. Hör auf damit." Er hatte nichts gegen Luce, doch sie war noch so jung und in der Regel hatte er sowieso keine Zeit. Außerdem kannte er sie erst seit ein paar Minuten.
"Aber ich muss schon sagen, du hast in Luce anscheinend eine echt gute Freundin gefunden."
Ihm gefiel ihre lockere Art. "Da es aber schon spät ist, werde ich euch gleich nach Hause bringen. Nach dem, was gestern Nacht passiert ist, lasse ich euch nicht allein gehen und wenn ihr demnächst irgendwo hin müsst seit extra vorsichtig, ja?"
Luce wurde auf einen Schlag hellhörig und Melanie verdrehte von der übertriebenen Sorge die Augen.
"Es passiert doch immer irgendwas, Dante... Die Wahrscheinlichkeit, dass ausgerechnet wir die nächsten wären, ist extrem gering!", protestierte sie und Luce musste etwas schmunzeln. Ihr gefiel das Temperament ihrer Freundin, vor allem, wenn sie dadurch mehr Informationen bekäme zu den Dingen die über sie in Erfahrung gebracht wurden. Diese Dinge halfen ihr einfach, ihre Spielchen in Zukunft präziser zu treiben.