500 Menschen sitzen mit dir in einem Saal voller Stühle, die terrassenförmig angeordnet sind, ausgerichtet auf eine große Leinwand, mit einem Professor davor. 500 anonyme Menschen. Ein Hörsaal. DU betrittst ihn und lässt deinen Blick schweifen. Du hast nur ein paar Sekunden Zeit dich zu entscheiden, wohin du gehst, wohin du dich setzen wirst. Denn brauchst du länger, dann wirkst du verloren, unentschlossen und hilflos. Du scannst also kurz die Menschen, die schon vor dir Platz genommen haben. Die schon vor dir auf der Suche waren. Du lässt deinen Blick kurz schweifen, entscheidest dich und gehst zielstrebig, aber betont lässig, in Richtung des auserkorenen Platzes. Hoffentlich hat niemand deine kurze Unschlüssigkeit bemerkt, dein kurzes Zögern, die Überlegungen die durch deinen Kopf schossen, als du den Hörsaal betratst. Setzt du dich weiter unten, zwischen all die Klugen, Strebsamen, die aufmerksam sind, Fragen stellen und der Vorlesung folgen, als würde ihr Leben davon abhängen? Oder nimmst du doch lieber ganz oben Platz, wo du untergehen, dich verkriechen kannst, wo niemand mitschreibt, mitdenkt? Aber dort oben sitzen die, die nach dem ersten Semester abbrechen, weil sie, oh Wunder, nichts mitbekommen haben und sowieso von Anfang an weder Lust noch Interesse an diesem Studium hatten. Zu denen willst du nicht gehören. Also vielleicht die goldene Mitte, dort wo die sind die schlau sind, aber das nicht raus hängen lassen, die die Spaß haben und trotzdem ernst sein können? Ja dort ist es gut, da passt du hin. Du hast dich also für die Mitte entschieden und schwebst jetzt möglichst elegant und selbstbewusst auf einen der Plätze zu. Jetzt noch ein reizendes: „Ist hier noch frei?“ und dann hast du es geschafft. Erschöpft lässt du dich auf deinen Stuhl sinken und bist froh, dass du diesen Teil des Tages hinter dir hast. Und morgen das Ganze wieder von vorne.