Ich habe meine Deutsch- und Englischprofessorinnen nie verstanden. Wie können sie so viel in etwas hineininterpretieren, was doch so klein erscheint. So sinnlos. Es hat mich gestört, dass sie Farben eines Vorhangs verglichen haben mit Emotionen, und der Oberfläche einer Wand größere Bedeutung verliehen haben.
Es hat mich gestört, dass alles etwas heißen musste, obwohl alles nichts war.
Ich konnte damit nicht viel anfangen, es war, als wären sie auf einem Drogentrip, besessen von weiß-Gott-wem-oder-was. In ihrer kleinen Wolke schwebend erzählen sie uns von Faust, der in Wirklichkeit nur ein Mann in einer Midlife-Crisis und womöglich auf Ecstasy war. Sie erzählen uns von Märchen. Ich habe Märchen schon immer gehasst. Ich habe die Art gehasst, wie die Märchen eine Lehre waren.
Ich habe gehasst, dass das alles so gewalttätig verlief und jeder jeden abschlachtete, verbrannte oder ohne Konsens heiratete, im Koma vergewaltigte. Märchen sind der Grund, weshalb die Babies zu Kindern, zu Erwachsenen, zu Alten aufwuchsen, die nicht besser wussten, als dass einem die Finger abgehackt wurden, wenn man immer am Daumen lutschte. Es wundert mich nicht, dass die Welt in diesem Müll, sei es im wahrsten Sinne oder nur als Metapher, steckt. Und ich selbst bin mit Märchen aufgewachsen, die Gebrüder Grimm meine schlimmsten Feinde, 1001 Nacht mein Albtraum und meine größte Verwirrung, nach Differenzieren und Integrieren.
Ich habe aber diese Furcht erst später entwickelt. Als ich alt genug war, um zu erahnen, dass mich meine Eltern nicht zu Tode verhungern lassen werden, weil ich Mamas Suppe nicht essen wollte, wurde mir bewusst, was da eigentlich vorgelesen wurde in der Volksschule. Witzigerweise war mein Lieblingscomputerspiel eines über Märchen und ich schaute mir jeden Tag mindestens einmal Rotkäppchen auf Bosnisch an und jeden zweiten Tag Der Gestiefelte Kater und meine Sammlung aller Disney-Bücher ist schon abgenutzt. Ich war im Widerspruch. Das Computerspiel brachte mir jedes Mal eine Gänsehaut und Rotkäppchen war komisch.
Darum geht es aber nicht einmal.
Es geht darum, dass ich eigentlich weder die Kraft noch die Lust habe, zu interpretieren. Texte, die wir im Unterricht besprechen, Filme, dessen Ende sie nicht zeigen wollen, Bilder in Galerien, sogar Menschen. Vor allem Menschen.
Ich möchte Menschen nicht interpretieren. Ich möchte sie kennen, ich möchte keine einzige Lücke haben, in welcher steht „Frei zur Interpretation“. Ich möchte nicht das Gute im Menschen sehen, wenn doch alles pechschwarz ist. Ich möchte nicht jedes Wort, was aus einem Mund kommt, überdenken müssen, und dann vor lauter Denken den Verstand verlieren. Und ich bin in einer Zwickmühle, denn ich selbst habe pechschwarz als schlecht eingestuft. Und daran sind nur meine Deutschlehrer schuld. Und die Märchen. Es sind immer die Märchen.
Wieso sonst sagt man, dass jemand Märchen erzählt, wenn er lügt?
Weil Märchen voll mit Scheiße sind, genauso wie Lügen. Und Lügen haben kurze Beine, was wiederum bedeutet, man kann sie schnell einholen. Oder so. Das wäre meine Interpretation von „Lügen haben kurze Beine“.
Man kann ja gar kein Buch mehr schreiben, ohne ständig und andauernd und immer Interpretationsmöglichkeit zu geben. Am Ende wird das jemand lesen und sagen „Wie man ihrem Schreibstil und der Wahl ihrer Worte entnehmen kann, ist ein gewisser Grad an Frust und Bitterkeit zu spüren, der sich durch jede Zeile bohrt und man merkt, wie diese ganzen Emotionen auf etwas viel Tieferes als nur ihren Ärger auf Märchen verweisen. Man fühlt, dass sie etwas innerlich bedrückt, was sie jedoch versucht, nicht anzusprechen und zu umgehen.“ Bla, bla, bla.
