Skeptisch stocherte Lisa in dem Tesorfillet herum und fragte sie die ganze Zeit über, was ein Tesor wohl für ein Tier war. Wahrscheinlich konnte sie aber ganz froh sein, dass sie es nicht wusste, also beschloss sie, auch nicht nachzufragen.
Sie schob das seltsam mintfarbene Fleisch beiseite und begann stattdessen die Steinsuppe und die Wildkräuter zu essen, was erstaunlich gut war, auch wenn die Suppe etwas bitter schmeckte.
Daw der Lisa gegenüber sass, sah ziemlich unglücklich aus, mit seinem Rindenauflauf vor ihm.
«Schmeckt es nicht?», wollte Lisa wissen.
Daw zuckte nur mit den Schultern und türmte sein Essen zu einem Berg auf, nur um diesen gleich darauf wieder zu zerstören.
Margarethe und Zac hingegen schienen ihr Essen beide zu mögen und brauchten nicht lange, um alles aufzuessen.
«Ich muss sagen, die Mahlzeiten scheinen mir zwar etwas gewöhnungsbedürftig, aber ich habe durchaus schon schlechter gespeist.» Margarethe tupfte sich mit der Serviette den Mund ab und faltete dann ihre Hände im Schoss.
Zac und Lisa schauten sich an und verdrehten die Augen.
Das konnte ja noch heiter werden.
Als alle fertig waren, erhob sich der Direktor, Mr. Strodoff, und klatschte wieder in die Hände, bis alle still waren. «Jetzt, da alle etwas gegessen haben, möchte ich euch bitten eure Zimmer zu beziehen. Es gibt Zimmer mit zwei, drei oder vier Betten. Jungen und Mädchen sind getrennt. Die Jungs haben ihre Zimmer auf der linken Seite des Ganges und die Mädchen auf der Rechten. Um halb zehn werden die Lichter gelöscht und um zehn Uhr ist Nachtruhe. Und glaubt mir Kinder,», der Direktor liess den Blick böse durch den Saal gleiten. «Ihr wollt nicht wissen, was mit Kindern passiert, die nachts zu laut sind.»
Im Esssaal war es totenstill, bis der Direktor auf die Frau in dem grünen Rock deutete und sagte: «Wenn ihr irgendwelche Fragen habt, wendet euch bitte an Mrs. Yang. Sie wird sich um euch kümmern. Und jetzt folgt ihr doch bitte zu euren Zimmern.»
Sofort sprangen die Kinder von den Bänken auf und drängten sich alle in Richtung Türe. Als sie den Gang entlang gingen, flüsterte Daw: «Ich habe gehört, wie einer der älteren Schüler einem anderen erzählt hat, dass sie einem Jungen die Zunge herausgeschnitten haben, weil er einfach nicht aufgehört hat zu reden.» Der Junge schaute seine drei Freunde ernst an.
«So ein Quatsch.» Lisa verdrehte die Augen. Aber das ungute Gefühl im Magen blieb.
«Oh Lisa, schau mal, der Garten!» Begeistert rannte Margarethe zum Fenster und deutete auf den Hof hinunter. Hinter der Mauer, die man vom Hof aus gesehen hatte, lag ein riesiger Garten voller bunter Blumen, riesiger Bäume und jeder Menge sonderbarer Tiere.
Lisa sah etwas, das aussah wie ein Schwein, aber mit grünen Federn bedeckt war und daneben erkannte sie einen Fuchs mit zwei, nein drei Schwänzen und einem Geweih auf dem Kopf, der im Schatten eines Baumes zu schlafen schien.
«Das ist unglaublich!» Lisa drückte sich die Nase an der Scheibe platt und konnte sich gar nicht sattsehen.
«Sie sind wohl neu», hörte das Mädchen plötzlich eine Stimme hinter sich und fuhr herum. In der Türe des Zimmers stand ein asiatisch aussehendes Mädchen mit vielen Abzeichen auf ihrer Bluse und neben ihr ein Junge mit verwuschelten braunen Haaren. Die beiden waren vielleicht drei oder vier Jahre älter als Lisa und musterten sie und Margarethe amüsiert.
«Willkommen im FWH», sagte der Junge jetzt und lächelte freundlich. «Wir sind Schulsprecher und kümmern uns um die Neuen. Wenn ihr also irgendwelche Fragen habt, dann wendet euch an Lou.» Er deutete auf das Mädchen neben ihn.
Die Asiatin nickte. «Bezieht jetzt eure Betten und packt eure Kleider aus. Wir treffen uns in einer halben Stunde auf dem Flur. Dann bringe ich euch zu eurer Klasse.»
«Unserer Kleider?» Lisa war verwirrt. Sie konnte sich nicht daran erinnern, mit Gepäck angekommen zu sein.
Lou deutete auf zwei grosse Taschen, die auf dem unteren der beiden Stockbetten lagen und wandte sich dann zum Gehen. «Wir sehen uns nachher.»
Neugierig ging Lisa zu der einen Tasche und öffnete sie. Darin lagen zwei weitere Uniformen, eine Tasche wie die, die der Junge über der Schulter getragen hatte, einen Stapel Bücher und eine Schreibtafel. Auf der Seite der Tasche war mit rotem Faden ein Name eingestickt worden.
Lisa stand da. Und daneben prangte ein seltsames Symbol. Es war ein Dreieck mit einem Strich in der Mitte durch. Stirnrunzelnd betrachtete Lisa das Zeichen und räumte dann ihre Sachen aus.
«Du Margarethe, hast du auch so ein komisches Dreieck mit einem Strich durch neben deinem Namen stehen?», fragte Lisa ihre neue Freundin.
«Ja.», sagte das Mädchen mit den Zöpfen, das mittlerweile auch begonnen hatte, ihre Tasche auszuräumen. «Aber meines steht auf dem Kopf. Irgendwo habe ich dieses Symbol schon mal gesehen… ich weiss nur nicht, wo.»
Schweigend räumten die beiden ihre Sachen in die schlichte Kommode, die neben der Türe stand. Gerade als Lisa die Tasche unters Bett schieben wollte, stutzte sie. Ganz unten in der Tasche lag etwas hartes. Vorsichtig zog Lisa einen grossen Handschuh aus Leder hervor und drehte sich fragend zu Margarethe um. Sie wollte gerade fragen, ob das Mädchen auch so einen Handschuh hatte, als sie sah, wie ihre Freundin ein paar schwarzer Stiefel aus ihrer Tasche herauszog.
Die beiden schauten sich verwirrt an, doch bevor jemand der beiden etwas sagen konnte, hörten sie vom Flur her eine Stimme. «Kinder! Na los, kommt schon. Der Unterricht beginnt.»
Margarethe zuckte mit den Schultern. «Die Lehrer werden uns unsere Fragen mit Sicherheit beantworten können.»
Lisa nickte.
Margarethe schielte zum oberen Hochbett. «Möchtest du oben oder unten schlafen?»
Soll Lisa oben oder unten im Stockbett schlafen?