Ich habe mich gerade selbst verraten. Tatsächlich brodelt in mir etwas, was bald explodieren wird und jeden im Umkreis von 100 Metern erschlagen wird. Und ich werde dabei draufgehen. Egal, wie. Metaphorisch oder im wahrsten Sinne.
Eines muss man uns Menschen lassen: dafür, dass die Negativität auf dieser Welt das herrschende Element ist, ist die Suizidrate ziemlich niedrig.
Und das ist nicht abwertend, belustigend oder bösartig gemeint, sondern im Ernst. Alles, was sich hier auf dem Ort, den wir Erde nennen, den wir auch Lebensort nennen sollten, was wir aber nicht tun, weil wir es einfach verdrängen, dass das unser Haupt- und einziger Wohnsitz ist, abspielt, ist schlecht und kommt einmal eine gute Nachricht, folgt direkt eine schlechte oder Fake News. Eine Frau wurde im 6. Bezirk erstochen von einem Unbekannten, der aber angeblichen „Allahu Akbar“ gerufen hat und jetzt Terrorist ist, ein Mädchen wurde in Steyr von ihrem Freund ermordet, in Graz wurde ein kleiner Junge gekidnappt, in den USA wählte man Trump, in England blüht die Krise des EU-Austritts (eh schon seit 2016) und überhaupt, ohne weiteres und einfach so habe ich tatsächlicherweise, ohne Rücksicht auf meine persönlichen, eigenen, individuellen Gefühle zu nehmen, einen Fünfer in der Schule kassiert. Und dann noch einen. Und so, wie es ja üblich ist für uns Menschen, Kreaturen, die die Schuld nie bei sich selbst sehen, habe auch ich das Schulsystem und den Lehrer kritisiert. Dabei habe ich natürlich außeracht gelassen, dass ich gerade einmal zwei volle Tage für die Prüfung gelernt habe, mit dem besten Wissen, dass dieses Fach meine größte Schwäche ist. Ich habe mich gehen lassen in meiner Fantasie, in meinem Kopf, der Szenarien entwickelt und weiterentwickelt, die so und auch anders nie zustande kommen werden. Nicht hier, nicht jetzt, nicht morgen, nicht in zehn Jahren. Niemals so. Ich bin also gefangen in meinem Wunschdenken. Nahezu völlig isoliert von der Außenwelt bilde ich mir meine eigene Realität und kreiere neue Probleme, die mir dann auch dort Sorgen bereiten. Ich weiß, dass ich nicht die einzige Person auf dieser Welt bin, die das tut und sich so die Laune verdirbt. Vor dem Schlafengehen, während dem Lernen, beim Zähneputzen. Mir ist wohl bewusst, dass das manchmal schlecht ist und ich so verhindere, das Hier-und-Jetzt zu genießen, weil ich woanders bin, aber kann man es mir verübeln? Ich habe keine Tagträume, wenn ich großartige Dinge erlebe, oder mit Freunden unterwegs bin. Ich habe sie, wenn ich allein bin und die Zeit habe. Oder mir die Zeit einfach nehme, weil ich eigentlich keine Zeit hätte während des Lernens in meiner Wolke zu schweben, ich es dennoch tue, einfach, weil ich viel lieber dort bin, als vor meinen Unternehmensrechnungsunterlagen. Klarer Weise, natürlich. Ich hasse Unternehmensrechnung und wer auch immer auf diese brillante Idee kam, alles zu verkomplizieren, nur um die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens ergo des Staates zu verbessern – das war nicht in Ordnung. Am Ende geht es um den Gewinn (der sich übrigens ausrechnen lässt, indem man die Kosten vom Erlös subtrahiert). Und Gewinn bedeutet, irgendwo wird jemand ausgebeutet, und das irgendwo ist meist im Osten oder in Afrika und jemand sind meist Arbeiter, die unter schlimmsten Umständen unsere Einweg-Ware produzieren. Und was wir in Österreich als Mindestsicherung sehen, sehen sie als Vermögen. Ich weiß, dass wir Österreich und Länder in Afrika nicht vergleichen können, aber ich mache es trotzdem. Und wisst ihr wieso? Wegen dieser Sache, die man Presse- und Meinungsfreiheit nennt, von der einige Staaten wie Nordkorea, China, Russland, ja sogar USA ein Lied trällern können, und damit meine ich sie können es nicht, weil es sowas wie Presse- und Meinungsfreiheit bei ihnen gar nicht gibt. Jetzt fragt ihr euch bestimmt, wieso ich die USA mitgezählt habe, was aber leicht zu erklären ist: Trump.
Um wieder zu meinem Punkt zu kommen, dessen Faden ich schon vor drei Zeilen verloren habe: ich darf noch sagen und meinen so viel ich möchte. Es scheint mir jedoch, dass ich, wenn dieses Werk jemals in die Öffentlichkeit kommt, mit Konsequenzen rechnen werden muss. Weil man das nämlich heutzutage, wir schreiben das Jahr 2019 und darüber hinweg, so macht. Konsequenzen ziehen, die Leute diese spüren lassen, und dabei schnell einmal aus dem Weg räumen, dass Trump gesagt hat: „Grab ‘em by the pussy“, und trotzdem Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ist. Noch. Vielleicht sind die Leute dort zur Besinnung gekommen (Zweifel) und haben eingesehen, in was für Mist sie sich reingeritten haben. Glücklicherweise ist deren Legislaturperiode für Staatspräsidenten um zwei Jahre kürzer als bei uns. Ich meine… in vier Jahren kann man dennoch gewaltigen Schaden in einem Land anrichten, aber immerhin nicht so viel wie in sechs.
Er hat bis heute noch keine Mauer erbaut und wir schreiben, wie bereits erwähnt, das Jahr 2019. 2019. Und die verhassten Mexikaner sind dort, und die angewiderten Amerikaner sind da. Und die Amerikaner schießen, und die Mexikaner schießen. Und dann schießen auch noch die in Nordafrika. Mit amerikanischen Waffen. Und ratet mal, wer auch bald schießt. Putin. Und ratet wer auch noch bald schießt. Kim Jong-un. Und dann ballern sie los, keiner genug Eier, um die Atombomben auszupacken. Erbärmlich. Erbärmlich, wie sie mit Menschenleben spielen, aber Atombomben nicht anrühren. Und der einzige, einzigste Grund ist, dass sie dem, wenn genutzt, auch zum Opfer fallen. Eine Atombombe Putin, eine Atombombe Trump, eine Atombombe Kim Jong-un, eine Atombombe eventuell von Seiten der Franzosen, etc. Es würden vier, fünf reichen, um uns alle zu vernichten.
Und Idioten sitzen als Oberbefehlshaber des Heeres auf dem Boden, unter ihnen eine Spieldecke auf der die Welt aufgenäht ist. Sie platzieren kleine Figürchen und Autos und Tanks und weiß-Gott-was auf Länder und Flüsse und Ozeane und wenn ihnen was nicht passen, stoßen sie alles um und fangen an, sich in die Haare zu kriegen.
Und wir sind weitere kleine, winzige Minifigürchen und alles um und über und unter uns brummt und reißt und schießt und lacht und zerstört.
Wir, diese kleinen, winzigen Minifigürchen, sehen dabei zu, wie auf jedem Teil dieser Welt kleine Flecken von Haferbrei und Rotze dieser Riesenbabies, auch genannt Präsidenten, auch manchmal genannt Diktatoren, auch manchmal nicht unbedingt das, sondern Könige und Königinnen, hinterlassen werden. Am Ende des Tages, und das ist kein unbedeutender Faktor, bleibt das Schlachtfeld, auch genannt Kinderzimmer oder Spielecke, einfach stehen und liegen und die Riesenbabyoberbefehlshaber gehen schön ein Mittagsschläfchen direkt nachdem Mittagessen machen.
Und wer räumt auf?